t h i r t y s i x.

t h i r t y s i x.











People are not rain or snow or autumn leaves; they do not look beautiful when they fall.











Als ich die Augen aufschlage, blinzele ich, während mein Kopf sich anfühlt, als wäre er kurz davor zu explodieren. Die Umgebung schießt an mir vorbei.

Wände, lange scheinbar unendlich sterile Gänge und ein gehetzter Gesichtsausdruck auf den meisten Gesichtern.

Und mittendrin ich. Festgeschnallt auf einer Krankenliege.

Niemand muss mir sagen, dass ich mich im Krankenhaus befinde. Es ist mir nicht mehr fremd, so viele Stunden wie ich mittlerweile in diesem großen, grauen Kasten verbracht habe.

Einen kurzen Augenblick überkommt mich Panik, denn ich habe absolut keine Idee, wie ich hier gelandet sein könnte. Ich erinnere mich an nichts.

Meine Lieder sind träge, doch ich schaffe es, sie offen zu halten, während wir durch die Gänge marschieren. Die Fußstapfen hinter mir klingen gleichmäßig, langsam und nicht überhastet, was mich ruhiger werden lässt.

Egal was passiert ist, ich bin kein Notfall. Es ist alles in Ordnung.

Oder jedenfalls so in Ordnung, wie etwas sein kann, wenn man sowieso schon Krebs im Körper mit sich herumträgt.

Meine Augen werden nass und ich blinzele die Tränen weg. Um ehrlich zu sein habe ich doch mehr Angst, als ich irgendwem gegenüber zugeben würde.

Denn wie oft kommt es schon vor, dass man sich an nichts mehr erinnern kann und im Krankenhaus aufwacht, ohne zu wissen, wie man überhaupt dort hinkommen kann?

Wie oft fühlt sich ein Körper an, als würde man innerlich gleichzeitig verbrennen und erfrieren?

Jeder einzelne Knochen tut mir weh, so als wäre ich gerade einen Marathon gerannt. Nur schlimmer.

Es ist ganz und gar kein angenehmes Gefühl.

Ich will mich räuspern und fragen, was passiert ist, doch meine Kehle ist so trocken, dass nur ein leichtes Husten herauskommt.

Weitere Leute eilen an uns vorbei, während ich in gleichmäßigem Tempo Richtung der Onkologie geschoben werde.

Das merke ich daran, dass mir die Umgebung plötzlich so bekannt vorkommt.

Die Schritte hinter mir werden langsamer und schließlich werde ich in ein Zimmer gerollt. Aus den Augenblicken würde ich die Zimmernummer erhaschen können, wenn ich es wollen würde, aber was würde mir das schon bringen?

Außerdem wäre mir gerade wahrscheinlich schon diese eine Bewegung um einiges zu anstrengend.

Wie ich es hasse. Es fühlt sich an, als wäre ich eine Gefangene in meinem eigenen Körper.

Zwei Paar Arme greifen mich und heben mich vorsichtig von der provisorischen Trage auf das echte Krankenbett im Zimmer.

Es wird nur eins vorhanden sein, das weiß ich, bevor ich mich überhaupt weiter umgesehen habe.

Meine Eltern würden nie zulassen, dass ich mir mein Zimmer mit einem Mitbewohner würde teilen müssen. Das wäre unserer Familie ihrer Ansicht nach nicht würdig.

Aber während meiner bisherigen Aufenthalte in diesen vier Wänden, gab es Tage, an denen ich alles für einen Zimmernachbarn gegeben hätte. Einfach um vor meinen eigenen Gedanken zu fliehen.

In den letzten Wochen war ich immer öfter Gast in diesen Krankenhauszimmern gewesen und selbst meine Mutter konnte nicht mehr verdrängen, dass es mir zusehends schlechter ging.

Mein Kopf fühlt sich schwer an, als ich ihn leicht anhebe und versuche, mich aufzusetzen.

Sofort greifen zwei Arme hinter meine Schultern und helfen mir, mich aufzusetzen.

