f i f t e e n.

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Manchmal muss man falsche Entscheidungen treffen, um die richtigen erkennen zu können.












12:01 Uhr. Mein Blick schweift von meinem Zeichenblock ab und ich sehe nach draußen. Ich kann nicht anders. Ich muss wissen, ob er da ist.

Und natürlich ist er da.

Ich sehe ihn auf dem Spielplatz sitzen, sein Gesicht in seinen Händen vergraben. Es ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass ich ihn sehen werde. Morgen würde ich wieder zur Schule gehen und das bedeutet unweigerlich auch, dass ich um zwölf Uhr nicht mehr hier sein würde. Wenn ich aus der Schule zurückkäme, wäre Ashton längst wieder verschwunden.

Er würde nicht mehr ein Teil meines Lebens sein.

Ashton sieht einmal kurz zu meinem Fenster hinauf und ich wünschte mir, er könnte mich sehen. Ich wünschte mir, er wüsste, wie sehr ich ihn vermisse.

Das ist der Moment, in dem ich etwas realisiere.

Seitdem ich ihn getroffen habe, habe ich mein Leben nicht mehr in ‚vor dem Krebs' und ‚nach dem Krebs' unterteilt. Nein, mein Leben ist nun gespalten zwischen ‚meinem Leben ohne Ashton' und ‚meinem Leben mit ihm'.

Er hat meinem Leben erst einen Sinn gegeben. Ich mag vorher vielleicht ein Leben gehabt haben, aber ich habe nicht wirklich gelebt.

Ashton ist der Grund, warum ich angefangen habe zu kämpfen. Für ihn. Für mich. Für uns.

In diesem Moment schwöre ich mir, alles dafür zu tun, um dass, was ich zu ihm gesagt habe, wiedergutzumachen.

Er sollte nie, niemals wieder das Gefühl haben, dass er nichts wert sei.

Ich würde mich bei ihm entschuldigen und ihm das Ganze erklären, selbst wenn das bedeutet, dass ich mich meiner Mutter widersetze.

Sie muss es ja nicht zwingend erfahren.

Also schleiche ich mich die Treppe herunter, bis mir einfällt, dass meine Mutter vor zehn Minuten einkaufen gefahren ist und sich danach noch um die Planung irgendeines Events, was meine Eltern veranstalten werden, kümmern wollte. Ich bin mir sicher, dass sie irgendwann einmal erwähnt hat, was für eine Party dies ist und zu welchem Ereignis sie gehalten werden wird, aber ich habe es wieder vergessen. Ehrlich gesagt, interessiert es mich einfach nicht.

Meine Eltern veranstalten so viele Feiern mit irgendwelchen Geschäftsleuten, dass ich es mittlerweile aufgegeben habe, die Anlässe zu verstehen.

Da meine Mutter also bis heute Abend nicht zurück sein wird, lasse ich mir Zeit damit, meine Schuhe anzuziehen und überlege mir währenddessen, was ich zu Ashton sagen werde.

Falls er mir überhaupt zuhören wird.

Bevor ich das aus verlasse, nehme ich mir meinen Haustürschlüssel und stecke ihn in meine Hosentasche. Dann mache ich mich auf den Weg zum Spielplatz.

Ashton sieht nicht auf, als ich mich auf die Schaukel neben seiner setze. Unsicher sehe ich ihn an und räuspere mich.

„Hey."

Als er nichts erwidert, befürchte ich für einen Moment, dass er wieder der schweigsame, abweisende Junge ist, als den ich ihn kennengelernt habe.

Oder noch schlimmer. Vielleicht hasst er mich auch einfach so sehr, dass ich es nicht wert bin, auch nur ein Wort aus seinem Mund zu bekommen.

„Wir haben früher einmal hier gewohnt, nur drei Häuser von deinem Haus entfernt. Mein Vater war früher immer mit mir auf diesem Spielplatz", sagt er schließlich, völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

Insgeheim bin ich erleichtert, dass er überhaupt noch mit mir redet.

„Was willst du hier, Jul?"

