n i n e t e e n.

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Würde ich die Zeit zurückdrehen können, um zu verhindern, dass wir uns jemals begegnet wären, ich hätte es nicht getan.















Am Donnerstag kommt Ashton gar nicht erst zur Schule.

Am Freitag geht er mir geschickt aus dem Weg. Es ist, als wäre es seine persönliche Begabung, dass ich ihn nie irgendwo in der Schule entdecke. Selbst beim Lunch, an dem eigentlich die ganze Schule anwesend ist, kann ich den großgewachsenen Jungen nirgendwo entdecken.

Als ich ihn schließlich nach Schulschluss über den Flur laufen sehe, verschwindet er hastig, sobald sich unsere Blicke treffen.

„Calum?", unterbreche ich meinen besten Freund, der gerade inmitten einer Erzählung über seine Wochenendpläne steckt. „Tut mir leid, aber ich muss wirklich ganz schnell etwas erledigen."

Er und Michael sehen mich warnend an.

„Vergiss nicht, dass wir dieses Wochenende auf eine Party gehen wollten. Du weißt schon, unsere erste Party überhaupt, um die ganze Schulerfahrung auch wirklich zu durchleben", meint Mikey.

„Ja, klar. Ich werde daran denken. Ich sehe euch morgen!", stoße ich hervor und laufe dann hastig hinter Ashton hinterher.

Ich renne über den ganzen Parkplatz und ignoriere die irritierten Blicke meiner Mitschüler, für die ich wahrscheinlich irre wirke.

Ich bin froh darüber, dass Ashtons Auto noch auf demselben Parkplatz steht wie beim letzten Mal, denn ansonsten hätte ich ihn jetzt schon in der Menge verloren.

„Ashton!", rufe ich eilig. „Warte!"

Er wollte gerade einsteigen, wirft jedoch die Autotür zu und sieht mich fragend an.

Das deute ich als gutes Zeichen.

Ich bleibe vor ihm stehen und hole ein paar Mal tief Luft, völlig außer Atem von dem kleinen Sprint.

Es sind nicht einmal fünfzig Meter gewesen und dennoch fühlt es sich an, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mich gebracht.

Alle meine Knochen schmerzen, ich bin furchtbar müde und meine Lunge verlangt nach mehr Luft als ich ihr geben kann.

Ich stütze mich am Auto ab, aus Angst, dass ich sonst umkippen werde und schließe kurz die Augen.

„Alles okay?", fragt Ashton besorgt.

Ich zwinge mich zu einem kleinen Lächeln. „Alles okay", schwindele ich.

Er mustert mich nicht wirklich überzeugt und ich kann die Sorge in seinem Blick erkennen.

Diese Sorge ist der Grund, warum ich ihn nicht geküsst habe. Ich kann ihm das Ganze einfach nicht antun.

Eine Freundin zu haben, die stirbt, ist schlimm genug. Diese Freundin zu lieben, das würde ihm das Herz brechen.

„Es tut mir leid, Ash", murmele ich, meine Stimme leicht rau. „Ich hätte nicht einfach so gehen sollen. Ich hätte-„

„Es ist egal, oder? Du hast es getan", unterbricht er mich.

„Können wir darüber reden, bitte?"

„Das ist wahrscheinlich keine so gute Idee", meint er.

Ich zucke zusammen. Ob unbewusst oder nicht, er benutzt dieselben Worte, die ich gesagt habe, als er mich küssen wollte.

„Lass uns einfach nicht darüber reden. Lass es uns einfach vergessen, okay?", bittet er mich.

Und ich sage ‚Okay', obwohl vergessen das Letzte ist, was ich tun will.

Ich will das Verlangen in seinen Augen nicht vergessen, als er mich angesehen hat.

Ich will nicht vergessen, dass er zugegeben hat, mich küssen zu wollen.

Ich will nicht vergessen, dass wir es beinahe getan haben.

Und am Wenigsten will ich vergessen, wie heftig mein Herz geschlagen hat. Ich habe mich lebendig gefühlt in diesem Moment. So als würde alles gut werden, solange ich Ashton habe.

„Also, Jul. Wie sieht es aus? Hast du heute schon etwas vor?" Fragend sieht er mich an.

„Nein, ich stehe vollkommen zur Verfügung für eine weitere Mission von WLIML", erwidere ich, erleichtert darüber, dass wir anscheinend wieder unbefangen miteinander umgehen können.