„Danke", murmele ich kraftlos, als mein Vater mir in eine sitzende Position verholfen hat und mir ein dickes Kissen in den Rücken schiebt.

Beinahe überrascht es mich, meine beiden Eltern neben meinem Bett zu sehen. Es muss schlimmer sein, als ich dachte, wenn sie freiwillig an einem Dienstagmorgen im Krankenhaus sind, anstatt zu arbeiten.

Mit zittrigen Händen greife ich nach dem Wasserglas, das meine Mutter mir hinhält und trinke langsam einen Schluck.

Selbst diese Bewegung laugt mich aus und ich bin wütend auf mich selbst.

„Was ist passiert?", frage ich schließlich.

„Du warst mit diesem Jungen unterwegs. Ihr beide wart in einer dieser ungesunden Fast-Food-Läden und plötzlich bist du einfach umgekippt. Ashton sagt, du hättest von Schwindel geklagt und plötzlich bist du vom Stuhl gefallen und hast dir dabei den Kopf aufgeschlagen", berichtet meine Mutter mir, wobei ihr Tonfall deutlich verrät, wen sie für das Ganze verantwortlich macht.

„Wo ist Ash jetzt?", frage ich flüsternd.

„Er ist mit dir im Notarztwagen gefahren und hat gewartet, bis wir gekommen sind. Dann ist er abgehauen."

Wahrscheinlich sollte es mich nicht einmal wundern, dass sie Ash selbst dann noch hasst, wenn er eigentlich genau das will, was sie will. Nämlich, dass er sich von mir fernhält.

Ich erwidere nichts, denn ich weiß genau, dass Ashton geblieben wäre, wenn er gekonnt hätte. Er hätte nichts lieber getan. Nur während mein Leben völlig aus den Fugen geriet, ging die Welt da draußen weiter.

„Ist es schlimm?", stelle ich stattdessen die Frage, auf die ich eigentlich keine Antwort haben möchte.

„Sie mussten dich einige Stunden in ein künstliches Koma versetzen und einige weitere Tests durchführen", erzählt mein Vater, der bis jetzt schweigend auf meiner Bettkante gesessen hatte.

Ich schlucke, denn das klingt gar nicht gut. Doch das ist es nicht, was ich eigentlich wissen wollte.

„Wie schlimm ist es wirklich? Werde ich sterben?"

Meine Mutter weicht meinem Blick aus und knetet die Hände. „Am besten warten wir auf Dr. Hemilton, ja? Er konnte noch keine genaue Diagnose stellen und wartet noch auf einige Testergebnisse. Und ich bin sicher, alles wird wieder gut werden."

Doch ihre Stimme zittert und ich weiß, dass sie versucht, sich selbst Mut zuzureden.

Ich nicke schweigend und schließe die Augen, während ich mich nach hinten in mein Kissen fallen lasse.

Ich glaube, dass ich eingeschlafen bin, denn als ich die Augen wieder öffne, steht Dr. Hemilton, mein behandelnder Arzt vor dem Bettende.

Er schenkt mir ein kleines, träges Lächeln. „Wie geht es dir, Jules?"

„Hervorragend", meine ich sarkastisch, was ihm ein kleines Lachen entlockt.

Doch sofort wird er wieder ernst und das ist der Moment, in dem ich weiß, wie es um mich steht.

Ich weiß es, auch bevor er eine minütige Rede über die Prozedur und Untersuchungen und Blutwerte hält und schließlich die Worte sagt, die ich nie in meinem Leben hören wollte.

„Der Krebs hat angefangen, deine inneren Organe anzugreifen. Wir versuchen alles Mögliche, Jules, das kann ich dir versprechen, aber es sieht nicht gut aus."

„Werde ich sterben?"

Dr. Hemilton atmet einmal tief ein. „Wie schon gesagt, wir versuchen alles menschenmögliche, aber manchmal kann selbst die beste Medizin nicht weiterhelfen. Solange kein Wunder geschieht, wirst du sterben."

