t h r e e.
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Wenn du wählen könntest zwischen deinem alten, bekannten Leben und einem neuen, unbekannten ohne irgendwelche Sicherheit. Was für eine Wahl würdest du treffen?
„Ah, das Mädchen mit dem großen Geheimnis." Grinsend sieht Ashton mich an und fährt sich durch seine Haare.
Anscheinend hat er beschlossen, dass er genauso gut mit mir reden kann, da ich nicht vorhabe, ihn in Ruhe zu lassen. Und dass ist doch immerhin ein Anfang.
„Und der schweigsame Junge, der anscheinend doch sprechen kann", erwidere ich mit einem Lächeln und setze mich auf die Schaukel neben seiner.
„Touché. Das geheimnisvolle Mädchen und der schweigsame Junge. Wenn man das so meint, könnte man denken, wir hätten beide ein interessantes Leben", stellt er fest.
„Ich weiß nicht, wie es um dein Leben steht, aber als interessant würde ich meines nicht beschreiben", entgegne ich. Eher als beschissen.
„Ach ich weiß nicht, geheimnisvolles Mädchen. So schlecht scheint dein Leben nicht zu sein. Und ich wette, es ist interessanter, als du denkst."
„Du kennst mich doch überhaupt nicht. Woher willst du das also wissen?" „
Ashton schweigt einen Moment lang und sieht mich nachdenklich an. „Was ist das Verrückteste, was du je getan hast?"
Ich zucke mit den Achseln.
„Du kannst mir nicht erzählen, dass du noch nie etwas Verrücktes gemacht hast, Jul."
„Jul?" Ich ziehe die Augenbrauen hoch. So hat mich bis jetzt noch nie jemand genannt. Jules, ja, aber Jul?
„Ja, Jul. Das gefällt mir. Hast du was dagegen?"
„Nein, kein Problem. Ich mag Jul auch", erwidere ich, nachdem ich einen Augenblick darüber nachgedacht habe.
„Also dann, Jul. Bist du nie nachts in ein Schwimmbad eingebrochen und nackt Schwimmen gewesen?"
„Nein", entgegne ich. Meine Eltern hätten mich auf ein Internat geschickt, wenn ich je irgendetwas in dieser Art gewagt hätte.
„Ladendiebstahl?"
Entsetzt schüttele ich den Kopf.
„Nicht einmal ein verrückter Road Trip, bei dem du dir vollkommen die Kante gegeben hast?"
„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber nein. Ich trinke keinen Alkohol und ein Road Trip habe ich auch noch nicht gemacht."
„Dazu hast du noch genug Zeit. Aber du musst anfangen zu leben, Jules. Du bist jung und wunderschön, dir müsste eigentlich die Welt zu Füßen liegen."
Ich schlucke, denn im Gegensatz zu ihm wusste ich, dass meine Zeit ziemlich begrenzt war.
„Ich war schon auf der Sydney Harbour Bridge auf dem Stahlbogen der Brücke", meine ich dann zögernd.
„Jules, wenn du das wirklich das Spannendste in deinem Leben war, dann hast du bis jetzt noch nicht richtig gelebt", stellt Ashton fest.
Unwillkürlich will ich protestieren, doch ich entscheide mich dagegen.
Ja, vielleicht hatte er Recht. Vielleicht habe ich bis jetzt noch nicht richtig gelebt.
Mein Leben wurde bis jetzt so sehr von meinen Eltern kontrolliert, dass ich nicht einmal die Chance gehabt hatte, irgendetwas Verrücktes zu tun. Alles, was ich tat, war seit meiner Geburt an vorausgeplant. Welche Schule ich besuchen würde. Welche Freunde ich haben durfte und welche nicht. Welche Ausbildung ich machen würde. Welchen Sportverein ich besuchen durfte. Dass ich die Firma meines Vaters übernehmen sollte. Selbst mein Geburtsdatum hatten sie ausgesucht. Ich wurde per Kaiserschnitt am 26. Juli geboren, da ich laut ihnen genauso wertvoll sein sollte, wie der Australia Day. Und dann kam der Krebs und zerstörte die so sorgfältig ausgedachten Pläne meiner Eltern.
Ashtons blaue Augen mustern mich abwägend, bevor er schwungvoll von der Schaukel abspringt und eine perfekte Landung vor meinen Füßen hinlegt.
Dann streckt er mir fordernd seine Hand entgegen und zieht mich ebenfalls hoch.
„Was soll das werden?", frage ich irritiert, als er unsere Hände verschränkt und mich wie selbstverständlich hinter ihm herzieht.
