8«||Eine geborgene Umarmung und wunderschöne Rose||


Am nächsten Morgen spüre ich die Blicke meiner Eltern wie tausende Mückenstiche auf der Haut.

Immer wieder werfen sie mir möglichst unauffällige Blicke zu und belachen mich in jeder freien Sekunde.
Das Lächeln mit dem ich gestern nach Hause kam muss sie so sehr verwirrt haben, dass sie mich heute ganz besonders im Auge behalten.

»Na, komm schon, Dad, frag es endlich!«, fordere ich ihn seufzend auf und beiße gleich danach in mein Schokobrötchen.
Ich sehe doch genau wie interessiert sie sind und wie gerne sie Antworten hätten.

»Ach, Schätzchen, es ist nur...«
Stotternd versucht er nach den richtigen Worten zu suchen, aber ihm fällt wohl keine Formulierung ein, die angemessen scheint.
»Es ist nur merkwürdig – aber wunderschön! – dich so übermäßig glücklich zu sehen und wir fragen uns, wer oder was wohl der Grund für dieses Strahlen ist. Warum bist du gestern erst so spät heim gekommen? Was hast du getrieben? Wir sind neugierig, Schätzchen!«, erklärt Mum schließlich ungehalten und steht dann mit einem Schlag auf ihr Knie auf, um sich Kaffee in ihre Tasse zu füllen.

»Genau das«, stimmt Dad ihr zu und sein gerötetes Gesicht bringt mich zum Schmunzeln.
Das Verhalten meines Dads ist wie immer ein süßer Anblick.
Er war schon immer ein sehr zurückhaltender Mann, dem gewisse Dinge leicht, andere allerdings furchtbar stockend über die Lippen kommen.
Er ist sehr liebenswürdig und das unsere Familie ein fertiges Puzzle bleibt, ist ihm am wichtigsten.

Ich sehe meinem Vater an, dass es ihn nervös macht, welchen Grund ich nun darlegen könnte. Jungs sind in diesem Hause nie ein Thema gewesen und ich hatte über Jahre hinweg immer das Gefühl, dass er darüber auch mehr als froh war.
Ich glaube, es bereitet ihm Sorgen, dass ich langsam erwachsen werde und nicht, dass ich mich womöglich einmal verliebe.

Davor habe ich nämlich tatsächlich keine Angst. Die Reaktion, die Dad von meinem Freund haben könnte und ihn zuletzt rauswirft. So etwas würde er nie im Leben tun.
Denn das Herz schlägt bei ihm, für so gut wie jeden Menschen auf dieser Welt und das ist ein Grund warum ich ihn so lieb habe.

»Wieso sollte ich euch von meinem Tag erzählen?«, frage ich provozierend und bekomme geradewegs eine ausgestreckte Zunge von meiner Mutter.
»Weil wir deine Eltern sind und wir uns lieb haben?«

Ich stimme in das Lachen meiner Eltern ein und muss einen Moment scherzhaft darüber nachdenken ob sie wohl wirklich schon erwachsen sind.
Manchmal verhalten sich die beiden wie verliebte Teenager und sind albern wie niemand sonst.

»Nun sag schon, spann mich nicht auf die Folter!«, quengelt meine Mutter und ich nicke lachend.
»Na gut, na gut. Ich denke ihr habt euch längst gedacht, dass ich jemanden kennengelernt habe und ihr liegt richtig.
Es sind erst ein paar Tage vergangen, seit wir begonnen haben, uns zu unterhalten, aber es fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Und ja, gestern war ich mit ihm in der Stadt und habe die Zeit vergessen.«

Schulterzuckend erhebe ich mich und stelle meine Müslischüssel in die Spülmaschine, ehe ich es wage in die Gesichter meiner Eltern zu blicken.

Das breite Grinsen meiner Mutter fliegt mir wie ein Wirbelsturm entgegen und mit einem süffisanten Quieken stößt sie sich von der Arbeitsplatte ab und schlägt meinem Dad auf die Schulter.
»Ich wusste es.«

Er seufzt mit einem schmaleren Lächeln und nickt zuletzt.
»Na gut, ja, du hast gewonnen.«, brummt er und gibt ihr einen Kuss auf den Mund, als auch er aufsteht.

Nun bin ich verwirrt.
»Warum gewonnen?«, frage ich und ziehe skeptisch die Augenbrauen zusammen. Mum grinst.
»Ich habe behauptet, du wärst mit einem Jungen draußen und dein Dad meinte, es wäre bloß ein Mädelsabend. Also haben wir gewettet«, erklärt mir meine Mutter und lässt mich zwischen beiden hin und her sehen.

»Wisst ihr, es gibt gewisse Dinge, die ich nicht über euch wissen will«, sage ich schließlich in das Schweigen, in dem sich die beiden verliebt anstarren und sich nicht aufraffen können, mir einen letzten Blick zu widmen.