Er hat mich immer noch nicht angesehen und sein leerer Blick ist auf seine Füße gerichtet, was mir die Möglichkeit gibt, ihn näher zu betrachten.

Seine Schultern sind kaum merklich angespannt und er hat dunkle Ringe unter den Augen, weswegen ich mich frage, ob er ebenso wie ich in den letzten zehn Tagen, die seit unserer letzten Begegnung vergangen sind, kaum geschlafen hat.

„Ich will mich entschuldigen", murmele ich. „Ich hätte diese Worte nie zu dir sagen sollen. Ich habe sie nie sagen wollen und sie waren völlig gelogen. Denn ich will dich sehen. Am besten so oft wie möglich."

Meine Stimme klingt leicht brüchig und ich hoffe, dass er nicht merkt, wie unsicher ich bin.

„Warum hast du sie dann gesagt?"

Fragend sieht Ashton mich an und zum ersten Mal seit zehn Tagen kann ich wieder sein Gesicht sehen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen Anblick so vermisst habe.

„Meine Mutter wollte, dass ich sie sage", erwidere ich beschämt.

„Und du tust immer das, was deine Mutter sagt?"

Ich denke über seine Frage nach, wahrscheinlich länger als ich sollte. Bevor ich ihn kennengelernt habe, hätte ich die Frage ohne weiteres mit Ja beantwortet. Aber heute wäre dies gelogen.

„Meistens. Aber nicht immer. Ich dürfte nicht hier sein, wenn es nach ihr ginge."

„Wie rebellisch von dir", meint Ashton sarkastisch, schenkt mir aber dennoch ein kleines Lächeln.

„Also? Was jetzt? Bist du nur hergekommen, um mir das mitzuteilen oder bist du bereit für eine Runde Abenteuer?"

Ich lache leicht, als er plötzlich vor mir steht und mir seine Hand entgegenstreckt. Ich nehme sie und lasse mich von ihm auf die Füße ziehen.

„Eine Runde Abenteuer wäre jetzt genau das Richtige."

„Frage acht – Was ist dein Lieblingsgetränk?" Neugierig mustert Ashton mich, während wir vollkommen entspannt die Straße entlangschlendern.

Kaum waren wir losgegangen, hatte Ashton seine Hand wie selbstverständlich mit meiner verschränkt und seitdem führt er mich durch Sydney, auf dem Weg zu einem Ziel, was vollkommen unbekannt ist.

Ich habe schon lange aufgegeben, herauszufinden, was wir heute tun werden.

„Heiße Schokolade", antworte ich ihm und starte einen letzten Versuch. „Was machen wir heute? Das ist meine neunte Frage."

Ashton schnalzt missbilligend mit der Zunge. „Willst du deine Frage wirklich dafür verschwenden? Du wirst es ohnehin herausfinden."

„Wann denn?", erkundige ich mich ungeduldig, was Ashton zum Lachen bringt.

„Du bist wie ein Kleinkind, Jul. Wobei selbst Harry in seinem Alter geduldiger ist, als du. Du bist wahrscheinlich der Ungeduldigste Mensch, den ich je getroffen habe", grinst er.

„Dann hast du meinen besten Freund Calum noch nicht getroffen. Er ist genauso ungeduldig wie ich, wenn nicht sogar noch ungeduldiger", erwidere ich ebenfalls grinsend.

„Falls das wirklich stimmt, weiß ich nicht, ob ich das Verlangen danach habe, diesen Calum je zu treffen."

Lachend zwinkert mir Ashton zu und zieht mich weiter durch die Straßen.

Ich bin mir nur allzu bewusst darüber, dass meine Hand immer noch in seiner liegt. Sie sendet im Sekundentackt ein Kribbeln durch meinen ganzen Körper, was unmöglich zu ignorieren ist.

Fünf Minuten später führt Ashton mich auf einen riesigen Parkplatz, auf dem sich kein einziges Auto befindet und ich weiß endlich, was wir tun werden.

„Kart fahren?" Ungläubig sehe ich ihn an.

Ashton zuckt grinsend mit den Achseln. „Es macht Spaß. Das ist Grund genug. Außerdem wette ich, dass du noch nie auf einer Kartbahn warst."

