10«|| Die Türen meines Herzens||


Es ist mehr eine Villa in der er wohnt. Durch die Panoramafenster des Obergeschosses fällt warmes Licht auf die Auffahrt und lässt mich den Weg zu der anthrazitfarbenen Haustür finden.

Mein Herz klopft.
Noch immer regnet es in Strömen nieder und meine Kleidung ist mittlerweile nichts weiter als pures Nass.
Bei jedem Schritt knatschen meine schlammigen Sneaker und filzige Haare kleben an meiner Kopfhaut.
Ich fühle mich nicht wohl.
Mir ist kalt und noch vor einer Woche wäre ich nie in den Mut gekommen mich so unter Leute zu lassen.
Aber ich bin nicht mehr in der letzten Woche und meine salzigen Tränen fallen mir mittlerweile so schwer aus den Augen, dass ich keine Kraft mehr für einen Rückzug habe.

Ich weiß, dass ich, wenn ich jetzt gehe, nicht mehr bis zurück nach Hause komme. Mir fehlt die Energie, dass Wohlgefühl und der Wille.
Dass ich hier bin treibt meine einzige Lebenslust und aus ihr heraus drücke ich auf die Klingel.

Sanftes Bimmeln tönt durch das Haus und es dauert eine ganze Weile bis ich Geräusche vernehmen kann.
Schritte joggen die Treppe hinab und Schlüssel klimpern, bis die Tür plötzlich aufspringt und wir uns gegenüberstehen.

Einen Moment traue ich mich nicht aufzusehen, aber da ist diese Suche in mir nach einem Ziel und einem Sinn zu leben und den finde ich erst, als ich meine Augen hebe.
Das verlorene Schaf findet seinen Hirten, das segelnde Schiff legt im Hafen an, der Start findet ein Ende und ich verliere mich in Ryans Augen.

Sie weiten sich, sind überrascht.
Ich kann es ihm nicht verübeln.
Mein Anblick dürfte ihn innerhalb von Sekunden verstören und abgeneigt die Tür schließen. Er könnte mich wegschicken - jederzeit.

»Lora!«

Seine erschreckte, besorgte, laute Stimme löst sofortige Impulse in mir aus und schluchzend bin ich für den Moment einfach nur dermaßen froh eine Stimme zu hören. Eine Stimme, die mich dem Gegenteil von Einsamkeit überzeugt und wärmt.
Er sorgt sich um mich.

»Was tust du hier draußen, Kleines?«

Vorwurfsvoll und aufgekratzt zieht er seinen Pullover aus und tritt zu mir nach draußen um ihn mir umzulegen.
Zitternd schmiege ich mich in den gewärmten Stoff. Ich bin zu erfroren und aufgelöst um mit ihm zu kommunizieren.

»Komm.«

Er scheint zu wissen, dass ich nicht in der Auffassung bin mich zu erklären und die Tatsache, dass er es auch nicht zu erwarten scheint, beflügelt mich mit Dankbarkeit.

Wie selbstverständlich legt er einen Arm um meinen gefrorenen Körper und das Wimmern hinnehmend, zieht er mich neben sich her ins Innere des Hauses.

Im Flur hängen eine menge Bilder. Die schwarzen Bilderrahmen stechen hervorragend an den rot-orangenen Wänden hervor und auch wenn ich keines der Motive fokussierend ansehen kann, gefällt mir der Kontrast.

Stumm folge ich Ryan durch den Gang, der zur linken Seite in ein Badezimmer abzweigt.
Ich meide den Blick in den Spiegel und beobachte daher lieber den schönen Jungen, der sich mit seinen braunen Locken und einem ausgebreiteten Handtuch zu mir umdreht und beginnt mir damit die Haare zu trocknen.

Wortlos schaue ich zu ihm auf, beobachte seine Arme, die sich wegen seiner Bewegungen anspannen. Beobachte seine Augen, die sich in meinen verhaken und dann wieder von ihnen ablassen. Beobachte sein schönes Profil.

Während ich weine, verkrampft er sich und mir scheint, dass er bei jeder meiner fallenden Tränen mehr Angst bekommt ich könnte endgültig zerbrechen. Aber ich kann und werde nicht ertrinken. Nicht heute und nicht hier.

»Du musst aus den nassen Klamotten raus, sonst holst du dir den Tod.«, murmelt er nach einer Weile und sieht mir tief in die Augen um mich zu einer Reaktion aufzufordern.
Außer meiner klappernden Zähne schaffe ich es allerdings nicht irgendetwas zu tun und ich merke wie meine Augen erneut wässrig werden, als ich in seine sehe.
So intensiv, so aufgesogen und gelöst.

