3«||Diverse Fragen und ein roter Lolli ||


Am nächsten Morgen bin ich entschlossen mich den schwarzen Diamanten zu stellen, die noch immer in mir fangen spielen.

Ich kann einfach nicht vergessen, wie er gestern den Bus betreten hat und ich nach zehn Jahren endlich mal ein drittes Gesicht auf dem Weg zur Schule gesehen habe.
Die Überraschung darüber fährt mir noch immer durch die Knochen und kribbelt sich durch meinen Körper.

Ich freue mich auf heute.
Es ist Freitag und eigentlich mag ich gerade diesen Tag nicht, weil wir die langweiligsten Fächer in der Schule haben, aber die Spannung auf ein Wiedersehen lässt meine Laune wie einen Ballon in die Luft steigen.
Ich bin neugierig und die Frage nach einer wiederholten Busfahrt regt mich an das Frühstück heute entfallen zu lassen und zwanzig Minuten früher an die Haltestelle zu laufen.

Unterkühlt steige ich nach der langen Wartezeit in den Bus und gehe diesmal mit einer schmalen Begrüßung einfach weiter.
Die Busfahrerin am Freitag ist eine sehr wortkarge Frau, die sich nicht gerne unterhält.
Sie fährt lieber Bus und ich kann ihr nicht verübeln, nicht mit mir reden zu wollen.
Darum setze ich mich ohne weitere Worte auf meinen Sitzplatz an der Tür und warte auf die nächste Haltestelle, an der er gestern tatsächlich den Bus hat stoppen lassen.

Ich werde nicht enttäuscht.
Gemächlich überquert der Fremde gerade die Straße als der Bus die Kurve passiert und wenige Meter vor ihm zum Stehen kommt.

Heute kann ich ihn sehen.
Erkennen, wer sich gestern unter der Kapuze versteckt hat und heute in einem einfachen Pullover in den Bus steigt.
Dunkelbraune Locken kräuseln sich auf seinem Kopf und die zusätzlich dunklen Wimpern und Augenbrauen umspielen seine Augen, dass er nicht nur wirklich gut und seriös sondern auch Respekt einflößend auftritt.
Sein Gesicht ist gemeißelt, die Lippen schmal und blass, dass sie perfekt in die Bräune kontrastieren.

Kurzweilig bin ich fasziniert, aber das hält nicht lange an, als der Fremde durch den Bus läuft und mit seiner schwarzen Jeans und dem hellen Pullover auf dem Sitz direkt hinter meinem platznimmt.

Meine Nackenhaare stellen sich bei einem warmen Luftzug, der durch den Bus zieht, auf und mit geschlossenen Augen atme ich den luftigen Duft von Pfirsich und einem weiteren edlen Geruch ein, den ich nicht genauer filtern kann.

Der Bus fährt weiter, aber meine Anspannung und Aufmerksamkeit dient dem Brennen an meinem Hinterkopf.
Sein Blick ruht auf mir und wie auch gestern sieht er nicht aus, als würde er das ändern.
Ein paar Mal drehe ich mich um, gehe sicher ob er mich immer noch beobachtet, und weil ich nicht noch einmal eine ganze Nacht über dieses Feuer, das meine Haut beschlägt, grübeln und fecheln will, drehe ich mich kurzerhand ganz um, lege meine Beine auf den Sitz neben mir und starre zurück.

Als ich mich nicht rühre, ebenso wenig wie er, hebt er nach einiger Zeit eine Augenbraue und lehnt sich mit einem undefinierbaren Ausdruck im Gesicht zurück.
Was er kann, kann ich schon lange, denke ich mir und muss mich hüten über diesen Kinderkram nicht zu lachen.
Irgendwie packt mich der Humor.

»Sitzt du immer da ?«

Seine dunkle Stimme kratzt mir entgegen und wirbelt in sanften Strömen durch meine Ohren.
Sie ist angenehm, man kann ihr gut zuhören, denke ich und könnte mir dafür wieder in die Hand kneifen.

»Ein Problem damit ?«, frage ich stumpf zurück und bin verwundert wie unsicher meine Stimme klingt. In meinem Kopf haben sich die besten Kommentare breit gemacht, die ich ihm gerne an den Kopf werfen würde, aber ich bleibe stumm.

»Lora, richtig ?«, fragt er ohne eine Antwort weiter und ich nicke.
»Und wie nennt man dich ?«
»Unterschiedlich, aber meistens Ryan«, erzählt er und ich brauche einen Moment um mir das sicher zu merken.

Meine erste Frage hat sich damit beantwortet.

»Bist du neu hier ? Ich habe dich noch nie vorher gesehen.«, frage ich weiter und kann meine Interesse kaum verbergen.
»Nein, ich wohne schon immer hier. Aber dich habe ich auch noch nie gesehen«, gesteht er und ich kann mich noch immer nicht rühren, wenn er mich so intensiv mustert.

»Kannst du bitte damit aufhören ?«, frage ich schließlich und klinge überhaupt nicht überzeugend.
»Womit ?« Mit einem selbstsicheren Schmunzeln verrät er, dass er genau weiß, worüber ich spreche.
»Es ist unhöflich fremde Menschen, einfach so anzustarren !«, patze ich und treffe damit nicht einen Nerv. Es scheint ihn nur zu belustigen. Einsicht oder Scham ist ihm fremd.

»Ich bin gerne unhöflich«, sagt er grinsend und wackelt mit den Augenbrauen, bevor er zu lachen beginnt.
Ich hasse es ausgelacht zu werden und das seine verlassenen Laute auch noch so angenehm und schön klingen, geht mir gehörig gegen den Strich.