»Ich werde mich jetzt jedenfalls auf den Weg machen«, berichte ich und zweifle keine Sekunde daran, dass sie mich überhört haben.
Kopfschüttelnd verlasse ich die Küche und kehre meinen Eltern den Rücken.

Der Donnerstag birgt im Vergleich zu gestern graue Regenwolken und es beginnt bereits zu stippeln, als ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle mache.

Ich stehe nicht lange unter dem
Vordach des Bushäuschens, bis der Bus um die Kurve vor meiner Nase anhält. Schon durch die Fensterscheibe kann ich das freundliche Gesicht von Mr. Gilson sehen, der mich wie jeden Donnerstag allerherzlichst grüßt.

Er ist mit der einzige Busfahrer an dem mir etwas liegt, den ich persönlich kenne und zu dem ich gerne in den Bus steige.
Die meisten Fahrer sind furchtbar unfreundlich und Woche um Woche schlecht gelaunt, dass ich nicht immer gerne einsteige.

Man fühlt sich gehasst, wenn man mit ihnen im Bus sitzt und ich wünschte manchmal mir diese Fahrten sparen zu können.

Es gibt Momente, die würde man gerne ein zweites Mal erleben, sie wiederholen.
Und andere, die man sich lieber sparen würde und doch kommen sie ungehalten auf einen zu.
Man kann sie nicht ändern und sie bereiten Sorgen, weil sie bereits in den Vorstellungen grausam scheinen.
Ich mache mir in meinen Vorstellungen meist schon selbst Angst und das sie sich meistens erfüllen, lässt mich das Leben noch weniger lieben.
Ich wünschte einfach Wunder würden häufiger als selten geschehen.

»Ich habe mit meinen Eltern geredet und meine Mum kann mich am Samstag zu Ihnen bringen, damit sie beruhigt ins Theater fahren können«, erzähle ich dem Busfahrer und stelle mich in den Gang neben ihn, um mich ein wenig zu unterhalten.

»Ich weiß nicht wie ich dir danken kann, Lora. Dankeschön, dass du meiner Frau und mir das ermöglichst, du rettest unseren Tag.«
»Da gibt es nichts zu danken, ich passe gerne auf Juan auf. Machen Sie sich einen schönen Theaterabend und überlassen mir den Rest.«

»Was würden wir nur ohne dich tun.«, seufzt er und bremst, um sauber um die nächste Kurve zu kommen.
Die Strecke, die wir jeden Morgen zur Stadt hinab fahren, ist nicht ganz ungefährlich. Die scharfen Kurven machen es für einen Bus schwierig und allein Leitplanken trennen den tiefen Abgrund und die Straße voneinander.

»Das weiß ich auch nicht«, gebe ich amüsiert von mir und lächle durch das große Fenster hinaus in die Natur.

Ich spüre förmlich, dass dieser Donnerstag besonders wird und ich heute mindestens einmal herzlich lachen werde.
Meine gute Laune sprüht schon jetzt durch meinen Körper und ich bin gespannt was alles passieren wird.

»Hi, Lolli.«

Ich bin überrascht als Ryan wenige Minuten später in den Bus steigt und sich neben mich setzt.
Da er die letzten Tage kein Bus gefahren ist, dachte ich beinahe das sich das erledigt hätte.

»Was ? Dachtest du ich fahre kein Bus mehr ?«

Mein Blick scheint Bände zu sprechen und ohne das ich überhaupt fragen muss, beantwortet er mir meine gedanklichen Fragezeichen.

»Ich hatte die letzten zwei Tage erst zur dritten Stunde Unterricht und dann immer lang. Wir sind einfach zu unterschiedlichen Zeiten gefahren«, erklärt er und ich ärgere mich, mir das nicht selbst gedacht zu haben.

Stattdessen war ich gedanklich immer bei seinem abrupten Abgang und den Leuten mit denen er später auf dem Schulhof stand.

»Das erklärt so einiges. Egal, dir auch erstmal ein Hallo«, lenke ich von meiner Dummheit ab und sehe einen Moment auf seine schwarze Jeans ehe ich den Blick wieder hebe.

Sein warmer Blick trifft meinen und auch in seinem Gesicht kann ich die gute Laune und Freude erkennen.
Fand er den Tag gestern womöglich genauso schön wie ich ?

»Hast du heute Sportunterricht ?«, fragt er mich einlenkend und deutet auf meine Sporttasche die ich lustlos auf den Boden geschmissen habe.

