12«|| Von Tintenflecken, Ryan und der Liebe||
Die nächsten Wochen verfliegen wie Regentropfen im Wind.
Tage so leicht, dass man sie in der Menge verliert. Sie vertrocknen, geraten in Vergessenheit, aber aufhören zu lieben tut man sie nicht, denn irgendwann kommen sie wieder.
Die Vorbereitungen für unseren Schulball laufen mittlerweile auf Hochtouren und in bald zwei Wochen wird unsere Turnhalle eine zweite Welt werden.
Die Rosen aus Plastikfolie liegen in einer Vielzahl im Werkraum der Schule und glitzern dort, bis zu ihrem Einsatz, vor sich hin.
Das Essen ist bestellt und es gibt diverse Eltern und Freiwillige, die für das Süßebuffet Kuchen oder Muffins backen wollen.
Ich lächle, wenn ich unsere Pläne lese und die Zeichnungen der Turnhalle ansehe, und ich bin fest davon überzeugt, dass alles wunderschön sein wird.
Dass die Vorbereitungen so gut laufen, verzeiht mir auch die Tatsache, dass mich noch immer niemand gefragt hat, ob ich mit ihm zum Ball gehen möchte und bald bin ich die Einzige, die noch immer kein Date für den Abend hat.
Stina schwärmt mir täglich vor, wie überraschend und nett Bill sie gefragt hat, der es hoffentlich endlich verstanden hat, und wie schön sie es findet, dass er wohl doch an ihr interessiert scheint.
Sehe ich sie, dann hält sie Blickkontakt mit ihm und himmelt ihn, wie eine Irre, über den ganzen Schulhof hinweg an.
Ich gönne es ihr. Seit ich sie kenne, ist sie in ihn verliebt und trotz ihrer vielen Anbeter, gab es in ihren Augen nur Bill. Ich freue mich über ihr Glück, aber ein winziger Hauch von Eifersucht schwimmt doch in meinem Magen, wenn ich sie mit diesen Herzchen in den Augen sehe.
Den einzigen Trost spenden mir meine Gedanken an Ryan.
Sehe ich ihn vor meinen Augen, dann scheint mir die Welt ein kleines bisschen heiler zu werden und lacht er mich an, dann ist sie perfekt.
Jeden Morgen und beinahe jeden Mittag fahren wir zusammen mit dem Bus und unterhalten uns über die Belangen unseres Lebens.
Mein Magen kribbelt aufgeregt, wenn der Schultag sich dem Ende neigt oder wenn morgens der Wecker klingelt, und er scheint zu platzen wenn ich mich wie jeden Morgen auf den Sitz in der Mitte des Busses setze und darauf warte, dass er in der nächsten Kurve dazu steigt.
Mit Ryan ist es immer lustig.
Selbst wenn der Tag ein mieser Verräter war, habe ich gen Ende immer etwas zu lachen und das Busfahren hat mir noch nie so viel Spaß gemacht, wie jetzt.
Es ist so einfach neben ihm, so unkompliziert und warm und geborgen, dass ich den Tagen nichts anderes als den Lockenkopf abverlange um glücklich zu sein.
Meine Tage drehen sich nur noch um ihn und das scheint nicht nur Stina mehr als deutlich aufzufallen.
Sie fragt mich täglich über Ryan aus, verlangt nach Bildern und Details und ich könnte sie zutexten mit den Träumen, die
ich nachts habe, aber ich lasse es bleiben. Das sie anscheinend nicht hingesehen hat, als er im Summerbrelly neben mir an der Kasse stand, kommt mir eben zugute und wegen der so misslichen Lage zwischen Ryan und mir, sehe ich keinen Grund ihr von ihm zu erzählen.
Wir sind Freunde, nach den letzten vier Wochen kann man uns durchaus so nennen. Aber sehen wir mehr ineinander ? Was ist mit den Glühwürmchen in meinem Bauch ?
Ich weiß, dass es sie gibt und ich weiß, dass sie nicht in der Nacht strahlen, sondern immer dann, wenn Ryan direkt neben mir ist.