»Schön für dich, es nervt trotzdem, also hör damit auf !«
So wie er aussieht, wird das noch eine sehr lange Diskussion, aber ich habe sie in meinem To -do Block notiert und an den halte ich mich schon seit Jahren strikt.
Dann werden wir eben diskutieren, hauptsache er hört am Ende damit auf. Mir stehen jetzt schon wortwörtlich die Haare zu Berge.

»Bitte.«
»Was ?«

Die Lachfalten in seinem Gesicht verwirren mich, dass ich mich nur abgelenkt seinen Worten widmen kann.
Wieso lacht er, wenn ich mich aufrege ? Sowas macht man auch nicht.

»Man sagt »Bitte« wenn man etwas möchte. Ansonsten ist das ebenso unhöflich wie mein Starren.«, erklärt er und grinst mir respektlos entgegen.

So gerade Zähne wie der hat, muss er früher eine Zahnklammer gehabt und Zahnärzte als Eltern haben, die ihn dazu zwingen sich jeden Abend fünf Minuten die Zähne zu putzen, denke ich brodelnd.

»Schön das du einsiehst, wie unverschämt dein Tun ist.«
Sein Lächeln wird wenn möglich noch breiter und ich kann förmlich spüren wie meine Nerven von Dannen ziehen.
»Warum so förmlich, Lolli ?«

»Lolli ?«
»Ja, du erinnerst mich gerade an einen Lollipop«, gesteht er und ich weiß ganz genau, wie rot ich gerade bin.
Ich wollte ihn doch nur auffordern, damit aufzuhören mich anzugaffen und keinen Spitznamen erhalten. Lolli.

Was an mir erinnert ihn bitte an einen Lutscher aus den kleinen Tante-Emma-Läden die es früher im Dorf gab ?

»Das braucht dich nicht verlegen machen, Lolli. Vor mir muss dir nichts peinlich sein.«
Er zwinkert einmal vertraut und meine Zornesröte schlägt bei ihm nur ein Lachen an.
Er nimmt mich nicht ernst.
Dieser Blödmann witzelt ungehalten über mich, als sei ich ein entlaufener Affe aus dem Zoo und keine Gleichaltrige.

»Hör auf damit ! Ich bin keins dieser Püppchen, die jetzt ihr schönstes Zahnpasta- Lächeln aufsetzen und sich geschmeichelt fühlen, so einen Namen bekommen zu haben.
Ich lasse mich nicht beschmutzen und bitte dich lediglich darum, endlich mit dem Gaffen aufzuhören, danke.«

Diesmal sitzt meine Stimme und klingt selbstbewusst und sauer. So wie ich es wollte.
Mit einem vernichtenden Blick drehe ich mich zurück und schaue starr aus dem Fenster. Hoffentlich hat er es jetzt verstanden.

»Da haben wir ja dein »Bitte««, flüstert er mir wenige Sekunden später ins Ohr und seine Körperwärme ummantelt mich so angenehm, dass ich drohe darin zu versinken, würde er sich nicht im selben Moment mit einem frechen Grinsen zurücklehnen.

»Arschloch.«

Er hat rein gar nichts verstanden.
Und ernst nimmt er mich auch nicht. Ich will wieder alleine Bus fahren.

»Glaub mir, diese Ansicht ändert sich.«, beharrt er und ich bin verwirrt.
Die Ansicht, dass er ein Arschloch ist oder die Ansicht, dass ich alleine Bus fahren will ?

»Ich denke nicht, dass man dir vertrauen, glauben oder gar zuhören sollte.«, murre ich und drehe meinen Blick beim Reden nicht in seine Richtung.
Ich will sein Gesicht nicht sehen, bei dem ich sicher sagen kann, dass es mich belustigt und keck beobachtet.

»Warum tust du es dann ? Du hörst mir zu, Lolli.«
»Dass ich es denke, heißt ja auch nicht, dass ich es weiß«, kontere ich und bin stolz darauf, dass er beeindruckt scheint.

»Du wirst es herausfinden.«, verspricht er nah an meinem Ohr und die Gänsehaut an meinem Körper ist auch dann nicht verschwunden, als der Bus an seinem Gymnasium hält und er sich Sekunden danach erhebt um auszusteigen.

»Und wann ?«, frage ich hinter ihm her und sehe gespannt in sein markantes Gesicht.
Seine Lippen ziert ein hämisches Lächeln, welches durchaus Freundlichkeit ausstrahlt.
»Wenn ich es dir bewiesen habe. Vertrauen kann man nicht ohne weiteres bekommen, Lolli.«

Er schultert seinen schwarzen Rucksack und wendet sich zum gehen ab.

Wenige Meter von der Bushaltestelle entfernt erkenne ich seine Freunde, die uns neugierig beobachten.

»Als ob du mein Vertrauen je bekommen würdest !«
Nicht, wenn er sich so arschig und blöd verhält. Das kann er schön wieder vergessen.
»Ich bekomme noch viel mehr !«, beharrt er und läuft rückwärts weiter.
»Ach ja ? Und was ?«

Ich sehe wie seine Lippen sich bewegen, wie er antwortet.
Aber die Türen des Busses schließen sich, ehe ich es auch höre und so bleibe ich erneut im Dunklen zurück.
Ärgerlich.
Ich wollte es wirklich hören.

Was glaubt er zu bekommen ?
Was bildet er sich ein ?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top