16«|| Remember, I said...||
Ich lächle als ich an den letzten Abend denke.
Eigentlich ist er nicht mal annähernd zum lachen. Der gesamte Mittwoch nicht.
Aber als wir während des Aufräumens lautstark zu Liedern von Post Malone sangen und wild durch das Haus tanzten nur um später, wie ausgehungerte Hunde, über Popcorn und Eis herzufallen, war die Welt doch wieder in Ordnung.
Die vielen vergossenen Tränen schienen mir sinnlos, während ich neben Stina saß und mir von ihrem chaotischen Nachmittag mit ihren Geschwistern erzählen ließ.
Die Traurigkeit des Tages, schien mir unnötig neben meiner Freude und dem vielen Gelächter und die Schnitte in meinen Armen ließen mich wieder egoistisch zusammensinken, als meine Eltern gestresst aber liebevoll von der Arbeit kamen und mir einen Kuss auf den Scheitel gaben.
Die Liebe, die mich gestern umgab, hat sich heute wieder ausgeschlafen und wie schon immer fühle ich mich ausgelaugt und gemixt mit Ruhe und Stress.
Die Verletzungen in meinen Armen lassen mich an mein Badezimmer denken zu dem ich den Schlüssel verloren habe und nur hoffen kann, dass meine Mutter nicht auf die Idee kommt, ihn zu suchen oder die Tür zu öffnen.
Genervt schmeiße ich einen meiner auf dem Boden liegenden BHs durch mein Zimmer und lasse ihn auf der Nachttischlampe neben meinem Bett liegen.
Ich weiß nicht wo ich den Schlüssel hingeschmissen habe und in den vielen Kleiderhaufen meines Zimmer ist er nirgends zu finden.
Vielleicht habe ich ihn versteckt und es vergessen, vielleicht liegt er aber auch im Flur herum oder ist aus dem Fenster geflogen.
Wo auch immer er ist, ich sollte ihn vor jemand anderem finden. Dringend.
Nachdem ich die Zeit, die ich morgens eigentlich zum Frühstücken nutze, der sinnlosen Suchaktion abbreche und mit meiner Handtasche die Treppe hinablaufe, höre ich meine Eltern schon von weitem.
Aus der Küche kichert meine Mutter und mein Vater sagt irgendetwas, ehe beide auflachen und dann verstummen.
Sie küssen sich verliebt, als ich an der Treppe abbiege und sie erwische.
Ein nicht vergessener Stich vereist in meiner Brust und so sehr ich meine Eltern auch liebe, sie so glücklich zu sehen und mich selbst täglich mehr zerbrochen, das schaffe ich nicht.
Mir meinen Thermosbecher mit Kakao schnappend, verlasse ich das Haus und ignoriere die »Tschüss« und »Viel Spaß in der Schule« Rufe hinter mir.
Ich sage ihn nichts. Kein Hallo, kein Tschüss, kein Ich liebe euch oder Bis später. Gar nichts, weil ich nicht kann. Mein Mund ist trocken und die Worte fühlen sich wie Gewichte an, die ich unter all dieser Schwäche nicht tragen kann.
Ich weiß, dass sie sich sorgen, weil ich so stumm geworden bin. Weil sie mich abends weinen hören und weil ich nicht mehr zum gemeinsamen Abendessen erscheine. Mehrmals saßen sie deswegen an meinem Bett und haben mich vor dem Einschlafen an ihr Dasein erinnert.
Aber sie sind nicht da. Ich habe es mir eingeredet, gesagt, dass sie im Notfall immer da sind, aber seit ich das letzte Mal auf Juan aufgepasst habe und sie wirklich brauchte, weiß ich, wie viele Dinge ich mir doch einbilde.
Von morgens bis abends arbeiten sie. An manchen Tagen sogar die Nacht durch und am Morgen schlafen sie dann. Meine Eltern sind nicht da, nicht ansprechbar, haben ihre Handys aus und nur manchmal, manchmal sitzen wir gemeinsam am Tisch und unterhalten uns über ihre anstrengenden Tage. Obwohl, nein, nicht einmal dann, denn sie haben Schweigepflicht.