„Nein, war ich nicht", gebe ich zu.

„Bist du sicher, dass der Laden überhaupt offen hat?", frage ich ihn stirnrunzelnd, während wir uns der Eingangstür nähern.

Um uns herum wirkt es wie ausgestorben bis auf das einsame blaue Auto, das auf dem Parkplatz abgestellt wurde.

Er nickt. „Ich bin ab und an mit meinem Bruder hier."

„Du lässt deinen Bruder die Schule schwänzen? Er ist erst zehn, Ash!"

„Nun, ich bin wohl nicht gerade das beste Vorbild. Außerdem gibt es Wichtigeres als Schule", erwidert er vollkommen überzeugt und zieht mich durch die Eingangstür.

„Haben deine Eltern nichts dagegen?", frage ich.

Meine Mutter würde mich schon zusammenschreien, wenn sie wüsste, dass ich gerade mit Ashton unterwegs bin. Ich will mir nicht einmal vorstellen, was passiert wäre, wenn ich je die Schule geschwänzt hätte. Wahrscheinlich hätte sie mich irgendwo aufs Internat geschickt und sich so verhalten, als wäre ich nicht mehr ihre Tochter.

„Es ist nicht so, als würde meine Mutter es nicht wissen", meint Ashton.

Dann wendet er sich an den Mann, der wohl für die Besucher zuständig ist, gerade jedoch gelangweilt durch eine Zeitschrift blättert. „Wir würden gerne Kart fahren."

Der Angestellt klappt seine Zeitschrift zu und schmeißt sie geradezu neben sich auf den Boden, bevor er uns enthusiastisch ansieht. Wäre ich an seiner Stelle, wäre ich wahrscheinlich auch froh, endlich etwas zu tun zu haben.

Langeweile lässt die Stunden viel langsamer vergehen. Und Langeweile während der Arbeit ist wahrscheinlich das Schlimmste.

Nicht das ich das beurteilen könnte, denn ich habe noch nie einen Job gehabt. Als ich meine Mutter einmal gefragt habe, ob ich mich zum Zeitungsaustragen oder bei einer Tankstelle bewerben könnte, hat sie mich entsetzt angesehen und die Nase gerümpft. ‚Du wirst nicht arbeiten gehen, Julie. Wir gehören schließlich nicht zur Unterschicht. Ich will mir gar nicht ausmalen, was man über unsere Familie denken würde, wenn das herauskäme'. Das waren ihre Worte gewesen. Danach war das Thema erledigt.

„Für wie lange?", fragt der Mann, den ein Namensschild als Joe ausweist.

„Eine Stunde, bitte", erwidert Ashton und reicht ihm daraufhin fünfzehn Euro.

Joe drückt uns zwei Sturmmasken sowie einen Helm in die Hand. „Braucht ihr eine Einweisung?"

Er wirkt beinahe enttäuscht, als Ashton mit dem Kopf schüttelt.

Ich folge Ashton in die Rennhalle und lasse mir von ihm erklären, wie genau ich das Kart zu fahren habe.

Schneller als ich gedacht habe, sitze ich plötzlich in dem Auto und ziehe mir den Helm über, während Ashton neben mir das gleiche tut.

„Keine Angst. Dir kann nichts passieren. Es ist sicher. Versprochen."

„Das will ich doch hoffen", erwidere ich und frage mich, wie viel ich auf die Worte des Jungens geben sollte, der Klippenspringen ebenfalls als vollkommen sicher ansieht.

„Bereit?" Grinsend sieht Ashton mich an, was seine Grübchen zum Vorscheinen bringt.

„Bereit."

Es wird bereits dunkel als Ashton und ich wieder vor meinem Haus ankommen. Erleichtert stelle ich fest, dass das Auto meiner Mutter noch nicht in unserer Einfahrt steht.

„Danke. Es hat wirklich Spaß gemacht", meine ich und schenke ihm ein Lächeln.

„Nichts zu danken, Jul." Er erwidert mein Lächeln. „Also, sehen wir uns morgen?"

