7«||Weiche Knie und fluffige Marshmallows||


»Bist du krank ?«, fragt mich Stina am Mittwochnachmittag als wir gerade die Schule hinter uns lassen und von der Sonne beschienen zu den Bushaltestellen laufen.

Heute war wieder eine von diesen grausamen Mathestunden, die ich sonst immer so geliebt habe und seit einer Woche nicht mehr auf die Reihe bekomme.

Ich fühle mich schlapp, müde und ausgelaugt und das obwohl nichts passiert ist. Unser gestriges Treffen mit der Planungsgruppe für den Ball lief super. Wir haben begonnen die Rosen aus Plastikfolie zu basteln und meine Mutter wird heute nach der Arbeit den Glitter aus dem Bastelgeschäft in der Stadt holen.

Hausaufgaben haben wir bisher keine auf und auch sonst, habe ich nirgends Probleme und Stress, der mich erschöpfen könnte.
Mein Planer ist leer. Meine To- Do Liste bleicht vom Nichts und dennoch bin ich müde.
Es ist wie krank sein, aber ich weiß, dass ich das nicht bin.

»Nein, ich bin nicht krank, nur müde«, antworte ich mit trägen Augen und falle beinahe die Treppe zum Schulhof hinab, weil meine Augen für einen Moment zufallen.

»Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen ?«, fragt sie besorgt weiter und gibt sich mit einem Kopfgeschüttel zufrieden.

Es war nicht nur die letzte Nacht in der ich schlaflos an die Decke gestarrt habe. Es war nicht die einzige Nacht in der ich in all der Schwärze in zwei Diamanten gesehen habe und nicht vergessen konnte.

Seitdem Ryan am Montag so plötzlich gegangen ist und zuletzt mit solch einer Abwesenheit und Kühle gesprochen hat und ich ihn am Dienstag auf dem Schulhof neben einer Blondine entdeckt habe, denke ich ununterbrochen an ihn und diese vielen unbeantworteten Fragen in meinem Kopf.

Vielleicht habe ich ihn am Montag so sehr mit mir selbst gelangweilt, dass er nun keine Lust mehr hat Bus zu fahren. Vielleicht war die Blondine seine Freundin.

Es gäbe tausend Gründe für seinen Abgang und ich wünschte er würde es mir erklären.

»Hat dich der Typ aus dem Bus schlecht behandelt ?«

Stina steht in einem tiefen Loch und versucht seit Montagmorgen alles aus mir herauszubekommen, was meine Abwesenheit und traurige Laune erklären würde.
Aber ich erzähle ihr weniger als einem Stein und mir fehlt die Kraft mich zu erklären.
Der Absurde wegen halte ich meinen Mund.

»Nein, er war sogar ziemlich nett. Aber...ich weiß nicht.«

Ohne ein Wort nimmt sie mich in den Arm und so unnötig mir diese Situation und Lage auch scheint, so sehr liebe und schätze ich auch, wie sie sich um mich kümmert.

»Was auch immer es ist, Schatzi, rede mit mir«, fordert sie flehend und ich verziehe traurig mein Gesicht.
Mich an sie klammernd seufze ich und beginne schließlich zu erzählen.

»Er sieht gut aus mit seinen braunen Locken und diesem unverschämten Lächeln.
Er ist frech und mysteriös und er spielt mit Worten.
Er liest gerne Thriller und ist wirklich lustig, aber gleichzeitig zeichnen sein Gesicht diese Schatten, die das Blatt wenden und ihn anders machen.
Wir hatten bisher immer nur kurze Gespräche, unsere Begegnungen waren undetailliert und genau deswegen kann ich mir mein Verhalten nicht mal selbst erklären.
Warum es mich so stört, dass er am Montag so abweisend war, warum ich mir diese vielen Fragen stelle und an nichts anderes mehr denke.
Ich verstehe nicht, warum ich nicht will, dass er in irgendeiner Form abgeneigt von mir ist. Es ist so verrückt...«

Froh darüber geredet zu haben, kuschle ich mich weiter an meine Freundin, die aufmerksam und leise zugehört hat und uns beide nun mit einem Schmunzeln hin und her wiegt.
Wie immer interessiert es sie nicht, was die denken, die an uns vorbei laufen und uns schief betrachten.
Es interessiert sie nicht, dass ihr knallroter Lippenstift von meinen Haaren verschmiert wird und auch nicht, dass ich ihr kaum Informationen über diese Jungen gebe, obwohl sie so darauf brennt.