Eltern behaupten immer, dass sie dich lieben. Aber auf welche Weise beweisen sie es dir ?
Mit Geld, mit einem Kuss am Abend und das wars ?
Reicht das ?
Ich weiß, dass es mir nicht reicht. Dass ich auf dieses Geld verzichten würde, nur, um sie einen einzigen Tag für mich zu haben. Aber es ist Jahre her, dass wir Sonntags mal beisammen waren ohne nicht mindestens zwei mal von Anrufen unterbrochen zu werden.
Und ich weiß, dass sie ihre Telefone nicht ausschalten dürfen, in jeder Sekunde könnte es um den Tod gehen, um einen Notfall. Aber ist es wirklich egoistisch, wenn ich mich als Tochter einmal nach meinen Eltern sehne und nicht nach den Ärzten ?
Ist es egoistisch sie für meine Angst verantwortlich zu machen ?
Liegt es nicht an mir ?
Ich bin zerrissen, als ich unsere Einfahrt hinab zur Straße laufe und bibbernd feststellen muss, wie kalt es heute ist. Über Nacht scheint es geregnet zu haben, der Boden ist glatt und kleine Eiszapfen hängen am Vordach des Hauses hinab.
Vorsichtig zur Bushaltestelle laufend, stecke ich meine Hände in die Jackentasche und ziehe meinen Schal bis hoch ins Gesicht. Die Kälte reißt mir meine Haut auf und ich ärgere mich, meine Handcreme zuhause vergessen zu haben.
Die Wände des Bushäuschens sind vereist. Wilde Muster zieren die Glasscheiben und lassen sich von meinem Fingernagel wegkratzen.
Als der Bus vor meiner Nase hält, wische ich eilig das Ryan unlesbar und steige dann in den Schulbus.
»Hallo, Lorla !«
Juan sitzt auf dem Einzelplatz neben seinem Großvater und über diesen Anblick bin ich nicht wirklich verwundert.
Über die Jahre hinweg kam es nicht oft vor, aber ab und zu mal, dass Juan auf diesem Wege zum Kindergarten gebracht wurde, weil Julia krank oder gar nicht zur Arbeit musste und endlich einmal Ruhe von ihrem Beruf bekam.
Mr. Gilson schuldet mir also keine Erklärung, als ich den Wirbelwind neben ihm entdecke und mit einem Kuss begrüße. Freundlich wartet der Busfahrer noch einen Moment bis ich auf meinem Lieblingsplatz sitze, ehe er anfährt und ich mich in den Sitz zurück lehne.
Wird Ryan wohl auch gleich einsteigen ?
Ein kleiner Funken in mir hofft sehnlichst ihn wiederzusehen.
Über eine Woche ist es her und seit Samstag schleppe ich es vor mir er, mit ihm zu reden.
Ich weiche ihm aus, schwänze dafür sogar die Schule oder bleibe extra lange, um nicht zeitgleich mit ihm Schulschluss zu haben.
Ich benehme mich schlimmer als ein Kind und die Unsicherheit spricht mir in jeder Sekunde des Mutes ins Gewissen, dass ich keine Chance habe.
Ich sollte mir von diesem Gespräch sowieso nichts erhoffen, Ryan würde sich doch niemals verlieben. Er könnte jedes Mädchen haben, er ist der Schwarm von seinen aber auch meinen Mitschülerinnen, und es ist wundersam, dass er auch nur ein Wort mit mir geredet hat.
Es ist unmöglich, denke ich.
Ich zucke zusammen, als es in meinen Händen zu vibrieren beginnt und die Melodie von Fairytale durch den Bus dudelt.
Shrek hat mich durch meine Kindheit begleitet und ich schulde der wunderschönen Klaviermusik meinen tiefsten Dank, es bis hier hin mit meiste schönen Träumen geschafft zu haben.
Ich erwarte Stina oder meine Mum, die mich anrufen, weil ich etwas vergessen habe oder sie mir dringend etwas erzählen müssen, aber der angezeigte Name löst viel mehr in mir aus, als je ein anderer.