Sport ist nicht mein bestes Fach und auch wenn ich gerne Jogge und grundsätzlich nicht ungelenkig bin, ist das größte Problem, des Aufenthalts in der Sporthalle, der Kontakt mit anderen Menschen.
Ich mag es nicht in kurzen Shorts, vor den Augen aller, irgendwelche Kunststücke auszuführen und die Fehler, die einem passieren können, blamieren so sehr, dass ich Sport als Fach einfach nur hasse.

»Ja, leider. Ich wünschte wir hätten Geschichte oder sowas.«, brumme ich trüb und trete meinen Sportbeutel extra von mir.

Grinsend sieht Ryan dem Bündel nach und wischt sich imaginär eine Träne aus dem Gesicht.
»Damit verletzt du seine Gefühle«, weint er und erhebt sich um meine Sportklamotten zurück zu holen.

Sein Oberkörper spannt sich an, als er sich nach den Trägern des Beutels hinabbeugt und die Kapuze seines Hoodies kippt nach vorne als er sich bückt.
Ich bin versucht seine Locken aus den Fängen des Stoffs zu befreien und für einen Moment glaube ich, er würde mich mit seinem Blick beinahe dazu auffordern mich zu trauen, aber das ich mir Dinge gerne einbilde widerruft sich in meinem Kopf und ich hüte mich, meine Finger auszustrecken und seine dunklen Locken zu durchfahren.

Dass sie ihm dennoch ins Gesicht hängen und ihn im Kontrast des schwachen Lichts unfassbar gut aussehen lassen, entgeht mir trotzdem nicht.

»Bitteschön.«

Seine raue Stimme verrutscht im Ton und mich überkommt es wohlig, als sie noch eine Lage tiefer meinen Spitznamen hinzufügt.
Kratzig und rau und angenehm wiederholt sich das Lolli in meinem Kopf und ich merke wie warm mir davon wird.

Ich mag es, wenn er mich so nennt
Ich mag es, wenn er mit mir oder von mir redet oder mich ansieht wie bisher.
Ich muss nicht verstehen, warum ich Dinge mag, kontrollieren kann ich es sowieso nicht.

»Du stehst also nicht so auf Schulsport ?«, fragt er räuspernd und fährt fort, als ich sprachlos den Kopf schüttle. »Warum nicht ?«

»Ich mag diese Aufmerksamkeit nicht, die Tatsache, dass alle Dir bei deiner Blamage zusehen.
Diese Blicke auf mir und meinem halb nackten Körper, es macht mich nervös.«

Er nickt verstehend und sieht mich einen Moment verloren an, ehe er sich fasst.
»Aber grundsätzlich machst du Sport ?«

»Ich gehe gerne Joggen, ja, und Tennis finde ich ist ein klasse Sport.«
»Eine gute Wahl«, stimmt er mir zu und nickt.
»Ich kann aber nicht von mir behaupten, dass ich sonderlich gute Ausdauer habe, geschweige denn ein Ass im Tennis bin- im Gegenteil.«, füge ich hinzu.
»Dafür bin ich überzeugt, dass du hervorragende Stärken in anderen Feldern hast«, sagt er bauend und ich danke ihm für die Motivation.
Es scheint ihm so leicht zu fallen, gute, richtige Worte zu finden um das Selbstvertrauen eines anderen zu stärken.

»Man muss nicht in allem gut sein, um gut zu sein.
Und wie Dir vielleicht irgendwann auffällt, brauchst du in gewissen Dingen auch nicht hervorragend zu sein, um trotzdem das zu bekommen was du willst.
Im Endeffekt zählt der Einsatz und nicht die Leistung.«

»Da hast du recht«, stimme ich ihm benommen dieser Worte zu und sehe verloren auf.
Es ist beeindruckend, wie wortgewandt er ist.
Ich bin mir sicher, dass das eine seiner Stärken ist.
Er ist selbstbewusst und schlau und kann wirklich fabelhaft reden.
Seine Worte berühren mich und ich speichere sie sicher in der Nähe meines Herzens ab, um nicht mehr zu vergessen, wie aufbauend er mich behandelt hat.

»Natürlich habe ich recht.«

Seine Augen verdrehen sich belustigt und ich schlage ihm lachend auf die Schulter, als ich ihn so selbstverliebt sehe.
Er hat wirklich ein großes Ego.

»Was hast du denn gleich?«, wechsle ich das Thema und bekomme gleich darauf meine Antwort.
»Da ich gestern Sport hatte, habe ich heute Chemie in den ersten Stunden.«
»Ohh, auch nicht mein Lieblingsfach«, gestehe ich und bekomme ein zustimmendes Nicken.
»Ich mag Chemie nicht, also sei froh über deinen Unterricht«, fordert er und wird gleich von mir unterbrochen.
»Nein, ganz sicher nicht. Diese Fächer sind beide absolute Stimmungskiller.«
»Und was wären bessere Fächer?«, fragt er und sieht mich erwartungsvoll an.