»Danke das du es mir erzählt hast. Jetzt kann ich mir auch endlich erklären, warum meine Freundin so versunken ist. Komm, jetzt wo ich halbwegs informiert bin, gehen wir in die Stadt und suchen nach einem netten Café für eine Eisschokolade im herbstlichen Oktober. Vergiss diesen Jungen mal für eine Minute und konzentrier dich, Blümchen. Du bist doch sonst auch immer der wandelnde Terminkalender.« Grinsend löst sie sich von mir und verschränkt unsere Hände, um mich ohne Kompromiss vom Schulgelände zur Fußgängerzone zu ziehen.

Träge und lustlos folge ich meiner verrückten Freundin und bin insgeheim dankbar für diese Ablenkung. Mein Fokus ist die letzten Tage zu oft auf Wanderschaft gewesen und die offensichtlichen Dinge habe ich vernachlässigt. Meine Freundin, die Schule und sogar meine Eltern mussten unter dieser glatten Depression leiden.

Dieser Depression, die mir keiner erklären kann. Diese Depression, die so absurd und merkwürdig ist, dass ich mich womöglich schämen sollte, mich so sehr an Ryan zu kletten.
Was er wohl von mir halten würde, wenn er von all diesen Gedanken wüsste.

»Wir gehen ins Summerbrelly.«

Mit einem entschlossenen Blick zieht mich die Brünette durch eine Nebengasse und läuft unbeirrt weiter.
Noch immer zieht sie mich hinter sich her und mich wundernd starre ich ihr in den Rücken.

Ihr gelber Trenchcoat fliegt mir entgegen und der frische Wind des begonnenen Oktobers wirbelt ihr beinahe den moosgrünen Schal vom Hals.
Leise klackern ihre Stiefel über das unebene Pflaster und werden alle paar Meter von meinen schlurfenden Boots unterbrochen.

Ich kann kaum zu ihr aufholen, da sind wir auch schon an dem lieblichen Bruchsteinhaus angekommen, in dem sich seit über fünfzehn Jahren das Summerbrelly- Café  befindet.
Hier gibt es nach meiner Meinung, die beste Eisschokolade der Stadt und weil Stina weiß was ich liebe hat sie sich vermutlich für dieses Lokal entschieden.

»Setz dich schon mal, ich komme gleich.«

Halb liegengeblieben bleibe ich im Eingang stehen, während sie sich zur Kasse durchschlängelt und an einem der Tische noch ein Mitglied der Handball AG trifft.
Das stämmige Mädchen und sie scheinen sich gut zu kennen, denn kaum zwei Sekunden später befinden sie sich in einer Unterhaltung die mich seufzen lässt.

Es ist manchmal schwer mit anzusehen, wie beliebt und bekannt Stina in der Gesellschaft ist und wie viele Freunde sie hat, während ich selbst sehr unbeliebt bin. Es ist zum wundern, wieso sie sich mit einem Menschen wie mir abgibt.

Es ist Stinas Ausstrahlung und diese reine Sympathie, die sie zur besten Freundin vieler macht.
Aber so offen und ehrlich und nett und herzlich wie sie, könnte ich nie sein. Mir fehlt es an Schönheit und fabelhaftem Charisma.

Stina ist wie eine auf der Erde wandelnde Sonne, die bodenständig ihr Leben lebt und sich damit sympathisch zeigt.
Ich stehe im Schatten dieser Sonne. Ich weiß, dass ich mich hinter ihr verstecke und das ist auch gut so.