»Lora, schaffst du das ? Bitte.«

Es ist ein Flehen, das sich anhört, als würde er selbst gleich zu weinen beginnen und weil ich das um jeden Preis verhindern möchte, klammern sich meine Hände zitternd um den Reißverschluss meiner triefenden Jacke, der man nicht mehr ansieht, dass sie einmal türkisfarben war, und öffnen diese.

»Ich hole dir etwas warmes zum Anziehen und lege es dir vor die Tür, okay? Ich bin gleich wieder bei dir, du bist nicht alleine.«

Ich nicke, wiederhole seine Worte wie ein Mantra in meinem Kopf und hoffe, dass man mir nicht ansieht, wie notwendig dieser letzte Satz war.
Langsam wendet er sich ab, zögernd, als könnte ich mit jedem Meter Abstand eher auf die Knie fallen. Die Tatsache ist gar nicht so abwegig, aber ich schaffe es aufrecht stehen zu bleiben und mich meiner Kleider zu entledigen. Mein BH gleicht einem Waschlappen und kneift mir in die Haut, dass ich gezwungen bin ihn und auch meine Unterhose auszuziehen und mich vollkommen nackt in das Handtuch zu wickeln. Eine Gänsehaut ziert meinen blassen Körper und ich traue mich kaum ihn trocken zu rubbeln.

Zögerlich tapse ich über die Fliesen, erstaunt wie warm sie sind und wie angenehm sie beginnen meine erfrorene Haut aufzutauen.
Sogar der Edelstahlgriff der Badezimmertür fühlt sich angenehm an und leise öffne ich die Tür um den Kleiderhaufen entgegenzunehmen, den Ryan auf den Boden gelegt hat.

Ryan selbst ist nirgends zu sehen, aber aus dem gegenüberliegenden Gang kann ich ein Klappern hören und sicher sein, dass er Wort gehalten hat. Er lässt mich nicht allein.
Nicht wie der Rest der Welt.

Unter dem großen gelben Pullover auf dessen Brust in Großbuchstaben »NEW YORK« steht, finde ich frische Damenunterwäsche und eine Leggins die zu klein ist um Ryan zu gehören.

Eine ganze Weile halte ich sie in den Händen, unwissend ob es sich nicht um die Wäsche seiner Freundin handelt, deren Freund ich hier gerade besuche. Vor lauter Kälte ziehe ich die Kleidung schließlich doch an und schlucke den Gedanken, Ryan könnte vergeben sein, schwer hinunter.

Als mich der Stoff der trockenen Kleidung umgibt, bin ich froh das Hingelegte doch ohne Umstände angezogen zu haben, und meine Haare in dem von Ryan getürmten Turban lassen, trete ich mit nackten Füßen in den orange gehaltenem Flur, dessen modern eingerichtetes Inventar sich durch das ganze Haus schmeichelt.

Bilder hängen an den Wänden, jede Farbe des Hauses scheint abgestimmt auf das braun-orangene Ambiente und wer auch immer hier eingerichtet hat, hat einen ausgezeichneten Geschmack.

Fasziniert und mich willkommen fühlend folge ich den Geräuschen und laufe durch einen weiteren Flur der sich rechts zu einer Kücheninsel abzweigt und links in einem geräumigen Wohnzimmer mündet, dessen braune Kunstledercouch, die auf einem weißen Teppich mitten im Raum steht, ausgelegt auf die verglaste Außenwand gerichtet ist, und somit am Tage eine Sicht verspricht die wunderschön sein muss.

»Hey.« Ryans sanfte Stimme haucht durch den Raum und zögerlich drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Entspannt lehnt er an der Küchenzeile und mustert mich aufmerksam, als ich mich einen Schritt in die geräumige Küche bewege. Meine Knie knacken bei jedem Schritt und ich komme mir zerbrechlicher vor denn je.

Wehleidig stößt Ryan sich ab und nähert sich, bis seine Körperwärme mich wie in eine Decke hüllt. Ohne Wort greift er nach meiner Hand und verschränkt sie mit seinen warmen Fingern, die wie Taschenwärmer meine schmerzenden Knochen tauen.

»Du bist immer noch eiskalt«, stellt er, nicht wirklich erfreut, fest und zieht mich dann hinüber ins Wohnzimmer. Dampfende Tassen mit Kakao stehen auf dem Glastisch und noch ehe ich reagieren kann lässt sich der fürsorgliche Junge auf dem Sofa nieder, um mich Sekunden später auf seinen Schoß zu ziehen.

