5«||Manches kam und ging und kommt nie mehr||
Die weißen Schäfchenwolken am Himmel widersetzen sich den, in den Nachrichten angekündigten, Grauen, die den ganzen Samstag trüben sollen.
Dass sich die Wetterforscher an diesem Tag wohl glatt vertan haben, kommt mir gerade recht, denn so stimmt es mich noch mehr Ms. Olip einen Besuch abzustatten.
Mit der, in den Jahren höchstens jünger gewordenen, Witwe und Rentnerin, die in einem kleinen Fachwerkhaus neben unserem wohnt, stehe ich schon seit ich klein bin in einem sehr engen und guten Kontakt und da sie oft alleine und ich sowieso nichts besseres zu tun habe, besuche ich sie beinahe jeden Samstag um mit ihr auf der Terrasse eine Runde Rommé zu spielen.
Als ich fünf war hat sie mir an einem stürmischen Tag im Juli, genau dieses Kartenspiel gezeigt und seitdem spielen wir es jedes Mal aufs neue.
Zu zweit ist es zwar ein sehr unspektakuläres Spiel aber es macht trotzdem ungeheuren Spaß.
Ms. Olip ist wie eine dritte Oma für mich. Sie strikt mir im Winter schäbige Pullover und trägt selbst im Sommer einen Schal.
Ihr samtenes MakeUp ist jeden Tag genau auf ihre Haare abgestimmt und sie hat diesen angenehmen 'Alte - Leute' Geruch den ich so liebe.
Mit meinem Schlüsselbund und einem Stapel Spielkarten unter dem Arm, verlasse ich das Haus und laufe durch den Vorgarten direkt in den meiner liebenswürdigen Nachbarin.
Das gelbe Gartentor quietscht durch den luftig leichten Nachmittag und kaum habe ich das Pflaster zu ihrer Haustür betreten umwirbt mich der Geruch von Blumen und Lavendel, der bei Ms. Olip in rauen Mengen die Grasfläche bewächst.
Ihr verstorbener Ehemann ist Gärtner gewesen und hatte sich früher immer um das Stück Grün in ihrem Garten gekümmert.
Seitdem er nicht mehr ist, kommt nur noch zwei mal im Jahr jemand, der für Ordnung in dem kleinen Urwald sorgt.
Ich finde es traurig mit anzusehen, wie gewisse Dinge mit nur einem Wimpernschlag in die andere Richtung laufen und sich so schnell ändern, dass niemand hinterher kommt.
Das, was jahrelang so selbstverständlich da war, was immer stattfand und immer erledigt wurde, ändert sich von heute auf morgen und plötzlich ist alles anders.
Plötzlich gibt es diese Person nicht mehr und Dinge werden nicht länger erledigt.
Und dann dirbt es. Die Welt zergeht, die Zeit rast, während das Leben in einem schwarzen Loch stecken bleibt. Manches kam und ging und kommt nie mehr. Es ist wahr.
»Hallo, Liebes.«
Mit einem zitternden Lächeln auf den Lippen begrüßt mich die kleine Dame mit dem Fable für geblümte Kleidung.
Auch heute ist sie bunt gekleidet und mit einem gelben Hut ausgestattet der mit glitzernden Tulpen bemalt ist.
Ich mag sie für diese Einzigartigkeit noch mehr.
Es sieht vielleicht immer ein wenig verrückt aus und auch persönlich könnte man sie als wirr bezeichnen, wenn man sie so in ihren grünen Hosen und dem weinroten Rollkragenpullover sieht, aber ich kenne sie besser um sagen zu können, dass sie noch ganz klare Augen hat.
Sie ist eine sehr kluge Frau, früher viel gereist und noch bis heute spricht sie drei Sprachen fließend.
Mich beeindruckt sie mehr als alles andere und ich bewundere sie in vielem.
»Hallo, Ms. Olip. Wie geht es Ihnen ?«
»Gut, komm doch herein. Ich habe im Wohnzimmer schon frei geräumt und der Tee kocht auch schon.«
Sie deutet mit ihrem Zeigefinger in die Küche aus dem das fiepende Geräusch des Wasserkochers tönt.
»Hier, machen Sie es sich schon mal bequem und ich hole das Wasser«, bestimme ich freundlich und reiche ihr meine Spielkarten mit denen sie sich dankbar auf den Weg zum Sofa macht.
Ich laufe in die Küche und stelle die Herdplatte aus, ehe ich Zucker und Teebeutel suche und alles in zwei Tassen schütte mit denen ich zuletzt auch ins Wohnzimmer laufe.
Auf einer der olivgrünen Sofas die in dem rustikalen, eher altmodischen, Wohnzimmer stehen, hat es sich die kleine pummelige Dame gemütlich gemacht und mischt flink die Spielkarten als ich näher trete und ihre Teetasse auf den Spieltisch stelle.