Als die Türglocke hinter mir ertönt, bewege ich mich um den Eingang nicht zu versperren.
Leise laufe ich durch die Tischreihen und setze mich auf eine der kirschroten Lederbänke an einem freien Tisch.

Als Stina auch nach Minuten nicht vor mir erscheint, sehe ich mich nach ihr um und bleibe an einer Tischreihe am anderen Ende des Cafés hängen.

Die schwache Sonne, die durch die quadratischen Schaufenster fällt, bringt sein Gesicht zum leuchten und seine Locken bekommen eine goldene Nuance die mich schweratmend stocken lässt.

Es scheint, als hätte er mich schon seit dem ich das Café betreten habe, angestarrt. Denn seine diamantenen Augen packen mich, sobald ich ihn unter den vielen Gästen entdecke.
Sein Blick ist warm aber ausdruckslos. Ich weiß nicht was in ihm vorgeht, kann nicht filtern was er gerade denkt.
Ich merke nur selbst, wie ich langsam aber sicher den Boden verliere und vergesse wo ich mich befinde.

Nach Sekunden, vielleicht auch Minuten, bricht er den Blickkontakt und wendet sich den zwei Jungen zu, mit denen er an einem Tisch sitzt.

Ein Lächeln erobert sein Gesicht und seine geraden Zähne lachen die mir fremden Jungen an.
Ich kann mich nicht lösen.
Die Starre meiner Augen lässt mich ihn unentwegt ansehen und so bekomme ich mit, wie er sich erhebt, seinen Freunden auf die Schulter klopft, ihnen mit schielenden Augen in meine Richtung bedeutet was er vorhat und dann zu meinem Tisch läuft.

Als hätte man ein geschworenes Band zerschnitten drehe ich meinen Kopf ruckartig weg und starre auf die Tischplatte.
Hat er wirklich vor zu mir zu kommen ?
Ist er dann wieder so abweisend ?
Wie soll ich reagieren ?

»Hey, Lolli.«

Damit wäre meine erste Frage wohl ausführlich beantwortet, denke ich, als ich aus dem Augenwinkel sein weißes T-Shirt entdecken kann, dass mit seinem Karomuster in meinen Augen brennt.

Ich grüße ihn nicht.
Für den Moment bin ich zu eingeschnappt von seinem Abgang am Montag, als dass ich mich in plaudernder Laune sehe.
Ich möchte eine Erklärung, obwohl sie mir nicht im geringsten zusteht.

Ich gehöre zu der Sorte Menschen die es hasst sauer zu sein. Ich liebe es zu verzeihen und zu vergessen und lieber die Zeit zu nutzen um Spaß und Freude zu haben.
Ich will nicht zicken, so bin ich nicht, aber ein verzeihender Mensch zu sein, bringt dich manchmal in Schwierigkeiten die mit Ausnutzen zu tun haben und ich will nicht, dass man glaubt mit mir spielen zu können.

Ryan scheint allerdings zu verstehen und nicht mit einer Begrüßung gerechnet zu haben.
Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber als er zu reden beginnt, klingt er ernst und bedrückt, dass ich ihm die Ehrlichkeit nicht anzweifeln kann.

»Hör mal, dass ich am Montag zwischenzeitlich so kalt und distanziert war, hatte nichts mit Dir zu tun. Ich weiß, dass du Dir die halbe Woche darüber Gedanken gemacht hast, aber ich bin nicht irgendwie sauer auf dich gewesen oder habe mich von Dir angegriffen gefühlt. Du hast rein gar nichts falsch gemacht.
Meine Laune hatte mit der Schule zu tun und mit den Leuten denen ich am Montag immer begegne.
Ich will es gar nicht erklären, ich will mich nur entschuldigen und das alles dann vergessen.«

Meine Reaktion braucht einen Moment in dem ich spüre, wie intensiv und auch unsicher er mich anstarrt. Seine Augen fressen sich feurig unter meine Haut und unsere sich unter dem Tisch berührende Knie, scheinen beinahe schon halb verkohlt so heiß ist mir und so intensiv brennen sich die Funken durch mein Bein.