Schwer atmend sehe ich zu ihm auf und kann mich in der selben Sekunde nur über mich selbst wundern, weil ich unter seinem kräftig schlagenden Herzen, tatsächlich ruhiger werde und mich näher an ihn kuschle. Seine Anwesenheit entspannt mich durch und durch.

Wie von selbst lasse ich meinen Kopf nach auf seine Brust sinken und in die Dunkelheit draußen starrend, lasse ich mich von ihm umarmen und mit einer Kuscheldecke wärmen. In sanften Kreisen fahren Ryans Hände meinen Rücken hinauf und ich falle innerhalb von Sekunden in einen Rausch aus Frieden. Seine Nähe füllt die Löcher in meiner Seele und die vielen letzten Minuten, in denen ich weinend in den Regen geschrien habe, scheinen mir plötzlich Meilen entfernt. Gerade, für den Moment, gibt es nur Ryan und mich. Nur seine Zuneigung und mich, unsere Gesellschaft und nicht meine Einsamkeit.
Ich bin nicht mehr alleine.

Und mit Ryan werde ich nie wieder alleine sein, nichts könnte ihm die Macht nehmen, mir Kraft zu spenden.

»Ein weiser Mann sagte einmal, dass das Fressen der Sorge, die Furcht selbst niemals stillt«, flüstert er und das leise Säuseln singt wie eine schöne Melodie in meinem Ohr.

Ich weiß, wovon er spricht und ich weiß auch, dass ich reden möchte. Ich werde immer und immer wieder unter meiner Angst zusammensinken, wenn ich nicht langsam zulasse, jemand anderen meine Furcht teilen zu lassen. Ich weiß längst, dass ich Ryan vertrauen kann. Wir kennen uns gerade mal eine Woche, aber sind uns näher denn je, da bin ich mir sicher.

In seinen Augen sehe ich diese Ehrlichkeit, diesen Funken, der ihn zu keinem Fremden mehr macht. Ich kenne ihn, schlecht und wenig, aber ich kenne ihn.

»Ich habe Ängste«, erzähle ich nach Minuten der Ruhe in die Stille und starre, weiterhin an seiner Brust gelehnt, auf die sich spiegelnden Fensterscheiben und den Kamin.

Knisternd sticken die Flammen in die Luft und züngeln lodernd gegen die Glasscheibe, die uns vom Feuer trennt.
Ich bin mir sicher, die Flammen in meinen Augen wieder zu erkennen und für den Moment beruhigt mich die Idylle. Ryan ist bei mir, es ist warm und ich bin einfach nicht allein.

»Aber nicht vor Spinnen, dem Tod oder Monstern unter meinem Bett.«

Nach jedem Absatz lasse ich mir Zeit. Ich will ihm keinen Vortrag halten, der ihn belehren soll, sondern einfach nur an meinen eigenen Erzählungen teilhaben. Und diese haben Zeit.

»Ich habe Angst vor der Einsamkeit. An manchen Tagen fühlt es sich an, als würden die Löcher in meiner Seele sich wie Gift immer weiter ausbreiten. Ich habe Angst vor dem Alleinsein und das manchmal, obwohl ich grundsätzlich nicht alleine bin.
Es ist einfach Nähe, die meinem Herzen fehlt, dass es sich zuletzt ausmalt es sei verlassen und ungeliebt.
Und wenn ich sehe wie meine Eltern davonfahren, nicht zu erreichen sind, wenn Leuten neben mir einschlafen und ich noch wach liege, wenn Menschen Versprechen brechen und nicht da sind, wenn sie gehen und mich zurücklassen, dann füllt es mich mit Schmerzen und Tränen und ich versinke in diesen Löchern.
Ich fürchte mich vor ihnen und vor jedem »Tschüss«. Ich kann so etwas nicht aushalten und heute war es einfach wieder so schlimm, dass mich meine Dämonen überholt haben.«

Es ist ein Flüstern, was die zusammengekauerte Person im Fenster wiedergibt. Es ist ihre Geschichte und von ihr zu erzählen füllt die Seele mit Tränen.

Ryan sagt eine ganze Weile nichts. Seine Finger haben sich in dem weiten Stoff meines Pullovers verkrampft und trotzdem geht von ihm nicht mehr als Ruhe aus.
Allein seine Atemzüge könnten mich vom Weltfrieden überzeugen, denke ich und bringe mich damit selbst zum Lächeln.
Im Spiegelbild des Fensters sieht es lächerlich kläglich aus, aber für diesen Anfang reicht es.