Sie sterben, wenn er geht. Sie verdunkeln, wenn er sich abwendet und sie weinen, wenn er auf dem Schulhof ein fremdes Mädchen umarmt.
Was also ist das zwischen uns ?
Ein Spiel ?
All seine Umarmungen ? All seine mutenden Worte ? Diese qualvoll schöne Nähe ? Ein Spiel.
»Weißt du eigentlich, wie blöd du bist ?«
Stina boxt mir in die Seite und stößt mich damit aus meinen, mich selbst nervenden, Selbstzweifeln.
Die vollgeschriebene Heftseite ziert seinen Namen und ich merke viel zu spät, dass ich in meinen Gedanken wohl versucht habe Matheaufgaben zu lösen.
»Da glaube ich, du hättest nach all den Wochen mal wieder den Faden in der Hand und warte bis du den Stift nieder legst, damit ich gänzlich vergleichen kann und dann steht da einfach »Ryan« und zwar genau siebenundfünfzig mal.«
Tadelnd legt sie ihren Füller auf die leere Seite und verrät sich damit selbst. Von wegen vergleichen.
»Du machst deine Spinnereien aber echt nicht unauffällig.«, schmunzelt sie und schnippst Tatjana neben mir gegen den Kopf, dass diese sich mit einem empörten Blick von meinem Heft abwendet und in ihr eigenes schaut.
Ich schüttle verloren den Kopf.
So verwirrt und in dem Loch stehend, werde ich bis Weihnachten niemals noch eine einzige Aufgabe in mein Heft rechnen. Es ist wohl mehr als deutlich, wer mich ablenkt und ich würde Ryan gerne dafür hassen, aber das kann ich nicht.
»Wer ist Ryan ?«, kommt es gleich von der nächsten Nachbarin und stöhnend klappe ich mein Heft zu. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
»Ein Bekannter von Lora und er geht dich gar nichts an.«, erklärt Stina für mich und reckt vor der Brünette arrogant die Nase in die Höhe.
Suse ist als Klatschtante an der Schule bekannt. Gerüchte, die durch die Schule kurieren, stammen ursprünglich immer von ihr und weil sie ihre Nase wirklich überall hinein steckt und keine Grenzen kennt, macht ihr schamloses Verhalten sie dermaßen unsympathisch.
»Geht er auf unsere Schule ?«
Tatjana klinkt sich zurück in das Gespräch ein und ich würde meinen Kopf liebend gern auf den Tisch schlagen, so unangenehm ist mir diese Situation.
Wieso musste Mrs. Traveller denn genau jetzt Arbeitsblätter kopieren gehen ?
»Nein.«, murmle ich knapp und reiße mein Matheheft kurzerhand in der Mitte durch.
Die letzten Tage haben mir wirklich genug Unglück gebracht, bei all meiner guten Laune. Ich bin komplett durch den Wind.
»Aber wir reden hier nicht von Ryan Davis vom Billberry, oder ?«, fragt Tatjana ungehalten weier und mir gefällt der Unterton in ihrer Stimme nicht. Woher kennt sie ihn bitte ?
»Echt jetzt, Lora, Ryan Davis ist dein Freund ?!«
Suse nimmt wie immer jedes Wort in den falschen Mund und ich kann mich jetzt schon auf die größten Geschichten gefasst machen, die man über mich erzählen wird. Mir wird schlecht. Dabei sind Ryan und ich doch nur Freunde. Bis jetzt.
»Halt deine Schnauze, Suse !«, fährt Stina sie in der selben Sekunde garstig an und ich danke für ihr Selbstbewusstsein und diese Schlagfertigkeit.
»Das war doch nur eine Frage.«
»Ja, und wir wissen alle wo die Antworten bei Dir landen. Du bist tot, wenn du jemandem davon erzählst, hörst du ? Mausetot !«
Ich halte Stina am Arm zurück, die drohend aufsteht, als Suse ihr frech die Zunge rausstreckt. Stinas Augen leuchten lüstern auf und gerade gibt es viele, die sich nicht mehr mit meiner Freundin anlegen wollen. Einschließlich mir selbst.