„Wir fangen jetzt an, dein Leben zu leben", antwortet er mir.
„Ich kann nicht weg von hier", murmele ich und werfe ein Blick auf unser Haus, in dem meine Mutter hoffentlich noch nicht entdeckt hat, dass ich nicht in meinem Zimmer bin. Wenn sie herausfindet, dass ich wieder einmal bei Ashton bin, dann würde das nicht sonderlich gut enden.
„Komm schon, Jul. Hast du etwa Angst?"
„Ja, habe ich. Jedenfalls ein bisschen", gebe ich zu.
„Das ist gut. Ein bisschen Angst ist besser als vollkommen furchtlos zu sein", meint Ashton grinsend und zieht mich dann weiter von unserem Haus weg.
Es dauert eine Weile, bis ich bemerke, dass er immer noch meine Hand hält und ich merke, wie sich ein leichter Rotschimmer auf meine Wangen legt. Ich überlege kurz, ob ich loslassen soll, aber das Gefühl seiner Hand hat etwas Beruhigendes an sich. Als würde er mir Sicherheit geben.
Und die brauchte ich, denn ich war gerade dabei, aus meinem bisherigen Leben auszubrechen.
„Also, Jul. Erzählst du mir jetzt, was dein Geheimnis ist?"
Ich schüttele den Kopf.
„Nicht mal ein kleiner Hinweis? Ein klitzekleiner?", fragt Ashton und ich muss lachen, denn ich kenne niemanden außer ihm, der noch das Wort ‚klitzeklein' verwendet.
„Nope."
„Auch nicht, wenn ich dir erzähle, was wir machen werden?"
„Nein", antworte ich ihm. „Erzählst du es mir trotzdem?"
„Nicht wenn du mir keinen Hinweis gibst", erwidert er.
„Gut, dann warte ich eben", lache ich und schlendere neben ihm den Gehweg entlang, bis wir vor der nächstgelegenen stehenbleiben.
„Wir fahren mit dem Bus?", frage ich perplex, da man von meinem Haus aus eigentlich bequem in die Innenstadt laufen kann.
„Ich verrate nichts" Grinsend sieht Ashton mich an und lehnt sich gegen eine Straßenlaterne.
„Gut, dass ich so geduldig bin", entgegne ich.
„Bist du wirklich geduldig?", fragt er mich perplex.
„Ich bin so ziemlich der ungeduldigste Mensch, den du je kennenlernen wirst." Lachend schüttele ich den Kopf und schließe die Augen, um die Sonne zu genießen. Dass ist noch eines der Dinge, die ich vermissen werde, wenn ich tot bin. Wenn man dann überhaupt noch irgendwas vermissen kann.
Wenn ich ehrlich bin, könnte ich hundert Seiten von Dingen aufschreiben, die ich vermissen werde. Meine Freunde. Meinen besten Freund. Sydney. Mein Zimmer. Sommer. Mein Lieblingsbuch. Einzigartige Stunden. Und es würden nicht nur die guten Dinge des Lebens genannt werden, sondern auch die schlechten. Meine Eltern. Ja, sogar meine Schule würde ich vermissen.
Gedanklich führe ich meine Liste weiter, bis Ashton mich wieder ins Hier und Jetzt zurückholt.
„Jul! Der Bus ist da!"
Ich blinzele einmal kurz und eile dann hinter Ashton her, der schon eingestiegen ist und für uns beide bezahlt hat.
„Danke. Ich gebe dir das Geld morgen zurück", meine ich, als ich mich neben ihn auf eine der Sitzbänke sitze.
Selbst im Sitzen überragt er mich noch um mehrere Zentimeter und ich bin wieder einmal erstaunt, wie groß er eigentlich ist.
„Brauchst du nicht. Du bezahlst in dem du mir versprichst, dass du gleich nicht kneifen wirst", erwidert Ashton und streckt mir die Hand zum einschlagen entgegen.
„Okay. Versprochen." Ich schlage ein und sehe dann immer noch in Gedanken aus dem Fenster.
„Alles okay mit dir?", fragt Ashton nach einer Weile und ich stelle bestürzt fest, dass wir fast schon die Innenstadt verlassen haben.
„Ja, klar. Warum auch nicht?"
„Weil du auf einmal so schweigsam bist."
„Doch, es ist alles klar. Ich bin nur aufgeregt, weil ich absolut keine Ahnung habe, auf was ich mich eingelassen habe", lüge ich.