»Danke, Liebes. Wie war denn so deine Woche ? Laufen die Vorbereitungen für den Ball ?«
Interessiert rückt sie ihre Lesebrille auf die Haare und teilt, während ich rede, die Karten aus.
»Ja, sehr gut sogar, wir liegen super in der Zeit und ich bin zuversichtlich das alles ohne Probleme stattfinden wird.
Stina macht sich zwar sehr viel Stress deswegen, aber ich glaube der ist gar nicht nötig.«
»Wir sind so, Liebes, der Drang zu Perfektionismus ist so überwältigend, dass wir die Ruhe und das Richtige vergessen.
Hauptsache ihr seit am Ende mit allem zufrieden und der Stress lohnt sich.«
Ich nicke und verarbeite für einen Moment was sie gesagt hat.
Die Tatsache, dass alte Menschen so weise reden, verwirrt mich unter all der Jugendsprache im Alltag manchmal.
»So, wie ich es mir jetzt vorstelle, würde es perfekt sein. Ich glaube schon, dass die Veranstaltung ein Erfolg wird.«
»Natürlich wird sie das, aber sag mal, mit wem wirst du eigentlich hingehen ?«
Ich hatte gehofft diese Frage nie beantworten zu müssen.
Ich bin ein kläglicher Einzelgänger und während Stina schon mindestens drei Mal gefragt wurde, habe ich noch keinen Mann auf meiner Schule in den Sand setzen können.
Jungs interessieren sich nicht für mich. Dass haben sie noch nie.
Womöglich bin ich zu still, zu unauffällig und leise.
Ich gehöre zu keinem Club in unserer Schule, die Fußballmannschaft und ihre Spiele interessieren mich nicht und während mein Alter jeden Abend feiern geht, liege ich lieber auf dem Teppich in meinem Zimmer und lese ein Buch.
Ich bin wohl zu langweilig um Aufmerksamkeit von einem Jungen zu bekommen, vielleicht fehlt es mir aber auch am nötigen Aussehen.
»Sehr wahrscheinlich mit niemandem. Mich hat bisher niemand gefragt, aber das war mir auch schon vorher klar.«
Ein wenig distanziert sehe ich wieder zu ihr auf und hoffe, dass man mir den kleinen Funken Trauer deswegen nicht ansieht.
Ich würde gerne mit jemandem gehen.
Und ich rede mir gerne ein, dass es egal ist, dass ich niemanden brauche. Aber wenn ich dann diese glücklichen Pärchen auf den Straßen sehe und die Jungen, wie sie ihre Mädchen vergöttern, dann ist da dieser Stich, weil es niemanden gibt der mich so ansieht und ich niemanden habe von dem ich mich geliebt fühle.
Ich hatte noch nie einen Freund und ich frage mich immer wie manche Mädchen es schaffen alle drei Wochen einen anderen zu haben. Woher bekommen sie diesen Kontakt ?
»Ohh...ich bin mir aber sicher, dass es jemanden gibt der vorhat dich zu fragen. Du bist noch jung, Kleines, und noch ist nicht aller Tage Abend.«
Sie nippt an ihrer Tasse und fährt dann mit einem wissenden Lächeln fort.
»Bei meinem Abschlussball dachte ich auch ich würde alleine hingehen müssen und dann, eine Woche vor dem Ball, fand ich einen Brief und einen Strauß Blumen in meinem Schließfach.
Ein Junge aus der Parallelklasse hat mich gefragt und ich bin gerne mit ihm hingegangen.
Außer seinem Namen kannte ich ihn nicht, aber er hat mich gelehrt, dass es wichtig ist, sich auf Menschen und Dinge einzulassen. Man muss verrückte, skurrile und fremde Sachen tun, um daraus zu lernen und erfahren.
Und es überrascht was man manchmal aus spontanen Entscheidungen filtert. Durch meine Bestätigung zum Beispiel fand ich in dem Jungen einen sehr guten Freund und Vertrauten und das bis heute noch.«
Sie stellt ihre Tasse zurück auf den Tisch und sieht einen Moment in die Ferne ehe ihre Augen auf mich zurück fallen.
»Irgendwo da draußen wird es auch einen Jungen für dich geben, Herzchen. Du darfst nur nicht nach ihm suchen.
Dein Herz allein wird ihn finden und es wird jemand sein, der dir im Großen vielleicht nie aufgefallen ist, aber dessen Kleinigkeiten ihn so detaillieren, dass du ihn nie wieder vergessen kannst. Es wird niemals ein Ideal sein, denn so jemanden gibt es nicht, aber gewisse Momente mit ihm, werden so perfekt sein, dass du sie nie ersetzen willst.