Meine Mutter bricht schluchzend neben mir zusammen. Vergessen ist all der Streit der letzten Tage, in denen wir uns hinterher schließlich nichts mehr zu sagen hatten.

Wir befinden uns wieder im Kriegsgebiet. Nur dass man manche Kriege einfach nicht gewinnen kann. So sehr man es auch versucht.

Die Tränen laufen ihr haltlos über die Wangen und sie klammert sich so fest an meinen Arm, dass ich sicherlich mehr als einen blauen Fleck zurückbehalten werde.

Doch wen interessieren schon blaue Flecken. Ich würde sterben.

Am liebsten würde auch ich anfangen zu weinen.

All die Tränen vergießen, die sich über die ganzen vergangenen Monate in mir gesammelt haben und nun darauf drängen, hervorzusprudeln und sich einen Weg nach draußen zu erkämpfen.

Doch wie es aussieht, sind selbst meine Tränen zu schwach zu kämpfen.

„Wie lange habe ich noch?", frage ich, während sich in mir ein Taubheitsgefühl breit macht, so als würde sich mein Körper darauf vorbereitet, alle Abwehrmechanismen hochzufahren und die Wahrheit zu verdrängen, so wie an dem Tag, an dem Dr. Hemilton mir vor so vielen Monaten meine Diagnose mitgeteilt hatte.

„Vier bis sechs Wochen. Wenn überhaupt", erwidert mein Arzt in einem so sanften Tonfall, als würde er mit einem verletzten Tier sprechen.

Alleine bei dem Gedanken daran zieht sich in mir alles zusammen. Ich konnte nicht sterben. Nicht jetzt. Nicht nachdem ich Ashton gefunden hatte.

Ich hatte ihm versprochen zu kämpfen.

Und nun hatte ich verloren.

Das konnte einfach nicht sein.

Dr. Hemilton verabschiedete sich und verließ leise den Raum, während meine Mutter weinte, als wäre ihre Welt zusammengebrochen.

Wahrscheinlich war sie das auch.

So sehr ich sie in letzter Zeit verabscheut habe, so sehr tut sie mir jetzt leid, wie sie wie ein Häufchen Elend neben mir auf dem Bett sitzt und sich an mich klammert, als würde sie so meinen Tod verhindern können.

„Ich habe schon zu viele verloren. Ich kann nicht auch noch dich verlieren", meint sie schluchzend.

Es zerreißt mich, sie so leiden zu sehen. Denn trotz allem war sie doch meine Mum.

„Es tut mir so leid, Mum. So furchtbar Leid", flüstere ich und drücke sie ebenfalls an mich.

Mein Vater schlingt die Arme um uns beide und ich lasse mich in die Umarmung fallen.

Der Himmel verdunkelt sich bereits, als es an der Tür klopft und Ashton vorsichtig den Kopf hereinsteckt.

„Hey", grüßt er, überrascht, mich in einer so engen Umarmung mit meinen Eltern zu sehen.

Die Überraschung weicht der Besorgnis und ich glaube, dass auch er weiß, was das zu bedeuten hat, bevor jemand die Worte ausgesprochen hat.

Ich löse mich aus den Armen meiner Eltern. „Könntet ihr uns vielleicht alleine lassen?", bitte ich sie.

„Julie, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist", erwidert meine Mutter und verwandelt sich wieder in die unnahbare Frau, die nichts mehr hasst als den Freund ihrer Tochter.

„Ich würde gerne mit ihm alleine sein, Mum. Bitte", flehe ich sie an.

Sie sieht aus, als hätte ich ihr eine Ohrfeige verpasst und nickt schließlich. Sie erhebt sich, vergräbt ihr verheultes Gesicht im Shirt meines Vaters und lässt sich von ihm aus dem Raum geleiten.

Leise schließen sie die Tür hinter sich und dann sind wir allein.

Ashton kommt langsam auf mich zu und lässt sich neben mir auf dem Bett nieder.

