s i x t e e n.
s i x t e e n.
Die Welt ist schon komisch. Solange man es muss, hasst man es. Aber wenn man es dann auf einmal nicht mehr kann, dann fängt man an, es zu lieben.
Hätte mir vor ein paar Monaten Jemand gesagt, dass ich es vermissen würde, früh aufstehen und zur Schule gehen zu müssen, hätte ich denjenigen so ungläubig angestarrt, als hätte er mir gerade mitgeteilt, dass ich Krebs hätte.
Nun, im Leben kann sich vieles ändern, wie ich unfreiwillig festgestellt habe.
Erstens, Ich habe wirklich Krebs.
Zweitens, wünsche ich mir 3 Monate zwei Wochen und 4 Tage nach meinem letzten Schultag, nichts sehnlicher, als wieder zur Schule gehen zu können.
Okay, noch sehnlicher wünsche ich es mir natürlich, wieder gesund zu sein, aber daran konnte ich aktiv nichts ändern.
Kaum stehe ich auf, merke ich, dass ich nicht mehr an so frühe Uhrzeiten gewöhnt bin. Wahrscheinlich hat dies auch etwas mit der Kraftlosigkeit und Müdigkeit zu tun, die ich in letzter Zeit immer häufiger verspüre. Leukämie geht eben nicht spurlos an einem vorbei, sondern kommt schleichend, aber stetig. Oder jedenfalls ist dies in meinem Fall so.
Im Gegensatz zu meiner Mutter weiß ich über meine Krankheit nur das, was mir mein Arzt mitgeteilt hat.
Ich nehme mir vor, das Ganze zu ignorieren und mich auf den vor mir liegenden Tag zu freuen.
Also ziehe ich mir an, wobei ich darauf achte, nicht meine besten Klamotten zu wählen. Ich will nicht allzu enthusiastisch wirken. Stattdessen entscheide ich mich für eine Skinny Jeans, ein weißes Top und einen Cardigan. Einfach, aber es erfüllt seinen Zweck.
Dann gehe ich mitsamt meinem Schulrucksack nach unten und setze mich an den Esstisch.
Meine Mutter mustert mich kurz, bevor sie nickt und mir einen Teller Rührei hinstellt.
Ich zwinge mich dazu, dass Essen nicht anzusehen, als wäre es mein Feind und würge den Großteil herunter, einfach um den Schein zu wahren.
„Julie, bist du sicher, dass du gehen willst?" Kritisch sieht sie mich an.
„Ja, Mum", meine ich.
Sie nickt erneut missbilligend und drückt mir einen paar Dollar in die Hand. „Für dein Mittagessen."
Ihr Blick verfolgt mich, während ich das Geld in meine Hosentasche stecke und mir dann im Flur die Schuhe anziehe.
„Wo willst du hin?", ruft sie, als ich gerade die Haustür öffnen will.
„Zum Bus", erwidere ich.
„Du glaubst doch nicht, dass ich dich mit dem Bus fahren lassen werde? Ich fahre dich."
Nein, ich habe so etwas schon befürchtet. Aber einen Versuch ist es wert gewesen.
„Aber Calum und meine anderen Freunde werden auch mit dem Bus fahren", protestiere ich, obwohl ich genau weiß, dass es niemals funktionieren wird.
„Calum und deine anderen Freunde sind auch nicht krank", entgegnet sie und verzieht das Gesicht.
Vielen Dank, Mum. Ich hatte es gerade für ein paar Minuten geschafft, die Realität zu verdrängen und in der Illusion zu leben, dass alles in Ordnung und dies ein ganz normaler Schultag ist.
Aber irgendwann hätte ich diese Illusion ohnehin aufgeben müssen.
Schweigend folge meiner ihr zum Auto und setze mich auf den Beifahrersitz.
Im Gegensatz zu meinen Fahrten mit Ashton, auf denen immer irgendwelche Musik läuft, hält meine Mutter nichts von Musik, es sei denn, man würde sie in irgendeiner Oper wiederfinden können, also herrscht die zwanzigminütige Fahrt über vollkommene Stille.
Ich mache mir nicht die Mühe, ein Gespräch anzufangen. Ich bin einfach nur froh, als wir endlich da sind.
„Alle Notfallnummern sind in deinem Handy eingespeichert. Auch die von Doktor Hemilton", meint meine Mutter, als das Auto endlich auf dem Schulparkplatz zum Stehen kommt.
Ich bemühe mich sehr, nicht die Augen zu verdrehen.
„Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst, Julie?"
„Ja, Mum. Mir geht es gut", versichere ich ihr heute zum gefühlten tausendsten Mal und steige aus, bevor sie noch irgendetwas sagen kann.
Dann gehe ich auf die Schultüren zu, die mir so bekannt sind und betrete meine sonst so verhasste Schule.