»Deutsch, Geschichte oder Kunst.«

Er verzieht das Gesicht.
»Nein, Kunst ist schrecklich. Unsere Lehrerin ist einfach durchgeknallt. Sie meint zu mir, dass meine abstrakte Kunst zu abstrakt ist und mein Pinselstrich eine Vollkatastrophe. So einen Müll muss ich mir nicht geben.  Dann gehe ich lieber zu Englisch oder Politik.«

Ich muss loslachen. Diese Lehrerin scheint wirklich einen Knacks zu haben.
Ryan grinst schief.

»Was ist dein bestes Fach?«, fragt er schließlich.
»Deutsch und Kunst, dabei interessiert mich Geschichte viel mehr.«
»Bei mir gehört Deutsch auch dazu, obwohl Sport wohl nichts schlagen kann.«

Das muss er mir nicht sagen. Sein athletischer Körper spricht für sich

»Sag mal, zu welcher Stunde hast du heute Schluss?«
»Heute erst um vier Uhr. Ich bin im Planungskomitee für unseren Winterball und heute beginnen wir mit den Dekorationen.«
»Ah, der berühmt, berüchtigte Ball der Francton-High.«

Er scheint zu wissen wovon ich rede. Unsere Veranstaltungen sind nicht ganz unbekannt. Jedes Jahr schreibt die Zeitung einen Artikel über unseren Ball und von diversen Plakaten in der Stadt, weiß eigentlich jeder Bescheid. Jeder hat von unserem Winterball gehört oder schon einmal selbst daran teilgenommen.
Es sind nämlich nicht nur Schüler und Schülerinnen unserer Schule eingeladen.

Auch die Abiturienten des Nachbar Gymnasiums dürfen nach Anmeldung teilnehmen.
Es geht um den guten Kontakt und die beständige Kooperation, die unsere Schulen führen.
Denn während wir glamouröse Bälle und Partys planen, gibt es am Billberry diverse Exkursionen und Ausflüge ins Ausland.

»Ja, gehst du dieses Jahr hin?«
»Mal sehen.«
Er lächelt scheinheilig und bringt mich damit aus der Fassung.
»Was bringt dich zum Lächeln?«, frage ich und hebe fragend eine Augenbraue in die Höhe.
»Keine Ahnung, wenn ich dich so sehe und dich reden höre, wenn du lächelst, dann stimmt es mich irgendwie selbst glücklich zu sein.«, gesteht er und wärmt damit meine Wangen.
War das der einzige Grund für sein Lippenspiel ?

Er sieht aus, als hätte er mich für den Moment nur mit der halben Wahrheit versorgt.

»Du lügst doch.«, spreche ich meinen Gedanken aus, als er nicht aufhört zu Grinsen.
»Wieso glaubst du das, Lolli ?«
»Weil du nicht der Ehrlichkeit wegen lächelst, sondern mehr, weil du etwas vorhast oder weißt und ich nicht darauf komme.«

»Du bist gut, aber du brauchst dir keine Sorgen machen, Kleines, ich habe nichts Böses vor.«

Er lacht bei meinem verstörten Blick laut auf und erhebt sich schließlich.
»Aber du kommst zum Ball, oder ?«
»Ja, ich gehöre schließlich zu den Mitverantwortlichen.«
»Und mit wem gehst du hin ?«

Sein Blick scheint sich zu intensivieren, als hätte auch seine Interesse an Stärke zugenommen.
Fragend sehe ich ihn an, ahnungslos was er mit meinen Antworten herauszufinden versucht. Was würde es ihm bringen ?

»Bisher mit meiner selbst.«, gestehe ich offen und rechne damit ausgelacht zu werden. Stattdessen nickt er nur freudig und drückt auf den Stoppknopf an unserem Sitzplatz.

»Hast du schon ein Kleid ?«
»Mensch, Ryan, was sind das für Fragen ? Ich gehe allein und werde vermutlich wegen dem Hass auf das Shoppen in meinem Diddl Maus - Pyjama kommen. Warum willst du das alles wissen ?«

Seufzend lache ich auf und hätte zu gerne eine Antwort auf meine Frage.
»Du hast einen Diddl Maus Pyjama ?«

Er prustet los und lässt mich ironisch mit den Kopf vor das Fenster stoßen. Wieso war es mir klar, diese Frage im Gegenteil einer Antwort zu bekommen ?

»Ja, na und ? Das tut jetzt gerade nichts zur Sache, warum willst du das alles wissen ?«, wiederhole ich mich und lasse es zu, dass er mir mit wenigen Schritten näher kommt. Sein Atem streift mein Gesicht und automatisch halte ich die Luft an.
In Purzelbäumen überschlägt sich mein Herz und mein gesamter Körper reagiert empfindlicher denn je.