„WLIML?" Irritiert sieht er zu mir herunter.

„Wie-Lebe-Ich-Mein-Leben", erkläre ich grinsend, was Ashton zum Lachen bringt.

„Du bist einzigartig, Jul. Hat dir das schon einmal jemand gesagt?"

Ein leichter Rotschimmer bildet sich auf meinen Wangen und ich gehe hastig um das Auto herum, um einzusteigen.

„Fahren wir jetzt irgendwo hin oder wollen wir unseren Freitagnachmittag auf dem Schulparkplatz verschwenden?", necke ich Ashton.

Zwanzig Minuten später parkt Ashton das Auto vor einer Eisdiele und wir steigen lachend aus.

„Das hast du nicht wirklich getan?", hinterfrage ich.

„Oh, Jul. Du wärst überrascht, wenn du wüsstest, was ich sonst noch alles getan habe", zwinkert er mir zu.

Ich breche erneut in Gelächter aus. „Ich glaube, ich will es gar nicht wissen."

„Weise Entscheidung", lacht Ashton und nimmt meine Hand in seine, wobei er unsere Finger miteinander verschränkt.

Wie jedes Mal sendet dies ein wohltuendes Kribbeln durch meinen Körper und ich bin mir unserer Berührung nur zu deutlich bewusst.

„Willkommen in der besten Eisdiele Sydneys!", meint Ashton enthusiastisch und zieht mich zu einem der Tische am Fenster.

Wir haben Glück, dass wir dort noch den letzten freien erwischen, denn dafür, dass es erst vier Uhr ist, ist das Geschäft wirklich gut gefüllt.

„Wir gehen Eis essen? Das ist die WLIML-Aktion für heute?" Etwas irritiert sehe ich Ash an. Ich hatte etwas anderes erwarten. Etwas Ausgefalleneres. Etwas Verrücktes.

„Wir gehen nicht nur Eis essen. Wir essen ein Eis in der besten Eisdiele der Welt", verbessert er mich mit einem Grinsen. „Aber ja, das ist die Lektion für heute. Man muss lernen, auch die kleinen Dinge zu schätzen zu wissen."

Eine Kellnerin reicht uns zwei Karten und Ashton löst daraufhin unsere Hände voneinander, was mich mit einem merkwürdigen Gefühl der Leere zurücklässt.

Warum nur hatte ich Gefühle für ihn entwickeln müssen?

Es wäre so viel leichter, wenn ich einfach nur den Rest meines wahrscheinlich kurzen Lebens alleine verbracht hätte. Ohne ihn überhaupt kennen gelernt zu haben.

Es wäre wahrscheinlich besser für beide von uns gewesen, wenn es so gekommen wäre. Auf jeden Fall für Ashton.

Doch es ist nicht so gelaufen. Und nun sitze ich gegenüber von dem Jungen, den ich viel zu sehr mag, an einem Freitagnachmittag in einer Eisdiele.

Und es gibt keinen Ort, an dem ich gerade lieber wäre.

Würde ich die Zeit zurückdrehen können, um zu verhindern, dass wir uns jemals begegnet wären, ich würde es nicht tun.

„Habt ihr schon was ausgesucht?" Die Kellnerin reißt mich aus meinen Gedanken.

Um mir nicht die Blöße zu geben, dass ich nicht einmal in die Karte geschaut und stattdessen völlig in Gedanken versunken war, bestelle ich ein Spaghetti-Eis. Damit kann man schließlich nie etwas falsch machen.

Ashton bestellt einen Bananensplit und Maryse - jedenfalls heißt sie so laut ihrem Namensschild - notiert sich unsere Bestellung, bevor sie sich dem nächsten Tisch zuwendet.

„Hast du Lust, 20 Fragen weiterzuspielen?", fragt Ash mich. „Ich meine, wir müssen nicht, wenn du nicht willst."

„Nein, schon gut. Zwanzig Fragen klingt gut", lächele ich. Mit der Zeit ist mir Ashtons merkwürdige Besessenheit mit diesem Spiel ans Herz gewachsen.

„Willst du anfangen?"

Ich zucke mit den Achseln. „Frage 10: Wenn du irgendetwas über dich ändern könntest, was wäre es?"

Ashton überlegt einen Moment lang. „Wahrscheinlich würde ich mir wünschen, öfter die Wahrheit gesagt zu haben, anstatt einfach zu schweigen."