Sofort befinde ich mich zwischen Massen an Schülern, die plaudern oder mit missmutigem Gesichtsausdruck auf dem Weg zu ihren Spinden sind.
Ich freue mich darüber, wieder hier zu sein. Hier gibt es wenigstens Ablenkung.
Und was noch viel Wichtiger war: Es würden mich nicht alle ansehen, als wäre ich eine Invalide.
Niemand bemerkt mich, aber das ist mir nur Recht so.
Heute ist Mittwoch. Die Woche ist schon weit genug fortgeschritten und niemand erwartet einen neuen Schüler. Oder in meinem Fall einen wieder zurückkehrenden Schüler.
Das ist der Grund, warum ich nicht am Montag zurückgekommen bin. Ich will so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf mich lenken. Ich will einfach nur, dass alles so sein wird wie in der Vergangenheit.
Kurz überlege ich, ob ich Calum suchen soll, aber er befindet sich mittlerweile sicherlich schon in seinem Klassenraum. Also mache ich mich auf den Weg zu meinem Mathekurs.
Raum 402. Mister Carfields.
Ich bleibe kurz vor der Tür stehen und versuche mich innerlich darauf vorzubereiten, dass mich alle anstarren werden, sobald ich das Zimmer betrete.
Dann öffne ich die Tür und trete ein. Trotz aller innerlicher Vorbereitung, zucke ich aufgrund der ganzen Aufmerksamkeit, die nun auf mich gerichtet ist, leicht zusammen und eile auf das Pult zu, wobei ich fast über eine Tasche stolpere.
Ich fange mich gerade noch, wobei mein Gesicht gerade wohl einer Tomate gleicht.
Vorne angekommen, drücke ich Mister Carfields meinen Entschuldigungsschein in die Hand.
Er nickt wohlwollend und wendet sich an die Klasse. „Das ist Julie Morrison. Aber ich bin mir sicher, dass ihr sie alle sowieso schon kennt. Also bin ich hier wohl der Einzige, der dich noch kennenlernen muss, Julie."
Ein paar vereinzelte Lacher.
„Jules, Sir. Nennen sie mich bitte Jules."
„In Ordnung, Jules. Ich hoffe, dir haben die letzten Monate auf der Privatschule gefallen und wir freuen uns alle über ihre Rückkehr. Ich hoffe allerdings, dass sie dort das Arbeiten nicht verlernt haben." Er zwinktert mir zu.
„Nein, Sir. Natürlich nicht", erwidere ich eilig und berichtige ihn nicht.
Meine Eltern haben es für besser gehalten, zu erzählen, dass ich die Schule gewechselt habe, anstatt meine Krankheit als Grund für meine Abwesenheit zu nennen.
Anfangs hat mich dies furchtbar gestört. Denn ehrlich, wie kann man nur so versessen darauf sein, seinen Ruf zu wahren?
Aber gerade bin ich ganz froh über die Geschichte der Privatschule. Ich will nicht, dass alle wissen, dass ich krank bin. Ich will nicht von allen angestarrt werden, als könnte ich jeden Augenblick tot umkippen oder Mitleidspunkte sammeln.
Ich will einfach nur Julie Morrison sein, eine Schülerin unter Tausenden.
„Nun. Julie. Wir haben uns gerade mit diesen Funktionsgraphen beschäftigt. Am Besten suchst du dir einfach einen Platz", meint Mister Carfields und ich bin froh darüber, dass ich mich dem Präsentierteller entziehen kann.
Eilig steuere ich auf den Tisch neben meinem Freund Michael zu, den er mir netterweise freigehalten hat.
„Privatschule, Morrison?", flüstert Mike mir zu, sobald ich mich gesetzt habe.
„Klappe, Clifford. Du kennst doch meine Eltern", murmele ich.
Er verzieht das Gesicht und weiß genau wovon ich spreche, da seine Eltern nicht besser sind. „Aber natürlich. Bloß nicht den Ruf schädigen. Und eine Tochter auf einer Privatschule klingt doch viel besser als eine Tochter mit Krebs."
Kaum hat er die Worte ausgesprochen, sieht er mich erschrocken an. „Sorry, fuck. Das hätte ich nicht sagen sollen."
„Schon okay, Mike. Es stimmt ja. Und immerhin redest du nicht wie alle anderen drum herum. Das ist zur Abwechslung mal ganz erfrischend", beruhige ich ihn.
„Calum?", Fragend sieht er mich an.
Ich nicke bloß, weil Mister Carfields mir und Mike einen warnenden Blick sendet. Jeden anderen hätte er jetzt schon ermahnt, aber anscheinend stehe ich so gerade noch unter Bewährung.