»Stina, beruhige dich, und Suse, bitte, du hast da was falsch verstanden.«, argumentiere ich weniger laut und sehe sie flehend an, sich abzuwenden, damit Stina nicht doch noch ihre Hand ausrutschen lässt. Ich weiß, wie das für die falsche Seite ausgeht.
»Ms. Rivelle, kann ich Ihnen helfen ?«
Die Stimme unserer Mathelehrerin kommt mir gerade recht und als ich glaube, Stina würde ihr Temperament für die letzten Minuten hinunterfahren, erlebe ich ein täuschendes Wunder.
»Tatsächlich Mrs. Traveller, das können Sie. Entschuldigen Sie uns.«
Mit diesen Worten schnappt sie sich ihre Tasche und zieht mich hinter sich her auf die Beine.
Mit dem zerrissenen Heft in der Hand, schiebt sie mich an der anderen aus dem Klassenraum und bewegt sich Richtung Ausgang.
Sprachlos löse ich mich nach wenigen Metern von ihr und laufe neben ihr her, sie wunderlich ansehend.
»Entschuldige, aber Suse hat mich einfach nur genervt.«, erklärt sie sich und ich nicke verstehend. Ich finde sie auch sehr anstrengend und das gerade war noch harmlos.
»Sie versteht eben alles falsch.«, murmle ich und trotte neben ihr her zu unseren Spinden.
In fünf Minuten hätten wir beide sowieso Schulschluss.
»Weist du, Lora, auch wenn sie nervt, ihre Frage macht auch mich total neugierig und ich kann dich nicht immer beschützen !«
Mit verschränkten Armen lehnt sie sich gegen die Wand, während ich mein blaues Schließfach öffne und meine Schultasche lehre.
»Deine Abwesenheit ist wirklich tödlich süß, aber wenn du doch so von ihm schwärmst, wieso fällt es dir so schwer es einzusehen.«
»Was soll ich denn einsehen, Stina ? Ich kenne ihn doch erst seit einem Monat. Und okay, wir fahren jeden Morgen mit dem Bus zusammen und okay, wir lachen viel und okay, wir flirten ganz offensichtlich miteinander. Aber außer Wangenküsschen und Umarmungen ist da nichts.«
»Aber ich sehe doch, wie du ihn in Gedanken anhimmelst, wieso sagst du es ihm dann nicht einfach !«
Sie scheint verzweifelt und übersieht mein mangelndes Selbstbewusstsein um genau das tun zu können.
Ich kann das nicht.
Einfach auf einen Typen zugehen und ihm sagen, dass ich mich in ihn verliebt habe. Ich kann ihm nicht sagen, dass ich an nichts anders mehr denke und auch nicht, dass mich Gefühle übermannen die furchtbar komisch sind, wenn er geht oder da ist.
Ich traue mich nicht diesen Schritt zu wagen, obwohl ich weiß, das mein Herz genau das will. Diese Liebe am ganzen Körper spüren. Darin leben. Sie offiziell.
»Weil das doch komplett irre ist ! Wie kann ich verliebt sein und wie sollte er das erwidern ? Auf mich steht doch keiner !«, protestiere ich und raufe mir durch die Haare.
»Wenn du damit weiterlebst, dann erst recht nicht ! Red doch keinen Quatsch, Lora, natürlich kann er sich in dich verlieben und allein schon, dass er für dich Bus fährt, zeigt doch, dass er mehr will.«, widerspricht sie und ändert damit rein gar nichts. Ich würde ihr so gerne glauben, aber ich schaffe es nicht.
»Lora, ich kenne ihn nicht, kann nicht beurteilen wie er so ist und was ihn so besonders macht, aber wenn du dich so verknallt hast und sogar die Schusseltanten in der Klasse ihn kennen, dann sag es ihm lieber früher als später.«, rät sie und schließt für mich den Spind, um weiter gehen zu können.
Es klingelt, als wir am Schultor stehen und als wir die Treppen des Schulgebäudes hinabtreten, füllt sich der Schulhof mehr und mehr mit drängenden Schülern, die kichernd schnell in ihre Autos steigen.