Schließlich hebe ich den Blick und sehe ihn an.
Seine Augen glänzen und schauen erwartungsvoll in meine.
Ich kann nichts als pure Ehrlichkeit in ihnen erklären und während ich endgültig den Boden verliere verzeihe ich ihm.

»Ich habe es ja immer gewusst. Männer können sich auch wie Schwangere verhalten.«

Mein Lächeln malt sich auf seine Lippen und gleichzeitig beginnen wir beide zu lachen um damit die gesamte Anspannung fallen zu lassen.

Die Erleichterung trifft uns und es fällt mir gleich leichter ihn anzusehen, wenn sein Gesicht so freundlich aussieht.

»Bitte vergiss diesen distanzierten Abstand«, wiederholt er ernster unter seinem Gekicher und ich nicke verstehen. Es ist alles wieder in Ordnung.
»Ich weiß gar nicht wovon du sprichst.«
Er rollt lächelnd mit den Augen und sieht mich dann einmal sehr dankbar an.

»Gut, jetzt wo ich dich wieder habe, brauchen wir etwas zu trinken.«

Er lässt mich kaum über seine Worte nachdenken, da schnappt er sich schon meine Hand und zieht mich auf die Beine in Richtung der Kasse.
Zum zweiten Mal an diesem Tag trabe ich also im Rücken eines anderen durch die Welt und kann nur daran denken, dass ein Junge tatsächlich meine Hand hält.

Meine Finger fühlen sich beinahe taub unter der überkommenden Wärme und dem prickelnden Blut, was meinen Körper kocht, an.
Ich könnte schwören meine Hände sind vor Nervosität schweißnass, aber selbst wenn es der Fall wäre, lässt Ryan meine Finger nicht los.
Nichtmal dann, als wir vor der jungen Kellnerin stehen und unsere Getränke bestellen.

»Was möchtest du ?«
Sein Blick fliegt von der Seite hinab zu meinen Augen und mit einem Grinsen wende ich mich der  Kassiererin zu.
»Eine Eisschokolade mit Sahne und darauf bitte Vanille und Marshmallows.«

Verwirrt und intensiv sieht mich das blonde Mädchen hinter der Theke an und einen Moment bin ich verwirrt, warum sie so erstarrt zwischen Ryan und mir hersieht.
Dann fallen mir unsere Hände ein und als ich schon peinlich berührt meine Finger aus seinen ziehen will, öffnet Ryan den Mund und drückt unsere Finger extra fest zusammen.
Ohne ein Wort schaffe ich es bloß ihn dementsprechend verwundert anzusehen.

»Ich hätte gerne dasselbe, Rita.«

Ihr Blick fliegt zu ihm und immer noch benommen funkeln ihre blauen Augen in seine, ehe sie endlich die Bestellug aufnimmt und ein: »Kommt gleich« murmelt.

Mit einem zufriedenen Lächeln wendet sich Ryan an mich und kommt meinem Gesicht drohend nahe, als sich unsere Blicke treffen und ich ihn mit meinem Wundern auf die Finger starre.

»Die Welt zu verstehen, ist kompliziert und unmöglich.
Aber über seinen Schatten zu springen ist kompliziert und zuletzt verdammt mutig.«

Sein Atem kitzelt mein Ohr und benebelt mich auch dann noch, als er sich abwendet und zu unserem Tisch zurückgeht.
Er dreht sich nicht noch einmal um, schmunzelt nur selbstgefällig vor sich hin und zuletzt verliere ich ihn aus den Augen, weil Stina sich endlich wieder dem Leben zeichnet.

Ihre Finger zwicken mir in die Schulter und mit einem erschrockenen Blick drehe ich mich zu meiner verrückt lächelnden Freundin um.
»Stina ich...«
Ich gebe zu, sie für einen Moment wegen Ryan vergessen zu haben und mir wird mulmig, weil sie schließlich mit mir hier sein wollte.
Sie wollte mich ablenken und fokussieren lassen, vergessen lassen.
Und nur sitzt an meinem Tisch der gebräunte Junge, der mir meine Aufmerksamkeit stiehlt. Ich bin eine schlechte Freundin.

