9. | Ein bittersüßer Kuss (2/3)
Hermines POV
Es war bereits fast Abend, als ich im Gemeinschaftsraum wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.
Ich wusste nicht einmal mehr, wie ich dort gelandet war, denn ich war völlig orientierungslos und ohne zu wissen, wo ich überhaupt hin wollte, durchs Schloss gelaufen.
„Mine! Da bist du ja! Harry und ich haben uns solche Sorgen um dich gemacht!", hörte ich Ginny plötzlich ganz aufgebracht rufen, als sie den Raum betrat.
„Wie geht's dir?", wollte sie wissen und trat langsam zu mir.
Beschissen natürlich, was soll die Frage?
Doch weil ich absolut nicht bereit für irgendeine Erklärung war, drückte ich mich ein wenig sanfter aus und versuchte, meine Verzweiflung zu verstecken.
„So weit in Ordnung."
Meine beste Freundin atmete erleichtert auf und ließ sich neben mir auf dem Sofa nieder, ehe sie sich erneut an mich richtete.
„Hör zu, wegen vorhin, als wir dich nicht in Ruhe gelassen haben, das tut mir total leid. Dir geht es momentan einfach nicht so gut, das merke ich, aber wenn dich etwas belastet, dann kannst du immer mit mir reden, okay? Ich weiß, du vermisst Ron und dieses Projekt, bei dem dir dieser Ekel von Malfoy nicht helfen möchte, raubt dir den letzten Nerv, aber du sollst daran nicht kaputtgehen."
Dass sie ausgerechnet das Thema Malfoy aufgriff war alles andere als hilfreich, doch die Tatsache, dass sie noch immer dachte, ich würde dieses Projekt alleine durchziehen, fand ich beinahe schon lustig, denn abgesehen davon, dass ich damit bereits fertig war und der Blondschopf mir nicht nur bei diesem Projekt geholfen hatte, wusste niemand, was am See passiert war.
Ich wusste ja selbst nicht, was ich von dem Ganzen halten oder denken sollte und das, obwohl ich darin verwickelt war, doch ich konnte nicht leugnen, dass ich ernsthaftes Interesse an dem ehemaligen Slytherin hatte. Ob seit gestern Abend oder seit dem Kuss wusste ich nicht genau, doch das war auch egal, denn die Erkenntnis allein war schon verstörend genug.
Eines war jedoch klar: Ich konnte nicht länger alleine mit meinen ganzen Gedanken bleiben, denn mein Kopf drohte bereits zu platzen und mit wem konnte man besser über Jungs und Gefühle reden als mit der besten Freundin? Ginny hatte immer eine Idee, fand immer die richtigen Worte und wusste sich auch immer zu wehren, was bei ihren ganzen Brüdern ja auch von Nöten war.
Sie war die Einzige, mit der ich darüber reden wollte und vor allem konnte, denn Harry hätte mich vermutlich sofort auf die Geschlossene im St. Mungo's geschickt.
„Kann ich dir etwas erzählen?", sprang ich letztlich über meinen Schatten.
Ginny sah mich sofort überrascht an und schenkte mir nur wenig später ein Lächeln.
„Was soll die Frage? Natürlich kannst du das! Dafür bin ich doch da!"
„Aber du musst mir bis zum Ende zuhören und musst mir versprechen, dass du es niemandem erzählst. Und mit 'niemandem' meine ich noch nicht einmal Harry, okay?", funkelte ich sie böse an, da sie ihrem Freund einfach alles erzählte, was manchmal wirklich alles andere als gut war.
„Keine Sorge, deine Geheimnisse sind bei mir sicher!", versicherte sie mir und zwinkerte mir daraufhin frech zu, sodass ich tief durchatmete, um mit dem Erzählen zu beginnen.
„Gut, also, ich fang mal ganz vorne an und damit meine ich das Projekt, das Malfoy und ich zusammen machen müssen..." „Du erzählst mir jetzt aber nicht allen Ernstes von Malfoy, oder?", unterbrach mich Ginny bereits nach meinem ersten Satz, was mich rasend machte.
„Jetzt halt doch erst mal die Klappe! Ich hab gesagt, du sollst mir bis zum Ende zuhören!", fauchte ich sie an, worauf sie sich leise murmelnd entschuldigte.
„Nachdem er mich nie auf das Projekt ansprechen wollte, hab ich mich ja, wie ihr wisst, dazu entschieden, es alleine zu machen und bin in die Bibliothek gegangen. Irgendwann ist allerdings Malfoy aufgetaucht und hat mich entdeckt. Es gab eine kleine Diskussion, weil er herausgefunden hat, dass ich das ohne ihn durchziehen wollte, aber das ist kaum der Rede wert. Jedenfalls habe ich ihn gefragt was er überhaupt in der Bibliothek wollte und er meinte dann, er wäre meinetwegen dort gewesen."
„DEINETWEGEN?", schrie die Rothaarige und fiel mir somit erneut ins Wort.
„Ginny verdammt! Hörst du schlecht?", fauchte ich sie noch um einiges wütender an.