»Wo wollen die denn alle hin ?«, fragt Stina auch meine Frage und bekommt sie von einer fünftklässlerin beantwortet, die an uns vorbeirennt und uns anrempelt.
»Wir brauchen unbedingt einen Platz bei dem Fußballspiel !«, stammelt sie außer Atem und hat Glück, dass sie Stina damit mehr oder weniger geholfen hat, das gleicht ihr Ungeschick aus.
»Perfekt.«, murmelt meine Freundin und beginnt schelmisch zu Grinsen.
»Spielt dein Ryan nicht auch Fußball ?« Ich nicke und weiß worauf sie hinaus will.
»Du hast gewonnen.«, gebe ich klein bei und freudig quietschend hüpft Stina einmal im Kreis, dass ihre Haare verrückt aufwirbeln.
Ich lächle sie amüsiert an, ehe ich der Aufmerksamkeit wegen ihre Hand ergreife und sie mit mir in Richtung Billberry Gymnasium ziehe.
Die Tribünen sind voller Menschen. Die gesamten Schüler der Gymnasien finden sich auf den unzähligen Bänken rund ums Spielfeld wieder und viele müssen stehen, weil auch Schüler aus umliegenden Schulen, die heute auch eine Mannschaft anfeuern, dabei sind.
»Bor, dass ist ka proppen voll.«, stellt Stina fest und bequemt sich in die letzte Reihe hinter dem Tor.
Von hier aus könnte man gut das Spielfeld überblicken, würde nicht ausgerechnet vor meiner Nase Suse mit Tatjana, Olivia und Claire sitzen, die mir die Sicht mit ihrem gebastelten Plakat versperren.
Meine Augen runden sich, als ich seinen Namen darauf lese und als würde das Schicksal mit ärgern wollen, sticht sein Name auch in der umliegenden Menge wie Neongelb in mein Auge.
»Ryan«, auf den Plakaten der Fans steht Ryan und überall kichern die Mädchen darüber. Sie kennen ihn, sie sind wegen ihm hier und sind vielleicht, genauso wie ich, in ihn verliebt.
Und da spüre ich diesen Stich in meinem Herzen. Dieser unerträgliche, schneidende, spitze Schmerz, der mich wieder auf meine Jacke starren lässt, ob sich dort nicht ein Blutfleck ausbreitet.
Aber es ist kein Blut, was mir dort aus dem Verstand fällt. Es ist nichts was man farbig sehen könnte, nur an meinem Blick kann man es sehen, wie ich seinen Namen anstarre, wie ich ihn auffresse, weil ich so eifersüchtig bin.
Es ist Eifersucht, nichts anderes.
»Ahhhh«
Das unerträglich schrille Geschrei von Claire reißt mich aus meinen Gedanken und als würde das Schicksal mich hassen, kommt Ryan gerade in diesem Moment aus der Spielerkabine und sieht sich um.
Tobendes Geschrei flieht durch die Menge und Mädchen um mich herum, seufzten verliebt auf, was meine Laune in keinster Weise hebt.
»Ist er das, Lora ?« Stina flüstert und nimmt mein Nicken hin.
»Der ist ja richtig süß.«, kommentiert sie kichernd und bemerkt zu spät, wie schlecht mir wird, wenn sie ihn so angafft und lobt.
Ich weiß, dass er süß und hübsch und heiß und stark und schlau ist.
Er ist all das, der Traum eines jeden Mädchens, mein Traum, und ich bin lange nicht die Einzige die für ihn fällt.
»Stina, guck dir das an, all diese hübschen Mädchen gaffen ihn an, er könnte jede haben, was also habe ich Stubenfliege hier zu suchen ? Das ertrage ich nicht.«, sage ich missmutig und bin den Tränen nahe, als Tatjana das Plakat in die Luft reißt und seinen Namen zu schreien beginnt.