Kein Krebsbonus diesmal, bloß der Bonus der neuen Schülerin.
Seltsamerweise macht mich das froh.
Michael und ich schweigen für genau zweiundzwanzig Minuten und dreizehn Sekunden. Das weiß ich so genau, weil ich nichts anderes lieber möchte, als aus dieser Mathestunde zu verschwinden.
Ja, ich bin wieder in der Schule. Und ja, das ist toll.
Aber Mister Carfields eintönige Stimme und mir völlig unbekannte mathematische, anscheinend hochwichtige Formeln, sind einfach nicht der beste Start in den Tag.
„Mikey? Verstehst du irgendein Wort davon, was er uns erzählt?", zische ich Mike zu.
Der Junge neben mir fährt sich durch seine zur Zeit rot gefärbten Haare und schüttelt den Kopf. „Ich habe keine Idee. Nicht die Geringste. Aber wen interessiert schon Mathe, richtig?"
Ich grinse leicht. „Richtig."
„Mister Clifford. Miss Morrison. Gibt es irgendetwas, was sie mir mitteilen wollen?"
Unser Mathelehrer kommt auf uns zu und sieht uns ermahnend an. Ich schätze, meine Schonfrist als neue Schülerin ist vorbei.
„Nein, Sir. Entschuldigen Sie." Ich merke, wie ich rot werde und verstecke mein Gesicht hastig hinter einem Büschel meiner braunen Haare.
„Ich weiß ja nicht, wie sie es auf deiner Privatschule gehandelt haben, aber Reden im Unterricht ist auf dieser Schule verboten", erklärt Mister Carfields mir.
Ich bin kurz davor, die Augen zu verdrehen, doch stattdessen nicke ich artig und senke meinen Blick dann gespielt beschämt auf mein Heft, in das ich bis jetzt nicht eine Zeile geschrieben habe.
Mein Lehrer entscheidet, dass ich wohl genug getadelt worden bin und macht sich wieder auf den Weg zu seinem Pult, um uns mit weiteren Minuten seines wertvollen und äußerst uninteressanten Unterrichts zu beehren.
Bis zum Ende der Doppelstunde räuspert er sich exakt dreiundvierzig Mal – wer sagt denn, ich würde im Matheunterricht nichts rechnen? – und ich bin überaus froh, als das Klingeln die Stunde unterbricht.
Hastig packe ich meine Schulsachen ein und hänge mir die Tasche über die Schulter, bevor ich Michael aus dem Klassenraum folge.
Ein paar meiner Mitschüler werfen mir einen neugierigen Bick zu, aber niemand spricht mich an, worüber ich echt froh bin.
„Also, rote Farbe, hm?", frage ich Mike, während wir gemeinsam durch die Gänge schlendern und nicke in Richtung seiner Haare.
„Ich hatte Lust auf eine Veränderung", lacht Mikey.
„Wann hast du die nicht einmal?" Ich verdrehe grinsend die Augen.
„Magst du es?" Er öffnet die Tür seines Spinds und verstaut ein paar seiner Bücher, nur um zwei andere herauszuholen und in seine Schultasche zu packen.
„Ja. Bis jetzt war Pink oder Galaxy mein Favorit, aber ich glaube Rot hat das übertrumpft", beurteile ich seine neue Haarfarbe. „Seit wann bist du das grün los?"
„Seit drei Wochen. Was du wissen würdest, wenn du mich besucht hättest", erwidert er und schließt seinen Spind etwas geräuschvoller als nötig gewesen wäre.
„Ich weiß, Mike. Ich hätte dich wirklich nur zu gerne gesehen. Aber - Du kennst doch meine Eltern", murmele ich, während wir uns auf den Weg zu meinem Spint machen.
Michael verzieht das Gesicht. „Ich hätte nie gesagt, dass ich das mal sage, aber deine Eltern sind noch furchtbarer als meine. Sie sind die Hölle."
„Vielen Dank auch", meine ich sarkastisch, kann mir aber ein Grinsen nicht verkneifen. „Leider hast du Recht. Sie verbieten mir sogar, bestimmte Personen zu sehen."
„Bestimmte Personen? Reden wir zufällig über einen Jungen?" Mike sieht mich triumphierend an, als ich rot werde.
„Erzähl mir etwas über ihn", fordert er mich auf.
Bevor ich die Chance dazu habe, ruft jemand meinen Namen. So laut, dass sich so ziemlich jeder entweder in meine oder in Calums Richtung umdreht, der der Grund für den Auffuhr ist.
Nicht, dass ich jemand anderen erwartet hätte. Das hier ist einfach nur typisch Calum.
Sekunden später befinde ich mich in den Armen meines besten Freundes, der mich so fest an sich drückt, dass ich kurzzeitig Angst kriege, zu ersticken.