»Da ist dieses wunderschöne Mädchen.«, flüstert er mir ins Ohr und lässt dann von mir ab, als sei das Antwort genug.

Erst als der Bus wieder anfährt erwache ich aus meinen Senkungen. Ich habe nicht mitgekriegt das er ausgestiegen ist, zu sehr war ich abgelenkt von seiner rauen Stimme, die mein Trommelfell kitzelt. Und jetzt ist er weg.

»So und jetzt erzähl !«, drängt Stina mich als ich fünf Minuten später auch aussteige und von ihr direkt an der Haltestelle abgefangen werde.

Seufzend entferne ich mich einige Schritte und laufe dann neben ihr her zum Schulgebäude.
Heute werde ich mich den ganzen Tag mit ihren Fragen beschäftigen müssen und ich liege richtig.

Den gesamten Schultag über, überhäuft sie mich mit Fragezeichen und findet nicht einmal in Sport eine Pause dazu.

Am Nachmittag schaffe ich es dann sie ein wenig in Arbeit zu verlieren und kann mich endlich wieder meinen eigenen Gedanken widmen, während ich die Folie zu Rosen rolle und zurechtschneide, dass sie zuletzt wirklich wie gläserne Blumen aussehen.

Ryans letzte Worte hallen in meinem Kopf wieder und ich würde gerne wissen, wen genau er damit meint.
Wer ist das wunderschöne Mädchen ?
Etwa die Blondine, die jeden Tag an seinem Arm hängt, sobald er aussteigt und sich zu seinen Freunden stellt ?

Mit ihrer Statur und ihrem Aussehen kann ich nicht im geringsten mithalten und irgendwo tief in mir, stört es mich wenn ihre Finger ihn berühren, sie ihn umarmt oder einfach nur lächelnd ansieht.

Ich hätte gerne eine Antwort, ob die beiden mehr als nur Bekannte sind. Sind sie zusammen ?
Liebt er sie ?
Warum sitzt er dann jeden Tag neben mir im Bus und kommt mir so unbeschreiblich nahe ?
So etwas macht man nicht, wenn man in einer Beziehung ist und es spielt mit meinen Gefühlen.

»Erde an Lora ?«

Verwirrt schüttle ich den Kopf und sehe zu Violet auf, die plötzlich bei mir steht und vor meinem Gesicht herum schnippst.
»Hm ?«
»Wir sind fertig für heute. Kommst du, ich muss hier abschließen.«

Sie hält das Schlüsselbund vom Werkraum in die Höhe und ungeschickt schnell erhebe ich mich und eile nach draußen.
Versunken in Gedanken muss ich die Zeit, meine Arbeit und den Donnerstag vergessen haben.

Als ich das Gebäude verlasse bin ich beinahe zwanzig Minuten später als sonst und habe damit meinen Bus um mehrere Minuten verpasst.
Der Schulhof und die Bushaltestellen liegen wie ausgestorben vor mir und auch der Parkplatz birgt nur noch wenige Autos, die den letzten Lehrern gehören müssen.

Entrüstet seufze ich und kann mein Unglück kaum fassen.
Wie soll ich denn heute nach Hause kommen ?
Der nächste Bus fährt erst in drei Stunden in meine Richtung, Stina ist vermutlich schnell weg wegen der Nachhilfe mit Bill und meine Eltern haben für heute die Spätschicht übernommen, weswegen Mum erst heute Abend um neun und Dad erst morgen früh wieder zuhause ist.

Es gibt keine Möglichkeit frühestens nach Hause zu kommen und die Tatsache ausgerechnet heute den Bus verpasst zu haben, nervt mich.
Ich will nicht länger hier an der Schule bleiben und die drei Stunden abwarten bis ein nächste Bus kommt.

Erschöpft aber entschlossen mache ich mich mit Kopfhörern in den Ohren auf den Weg per Fuß nach Hause zu kommen, obwohl mich die Kraft wegen den frühen Sportstunden heute mit Schmerzen in die Knie zwingt.

Kaum zehn Minuten gelaufen, bin ich außer Atem und stelle enttäuscht fest, dass auch am Billberry- Gymnasium kein Bus mehr auf mich wartet.
Der Schulhof liegt ähnlich leer, wie der meiner Schule, vor mir und macht mich noch mutloser als der Tag an sich.

Als mein Handy zuletzt den Geist aufgibt lasse ich mich auf eine Bank fallen und halte meine Beine hoch, die von dem vielen Laufen wie ausgeleiert scheinen.
Die Müdigkeit überrollt mich und mit geschlossenen Augen lausche ich dem rauschenden Wind um meinen Ohren. Ich will doch nur noch nach Hause und den Tag verschlafen, denke ich hilflos und kann nicht glauben, wie sehr mich das Schicksal ärgern will. Drei Stunden in dieser windigen Kälte werden mich wahrscheinlich das gesamte Wochenende niesen lassen und das war's dann wirklich mit dem Rest meiner guten Laune.