Es ist Ryan und ich kann nicht erklären, wieso ich mich über seinen Anruf freue. Es könnte um alles gehen.
»Hallo ?«
Zögernd nehme ich an, kläglich versuchend neutral zu klingen.
»Lora, endlich !«
Er klingt gestresst, eine Autotür schlägt im Hintergrund zu und seinen hitzigen Herzschlag höre ich bis durch die Leitung.
»Hör mir zu, du hast da was falsch verstanden, du...«
Motorgeräusche unterbrechen seinen Redefluss, bei dem ich Schwierigkeiten habe zuzuhören.
Er klingt, als hätte er es eilig und dringend nötig zu reden. Aber worüber ?
Als er nach einer Pause nicht fortfährt, was genau ich falsch verstanden habe, ergreife ich die Initiative um diese Peinlichkeit so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Je schneller er es mir sagt, desto mehr Zeit habe ich zum weinen, ehe ich aussteigen und für Stina lächeln muss.
»Ist schon gut, Ryan, ich dachte an dem Abend bloß, du würdest es auch spüren, diese kleinen Sternchen über unseren Köpfen, dieses aufregende Kribbeln und die Spannung. Aber mir ist klar geworden, wie anhänglich ich gewesen sein muss und wie nervig das für dich war. Es war nie meine Absicht, es ist einfach passiert, und es tut mir leid, falls du da jemand anderes hast. Ich wollte unsere Freundschaft nicht gefährden.«
Diese Worte an diese eine Person auszusprechen fällt mir schwerer als erwartet, aber während die Last von mir abfällt merke ich, wie notwendig sie doch waren.
Ich habe sie so lange mit mir herumgeschleppt.
»Nein, Lora, ich... ich wollte nie eine Freundschaft !«
Hitzig und beinahe harsch murmelt er in den Hörer und schnürt den Knoten um mein Herz immer weiter zu. Er wollte nie eine Freundschaft, hat mich nie als eine Freundin gesehen, nur als Zeitvertreib. Ich hatte also recht ?
»Aber warum dann diese viele Zeit zusammen, warum warst du so nett zu mir ? Wieso ?«
Ich spüre die Tränen meine Wange hinabfallen und sich dort dickflüssig absetzen, als seien sie Blut. Es so direkt zu hören, ist schlimmer, als sich eine Klinge in den Hals zu stecken und ich wünschte, ich hätte es gestern einfach getan. Wie schrecklich hätte es schon sein müssen ?
Wem wäre es überhaupt aufgefallen ? Vielleicht JC.
»Weil ich verliebt bin, hörst du ? Seit dem ersten Tag, bin ich verliebt und ich wollte immer mehr als Freundschaft ! Du bist einfach nicht -«
Die Richtige ?
Jemand in dem ich mehr sehe ?
Wichtig ?
Nennenswert ?
Ich soll nie erfahren, was ich einfach nicht bin.
Mit einem heftigen Stoß werde ich aus meinem Sitz gestoßen und fliege über sie Sicherheitsstange an meinem Sitz quer durch den Bus.
Mit einem ächtzenden Stoß fliegt mein Körper gegen die geschlossenen Türen und es knackt an meinem Rücken, als ich von rechts nach links immer heftiger gegen die Wände schlittere.
Mein Kopf stößt gegen eine metallene Stange und die Glasscheibe, die einen Zweiersitzplatz von der Tür trennen, bekommt einen gefährlichen Riss als ich immer wieder gegen sie geschleudert werde.
Der gesamte Bus scheint unkontrolliert über die Straße zu schlittern und mir wird erschütternd schwindelig, als ich den kreischenden Schrei Juans höre.
Der Bus stößt gegen die Leitplanke einer gefährlichen Kurve und durch die Scheibe der Tür, kann ich sehen wie das Metall bricht und der Bus den tiefen Abhang hinabstößt.
Wir überschlagen uns.
Wie eine Puppe fliegt mein Körper durch die Luft und ich spüre wie das Blut an einer Wunde von meiner Stirn hinabtröpfelt.
Mir wird schwindelig.
