t w e n t y o n e.
t w e n t y o n e.
Sometimes you just need a shoulder to cry on.
Als ich nicht in meinem eigenen Bett aufwache, hätte wahrscheinlich jeder von mir erwartet, dass ich in Panik ausbreche. Doch ich habe schon so viele Nächte hier verbracht, dass ich genau weiß wo ich bin.
Ich weiß es schon, bevor ich überhaupt die Augen geöffnet habe. Alleine dieser Eigengeruch von Minze und Waschpulver, der einfach förmlich nach Calums Zimmer schreit.
Ich habe schon so viele Nächte hier verbracht, auf der Flucht vor meinen Eltern, dass ich dieses Zimmer selbst im Schlaf erkennen würde.
Als ich schließlich blinzele und die dunkelblaue Bettwäsche sowie den hölzernen Schreibtisch, den Calum seit dem ersten Schuljahr besitzt, am Fenster sehe, sind auch die letzten Zweifel verflogen.
Stattdessen fängt mein Kopf wie verrückt an zu dröhnen, als ich mich schließlich aufsetze und merke, dass Calum auf der anderen Bettseite sitzt und mich beobachtet.
Wie immer trägt er nur eine Boxershorts beim Schlafen, aber das bin ich gewöhnt, also werfe ich seinem nackten Oberkörper nicht einmal einen zweiten Blick zu, sondern mustere stattdessen sein Gesicht.
Seine Haare sind vollkommen durch einander und leichte Ringe haben sich unter seinen braunen Augen gebildet. Ich frage mich, wann genau wir gestern nach Hause gekommen sind, denn ich habe Calum noch nie zuvor müde gesehen.
Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen und ich erwidere es, während ich versuche, dass Dröhnen meines Kopfes zu ignorieren.
„Kopfschmerzen?", fragt er.
Ich nicke und bereue es schon Sekunden später, als die Schmerzen noch schlimmer werden.
„Hier, trink das. Mike hat gesagt, dass das helfen soll", meint mein bester Freund und reicht mir ein Glas Wasser mit irgendeiner anderen aufgelösten Flüssigkeit.
Misstrauisch mustere ich das Gemisch, das alles andere als genießbar aussieht.
Ich nehme einen Schluck und muss mich zwingen, das Ganze nicht direkt wieder auszuspucken.
„Willst du mich vergiften, Cal? Was zum Teufel ist das?", stoße ich hervor und stelle das Glas auf seinem Nachtisch ab.
Er zuckt nur mit den Achseln. „Keine Ahnung, Da musst du Michael fragen. Aber ich glaube nicht, dass er vorhat, dich zu vergiften. Dann hätte er sich gestern nicht so eine Mühe gemacht, Luke zu verprügeln."
Ich will gerade noch einen Schluck Wasser herunterwürgen, doch ich stoppe, als ich seine Worte realisiert habe. „Mikey hat Luke verprügelt?"
Calum nickt bestätigend. „Weißt du das nicht mehr?"
„Nein", seufze ich und sehe von erneutem Kopfschütteln ab. Ich habe vom ersten Mal gelernt und werde es heute erst einmal vermeiden, solange es nötig ist.
Stattdessen lehne ich mich kraftlos gegen die Rückwand des Bettes.
„Ich war ziemlich betrunken, oder?", jammere ich.
„Oh ja. Du warst ziemlich voll", antwortet er mir grinsend.
„Wie schlimm war es?", erkundige ich mich, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich auf die Antwort wirklich vorbereitet bin.
„Das willst du nicht wissen, Jules. Ehrlich", beteuert Calum.
„Also sehr schlimm", murmele ich und schließe kurz die Augen in dem Versuch, mich zu erinnern.
Bis auf ein paar Erinnerungsfetzen von mir und einem Bier in der Hand fällt mir nicht mehr viel ein. Michael, der mir zuwinkt.
Ich, lachend. Ich, kichernd. Ich, schwankend.
Ein Junge. Bob.
Und Bier.
Ein Becher.
Zwei.
Fünf.
So viel Bier.
Die Erinnerungen wirken seltsam verschwommen, so als hätte sich eine Schicht Öl darüber ausgebreitet. Wäre ich Künstlerin, dann hätte ich das Ganze wahrscheinlich als inspirierend angesehen.