»Ist es nicht unfassbar, was für riesige Bedeutungen diese kleinen Perlen salziges Nass haben?«, fragt er schließlich in die Stille. Ich bin nicht im Stande ihm zu antworten.

»Menschen sagen, man könne den Weinenden damit in die Seele schauen, aber ich glaube das nicht.
Das Weinen ist eine Handlung für den Moment und nicht für das Immer. Und ich glaube nicht, dass deine Seele für immer und immer weint. Es ist nur das Jetzt, das dich ängstigt und im nächsten Gleich, geht es dir wieder besser.«

Sanft streichen seine Finger meinen Rücken hinauf und glätten meine zerzausten Haare. Wieder fällt mir auf, wie gerne ich ihm beim Reden zuhöre und abermals entspannen mich seine liebevollen Regungen.

»Du findest es nicht albern?«, frage ich und hebe meinen Kopf an um meinen Kinn auf seiner Brust abzulegen und ihm anzusehen.
Unsere Nasen schweben voreinander und einen Moment bin ich von seinen Lippen abgelenkt, ehe ich in seine treuen, ehrlichen Augen blicke.

»Menschen haben Angst vor der Angst. Und jeder hat Angst vor etwas. Mir steht es gar nicht zu es albern zu finden, denn das Leben ist lächerlich genug. Ich würde nie darüber lachen, Lolli, das musst du mir glauben. Ich finde dich mutig, weil du es mir erzählt hast und wir gemeinsam eine Lösung finden können.«
»Wir?«, frage ich brüchig und lasse mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen.
»Ja, wir, Kleines. Du und ich. Deine Probleme sind auch meine Probleme und jemandem von deinen tiefsten Ängsten zu erzählen ist der erste Schritt zur Überwindung.«

Seine Augen nehmen mich im selben Moment seiner Worte gefangen und lassen mich glauben, dass er das mit jeder Silbe ernst meint. Er will mir helfen und das ich das von ihm erwarten kann, ist ein fantastisch schönes Gefühl.

»Weißt du, ich habe das schon seit ich klein bin. Seit ich im Kindergarten in der Gruppe eingeschlossen war und erst Stunden später entdeckt wurde.
Man hat mich damals mit Absicht eingesperrt.«

Wieder kullern Tränen aus meinen Augen und meine zitternden Hände verstecken sich unter meinem Körper.
Vor Scham wende ich meinen Blick ab und werde noch im selben Moment zurückgehalten.

Warm legen sich seine Hände um meine Wangen und ziehen meinen Blick zurück zu seinen.
Sanft streicht Ryan mir mit seinen Daumen die Tränen aus den Augen und wieder erfasst mich sein intensiver Blick.

»Was damals war, Lora, wird auch damals bleiben. Aber was du jetzt hast, muss auch im Jetzt bleiben.
Ich kann nicht ändern was dir damals passiert ist, auch wenn ich wünschte die schuldige Person erschießen zu können, aber ich kann dir jetzt sagen, dass du nie wieder alleine sein wirst.
Du musst dir in deinem Kopf mal dem Wort »Allein« klar werden.
Alleine sein definiert sich nicht daraus, dass Menschen nicht gerade an deiner Seite sind und deine Hand halten.
Alleine bist du nur, wenn du niemanden hast, der dir in deinem Herzen Wärme spendet und auf dich aufpasst. Wenn da niemand ist, zu dem du gehen kannst, um dich besser zu fühlen.
Aber du hast jemanden, ich bin mir sicher du trägst Menschen in deinem Herzen, und ich kann dir versichern, dass es mindestens einen Menschen gibt der dich in seinem trägt. Du bist nie allein, und du wirst nie wieder alleine sein, Lora.«

Verweint sehe ich ihm entgegen und könnte wieder los tränen, weil mich seine Worte so rühren.
Ryan ist ein Poet, ein Redner, ein Motivator und ich brenne darauf ihm zuzuhören.
Als er mir mit einem sanften Lächeln die Nase stupst und mich angrinst, flammt etwas in mir auf, von dem ich sicher bin, dass es mit meinem Herzen zutun hat.

Vielleicht hat er gerade dort einen Platz gefunden. Vielleicht ist gerade die Tür aufgegangen und er hat sich in mein Herz gepflanzt.
Ich weiß, dass er dort Platz findet und ich weiß auch, dass er nicht mehr so leicht gehen wird.