„Cal. Cal! Ich kriege keine Luft mehr!", presse ich heraus und versuche mich möglichst sanft aus der Umarmung zu lösen.
„Tut mir leid, Jules! Ich bin nur so froh, dich zu sehen. Du weiß gar nicht, wie sehr ich dich vermisst habe, Englisch war so langweilig ohne dich und die Mittagessen erst. Michael und ich haben dich wirklich, wirklich vermisst. Es macht so viel mehr Spaß, zusammen mit dir über Leute herzuziehen, als es nur zu zweit zu machen. Und- "
„Calum, ich freue mich auch, dich zu sehen. Aber du solltest zwischendurch mal Luft holen", unterbreche ich ihn grinsend und umarme ihn erneut.
Ich genieße es, ihn endlich wieder an mich drücken zu können. Ich bin nie ein großer Fan von Umarmungen gewesen, jedenfalls nicht vor meiner Krankheit. Aber mittlerweile weiß ich es zu schätzen, die Personen, die mir etwas bedeuten, an mich drücken zu können. Einfach, um sie davon zu überzeugen, dass ich noch am Leben bin. Und ein kleines bisschen auch, um mich selbst davon zu überzeugen. Solange ich Umarmungen spüren kann, lebe ich.
„Also, Jungs. Was habe ich verpasst?" Fragend sehe ich die beiden Jungen neben mir an und schlinge jeweils einen Arm um sie.
„Heute Morgen war ich so furchtbar aufgeregt, weil ich wusste, dass du wiederkommen würdest, dass ich ausversehen das Handy meiner Mutter in meinen Cornflakes versenkt habe", hält Calum mich auf dem Laufenden.
„Du bist so ein Idiot, Cal", murmelt Michael neben mir, während ich in Gelächter ausbreche.
„Was hat deine Mum gesagt?", frage ich lachend nach.
„Sie hat mich kopfschüttelnd angesehen und hat dann so sehr gelacht, dass sie keine Luft mehr bekommen hat. Dann hat sie gemeint, dass sie froh ist, dass mir das noch nie passiert ist und sie sowieso ein neues Handy gebraucht habe", grinst Cal.
Es gibt Momente, da hätte ich alles dafür gegeben, Calums Eltern zu haben. Das hier war einer davon. Hätte ich das Handy meiner Mutter versenkt, wüsste ich nicht einmal mehr, ob ich noch am Leben wäre.
„Oh und wir haben seit den letzten Ferien einen neuen Schüler an der Schule", berichtet Calum weiter.
„Und mit neu meint er wirklich neu, nicht so ein Möchtegern Neuer wie du, der angeblich auf einer Privatschule gewesen ist", stichelt Michael mich. Ich zeige ihm meinen Mittelfinger.
„Und wie ist der neue so?", frage ich nach.
„Freu dich nicht zu früh. Er ist irgendwie merkwürdig."
„Merkwürdig? Inwiefern?", hake ich verwundert nach.
„Er redet nicht. Also, er ist nicht stumm oder so, aber er hängt immer alleine rum und wenn jemand versucht ihn anzusprechen, gibt er nur abwesende Antworten oder sieht einen mit einem Killerblick an. Ich schwöre, dieser Blick ist echt gruselig. Und er ist immer nur in den ersten Stunden abwesend und danach einfach verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt", meint Calum.
„Wie heißt er?", frage ich, denn diese Beschreibung passt nur zu gut zu einem Jungen.
„Ashton. Ashton Irwin."
Ich nicke langsam, nicht so schockiert wie ich gedacht hätte. „Natürlich. Wer auch sonst."
„Du kennst ihn?" Michael mustert mich kritisch.
„Er ist der Junge, über den ich dir etwas erzählen wollte, bevor Cal kam", murmele ich. „Anscheinend geht er auf unsere Schule."
Und ich habe überhaupt keine Ahnung, was ich davon halten soll.
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Hallo ♥
Ja, ich weiß, dass ich gesagt habe, dass ich jede Sonntag ein neues Kapitel hochladen werde. Und ja, ich weiß auch, dass ich es beim ersten Mal direkt nicht geschafft habe :D
Ich hatte leider vergessen, dass ich Sonntag öfter beim Fußball bin als wahrscheinlich zuhause.
Deswegen werde ich versuchen, entweder Samstag oder Sonntag das neue Kapitel zu posten. Mal sehen, wie gut das geht. Manchmal vergesse ich es auch einfach, aber ihr könnt mir ruhig einfach eine Erinnerung schicken ;)
Ich hoffe, ihr habt die beiden ersten Wochentage gut überstanden! ♥
Katha ♥
PS: Was haltet ihr eigentlich bis jetzt von Jules und Ash (also dem Charakter :D) ?
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