»Lora, du brauchst keine Angst haben, dieser Typ gehört sowas von Dir, guck ihn dir an, er interessiert sich nicht für die Menge, sieht sich nur um.«
Stina deutet auf Ryan, der mit einer komplett neutralen Miene am Spielfeldrand steht und durch die Zuschauerreihen spät.
»Er genießt diesen Jubel nicht, Lora, du hast dir schon den Richtigen ausgesucht.« Aufmunternd stößt sie mir in die Seite und fügt mir ein Lächeln hinzu.
»Ich muss ihn nur noch kennenlernen und ihm die Regeln erklären, wer meine Freundin will, muss erst einen Test bestehen.«, erklärt sie mehr zu sich selbst und kichert über ihren Blödsinn.
Ich wende mich wieder ab, rolle mit den Augen und sehe zurück zum Spielfeld, mitten in zwei schwarze Diamanten.
Wir starren uns an und die pochende Eifersucht findet ihren Frieden, als er sich nicht zu abwenden versucht. Wie festgefroren verharre ich in der Bewegung und minutenlang sehen wir uns, die Menge ignorierend, tief in die Augen. Und ich falle, spüre diese Luft, die das Nichts um mich füllt, bis da nur noch er und ich sind.
»Yas !«, triumphiert Stina neben mir und hüpft auf ihrem Sitzplatz herum. Ich weiß nicht was sie hat, spüre nur das die Diamanten immer schärfer, immer größer werden und immer näher kommen, bis sie mir mitten ins Herz treffen.
»Das Spiel geht los.«
Stina boxt mir in die Seite und scheint gar nicht mitbekommen zu haben, wie intensiv der Lockenkopf und ich uns gemustert haben. Nur mein Herz bestätigt mir, dass ich nicht träume und das ich kurz davor bin zu kollabieren.
Ein Pfiff springt über das Spielfeld und mich danach umsehend, fällt mein Blick auf den mittlerweile gefüllten Sportplatz. Auf dem Rasen stehen sich schwarze und weiße Trikotträger gegenüber und mich nach der Nummer Acht umsehend, verfolge ich genannt das Spiel.
Die Gegner des Billberry sind gut.
Immer wieder fallen präzise Tore und der Applaus der Nachbarschule triumphiert.
Aber gegen die schwarzen Schüler des Billberrys haben sie keine Chance. In der Halbzeit steht es bereits eins zu zwei für Ryans Mannschaft und das Geschrei der Heimmannschaft kann niemand übertönen. Kreischend werden Spielernamen gerufen, die vier Mädchen vor mir rufen nicht nur einmal mit voller Lautstärke Ryans Namen und als wäre das nicht genug, bekomme ich ausgerechnet vom drei zu eins nichts mit, weil seine verliebten Fans in die Luft springen und ohne Hemmungen
»Wir lieben dich !« in die Luft schreien.
Ich weiß nicht, wie sehr er diese Worte genießt. Lächelt er gerade ?
Wird er sich später bei Suse und Tatjana bedanken ? Wird er sie ansprechen, womöglich die Liebe erwidern ?
Die so plötzliche Erkenntnis meiner eigenen Gefühle, findet Zweifel an allen Ecken und sogar Dinge, die ich mir vorher nie vorstellen konnte, werden, aus meiner Unsicherheit heraus, real.
Ich kann mir alles vorstellen und wieder keimt ein Stich in meiner Brust in die Höhe und verbreitet sich wie ein Tintenfleck.
Ich möchte nicht, dass Ryan diese Worte dermaßen genießt, obwohl er den Ruhm natürlich verdient hat, wenn er ein Tor schießt.
Ich möchte nicht, dass er anderen Mädchen seine Liebe gesteht und ich weiß, wie unmöglich diese Gefühle eigentlich sind.
Ich habe kein Recht Eifersucht zu verspüren, aber es gibt Dinge die kann ein Mensch einfach nicht kontrollieren, egal wie egoistisch sie sind.
»Komm schon, komm schon.«
Belustigt sehe ich zu meiner Freundin, die ihren Schal zwischen die Zähne genommen hat und verkniffen dem Spiel entgegenfiebert.