Schon halb versunken in meiner Trance dringt plötzlich lautes Gebrüll durch meinen Kopf und ich brauche einen Moment, ehe ich merke, wie sehr mich diese Lautstärke vom Schlafen abhält.
Genervt öffne ich meine Augen wieder und erhebe mich, ehe sie wieder zuklappen und mich wirklich einschlafen lassen.
Meine Neugierde und die Suche nach Ablenkung siegen und träge mache ich mich auf, um nachzusehen, wer das leere Schulgelände so zubrüllt.

Es ist Fußball, das auf dem Kunstrasenplatz gespielt wird, und dem Augenschein nach die Oberstufen Mannschaft, die ihr Training absolviert.

Fünfzehn Jungen in kurzen Shorts jagen hintereinander her und spielen sich geschickt den Ball zu, während die laute Stimme des Trainers und seine schrille Trillerpfeife sogar mir aus sicherer Entfernung in den Ohren dröhnt.

Interessiert beobachte ich die Jungen und kann kaum verfolgen wie schnell sie rennen und die schwarze Kugel über den Rasen schießen.
Schnell und geschickt weicht die Nummer Acht seinem Gegenspieler aus und stürmt mit dem Fußball über die Mittellinie.
Seine Bewegungen sind flüssig und mit kurzen Blicken tauscht er sich mit seinen Mitspielern aus, ehe er sein nächstes Hindernis tunnelt und somit geschickt bis zum Torwart vordringt.
Er hält keinen Moment inne, zögert nicht als das Tor in Sichtweite kommt und auf alles vorbereitet, schießt er den Ball, sobald er Blickkontakt mit dem Torwart der Gegner hat. Sein Schuss ist präzise und hart und schneller als der Torwart hätte reagieren können, ist der Ball schon im Tor.

Klatschend bejubeln seine Mitspieler die Nummer Acht und klopfen ihm auf die Schulter. Der Junge, der bis jetzt immer mit dem Rücken zu mir stand, fährt sich durch die Haare. Seine braunen Locken sind nass vom Schweiß und stehen ein wenig von den Seiten ab. Als ich ihn sehe, werde ich stutzig.

»Gut, Ryan, komm mal her!«

Der Coach unterbricht die sich tummelnde Gruppe von Jungen und als sich der Bejubelte löst und am Spielfeldrand seinem Trainer entgegenkommt, bekomme ich meine Vermutung bestätigt.

Die Haare, die Körpergröße und seine breiten Schultern.
Ganz klar läuft der Junge über das Fußballfeld, der seit wenigen Tagen mit mir Bus fährt und sich nicht zu schade dafür ist, mit mir zu quatschen.

Vor Schweiß sind Ryans Wangen gerötet und schweratmend pustet er sich verwirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht, ehe er vor dem leicht pummeligen Trainer zum Stehen kommt und seinen Worten lauscht.

Ich kann nicht hören, was sie sagen. Nur das beständige Nicken Ryans nimmt Anteil am Gespräch und als man ihm zuletzt anerkennend auf die Schulter klopft, wendet er sich ab und holt eine Trinkflasche aus seiner Sportasche.
Der Coach pfeift in das rote Stück Plastik in seiner Hand und ruft die gesamte Mannschaft zu sich in einen Halbkreis.

Sie diskutieren und planen Spielzüge, denke ich mir, kann mich aber grundsätzlich nicht konzentrieren solange Ryan, gutaussehend wie immer, den Schweiß seiner Stirn an seinem Trikot abwischt und sich durch die braunen Haare fährt, um sie noch mehr zu verknoten.

Meine Augen folgen ihm wie einem einzigen Licht in der Dunkelheit und erst als wieder ein Pfiff über das Spielfeld schrillt, löse ich mich aus meinem Starren.

Die Spieler auf dem Feld haben mich entdeckt und neugierig grinsend, gucken sie in meine Richtung. Mir wird unwohl unter ihren Blicken und ich wünsche, mich für den Moment unsichtbar machen zu können.
Aber das geht nicht und als ich verloren in ihre Gesichter starre und nicht weiß, was ich von dem Typen halten soll der mir mit seinen Fingern zugepfiffen hat, werden meine Wangen vor Peinlichkeit augenblicklich rot.

»Ryan, ist das nicht deine Kleine?«

Abgewandt sieht der Schwarzhaarige zu Besagtem, der seinen Kopf ruckartig in meine Richtung dreht und meinen Blick sucht. Mittlerweile liegt jegliche Aufmerksamkeit auf mir und die schiefen Blicke der vielen Jungen begraben mich in meiner Scham.