„Wie geht es dir?", fragt er mich und streichelt meinen Arm.

Ich kann nicht antworten, sondern schüttele einfach nur den Kopf. Für alles andere fehlt mir die Kraft.

Doch er versteht mich auch so, so wie er es schon immer konnte. Er versteht mich, ohne dass mir auch nur ein Wort über die Lippen kommt.

Ich sehe es in seinem Gesicht, wie er die Augenbrauen zusammenzieht, die Geschichtszüge härter werden und er schließlich anfängt zu weinen.

Ich lasse mich in seine Arme fallen, vergrabe mein Gesicht in seinem Shirt und dann weine ich all die Tränen, die ich bis jetzt so mühsam zurückgehalten habe.

Er wiegt mich hin und her und vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren.

„Wir haben noch höchstens sechs Wochen", erzähle ich ihm schließlich mit tränenerstickter Stimme. „Und auch nur, wenn alles gut läuft. Jedenfalls wie gut es laufen kann, wenn man dabei ist, zu sterben."

Ashton drückt mich fester an sich. „Wir werden diese sechs Wochen zu den besten deines Lebens machen. Das verspreche ich dir."

Ich heule lauter. „Wieso? Wieso gerade ich? Und nicht jemand anderes? Warum muss gerade ich diese beschissene Scheiß-Krankheit haben?", frage ich.

An jedem anderen Tag hätte Ashton über meine Wortwahl gelacht, doch heute streichelt er mir nur beruhigend über den Rücken.

„Das kannst du dich jeden Tag aufs Neue Fragen, Jul. Und weißt du was? Du wirst nie eine Antwort finden", erwidert er.

„Und was ist, wenn diese Frage schon die Antwort ist?" Ich hebe meinen Kopf und sehe ihm in die Augen.

„Wie meinst du das?"

„Was, wenn ich nur krank bin, weil ich jemand anderen mit Vergnügen leiden sehen würde, solange ich selbst nur wieder gesund wäre?", sage ich und schäme mich so sehr für meine Gedanken.

„Gott, was bin ich grausam", schluchze ich.

Ashton zieht mich an sich. „Du bist nicht grausam, Jul. Du bist einfach nur menschlich", flüstert er und drückt mir einen Kuss auf die Stirn.

„Wahrscheinlich solltest du einfach verschwinden. Ich werde sterben, Ash. Und ich will dich da nicht mit hineinziehen. Hau ab, solange du noch kannst", meine ich schließlich.

Ich höre ein hohles, kraftloses Lachen. „Nun, dafür ist es schon zu spät, meinst du nicht? Viel zu spät. Ich liebe dich, Jul. Du bist mir wichtig. Wichtiger als mir je irgendein anderes Mädchen war."

„Und was heißt das jetzt?", frage ich flüsternd.

„Das heißt, dass ich nicht nur für die schönen Dinge hier bin. Ich werde bei dir bleiben, egal was passiert", erwidert er mit einer solchen Überzeugung in der Stimme, dass ich sofort wieder anfange zu weinen.

„Danke, Ash. Dafür, dass ich bei dir einen Zusammenbruch haben kann, ohne dass du mich verurteilst oder weniger liebst. Danke, dass du das Ganze mit mir zusammen durchstehst. Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin."

Er schenkt mir ein kleines Lächeln. „Das hat Liebe so an sich, Jules. Selbst wenn alles hoffnungslos erscheint, so ist man dennoch zumindest da, um einander festzuhalten. Sich jeden Tag wieder für einander zu entscheiden. Und das tue ich jeden Tag. Ich habe mich gestern für mich entschieden, entscheide mich heute für dich und morgen werde ich es ebenfalls tun. Einfach weil ich dich liebe.

Wir sind gemeinsam da drinnen, okay? Du bist nicht alleine. Ich bin bei dir. Und werde es sein. Bis zum..." Ich sehe ihn kräftig schlucken. „Bis zum Ende."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top