Nur war ich mit Papier und Stiften ungefähr genauso begabt wie als Sängerin, nämlich gar nicht.
„Habe ich etwas Dummes angestellt?" Zögernd sehe ich Calum an.
„Soll ich dich anlügen?", entgegnet er und sieht mich abwägend an.
„Nein. Sag mir einfach die Wahrheit", verlange ich. „Bitte, Cal."
„Wenn du eine Knutschsession mit Luke Hemmings als dumm bezeichnen würdest, dann ja."
„Luke Hemmings?", stoße ich aus und vergrabe entsetzt mein Gesicht in den Händen.
„Luke Hemmings höchstpersönlich", bestätigt Calum.
Am liebsten würde ich etwas gegen die Wand werfen, aber ich bezweifele, dass Calum so begeistert wäre, wenn ich das Glas mit der Medizin in Scherben zerspringen lassen würde.
Falls man den Inhalt des Glases überhaupt als Medizin bezeichnen kann. Es schmeckt eher nach eingeschlafenen Füßen und Socken, die jemand schon länger nicht gewaschen hat. Dann noch ein Spritzer unangenehmer Geruch dazu.
„Ich habe Luke wirklich geküsst? Luke Hemmings? Den Jungen, dem ich fast einmal die Nase gebrochen habe? ", versichere ich mich erneut, einfach weil der Gedanke zu absurd ist.
„Nun ja, Küssen ist vielleicht etwas harmlos. Rummachen trifft es eher", entgegnet mein bester Freund.
„Oh Gott", stöhne ich. „Oh Gott, oh Gott, oh Gott."
„Hey, versuch das Ganze einfach positiv zu sehen", versucht er mich zu überzeugen.
„Cal! Was soll daran bitte positiv sein?"
Er fängt an, irgendwas zu stottern und sieht mich dann entschuldigend an. „Ich weiß nicht. Vielleicht die Tatsache, dass du es nicht getan hättest, wenn du nüchtern gewesen wärest?"
Ich funkele ihn an. „Vielen Dank auch. Das hilft mir gerade extrem weiter."
„Immer wieder gerne, Jules", grinst Calum.
Ich kann nicht widerstehen und schlage ihm einmal gegen den Oberarm.
„Was ist sonst noch passiert?", frage ich zögerlich.
„Michael hat Luke geschlagen, als er gerade die Hand unter deine Kleidung schieben wollte. Und auf dem Rückweg hast du angefangen zu weinen."
Unwillkürlich zupfe ich an dem T-Shirt herum, dass ich mir wohl gestern Abend irgendwie noch übergezogen habe, bevor ich eingeschlafen bin.
„Sonst noch was?"
„Du hast gesagt, dass Ashton sicherlich besser küsst als Bob", berichtet er mir.
„Bob?" Fragend sehe ich ihn an und ignoriere den Hauptteil der Aussage gekonnt. Ich kenne keinen Bob. Oder jedenfalls habe ich das gedacht. Aber wer weiß, was gestern Abend noch passiert ist.
„Luke. Wobei du ihn aus irgendeinem Grund Bob genannt hast. Oh und dann hast du noch erzählt, dass du Ashton wirklich, wirklich, wirklich gerne küssen würdest."
Calum macht abstoßende Knutschgeräusche nach und ich werfe mit meinem Kissen nach ihm.
„Oh mein Gott", murmele ich und vergrabe mein Gesicht wieder in meinen Händen, damit er nicht sieht, wie rot ich werde.
Wobei er das wahrscheinlich ohnehin bemerkt.
„Bitte sag mir, dass das außer dir keiner gehört hat", flüstere ich beschämt.
„Mike."
„Und er wird es mich nicht vergessen lassen. Habe ich recht?", frage ich, obwohl ich die Antwort auf diese Frage eigentlich schon kenne.
Wir reden über Michael Clifford. Er zieht mich selbst nach Jahren noch damit auf, wie ich in der siebten Klasse gegen eine geschlossene Tür gerannt bin. Da wird er mich das niemals vergessen lassen.
„Ich fürchte nicht", bestätigt Calum. „Aber hey, es gibt Schlimmeres."
„Ach ja? Was denn?"
„Du hättest all dies erzählen können, wenn Ashton ebenfalls da gewesen wäre."