„Tut mir leid, red weiter!"
„Wie du ja bereits weißt, hat uns Ralson, nachdem Malfoy und ich uns im Unterricht komplett ignoriert haben, nach der Stunde zur Rede gestellt, aber die Geschichte kennst du ja schon, wie ich ihn in Schutz genommen habe, damit wir heil davonkommen. Was ich aber nicht erzählt habe war, dass er mich nach dem Gespräch noch aufgehalten hat und meinte, wir sollten künftig wirklich gemeinsam an dem Projekt arbeiten, also waren wir dann am Abend gemeinsam in der Bibliothek und... es war irgendwie... keine Ahnung... ganz okay. Wir haben uns gut unterhalten und gut zusammengearbeitet und alles in allem war es echt lustig, aber...egal. Jedenfalls... Am nächsten Abend wollten wir wieder in die Bibliothek, aber du hast mir ja gesagt, dass Harry und Neville dort sind, also sind wir in den Raum der Wünsche gegangen und haben unser Projekt fertig gemacht. Irgendwann hat er das Thema Ron angesprochen und ihr wisst ja, wie sensibel ich diesbezüglich reagiere, was er auch bemerkt hat, denn er hat mich getröstet und in den Arm genommen..."
Ginny atmete gerade tief ein, da sie offenbar etwas sagen wollte, doch ich funkte ihr in ihrem Vorhaben sofort dazwischen. „Untersteh dich, jetzt was zu sagen! Lass mich erst fertig reden!"
Ertappt und überrascht über meinen erneuten kleinen Wutausbruch, nickte sie leicht mit dem Kopf, was mir den Anstoß gab, weiterzusprechen.
„Wir haben danach noch geredet und er hat mir viele vertrauliche Sachen erzählt und gemeint, dass er mich nicht hasst und es auch nie getan hat. Aber das Seltsamste war immer noch, dass er mich am Ende gefragt hat, ob ich ihm jemals verzeihen könnte und nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich es könnte, wenn er sich Mühe gibt, hat er mich einfach umarmt und ist dann abgehauen. Ich war vollkommen überrumpelt und wusste ehrlich gesagt gar nicht, was genau eigentlich passiert, aber... es war...naja... schön und es hat irgendwie... geholfen. Aber...das war noch nicht alles, weil... also... Nach unserer kleinen Auseinandersetzung heute Morgen bin ich zum See gerannt, weil ich den Kopf ein wenig freibekommen wollte und plötzlich war schon wieder Malfoy da. Er hat nach mir gesucht und mich dann wieder getröstet, in den Arm genommen, wir haben eine Ewigkeit miteinander geredet und ich... ich muss echt zugeben, dass er ganz anders ist als gedacht. Er hat mich kein einziges Mal beleidigt, sondern hat mir einfach nur zugehört und ich habe ihm zugehört und... verdammte Scheiße, aber ich...mag... diese Seite an ihm. Wir waren Stunden da unten und haben nichts weiter gemacht, als zu reden und... und zu... zu kuscheln und... ich weiß Ginny, das ist absurd und hirnrissig, aber ich hab das echt gebraucht. Allerdings ist noch was passiert... und zwar, dass... also, es ist nämlich so, dass...ehm... als wir eigentlich wieder zurückgehen wollten, hat er mir aufgeholfen und war mir auf einmal total nah und... und... wir haben uns einfach nur in die Augen geschaut und ich... Gott, ich konnte einfach nicht mehr klar denken und... und... dann hat er mich... beziehungsweise ich ihn... also, naja, genau genommen eigentlich beide, also, wir haben uns..."
„WAS? Verletzt? Geschlagen? Umgebracht?", platzte es erneut aus Ginny heraus, da ich nicht weitergesprochen hatte, doch dieses Mal machte mir ihre Unterbrechung nichts aus, denn ich konnte mich währenddessen sammeln und mein Gedankenchaos zumindest ein wenig in Ordnung bringen.
„...geküsst...", brachte ich letztlich flüsternd über die Lippen und sah meine beste Freundin daraufhin vorsichtig an. Ihre Augen weiteten sich augenblicklich, während ihre Kinnlade mehrere Meter in die Tiefe stürzte.
„...und dann hat er gesagt, dass er mich auch mag und das schon viel länger, als ich mir überhaupt vorstellen kann...Und was mach ich? Ich bin einfach weggelaufen, weil ich echt nicht verstehe, was er da für ein Spiel spielt. Er hat mir noch nachgerufen und wollte mich aufhalten, aber ich bin einfach weitergelaufen, weil... es... es verwirrt mich einfach nur. ER verwirrt mich und ich will nicht länger alleine mit meinen Gedanken und Gefühlen sein, ich... ich musste das endlich loswerden und es tut mir leid, dass ich nicht schon früher die Wahrheit erzählt habe, aber ich... ich mag ihn irgendwie und... also, ich wollte nicht, dass mir irgendjemand, vor allem Harry, dazwischenpfuscht, weil... er ist wirklich ganz anders und ich... ich will ihn, oder besser gesagt diese andere Seite an ihm,... kennenlernen...", beendete ich schließlich meine Erzählung, nachdem ich mich in Rage geredet und Ginny mein komplettes Herz ausgeschüttet hatte, und sah sie nun entschuldigend und voller Reue an.