Wieso bin ich überhaupt hergekommen?
Ich hatte mir doch fest vorgenommen nach Hause zu laufen!

Als die schwarzen Diamanten mich gefangen nehmen und er sich in meine Richtung bewegt, fällt die Anspannung plötzlich von mir und eine ruhige Atmosphäre reißt mich mit sich.
Sein Blick genügt, um mich zu beruhigen und aufmerksam verfolge ich seine Schritte, die sich nähern.

»Guckt sie nicht so an!«, zischt der mir mittlerweile bekannte Junge in die Richtung seiner Mannschaft und mit amüsiertem Gelächter wenden sich alle ab.

»Sie ist tabu für uns.«, kichert einer von ihnen und bekommt von den anderen lachend einen Schlag auf den Hinterkopf.
»Lass die beiden zufrieden, Ed«, schmunzelt ein blonder Typ, den ich schon oft in Ryans Nähe gesehen habe. Er gehört in jedem Fall zu seinen Freunden.

Es war nie mein Plan, Ryan auf mich aufmerksam zu machen.
Ich hatte nie vor, ihn zu mir zu locken und ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass er mich entdecken und mit seinem Blick so gefangen nehmen würde.
Ich kann nicht interpretieren was er denkt.
Er sieht verwirrt, neugierig aber auch besorgt aus und letzteres stimmt mein Herz in Hochgefühle.
Mir fehlen die Worte, als er auf mich zu gerannt kommt und ohne Vorwarnung in seine Arme zieht.

Seine Umarmung überrascht mich und mit einem leisen Quieken lehne ich meinen Kopf an seinen Oberkörper.
Fest und als suchten sie nach etwas, schlingen sich seine erhitzten Arme um meinen Körper und drücken ihn an sich, nicht akzeptierend, mich für die nächste Minute loszulassen.

Ich bin verwirrt, aber die plötzliche Geborgenheit trifft mein müdes Ich, dass ich außer Genuss nichts verspüren kann.
Ich versinke in seiner Umarmung, denke an nichts anderes mehr als die pure Zufriedenheit und seinen atemberaubenden Duft, der mich über dem Boden schweben lässt.
Der Grund dieser Umarmung ist mir augenblicklich egal, ebenso die vielen Augen die uns vermutlich gerade beobachten und sich über uns amüsieren.
Bei Ryan bin ich sicher und seine Mauern schützen mich mehr als alles andere auf dieser Welt.
Es braucht nicht mehr. Gerade brauche ich nichts mehr als genau diese Nähe.

Glücklich und das Lächeln nicht verbergend vergrabe ich mein Gesicht in seinem Trikot und lasse seine Arme beruhigend meinen Rücken auf und ab fahren, als müsse er mich trösten.
Ich kann sein Lächeln an meinem Nacken spüren und bekomme eine Gänsehaut als sein heißer, keuchender Atem meine Haut anhaucht.
Seine Stimme kitzelt mein Ohr.

»Ist alles in Ordnung?«

Benebelt schaffe ich es bloß zu nicken und ihm damit weniger als überzeugend klar zu machen, dass es mir gut geht.

»Sicher? Und was machst du hier, Lolli? Ist was passiert?«

Sein Gesicht schwebt so ruckartig nahe vor meinem, dass ich schlucken muss und meinen Kopf hebe um in seine Augen zu schauen.

Wie immer starren sie mich intensiv an und lassen sich keine Regung meinerseits entgehen.
Anders als bei anderen bemerke ich allerdings, dass es mir bei ihm nichts ausmacht. Im Gegenteil, ich genieße seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Seine Finger an meiner Taille festigen sich, als ich ihn bloß ansehe und ihm nicht antworte.
Dabei geht es mir doch wirklich gut.

»Nein, nein, es ist nichts. Ich sehe nur wegen meinen sportlichen Aktivitäten so miserabel aus und habe mich hier her verlaufen, als ich den Bus verpasst habe. Dass ich hier bin war ein Zufall und ich... ich wollte euch keineswegs stören. Ich wollte sowieso gerade wieder gehen ...«, stottere ich schließlich, mehr oder weniger deutlich, und löse mich aus seinen warmen Fängen, um mich zu entfernen.

Dass er mich an der Hand fasst und zurück in seine Arme zieht, lässt mich mit großen Augen zu ihm aufsehen. Ryan grinst bloß. Ich kann Belustigung in seinen schwarzen Pupillen tanzen sehen, doch in seinen Augen glänzt auch ein Schimmer, den ich nicht deuten kann. Er jagt mir lediglich einen Schauer über den Rücken.

»Eine blühende Rose sieht auch nach einem Schauer Regen atemberaubend schön aus. Sie kann gar nicht anders«, flüstert er leise und lächelt so sanft, dass mir ein Schauer den Rücken hinabfährt.