Ich will gerade nicken, bis mir einfällt, dass morgen Mittwoch ist. Und damit mein erster Tag, an dem ich wieder zur Schule gehen werde.

„Ich kann nicht."

„Oh, okay", murmelt er.

„Ich will schon", sage ich eilig. „Ich muss nur morgen wieder zur Schule gehen."

„Verstehe. Wurdest du bis jetzt zu Hause Unterricht?" Neugierig sieht er mich an.

Das ist die glaubhafteste Erklärung, die meine Eltern auch meiner Schule erzählt haben. Nichts destotrotz ist es eine Lüge. Doch es hilft mir, mein Geheimnis vor Ashton zu verstecken, also nicke ich.

„So etwas in der Art", meine ich dann noch, damit es nicht direkt eine Lüge ist.

Mit viel Fantasie könnte man es so als Verzerrung der Realität bezeichnen. Jedenfalls versuche ich mir das einzureden, denn es ist ganz und gar kein gutes Gefühl, ihn anzulügen.

„Gibst du mir deine Handynummer? Dann könnte ich dir schreiben und wir könnten uns dennoch treffen. Natürlich nur wenn du willst."

Ashton beißt sich unsicher auf die Unterlippe und ich spüre, wie mein Herz trotz aller Vernunft anfängt schneller zu schlagen.

„Ja, das wäre toll", meine ich mit einem Lächeln und diktiere ihm meine Nummer.

„Tja, ähm, na dann. Wir sehen uns", sage ich nach dem das Schweigen mir zu unangenehm wird.

„Ja, bis dann."

Sein Blick wandert zu meinen Lippen und einen Moment lang kommt es mir so vor, als würde er mich küssen wollen.

Panisch überlege ich mir, was ich tun soll. Ich kann ihn nicht küssen. Ich darf ihn nicht küssen.

Es wäre falsch, so furchtbar falsch.

Ich darf ihn nicht belasten. Und doch sehnt sich mein ganzer Körper nach diesem Kuss.

Küss mich nicht. Küss mich nicht. Küss mich nicht, flehe ich.

Ashtons im Sonnenlicht fast golden wirkende Augen funkeln, während er mir näher kommt und ich weiche einen Schritt zurück.

Ich bin erleichtert, zumindest versuche ich mir das einzureden.

Was auch immer gerade in seinem Blick zu lesen gewesen ist, verschwindet. Der Moment ist vorbei.

Nun ist Ashton derjenige, der zurückweicht. Er winkt mir noch einmal zu, bevor er sich umwendet und geht.

„Ashton?", rufe ich ihm hinterher.

„Ja?" Er dreht sich um und kommt zurück.

Sein Gesichtsausdruck ist vollkommen entspannt, so als hätte die letzte Minute niemals existiert.

„Du bist ganz und gar nicht wertlos. Wage es ja nicht, so von dir zu denken. Ich werde es nicht zulassen. Ich wollte nur, dass du das weißt."

Meine Stimme klingt leicht heiser, während mein Inneres immer noch viel zu aufgewühlt ist.

„Und was willst du dagegen tun?", fragt er mich mit belegter Stimme.

„Wenn es nötig ist, werde ich dich jeden Tag aufs Neue daran erinnern, bis du es selbst glaubst."








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Hallo ihr Lieben! ♥


Da ich gerade dabei bin bei dieser Geschichte die letzten Kapitel fertig zu schreiben (ich habe bis auf die letzten acht fleißig vorgeschrieben, also keine Angst, diese Geschichte hat weit mehr als 15 Kapitel :D), habe ich mir gedacht, dass ich einen regelmäßigen Updatetag einführen werde.

Was haltet ihr von dieser Idee? Und welcher Wochentag wäre euch am liebsten?

Bis jetzt gehe ich erst einmal von Sonntag aus und hoffe, dass ich das erst einmal einhalten kann.


Ich kann allerdings nichts versprechen, da ich seit letzter Woche mit meinem Studium angefangen habe und noch nicht so ganz einschätzen kann, wie viel Arbeit dadurch auf mich zu kommt.

Fängt einer von euch auch dieses Jahr an zu studieren? (:


Ein schönes Wochenende wünsche ich euch!



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