»Ich hoffe für dich, dass du mir morgen kein Detail vergisst zu erzählen, denn ich will alles wissen und wehe er ist am Ende schwul...«

Es nicht realisierend schubst sie mich zum dem Tisch an dem Ryan sitzt und dreht sich dann mit einem begeisterten Quieken von mir weg.
Damit hat sich mein Gewissen wohl umsonst gebissen. Stina ist mehr als begeistert vom Ausgang des Nachmittags.

Mit unkontrollierten Schritten überbrücke ich den Laden und setze mich zurück auf die kirschrote Bank, direkt Ryan gegenüber.
Vor uns stehen zwei große Becher mit eiskaltem Kakao, darin liegendem Vanilleeis und bunten Marshmallows auf der luftigen Sprühsahne.

»Du siehst aus, als wäre das deine erste Eisschokolade«, bemerke ich amüsiert und kann meinen Mund nicht schließen als er antwortet.
»Wie schockiert wärst du, wenn ich dir gestehe, dass das hier tatsächlich meine erste ist ?«

»Ziemlich, aber ich könnte Dir mit Sicherheit sagen, dass du im Summerbrelly gleich die beste trinkst. Sie ist fantastisch«, schwärme ich und fordere ihn auf zu probieren.

Mit einem skeptischen Blick umfasst der Brünett den blauen Strohalm seines Glases und trinkt einen Schluck des leckeren Kakaos.
Seine Augenbrauen senken sich wieder und auf meinen erwartungsvollen Blick, kann er nur nicken.
»Du hast einen fabelhaften Geschmack. Das schmeckt super.«

Er grinst wieder und packt gleich einen Berg Sahne auf seinen Löffel um auch die Mischung des Vanille und der süßen Marshmallows zu probieren.

Belustigt beobachte ich ihn und beginne schließlich selbst zu trinken.
Kühler Kakao sickert durch meinen Körper und der süße Geschmack, des Getränks lässt mich zufrieden aufseufzen. Ich liebe die Mischung von flüssiger Schokolade, Sahne und Vanille.

Wie von selbst verdrehen sich meine Augen und aus dem Genuss nicht mehr herauskommend, bemerke ich zu spät wie offensichtlich ich meine Liebe dem Getränk gestehe.
Lachend beobachtet mich Ryan und kommt davon gar nicht mehr ab.

»Jetzt weiß ich was du zusätzlich vergötterst.«

Er deutet auf meinen nur noch halbhohen Becher und grinst schelmisch.
»Ja, damit triffst du mein Herz.«
Ich nicke vielsagend und frage schließlich zurück.
»Und du ? Was magst du gerne ?«

»Ich bin jemand der das Gewöhnliche liebt. Ich stehe nicht so auf exotisches und Essen, was ich nur alle drei Monate auf den Teller kriege. Vielleicht ist es langweilig, aber Cornflakes und Buttertoast.«
Er zuckt mit den Schultern und nippt wieder an seinem Getränk eher er zögerlich zu mir sieht.
Ich finde seine Ehrlichkeit und diese Gleichgültigkeit beeindruckend.
Es ist eine Kleinigkeit mir sein Lieblingsgericht zu sagen, aber auch sonst scheint ihm die Meinung anderer vollkommen egal. Ich bewundere ihn dafür.

»Ich finde es nicht langweilig.«

Diese Aussage meine ich ernst.
Denn gewöhnliches zu essen, ist relativ zu sehen. Für viele sind Cornflakes vermutlich gängiges Essen zum Frühstück, aber es gibt auch Haushalte in denen Müsli nicht gekauft wird.
Und selbst wenn doch, ist ihm die Meinung über Essen selbst überlassen. Er darf lieben was er will.

»Es ist eben nichts spezielles.«
»Aber Einfaches lieben die Menschen sowieso am meisten.«
Darauf hat er nichts zu erwidern und ich bin ein klein wenig stolz solche Worte gefunden zu haben.