Zum ersten Mal bin ich mir sicher, dieses indirekte Kompliment auf mich beziehen zu können und es schmeichelt mir. Er hat mich als schön bezeichnet und diese Tatsache bedeutet ungemein viel, sie lässt es in meiner Magengegend gefährlich kribbeln.

»Außerdem wirst du nirgendwo mehr hingehen. Es wird langsam dunkel und ich lasse dich heute nicht mehr alleine, Lolli, das hast du dir selbst eingebrockt.«

Er kneift mir in die Seite und lacht als ich mich kichernd verkrümme.

»Was ich damit sagen will ist, dass du mit mir kommen wirst und wir zusammen mit meinem Freund Jim nach Hause fahren.
Unser Training ist für heute sowieso beendet und ich muss nur noch kurz meine Tasche holen, dann können wir los.«

Sein Blick duldet nicht ein einziges Widerwort und auch wenn ich einwenden will, keine Umstände machen zu wollen, bin ich insgeheim doch froh darüber nicht mehr weiter laufen zu müssen.

»Wehe du rennst weg, ich weiß wo du wohnst.«, droht er mir lachend und löst sich, um zurück zum Sportplatz zu joggen, der mittlerweile ebenso leer ist, wie das Schulgelände an sich.

Seine Worte amüsieren auch meinen Mund und ihm müde hinterher lächelnd, sehe ich wie er in der Umkleide verschwindet und wenige Minuten später umgezogen mit drei seiner Freunde wieder hinauskommt.

»So, dass ist also das berühmt berüchtigte Mädchen, welches meinen Freund Ryan so begeistert.«

Freundlich grinsend werde ich von dem jungen Mann begrüßt, der auf dem Spielfeld gerade eben Ed zurechtgewiesen hat und nun selber einen tadelnden Stoß in die Schulter bekommt.

»Ey, nicht gleich eifersüchtig werden, ich möchte auch mal ein Wort mit ihr wechseln !«, schmollt der große Junge und wird von den Anderen bloß kopfschüttelnd ausgelacht.

»Verstöre sie nicht«, bittet ein Schwarzhaariger das schmollende Kind und wird von ihm kaum mehr beachtet, als sie bei mir ankommen.

Die Blicke der Jungen liegen auf mir und sie sehen alle schwer in Ordnung und sympathisch aus, dass sich mein Unbehagen in messbaren Grenzen hält.

»Jungs, darf ich euch vorstellen, dass ist Lora, das berühmt berüchtigte Mädchen, und Lora, das sind Jim, Noah und unser Lieblingsvogelbaby Finn.«

Der Reihe nach stellt mir Ryan seine Freunde vor und bleibt zuletzt lachend bei dem schmollenden Brünett hängen, der mir übermütig die Hand schüttelt.

»Freut mich.«, kichere ich, als Finn nicht auf die Idee zu kommen scheint meine Hand loszulassen und seine Finger erst löst, als Ryan
ihn warnend dazu auffordert.

»Uns auch.«, meldet sich Jim, der Blonde, zu Wort und bekommt ein stimmiges Nicken von Noah, der sich stumm ein wenig zurückhält.

»Gut, jetzt wo wir uns kennen, lasst uns los bevor der Coach noch auf die Idee kommt und uns zum aufräumen auffordert.«, murmelt Noah und bricht als erster von uns auf in Richtung des Autos.

Stumm folge ich den nach Schweiß riechenden Statuen und versuche mich möglichst unauffällig hinter ihnen zu halten.
Dass mein Plan scheitert gibt mir Finn als erster zu verstehen, als er beginnt mich über Ryan zu informieren und immer wieder tadelnde Blicke und amüsierte Lacher deswegen bekommt.

Ich merke wie sympathisch mir der verrückte Witzbold ist und er scheint nicht nur mich bis aufs Äußerste zu amüsieren.
Er ist eine ehrliche Haut und ich kann gut verstehen warum Ryan und seine Freunde sich so gut zu verstehen scheinen.

Sie ergänzen sich und ihre unkomplizierte Art macht sie zu geschweißten Freunden.
Die Verbindung untereinander kann ich schon auf der ersten Autofahrt ausmachen, bis zu dem Punkt, an dem ich verschlafen zusammensacke und mich der Müdigkeit nicht mehr zu sträuben versuche.

Es ist warm als ich einschlafe und das sanfte Ruckeln des Autos lässt mich in einen sorglosen Traum driften der durch die Nähe zu Ryan geborgen und schön ist.

Die Witze und Stimmen der vier Jungen ausblendend verabschiedet sich meine Aufmerksamkeit und mich an Ryans Schulter lehnend schlafe ich ein.

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