Es gab immer einen Raum, einen Platz, für meine Eltern und für meine Nachbarn und wenigen Freunde, für die Gilsons, besonders für Juan. Und jetzt ist da diese ausgefüllte Ebene, ein Haus, das Ryan besetzt und mit Wärme füllt. Es scheint, als habe er die Tür zu meinem Herzen selbst geöffnet und sie hinter sich, für dieses eine Haus, für immer geschlossen. Außer Ryan ist da niemand mehr.

»Warum willst du mir helfen, Ryan? Wieso bist du so nett und warm zu einer Fremden wie mir?«
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er so ehrlich antworten würde.
»Du musst Menschen nicht kennen, um ihnen zu helfen. Aber bei dir ist das noch etwas anders.
Wenn du bei mir bist, dann fühlt es sich an, als würde ich mit jemandem reden, den ich seit Ewigkeiten kenne. Du erweckst in mir ein Gefühl, dass ich über mich selbst stellen würde.
Ein Gefühl, über dessen Drang ich mir nicht sicher bin, den ich nicht einschätzen kann und der womöglich einmal alles zerstören wird nur um dich zu beschützen. Du bist mir sehr wichtig, Loralein, und ich kann es nicht einmal selbst bestimmen.«

»Du bist mir auch wichtig, Ryan.«, flüstere ich nach einer Weile und bin gerötet von diesen Worten.
Ich bin ihm wichtig.
Er will mich beschützen.

»Ich weiß.« Schmunzelnd flammt ein Grinsen an seinen Lippen auf und kopfschüttelnd und leise kichernd, schlage ich ihm auf die Brust.

»Idiot.«, murmle ich und wende meinen Blick ab.

»Ein müder Idiot.«, gähnt er und richtet sich auf, dass ich versucht bin aufzustehen.
»Vergiss es, meine Liebe.«, sagt er keck und hebt mich so ruckartig hoch, dass ich erschrocken aufschreie und mich in seinen Pullover kralle. Er lacht bloß, ehe er mit mir in den Armen aufsteht und uns die Treppe nach oben trägt.

Ich bin nicht sicher was er vor hat, aber auch mich erfasst die Müdigkeit und meine Gedanken, meine Eltern dringend über meinen Standort zu informieren, rücken in den Hintergrund bis ich sie komplett vergesse, weil wir im Obergeschoss ankommen und an einer Menge schwarz-weiß Aufnahmen vorbei dem Ende zusteuern.

Entspannt geht Ryan auf eine Tür zu und je näher wir ihr kommen, desto intensiver erfasst mich der Duft von seinem Aftershave, das ich schon bei unserem ersten  Zusammentreffen unfassbar gutriechend fand.

»Sehr geehrte Frau Lora, darf ich Sie in die Tiefen meines Königreichs entführen? Ich verspreche Ihnen weder Komfort noch saubere Luft, aber um Ihnen das Leben in der Steinzeit besser unter Beweis stellen zu können, werden wir diese auch nicht nötig haben.«

Kichernd hebe ich meinen Blick und schaue in seine amüsierten Augen, die mich kritisch beobachten und allem Anschein nach von meinen Tränen wegbringen wollen - es funktioniert.

»Hört, mein Ritter, mit Ihnen an meiner Seite, braucht es nicht einmal einen Stein für ein Lager, ich bin mit allem zufrieden.«

Er nickt belustigt und lässt mich von seinen Armen aus die Tür öffnen. Das Zimmer liegt in mondbeschienener Dunkelheit und der quadratische Raum, ist an den Außenwänden komplett verglast, sodass man scheintrügend wie draußen zu sein scheint.

Ein breites Bett steht an der Wand direkt rechts neben der Tür und ein kleiner Schreibtisch dahinter, lehnt an der Wand zur Auffahrt des Hauses. Ich bin fasziniert von der quirligen Atmosphäre, den gerahmten Bildern, die auf den Regalen stehen, und besonders beeindruckt mich die schwarz-weiß Leinwand über dem Bett.

Ryan ist darauf abgebildet. Ryan und eine wunderschöne Frau mit langen Haaren und verjüngten Gesichtszügen, die den seinen sehr ähneln. Aus dem Gefühl heraus, würde ich sie für seine Mutter halten und auch als ich meine Augen die Details des Bildes untersuchen lasse, bin ich von seiner engsten Verwandten überzeugt. Glücklich und sorglos lachen die beiden in die Kamera und halten sich dabei in den Armen. Das vermeintliche Selfie vermittelt einen wunderbaren Eindruck der beiden und die Liebe zueinander wird in einem fabelhaften Kontrast so nahe wie möglich bewiesen. Ich mag das Bild.

