Kapitel 5 - Schleier der Stille
Goldenes Kerzenlicht brach sich an den kunstvollen Rahmen aller Formen und ließ die Ölfarbe der magischen Gemälde glänzen. Hier und dort folgten neugierige Blicke den Schülern, während die zahlreichen Personen in den Kunstwerken miteinander tuschelten oder doch lieber ihren eigenen Angelegenheiten nachgingen.
Im Turm empfing sie das zweiflüglige Tor, bewacht und gesichert durch eine gewaltige Statuette eines Adlers mit ausgebreiteten Schwingen. Er hielt einen runden Ring fest in den starken Klauen und schlug die Flügel ein, sobald sie sich näherte. Sofort wich dieser Anblick dem gewaltigen Antlitz des Wappentiers erneut – diesmal jedoch eine gewaltige Statuette aus Stein unter der blau getünchten Decke voller schimmernder, goldener Sternbilder.
Loreley durchquerte den großen Ravenclaw-Gemeinschaftsraum, der sie ein wenig an Ehrenhold erinnerte. Zumindest was die pompöse Einrichtung anging: Alles war in einem edlen Stil eingerichtet, selbstverständlich in den Hausfarben Bronze, Kupfer und Blau, aber auch Weiß und Gold konnten sich finden lassen. Das Thema von Sternenhimmel und Astrologie ließ sich nicht übersehen, denn überall zierten Sterne die Decke, Steinwände, Kissen und Teppiche. Die barock-anmutende Einrichtung mit Flügeln aus poliertem Holz, Harfen, die sich selbst spielten, und dicken Vorhängen aus Brokat gaben der Einrichtung einen besonderen Flair.
In den Zimmern war das Gepäck bereits heraufgebracht worden und erwartete sie auspack-bereit in dem halbrunden Turmzimmer. Ihre drei Koffer mit den signifikanten Farben von Weiß und Gold ihrer alten Schule stachen zwischen den Ledernen mit dem 'H' der anderen deutlich hervor. Die jeweiligen Gepäckstücke der Schülerinnen stapelten sich sorgsam neben den Stockbetten.
Große Fenster mit spitz zulaufenden Bögen waren durch die Eisenbögen mit kunstvollen Schwingen verziert worden und schenkten einen atemberaubenden Ausblick über die an Hogwarts angrenzenden Ländereien. Gotische, steinerne Bogen formten die kunstvolle Decke aus und Schreibtische – ganz zum Thema der fleißigen Ravenclaws – boten eine Gelegenheit, dem ihnen nachgesagten Fleiß nachzugehen.
Bücher stapelten sich in mehreren Ecken – manche alt und abgegriffen, andere älter und ohne ersichtliche Ordnung. Jene waren schon seit vielen Jahren in den Zimmern und mit jedem Ravenclaw, der kam und ging, schien diese kleine, private Sammlung wie ein Schatz anzuwachsen. So blieb stets neues Wissen im Ravenclaw Turm zurück – was man beitrug und wie sinnvoll oder nicht, musste jeder Ravenclaw für sich selbst entscheiden. Genauso gab jedes Mädchen und jeder Junge dem Zimmer einen eigenen Touch. Sei es durch Poster oder Bilder, Blumenkübel oder einfach nur Kitsch.
Normalerweise bot jedes der Turmzimmer Platz für jeweils vier Schülerinnen – in diesem Raum jedoch waren inklusive dem ihren nur drei Betten bewohnt. Durch die sternenbedeckten Brokatvorhänge in Nachtblau mit weißen Sternen, gehalten von kupfernen Quastenkordeln, gaben ihnen zumindest in ihren Bettkojen ein wenig Privatsphäre.