Ihr Mund war immer noch offen und die Größe ihrer Augen machte mir verdammt Angst, doch sie fing sich einige Sekunden später wieder.
„Also... ich muss schon sagen, das war eine seeehr... eeehhhm... interessante... Geschichte."
„Ginny, du musst mir wirklich versprechen, dass du niemandem davon erzählst!", bat ich sie ein weiteres Mal, woraufhin sie ihre Hand auf meine legte.
„Ich werde es niemandem verraten! Außerdem muss ich das selbst erst mal verdauen, weil ich das einfach nicht glauben kann, aber ich werde schweigen, vertrau mir!"
„Danke!", lächelte ich sie an und das war der Moment, in dem mir ein riesiger Stein vom Herzen fiel, denn ich hatte es doch tatsächlich geschafft, mit jemandem über all die verwirrenden Ereignisse der letzten Tage zu reden.
„Also...", setzte sie erneut an und wackelte mit den Augenbrauen. „...du und Malfoy, hmm?"
„Oh bitte, Ginny! Spar dir das...", schüttelte ich beschämt den Kopf.
„Erzähl schon! Wie war der Kuss? War es gut?"
„Oh man... Es...verdammt, es... es war einfach nur unglaublich... Er... er hat mich angesehen, als wäre ich das Wertvollste auf der ganzen Welt und... er hat mich einfach nur festgehalten und über meine Wangen gestreichelt und... und ich... mein Gott, ich wollte es und es war der schönste Kuss in meinem Leben, okay? Ist es das, was du hören willst?", seufzte ich und vergrub peinlich berührt mein Gesicht in den Händen.
„Oha... ich krieg beim Zuhören schon Gänsehaut!", staunte Ginny und ließ sich, verträumt vor sich hin lächelnd, in die Sofakissen sinken.
„Ich dachte immer, dass das mit Ron...also, dass das einmalig gewesen wäre, aber... Malfoy hat mit diesem Kuss alles übertroffen... Er...verdammt, er macht mich wahnsinnig mit seiner überheblichen Art, aber... er kann so unglaublich lieb und einfühlsam und vorsichtig sein..."
„Ach du meine Güte, Hermine!!! Stehst du auf ihn?", warf sie wie vom Schlag getroffen ein, was mich erschrocken zusammenzucken und scharf die Luft einziehen ließ.
„Ginny! Nein! Also...naja...keine Ahnung, es ist so, dass... ich weiß auch nicht, er... er ist sehr nett zu mir." „Nett? Echt jetzt? Ein besseres Wort ist dir nicht eingefallen?"
„Na gut, also...ich finde es einfach schön, dass er für mich da ist, wenn es mir nicht gut geht und ich mag diese Seite an ihm wirklich..." „Jaja, er ist nett und tröstet dich, bla bla bla... und rein zufällig sieht er deiner Meinung nach auch noch verboten gut aus, oder nicht?"
Ich wurde knallrot.
„J-Jaa... schon, aber..."
„Was aber?" „Ach man, es... es ist immer noch Malfoy! Das erklärt doch schon alles oder nicht?"
Diese Begründung war wieder einmal so richtig dämlich und spiegelte meine Dummheit der letzten Tage perfekt wider, doch ich wusste einfach nicht mehr, wie das alles weitergehen würde. Ob es überhaupt weitergehen würde.
„Aber du sagst doch selbst, dass du den neuen Malfoy magst, also lass es doch einfach mal auf dich zukommen. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Er scheint sich ja wirklich zu bemühen und außerdem, wenn er dir vertrauliche Sachen erzählt, muss er dir ja wirklich vertrauen und dich mögen, oder nicht?", versuchte Ginny mich zu überzeugen und ich konnte nicht fassen, dass sie derartig positiv auf all das reagierte.
„Ja, ich denke, du hast nicht ganz Unrecht... Aber ich bin weggelaufen wie ein kleines Kind, was soll ich denn jetzt bloß machen?", fragte ich verzweifelt, doch meine beste Freundin wusste mich sofort zu besänftigen.
„Ich denk mal, dass deine Flucht gewaltig an seinem Ego kratzt und wenn es ihm wirklich so ernst ist, wird er mit Sicherheit auf dich zukommen und mit dir darüber reden wollen, also warte einfach, dass sich etwas ergibt."
Ich hatte wirklich die beste Freundin der Welt und ich konnte ihr für ihre aufmunternden Worte gar nicht genug danken. Ich fiel ihr um den Hals und war mehr als erleichtert darüber, dass ich sie endlich eingeweiht hatte, doch das eigentliche Problem, nämlich wie es jetzt weitergehen würde, war damit noch nicht aus dem Weg geräumt.
Ich betete inständig, dass sich das ebenfalls bald ändern würde...
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