„Ich glaube, dann wäre vor Peinlichkeit gestorben. Nicht, dass ich nicht sowieso jeden Moment umkippen und sterben könnte", erwidere ich.
Calum sieht aus, als wäre ihm gerade alle Luft aus der Lunge gepresst worden und im selben Moment realisiere ich, dass ich einen Fehler gemacht habe.
„Mein Gott, Cal. Das war ein Witz. Beruhige dich, ich werde nicht jeden Moment umkippen", sage ich hastig und schließe ihn in eine feste Umarmung.
Sein nackter Oberkörper wird gegen meinen gepresst, während er sein Gesicht in meiner Schulter vergräbt.
„Über so etwas macht man keine Witze, Jules", flüstert er und drückt mich noch fester an sich.
Seine Haare kitzeln mich im Gesicht, als ich mich vorbeuge und ihm einen Kuss ins Haar drücke.
Ich weiß nicht, wie lange wir dort sitzen, aber wir sollten wahrscheinlich froh sein, dass keiner ins Zimmer kommt und das Ganze mit etwas verwechselt, was es garantiert nicht ist.
Diese Umarmung, das Aneinanderklammern, als ginge es um Leben und Tod, das ist alles nur rein freundschaftlich.
Und gerade das ist es, was das Ganze so schwer macht.
Calum ist mein bester Freund seit Ewigkeiten.
Er ist derjenige, der mich am längsten von allen kennt.
Derjenige, der weiß, wie sehr ich meine Zahnklammer gehasst habe. Derjenige, der die Geschichte über Alex kennt. Die ganze Geschichte.
Und nicht die Gesprächsfetzen, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählt, während man meine Familie mustert.
Derjenige, der mich besser versteht, als meine Eltern es je könnten.
Ihn zu verlieren, wird das Schlimmste sein.
Also klammere ich mich mit allem was ich habe, an ihm fest. Ich lasse ihn meinen Anker sein.
Unser Atem geht hektisch, bis er schließlich anfängt sich zu beruhigen. Bis schließlich selbst unsere Herzen im selben Takt schlagen.
„Wirst du wissen, wenn du anfängst zu sterben?", flüstert er nach einer Ewigkeit.
Ich bin geschockt. Nicht wegen der Frage an sich, sondern wegen der Tatsache, dass Calum sie gestellt hat.
Seit Wochen hat er versucht, das Thema zu umgehen oder war mir mit Mitleid entgegnet.
Dieses Mal hört es sich sachlich an. Fast neugierig. Fast so, als würde er mich fragen, was es Morgen für ein Wetter geben würde.
Ich bin froh darüber. Ansonsten wäre ich wohl in Tränen ausgebrochen.
„Ich sterbe doch schon, Cal. Mit jeder Minute, jeder Sekunde. Genauso wie du. Und jeder andere", murmele ich und streiche ihm durch die Haare.
„Das meine ich nicht. Du weißt, was ich wissen will." Seine Stimme klingt undeutlich, fast so, als hätte er Angst vor meiner Antwort.
Ich atme einmal tief durch. „Ja, ich werde wissen, wenn ich wirklich anfange zu sterben. Sie werden es mir sagen, wenn es gar keine Hoffnung mehr gibt."
Calums Hand gräbt sich in mein Oberteil, fest, als würde er Angst haben, dass ich ihm sonst entgleite.
Ich wünschte, es wäre so einfach.
Mühsam dränge ich die Tränen zurück und versuche mich an einem Lächeln, dass wahrscheinlich noch verzweifelter aussieht, als ich mich fühle.
„Versprichst du mir etwas, Jules?"
„Alles", murmele ich.
„Sagst du mir Bescheid, wenn es so weit sein sollte? Denn falls es wirklich dazu kommen sollte, dann will ich es wissen. Dann will ich wissen, wenn es vielleicht das letzte Mal ist, dass ich dich umarmen kann. Dann will ich wissen, ob ich dein Lachen vielleicht zum Letzten Mal höre. Damit ich mich für immer daran erinnern kann", flüstert Cal.
„Versprochen", erwidere ich ebenso leise.
Und dann weinen wir doch all die Tränen, die wir bis jetzt so mühsam verdrängt haben.
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