Sich zu verlieben ist magisch. Liebe berauscht dich, sie lässt dich Dinge spüren die immer in deiner Seele ruhten und sie wird dich beflügeln. Von jemandem geliebt zu werden ist wunderschön, warm und geborgen.
Viele Menschen vergessen das. Sie vergessen die Liebe und all diese schönen Dinge die sie bringt.
Menschen wollen nicht pflegen was sie schon haben sondern etwas neues.
Aber so funktioniert es nun mal nicht und irgendwann bricht dann auch das wärmste Gefühl.«
»Glauben Sie, dass Menschen sich deswegen trennen ?«
Gebannt schaue ich zu meinem Gegenüber und hänge mit einem Mal an ihren Lippen. Ich mag wie sie redet und die Sicht auf Dinge von anderen Menschen erklärt zu bekommen, interessiert mich.
»Ja, bei manchen ist es so. Und vielleicht wollen sie noch retten was sie einst hatten. Vielleicht wollen sie sich gar nicht trennen, aber irgendwann ist es einfach zu spät. Du kannst manche Dinge nicht wieder zum Leben erwecken, genauso wenig wie du Menschen vom Himmel zurück holen kannst.
Wir müssen lernen festzuhalten und auf gewisse Dinge von Beginn an Acht zu geben. Ansonsten müssen wir mit diversen Folgen rechnen, die meist noch mehr zerstören als beabsichtigt. Es ist traurig.«
»Da haben Sie recht, aber bisher muss ich mir deswegen keine Gedanken machen. Ich bin ein hoffnungsloser Single«, kichernd lockere ich die Stimmung und beginne die erste Runde auszulegen.
Dass ich es eigentlich gar nicht so lustig finde, ist ihr hoffentlich nicht aufgefallen.
Antworten tut sie jedenfalls nicht.
Die Zeit vergeht und wir spielen bloß stumm unsere Runden.
Es herrscht keine Spannung zwischen uns, ich weiß, dass alles im Reinen schwimmt.
Bloß unsere Gedankengänge würgen sich einem Gespräch ab, dass wir gezwungenermaßen schweigen. So ist es manchmal.
»Liebe kommt genau dann, wenn du es nicht erwartest, wenn du es nicht gebrauchen kannst, wenn es dich zusätzlich stresst und du nichts verstehst. Sie kommt so spontan wie ein Schauer Regen und lässt dich manchmal im Dunkeln stehen. Aber sie macht dich nie hoffnungslos, Kleines.«
Mit einem vielsagenden Blick streicht sie mir eine Strähne hinters Ohr und lächelt plötzlich so warm, dass es mich veranlasst zuversichtlich zu sein.
Mittlerweile ist die Sonne des Tages in der Nacht verschwunden und die Welt in alleiniges Schwarz getaucht.
Vor einigen Stunden kamen meine Eltern heim, aber das hat Ms. Olip und mich nicht davon abgehalten, weiterzuspielen.
So oft wie sie es geschafft hat ein Handrommé zu machen, musste ich Revanche fordern, bis wir zuletzt mit einem fairen Ausgleich geendet haben.
»Ich weiß ganz genau, dass gerade in diesem Moment ein Junge auf dieser kleinen Welt an dich im Detail denkt.«
Damit öffnet sie die Tür und lässt mich beinahe sprachlos hinaus.
Stumm aber fasziniert trete ich an die frische Luft und laufe die ersten Stufen hinab, ehe ich mich noch einmal umdrehe.
»Und ich weiß ganz genau, dass ich mir heute Abend die ganze Zeit den Kopf wegen diesem Satz zerbrechen werde.«
Sie lacht herzlich und schlägt sich amüsiert auf den Oberschenkel.
»Du bist mir so ähnlich, Engelchen. Ich war früher genau so und konnte gewisse Dinge einfach nicht glauben. Aber wer nicht glauben kann, der kann auch nicht wissen. Ganz einfach.«
Ich nicke und schenke ihr zuletzt ein dankbares Lächeln.
Es tat gut mit ihr geredet zu haben, auch wenn unser Gesprächsthema kaum geplant war.
»Dankeschön.«
»Nichts zu danken, ich habe das zu tun«
»Ich komme gerne, das wissen Sie doch. Schönen Abend noch.«
Mit einem tadelnden Blick laufe ich die Treppe wieder nach oben um die Rentnerin zu umarmen.
Sie hat mir für den Moment wirklich viele Selbstwertgefühle geschenkt, über die ich sehr dankbar bin.
So ein vertrautes Gespräch hat mir meine Woche wirklich verschönert.
»Dir auch, Schätzchen, schlaf gut.«
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