Erschöpft von dem langen Tag, packte Loreley einen der Koffer aus, räumte alles in die ihr zugeteilte Kommode und ließ sich nur wenig später in die weichen Kissen ihres Bettes sinken. Natürlich schlief sie unten – immerhin war sie als Nachzügler in das Zimmer gekommen. Loreley hätte Sophie gerne zum Gemeinschaftsraum – oder wie ihn manche Schüler nannten, dem "Bau" der Hufflepuffs – begleitet. Heute jedoch waren es die Vertrauensschüler, welche die Erstklässler das allererste Mal in ihr neues Zuhause für die nächsten Monate brachten.
Wie immer trieb die Unruhe sie um und klammerte sich an ihren Gedanken fest wie ein Parasit. Ob Sophie einsam war? Ob sie Angst hatte, so allein unter lauter Fremden? Waren die anderen nett zu ihr... oder würde sie die nächsten Tage ein paar Köpfe geraderücken müssen?
„Argh", Loreley stöhnte und fuhr sich mit den flachen Händen über die Augen. Sie musste damit aufhören. 'Bei Tante Cressida war sie auch allein ohne dich... auch unzählige Briefe ändern das nicht', versuchte sie sich selbst zu beruhigen. 'Morgen... gleich morgen früh bin ich wieder für dich da, kleine Schwester. Versprochen.' Und mit diesem Schwur an sich selbst, versank sie langsam aber sicher in einen flachen Schlummer.
Etwas weckte sie Stunden später. Loreley konnte nicht mehr sagen, was es war, das sie aus dem Traum an die Oberfläche zog. Müde blinzelte sie und vor ihren Augen nahmen die schattengetränkten Vorhänge und die holzstützen des Stockbettes langsam Form an. Die Nacht hatte ihren Schleier der Stille über Hogwarts ausgebreitet, und die damit verbundene Stille sickerte in jeden Winkel. Über ihr konnte sie das leise, gleichmäßige Atmen von Astoria und Septima hören. Die große Standuhr tickte in ihrem unermüdlichen Rhythmus und schickte das monotone >>klonk, klonk, klonk<< des Pendels in den Raum. Ihre Decke raschelte leise, als Loreley sich zur Seite drehte.
In diesem Moment ertönte ein >>Klick<<.
Es wollte einfach nicht in den Rest der Geräuschkulisse passen und Loreley, gerade dabei, wieder in den klebrigen Sumpf des Schlafes zu versinken, runzelte im Halbschlaf die Stirn. Sie wäre sicherlich gleich wieder eingeschlafen und hätte es vergessen – wäre dem Klicke nicht sofort das hölzerne, leise Quietschen gefolgt. Das Ächzen der Tür durchschnitt die Stille so verräterisch, als hätte jemand direkt neben ihr einen Heuler geöffnet, und Loreley stemmte sich ruckartig auf den Ellbogen.
In letzter Zeit hatte sie so oft Albträume und schlecht geschlafen, dass sie bisweilen länger brauchte, um festzustellen, ob sie wach war oder doch träumte. Angestrengt lauschte sie in die plötzlich so laute Stille des Raumes. Das Ticken der Uhr. Das Klicken des Pendels. Atemzüge ihrer beiden Zimmergenossinnen. Alles war ruhig – nur ihr Herzschlag war es nicht.
'Du hast geträumt', dachte sie, aber ihr Herz wollte es nicht glauben. Es schlug einfach weiter, stolperte und wollte dieses seltsam klamme Gefühl nicht abschütteln. Also schlug Loreley die Bettdecke zurück und schob den schweren Brokatvorhang beiseite. Es sollte sie beruhigen, den Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Aber das tat es nicht.
Das genaue Gegenteil war der Fall.
Mattes Mondlicht warf seinen Schein durch die großen Fenster in das Innere des Raumes. In einem beinahe gespenstischen Schein traf es auf den kleinen Schreibtisch und die Bücher. Punzierte Lettern in Silber, Schwarz und Gold schimmerten leicht. Mäntel und Hüte hingen an ihren Haken und erweckten schnell den Anschein einer Gestalt im Dunkeln. Aber das war es nicht, das ihren Puls rasen ließ.
Es war die Tür zu ihrem Zimmer, die weit offenstand.
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