Ich kann nicht sehen, wo genau ich mich befinde, wo unten oder oben ist und wir immer schneller dreht sich die Erde, dass ich mehrmals an Bewusstsein verliere.
Mein Arm schmerzt und meine Füße fühle sich so taub an, dass ich es nirgends schaffe mich festzuhalten. Aus der Ferne kreischt jemand, aber meine Sinne spielen verrückt, als das ich unterscheiden könnte.
Was geschieht mit mir ?
Was geschieht mit dem Bus ?
Scheiben brechen, Laub wirbelt auf und erschrockenes Ächzen tönt von weiter vorne.
Bäume trümmern an meinen erschrockenen Augen vorbei aber ehe ich fassen kann, fliege ich wieder durch die Luft und lasse mich wie einen Basketball hin und her prellen.
Mein Rücken kracht gegen eine Rückenlehne und meine Füße blieben verdreht in einer Lücke stecken, während mein Oberkörper gegen eine Kante stößt und mein Kopf zu Boden geht.
Schweiß bricht in mir aus.
Schmerzen fahren durch meine Glieder, aber zum schreien fehlt mir jegliche Kraft.
Zum Atmen bleibt mir keine Sekunde. Kaum atme ich aus und versuche Luft zu schnappen, wirble ich schon wieder in eine andere Richtung und lasse mich in die Scherben der zerbrochenen Scheiben werfen.
Meine Haut reißt auf.
Scherben schneiden und lassen mich in meinem eigenen Blut baden, während mein Körper sich ausknocken lässt.
Es rauscht in meinen Ohren und was genau vor sich geht, habe ich längst vergessen.
Mein Körper hat keine Chance sich zu sammeln. Ständig knackt es unangenehm und außer den Schmerzen nehme ich nichts anderes mehr wahr.
War doch eben noch alles in Ordnung, so drohe ich jetzt dem Tod zum Opfer zu fallen und ich weiß, dass es so ist.
Während ich noch immer durch die Luft wirble, versuche ich nachzudenken, was um mich herum passiert. Was mit mir passiert und warum ich nicht mehr als diese bedrohliche Schwärze sehe. Ist es wieder die Angst ?
Nein, diese Finsternis ist schlimmer. Sie ist ertränkend, einnehmend und furchtlos.
Sie lacht nicht, das würde ich nicht hören. Ihre Stille, ihr friedlicher Eindruck, macht sie bedrohlich und ich versuche kläglich meinen Körper zu kontrollieren um ihr zu entweichen.
Mein Kopf speilt nicht mit. Alles was er steuerte funktioniert nicht mehr. Ich rieche nicht mehr, schmecke bloß die widerliche Trockenheit und Dürre. Meine Lippen zittern so stark, dass ich es nicht schaffe Luft zu holen und meine Ohren haben ihren eigenen Herzschlag, dass sich die Welt mehr dreht, als ich dachte sie könnte es je.
Meine Augen flattern umher. Verlieren ihren Fokus und ich kann nicht mehr unter Farbe und der Schwärze unterscheiden.
Wo war ich doch gleich ?
Es ist egal, als sich etwas spitzes in meinen Rücken bohrt und gleichzeitig eine Kante gegen meinen Brustkorb drückt, dass ich keine Chance gegen mein sich überschlagendes Herz habe.
Ich vergesse. Details lässt mein Gehirn fallen, als mein Kopf erneut gehen einen Sitz knallt und mir Pünktchen vor der Sicht tänzeln.
Sie lachen mich an und ich lache mit ihnen, während ich ein letztes Mal mit einem übermannenden Heftigkeit gegen eine andere Wand knalle und dort zusammensacke.
Meine Augen verdrehen sich in zwei verschiedene Richtungen, aber meine Sicht verklärt sich sowieso.
Die so friedliche Finsternis macht mir keine Angst mehr und ich bin entzückt, als sie mich verschluckt.
Wieso habe ich mich nicht gleich fallen lassen ?
Es ist schön hier. Dunkel, warm und vergessend.
Wer war noch einmal Ryan ?
Lustig, ich weiß es nicht mehr.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top