»Damit hast du recht. Kommen wir wieder zu Dir, ich bin dran mit fragen.«, wechselt er und sieht mich gespannt an.
»Was ist deine Lieblingsfarbe ?«
»Grau.«
»Grau ?«
»Ja, Grau ist tönig und nicht so aufdringlich und irgendwie beruhigt mich diese einfache Farbe.«
Er schiebt beeindruckt die Unterlippe vor und sieht aus als hätte er Interesse an dieser Sichtweise gefunden.
Er kommentiert mich nicht und ich bin froh kein blödes oder verhätschelndes Kommentar zu bekommen und stattdessen eine Antwort auf meine nächste Frage.
»Was ist dein liebster Wochentag ?«

Diese Frage scheint ihm noch nie jemand gestellt zu habe, aber ich will Kleinigkeiten über ihn wissen, die nicht so üblich sind.

»Viele Leute hassen den Montag aber ich verstehe nicht wie man ihn hassen kann. Ich mag ihn, Montag ist ein sympathischer Tag.«
»Wow, damit würdest du dich bei vielen unbeliebt machen«, spaße ich und warte auf seine nächste Frage.
»Dein Lieblingsemoji ?«
Ȁhm...das Gesicht mit den Pfeilen als Augen und der rausgestreckten Zunge.
Wenn du in einer Stadt leben könntest, wo würdest du gerne sein ?«

Er braucht nicht lange um mir das zu sagen. Schnell hat er eine, in meinen Augen, ausgezeichnete Wahl getroffen.
»Ich war erst einmal dort aber in London habe ich mich glatt verloren. Wenn ich könnte, dann würde ich dort wohnen.«
»London ist wunderschön. Ich wäre auch gerne einmal dort. Was fandest du am besten ?«

Ich versuche meine Sehnsucht mit einer sofortigen Frage zu überspielen. Ich kenne die Hauptstadt Britanniens nur von Bildern aus dem Internet. Ich wollte schon immer einmal dorthin aber die Entfernung trennt meine Hoffnungen mit der Wirklichkeit.
Meine Eltern haben zu wenig Zeit um mit mir weit zu verreisen. Wir bleiben meist das ganze Jahr zu Hause.

»Die Architektur, der Hyde Park, ich weiß es nicht. Ich fand die Stadt einfach toll mit all ihren Fassetten. Britannien im Allgemeinen hat einen tollen Flair.«

Ich nicke bloß und wünschte ich könnte dieser Meinung mehr Begeisterung verleihen.
Ich selbst weiß allerdings auch, was mir an der Stadt am meisten gefällt.

»Ich finde die Doppeldeckerbusse am besten.«
Mit dieser Aussage bringe ich ihn zum schmunzeln und kann mir das Lachen selbst kaum verkneifen.
»Wieso glaube ich dir das sofort ?«, fragt er schließlich doch rau kichernd, dass es mich in fassungsloses Gegrinse verschlägt.
»Keine Ahnung, aber ich mag es nicht selbst am Steuer sitzen zu müssen und lieber gefahren zu werden. Zug fahren ist auch toll.«

»Das heißt aber, dass du auch einen Führerschein hast«, stellt er fest und ich nicke.
»Ja, aber ich würde mich nicht als einen sonderlich guten Fahrer bezeichnen.«
»Davon werde ich mich irgendwann selbst überzeugen«, verspricht er und erhebt sich als wird beide fertig sind.
»Das werden wir ja sehen.«, meine ich nicht sehr überzeugt aber glücklich und gehe voraus zum Ausgang während er wie selbstverständlich das Geld auf den Tisch legt.

»Das nächste Treffen bezahle ich«, bestimme ich als wir beide draußen sind und nebeneinanderher durch die Stadt bummeln.