Ihr roter Lippenstift verfängt sich am Stoff und es ignorierend lache ich sie an und folge dann ihrem Blick.
Das Spiel ist beinahe vorbei, die Laune der Gegner scheint sich gelegt zu haben und mich kaum mehr interessierend, verfolge ich bloß Ryan bei jedem seiner Schritte.
Er macht mich nachdenklich und die vielen Stunden, die wir die letzten Tage miteinander verbracht haben, mischen sich in meinem Bewusstsein hoch.
Ryan und ich, als wir vor zwei Wochen nach der Schule in Winterjacken auf den Liegestühlen in seinem Garten saßen und uns gegenseitig ziemlich schlechte Witze erzählt haben.
Ryan und ich, wie wir beide Tage später im Summerbrelly saßen und uns eine Eisschokolade geteilt haben, weil wir unser Geld vergessen hatten, um für zwei bezahlen zu können.
Er und ich, wie wir vor einer Woche abends auf der Motorhaube seines Autos lagen und den Sternenhimmel bewundert haben, während hinter uns die Autos auf der Autobahn entlang brausten.
Auf Raststätten den Abend zu verbringen mag ziemlich unschön klingen, aber die brummende Ruhe und die so klare Nacht, waren romantischer als jedes Date mit fünf Sternen.
Natürlich war es offiziell kein Date, ich weiß nicht, was es war.
Bloß, dass es schön war, ist mir hängen geblieben.
»Gewonnen !«, jubelt Stina und steht mit der Menge von der Tribüne auf um zu klatschen.
Ich bin zu benommen um mit feiern zu können und wie ich wenige Minuten später auf dem Parkplatz der Schule gelandet bin, ist mir unklar.
»So und jetzt muss ich ihn kennenlernen.«, besteht Stina und beobachtet die Menge die sich zu teilen beginnt. Zuschauer steigen in ihre Autos, andere laufen nach Hause und Fans der Nachbarschule sehe ich schon nach wenigen Minuten keine mehr. Nach einem drei zu null, hat man auch nicht groß zu feiern.
»Dann müssen wir wohl warten.«, stelle ich fest und diesmal bin ich es, die sie mitzieht und das bis zu dem schönen schwarzen Zweisitzer in dem ich die letzten Tagen einiges erlebt habe. Diverse Worte und Gefühle sind unter dem Gedudel des Radios gefallen und Ryans Autofahrten sind Karaoke mit sehr niedrigem Niveau.
Mit schönem Gesang hat man uns nämlich beide nicht gesegnet und bei Liedern von Ariana Grande klingen wir dementsprechend grässlich, um es noch nett auszudrücken.
»Ist das sein Wagen ?«
Ohne zu zögern setze ich mich auf den schwarzen Lack und hocke mich in den Schneidersitz, während Stina kritisch aber belustigt das Autokennzeichen studiert.
»Ja, dass ist Ryans Wagen.«
»Schick, der Typ wird mir immer sympathischer.«
Sie klingt wie ein Lehrer, der ironisch seine Brille hochschiebt und die Nase rümpft, weil er seine lobenden Worte nicht im geringsten so meint. Ich bin mir allerdings sicher, dass Stina gerne einmal mitfahren würde. Sie mag Autos und in der Hoffnung bald einen Audi von ihren Eltern geschenkt zu bekommen, lebt sie schon seit sie sechs Jahre alt ist.
»Stina, hör auf. Ich habe Bill doch auch nicht so unter die Lupe genommen und ihn verstört.«
Ich bitte sie inständig mich nicht auch noch vor Ryan zu blamieren, mit Kindergeschichten oder irgendwelchen komischen Fragen, die sie sich ausgedacht hat.
»Mit Bill ist das ja auch etwas komplett anderes.«, beharrt sie und kichernd schüttle ich den Kopf.
Was soll an Bill anders sein, als an Ryan ? Positionsmäßig stehen sie bei uns an gleicher Stelle, unterschiedlich ist bloß, dass Ryans schwarzen Augen sich mit Bills grünen beharrlich stechen.