Seine Frage trifft mich an einer unangenehmen Stelle und ich bin froh, nichts darauf antworten zu müssen.

Maryse kommt mit unseren zwei Eisbechern zu unserem Tisch. „Guten Appetit", wünscht sie uns lächelnd.

Ich nehme einen Löffel und probiere.

„Und?", fragt Ashton grinsend.

„Du hattest Recht. Das ist garantiert die beste Eisdiele Sydneys!", meine ich begeistert.

Er lacht mich aus, ist jedoch zu beschäftigt damit, selbst sein Eis zu probieren, als das er mich mit Worten aufziehen könnte.

„Nach welcher Stadt wärest du am liebsten benannt worden?", fragt Ashton mich schließlich.

Ich lasse meinen Löffel in den Eisbecher sinken und überlege einen Moment.

„New York vielleicht, weil es für mich die Stadt der Wünsche und Hoffnung ist. Aber wer will schon New York heißen? Ich meine, stell dir doch einmal vor, wie eine Mutter ‚New York, wo bist du?' durch die Shopping Mall schreit. Das klingt doch völlig furchtbar", grinse ich. „Ich würde wahrscheinlich Sydney heißen wollen. Das ist meine Heimat und klingt nicht ganz so bescheuert."

„Ich glaube, ich werde dich jetzt nur noch New York nennen", lacht Ashton.

Ich verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse. „Untersteh dich, Ash. Ich warne dich!"

Er scheint meine Drohung nicht ernst zu nehmen, sondern lacht nur noch heftiger. Sein Lachen ist ansteckend, sodass wir nach kurzer Zeit beide prustend in der Eisdiele sitzen.

Wenn Ashton lacht, dann kneift er die Augen leicht zusammen und das ist wahrscheinlich das Süßeste, was ich je im Leben gesehen habe.

„Wenn du für eine Woche ein beliebiges Alter haben könntest, wie alt würdest du sein wollen und wieso?", frage ich schließlich, nachdem wir uns wieder gefangen haben.

Ashton zuckt mit den Achseln. „Wahrscheinlich dreißig oder so schätze ich. Auf jeden Fall erwachsen. Einfach um zu sehen, ob Leute mich anders behandeln würden. Ob sich das Leben ändert und besser oder schlechter wird."

Ich nicke zustimmend.

„Willst du irgendwann heiraten?" Neugierig sieht er mich an.

Wäre es nicht Ashton gewesen, der diese Frage gestellt hätte, dann wäre ich wahrscheinlich überrascht.

Doch Ashton hat eine Art des Denkens, die so anders von meiner ist. So anders von der Art aller anderen Menschen, die ich kenne. Bei ihm überrascht mich nichts mehr.

„Ja, irgendwann bestimmt schon", meine ich ehrlich.

Ich bin nie eines der Mädchen gewesen, die sich stundenlang über ihre Traumhochzeit unterhalten können und genau wissen, wie alles abläuft. Wie ihr Brautkleid aussieht. Wer ihre Brautjungfern sein sollen. Das Lied bei ihrem ersten Hochzeittanz.

Das Einzige, was ich immer wusste, war, dass ich heiraten will, falls ich den richtigen Jungen finde.

„Willst du irgendwann? Heiraten meine ich?", frage ich Ashton.

„Wollen schon. Aber ich werde es nicht tun", erwidert er mit einem traurigem Lächeln.

„Warum nicht?", hake ich nach, denn das Ganze ergibt für mich keinen Sinn.

„Wer würde mich denn überhaupt je heiraten wollen?", scherzt er.

Kopfschüttelnd sehe ich ihn an, während sich gegen meinen Willen ein Grinsen auf meinem Gesicht bildet.

„Was ist das, was du am meisten willst?", fragt Ashton mich schließlich.

Einen Moment lang bin ich versucht, mehr Lebenszeit zu sagen. Aber ich tue es nicht. Zum einen, weil ich Ashton daraufhin von meiner Krankheit erzählen müsste. Zum anderen aber vor allem, weil ich merke, dass das nicht stimmt.

Ja, ich würde gerne mehr Zeit im Leben haben. Aber noch Wichtiger ist mir etwas anderes.

„Glücklich sein, schätze ich", murmele ich lächelnd.

„Glücklich sein klingt gut", meint Ashton und erwidert mein Lächeln.


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