Der Oktober zeigt sich heute von seiner besten Seite und es ist angenehm, dass man in der immer noch luftigen Sommerjacke nicht gleich zu frieren beginnt.
Unsere Arme streifen sich während wir den Bürgersteig belaufen und es simmt mich glücklich neben Ryan zu sein, seinen Duft einzuatmen und eine Art von Geborgenheit neben seiner Größe zu spüren.

Mich überkommen Gefühle die mich unsterblich fühlen lassen und beflügeln, dass ich mich wohler fühle als sonst irgendwo. Ich will gerade nirgendwo anders sein, als direkt neben diesem Menschen.

»Heißt das, wir werden uns jetzt öfters treffen ?«
Ich höre das Grinsen aus seiner Stimme heraus und weiß nicht genau wie ich vernünftig darauf antworten soll.
»Wer weiß schon was die Zukunft bringt«, seufze ich, die Ruhe genießend, und lächle gen Sonne, vertraut darauf, dass ich neben Ryan nicht hinfallen werde.

»Ich wüsste es manchmal gerne.«, gibt er zu und folgt meinem Blick.
»Aber dann würden wir Menschen das Jetzt nicht mehr genießen und nur noch an die vielen Probleme in der Zukunft denken. Wir würden den Sinn des Lebens vergessen und für den Morgen leben, zählen, wie viele Tage uns noch bleiben bis uns das und das passiert und die Einzigartigkeit der Zeit wäre vergessen. Nein, es hat schon seine Gründe warum wir Menschen solche unwissenden Wesen sind.
Wir müssen in Fehler hineinlaufen, damit wir nicht zu unbedeutenden Idealen werden. Es hat sogar Nutzen«, fügt er hinzu und endet seinen poetischen Vortrag.
Ich bin fasziniert.
Ich könnte ihm stundenlang zuhören wie er über die Menschheit und die Welt philosophiert und kann ganz sicher sagen, dass mir nie langweilig werden würde.

Und als ich am Abend in meinem Bett liege und an meine Zimmerdecke starre, bin ich mir in einem Punkt ganz sicher...

Nachdem wir uns noch Stunden in der Stadt aufgehalten haben und uns gegenseitig Fragen beantwortet haben, sind wir beide mit dem Bus  spät abends nach Hause gefahren und haben uns, dieses Mal wesentlich freundlicher, verabschiedet.

Der Tag hat einen wirklich schönen Ausklang gefunden und ich strahle noch immer, wenn ich mich neben diesem großen Jungen sehe.
Ich kann nicht verstehen wie wir beide die Aufmerksamkeit des anderen suchen und warum, aber ich bin mir sicher, dass es genau so ist.

Mit seinem Aussehen bin ich überzeugt, dass er ein ziemlich beliebter Schüler an seiner Schule sein muss und auch Kontakte zu wesentlich interessanteren Mädchen hat, aber für heute galt der Tag mir und ihm und niemand kann diesen Mittwoch in meinem Kalender streichen.

Ryan hat recht gehabt, als er sagte, dass man die Zukunft lieber nicht wissen sollte, denn sonst würde man die schönen Tage im Leben nur mit den schlechten, noch kommenden Tagen vergleichen und sie nicht wertschätzen.

Er hatte in vielem recht, was er mir heute sagte und ich bestaune diese Weisheit in seiner Stimme.
Er klang wie jemand der schon viele Erfahrungen gemacht hat und genug weiß, um sagen zu können,  wie gewisse Dinge im Leben laufen.

Meine ersten Eindrücke von ihm, die ihn als frech und arrogant und Draufgänger verzeichnet haben, widerrufen sich mit dem Jungen, der mich heute zum wiederholten Male beeindruckt hat.

Und ich weiß, dass das verrückt ist.
Ich weiß, dass mit mir etwas nicht mehr ganz stimmen kann.
Ich weiß, dass meine Eltern merken, dass ich jemandem begegnet sein muss der die Windrichtung wechselt.
Denn seit einer Woche ist nichts mehr, wie es einmal war.

Seit einer Woche kenne ich eine viel zu besondere Person, als das ich sie je vergessen könnte.
Darin bin ich mir seit heute sicher.

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