»Ryan !«
Gleichzeitig recken wir unseren Kopf über den Parkplatz und entdecken eine Gruppe von gleichaltrigen Mädchen von unserer, aber auch dem Billberry vor dem Ausgang der Schule stehen, aus dem Ryan mit seinen Kollegen zu kommen scheint.
Kreischend bildet sich eine Meute um die hinauskommenden Jungen und als ein Grölen ertönt und Jungen und Mädchen gleichzeitig zu klatschen und jubeln ertönen, rieche ich den Geruch von Champagner. Damit wurden die Sieger wohl glorreich begossen.
»Perfekt, ein vollgeschwitzter, attraktiver, nach Alkohol stinkender Typ, genial.«
Stina starrt gebannt zu den Feiernden, die mit Plastikbechern in der Hand ihr Team zu hochleben beginnen, und hält genauso wie ich nach dem Lockenkopf Ausschau, der wenige Sekunden später lachend, gefolgt von einer Meute Mädchen, aus dem Getümmel platzt.
Seine Tasche hängt ihm Locker über der Schulter und er zuckt zusammen, als sich Claire plötzlich an seinen Arm klammert, eifersüchtig beobachtet von allen anderen.
»Hey, Ryan, du hast echt super toll gespielt.«, schleimt sie während er mit der Situation sichtlich überfordert scheint und mich damit mehr als beruhigt.
Er genießt es also nicht wirklich so verfolgt zu werden.
Ganz im Gegenteil, als sich zwei weitere Fremde an ihn heften und er von allen Seiten angefasst und gelobt wird, bleibt er stehen und sieht sie alle wütend an.
»Ich danke euch, aber zum anfassen bin ich wirklich nicht zu haben ! Bitte lasst mich in Ruhe und macht nie wieder etwas derartiges, wir kennen uns ja nichtmal !«, brummt er zähneknirschend und entfernt auch die letzten Finger von seinem Körper, ehe er weiter auf uns zuläuft.
Ich weiß nicht, ob ich seiner Laune wegen, zu lächeln beginnen darf, aber seine immer näher kommenden Schritte lassen mein Herz schweben und aufgeregt höher schlagen. Wärme flutet mich und meine Eifersucht von eben, duftet in der Luft auf, bis sie vergeht. Er hat sie alle stehen lassen.
»Darf ich dich wenigstens beglückwünschen, wenn ich dir schon nicht die Hand schütteln darf ?«, frage ich ihm entgegen und er scheint mich und Stina erst jetzt zu bemerken.
Neugierig und sofort wieder heiter, grinst er mir entgegen und bleibt vor seinem Auto stehen.
»Du bist die einzige Ausnahme, du darfst mir sogar einen Kuss geben !« Er grinst schelmisch und ignoriert für einen Augenblick meine Freundin, die ich gerade auch gerne bei Bill sehen würde und nicht in meinem Augenwinkel, wo sie uns mehr als deutlich anstarrt.
»Ich bleibe bei Hand.«, entscheide ich und schüttle dem Schmollmund die Finger.
»Meinen herzlichsten Glückwunsch für den Sieg und, wie ich sehe, die gratis Champagnerflasche.«
Er lacht und starrt an seinem begossenen Körper hinab, den auch ich genauestens ansehe.
»Ich hoffe ich stinke nicht zu sehr, sonst vergraule ich deine Freundin schon gleich zu Anfang.«
Er wendet sich charmant zu Stina und reicht ihr die Hand.
»Ich bin Ryan, des schwule Typ aus dem Bus.«, stellt er sich vor und aus ihrem kritischen Prüfungsblick wird sofort schallendes Gelächter.
»Bestanden !«, ruft sie in die Luft und malt einen imaginären Haken in die Luft.
»Ihr könnt jetzt offiziell zusammenkommen und euch küssen !«, bestimmt sie den Tränen nahe und ich wende meinen Blick in der gleichen Sekunde zu Ryan, der mich darauf amüsiert ansieht.
Wieso wird die Sehnsucht, Stinas Worte in die Tat umzusetzen, mit jedem dieser schwächenden Blicke , größer ?
Mein Herz.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top