»Soo.« Ohne weitere Vorwarnung lässt mich der Lockenkopf über dem Bett fallen und weich lande ich in der breiten Matratze seines Bettes.

»Das ist aber kein Stein«, stelle ich schmollend fest und sehe mit einem traurigen Hundeblick zu ihm auf. Woher diese Belustigung, diese plötzliche Freiheit, kommt, kann ich nicht erklären.

»Ich werde meine Prinzessin doch nicht auf Steinen schlafen lassen!«, gibt er empört von sich und schaltet sein Smartphone aus, ehe er es in einer der Schreibtischschubladen verstaut und zu mir ans Bett tritt.

»Lollipop, Loralein, holde Meid und jetzt Prinzessin?  Kannst du dich mal entscheiden?«
»Nein, damit wirst du leben müssen.«, erklärt er und setzt sich neben mich aufs Bett.

Eine Weile sagen wir nichts.
Stillschweigend lehnen wir an der Wand und starren aus den bodentiefen Fensterscheiben in den bewölkten Himmel. Der Regen hat aufgehört, alleinige Tropfen kullern die Äste der Bäume um uns hinab und fließen in unregelmäßigen Abständen am Fenster entlang.
Der Himmel klärt sich und mit ihm, legt sich auch der innere Sturm.
Meine Hände haben eine normale Temperatur, meine Haare sind an Ryans Pullover getrocknet und meine Nase ziehe ich nur hoch, weil ich mich ganz offensichtlich erkältet habe.

»Ich danke dir, Ryan. Einfach für alles. Dafür das du mich nicht hast im Regen stehen lassen, mich umarmt, mir zugehört hast und ich jetzt hier schlafen darf.
Aber du bist dir auch sicher, dass das in Ordnung geht ? Ich will dich nicht stören.«

Ich sehe ihn nicht an während ich rede und ich bezweifle das er es tut. Der Himmel, die Nacht hat uns beide in ihren Bann gerissen und trotzdem plagen mich in meinem Inneren die Bisse, ihn vielleicht zu nerven.

»Ja, Kleines, von meiner Seite aus ist das alles in Ordnung und glaubst du echt, ich würde dich reinlassen und dann mitten in der Nacht wieder Heim schicken? Weißt du eigentlich welche Sorgen ich mir dann machen würde?
Nein, du bleibst schön hier in meinem Augenwinkel und morgen bringe ich dich nach Hause.«

»Und was ist, wenn ich dich nerve?«

Jetzt sehe ich doch zu ihm und kann das amüsierte Grinsen auf seinen Lippen sehen. Es ist wunderschön.
»Dann nerve ich dich zurück, ganz einfach.«
»Gut, Kompromiss, aber ich habe dich gewarnt.«, stimme ich dem zu und sehe wieder nach draußen.
»Ich dich auch, Kleines«, flüstert er mir nahe an mein Ohr, dass seine Lippen für eine Sekunde mein Ohrläppchen berühren, ehe sich die raue Stimme zurückzieht.

Ich brauche einen Moment bevor ich ihn mit offenem Mund ansehen und in die amüsierten Augen starren kann.
»Du machst es meinem Herzen wirklich schwer, ruhig zu bleiben.«, gebe ich zu verstehen und habe diese Worte wohl sehr zu seinem Genüge gesagt.
»Ich weiß, Kleines, aber frag mal wie es mir geht.«

Ohne mich zu warnen umfasst er meine Hände, unwissend wie durcheinander mich das macht, und legt sie auf seine Brust.
Sein Herz pocht unregelmäßig unter seinem Pullover. Schneller, aufgeregter. Genau wie meines.
»Dann stimmt wohl mit uns beiden etwas nicht.«, vermute ich nach einer Weile und lausche wieder seiner angenehmen Stimme, die mittlerweile von einem Kissen aus zu Ton kommt.

Ryan hat sich hingelegt und nachdem er geantwortet hat tue ich es ihm gleich und schließe meine Augen.
Es dauert allerdings bis ich schlafen kann, denn mir stellt sich die Frage, ob er das was er sagt, ernst meint oder zur Belustigung in die Luft wirft.
Ich werde ihn nie danach fragen, das weiß ich, aber ich wünschte ich hätte eine Antwort.

»Vielleicht sind wir aber auch beide bis über beide Ohren ineinander verliebt.«

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