Er würde mich einerseits für verrückt halten, wenn ich ihm von meiner gedanklichen Liste erzählen würde oder mein Geheimnis erraten. Und ich weiß nicht was von beiden Möglichkeiten schlimmer wäre.
„Ich hasse Schweigen. Lass uns 20 Fragen spielen, Jul."
Ich ziehe die Augenbraue hoch. „Du hasst Schweigen? Ich hätte nicht gedacht, dass ich das von dem Jungen zu hören bekomme, der tagelang kein einziges Wort mit mir gewechselt hat."
„Du hast mich genervt", entgegnet er.
„Ach? Und jetzt nerve ich dich nicht mehr?"
„Doch. Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt." Grinsend sieht Ashton mich an und nicht zum ersten Mal bin ich fasziniert von seinen Grübchen.
Ich strecke ihm die Zunge heraus, insgeheim froh darüber, dass er mich von meinen düsteren Gedanken ablenkt.
„Also, was ist nun, Jul? Spielen wir?"
Ich seufze. „Okay. Wie genau geht das Spiel?"
Ashton sieht mich begeistert an. „Jeder darf 20 Fragen stellen und der andere muss darauf antworten."
„Darf man Fragen verweigern?"
„Nein."
„Gut, dann können wir leider nicht spielen. Denn so wie ich dich kenne, wäre deine erste Frage die nach meinem Geheimnis gewesen."
„Okay, meinetwegen darf jeder 2 Fragen verweigern. Spielen wir dann?" Er scheint mir ziemlich süchtig nach diesem Spiel zu sein.
Um ihm eine Freude zu machen, nicke ich. „In Ordnung. Lass uns spielen. Wer fängt an?"
„Ladies Frist." Ashton macht eine ausholende Handbewegung, die mich zum kichern bringt.
„So höflich auf einmal?"
„Ist das deine erste Frage?", neckt Ashton mich und ich strecke ihm die Zunge heraus, während ich verzweifelt nach einer Frage suche, die ich ihm stellen könnte. Dieses Spiel ist schwieriger als ich gedacht hätte.
„Hast du Geschwister?", frage ich schließlich.
„Langweilig, Jul. Wie langweilig." Er tut so als müsste er gähnen und ich pickse ihn in die Seite, woraufhin er zusammenzuckt.
„Jetzt komm schon. Du musst antworten."
„Ja, ich habe eine jünger Schwester und einen noch jüngeren Bruder."
Ich nicke.
„Also, Jul. Meine erste Frage. Was hasst du am meisten?"
Ich starre ihn perplex an. „Was hasst du am meisten? Das ist deine erste Frage?"
„Ja. Warum auch nicht?"
„Ich weiß nicht. Dass ist verstörend. Ich meine, hättest du danach gefragt, wen ich am meisten liebe, dass hätte Sinn ergeben. Aber wen ich am meisten hasse?"
Ashton sieht mich schulterzuckend an. „Ich mag diese Frage. Es ist interessant. Liebe ändert sich. Täglich. Stündlich. In einem Moment, da liebst du jemanden noch, dann wirst du enttäuscht. Aber Hass ändert sich nicht so schnell. Wenn du einmal jemanden oder etwas hasst, dann ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sich dies dein Leben lang nicht mehr ändern wird. Also, was ist deine Antwort?"
Ich überlege kurz. Ich könnte sagen, dass ich Krebs am meisten hasse. Oder, dass ich vielleicht sterben muss. Aber das stimmt nicht. „Am meisten hasse ich es, dass es immer noch Krieg auf der Erde gibt. So klischeehaft das auch klingt. Aber ich kann es nicht ertragen, zu wissen, dass gerade in diesem Moment jemand vor seiner eigentlich Zeit stirbt, nur weil er irgendjemandes Kriege austragen muss."
„Wow. Das war tiefgründig", erwidert er und ich bin mir nicht sicher, ob er ernsthaft beeindruckt ist oder sich über mich lustig macht.
Der Bus fährt über einen Huckel und ich kann mich gerade noch davon abhalten, gegen Ashton zu knallen. Um meine Verlegenheit zu überspielen, stelle ich eilig meine zweite Frage. „Und du? Was hasst du am meisten?"
„Meinen Vater."
Erschrocken sehe ich ihn an. „Darf ich fragen warum?"
„Fragen darfst du. Nur kriegst du keine Antwort. Nicht nur du hast Geheimnisse, Jules."
Ich würde mich echt unheimlich über Votes und Kommentare freuen! Das würde mir echt viel bedeuten.
Dieses Kapitel ist hopelessinside gewidmet, einfach weil sie zu süß ist ♥
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