75. | Stunde null
Dracos POV
„Was ist los?", hallte und polterte es laut durch das kleine Krankenzimmer, nur ein paar Sekunden nachdem Potter verschwunden und Hermine völlig entkräftet in meinen Armen zusammengebrochen war. Es war Madam Pomfrey, die schwungvoll die Tür aufriss und geschockt hereinstolperte, ihr Gesicht war so blass wie die schneeweiße Schürze ihres Kittels.
„Ich habe Schreie gehört, was ist passiert?"
Gute Frage, ging es mir durch den Kopf, der wie verrückt schmerzte und dröhnte, denn ich konnte selbst noch nicht glauben, was während der letzten Stunde passiert war.
„Was ist mit Miss Granger?", kam es erneut von der Medihexe, die inzwischen dicht an das Bett herangetreten war und eine Hand auf Hermines Hinterkopf legte.
Besorgt und sichtlich überfordert mit der Situation, starrte sie immer wieder zwischen mir und der Brünetten hin und her, bis sie gänzlich bei mir hängenblieb, mir mit ihrem durchbohrenden Blick den letzten Anstoß zum Sprechen gab.
„I-Ich glaube sie hat das Bewusstsein verloren."
„Was?! Wie kam es dazu?", hakte sie energisch nach, versuchte Hermine aus meinem Griff zu befreien und ihr Gesicht zu sich zu drehen, was ich aber mit aller Kraft verhinderte.
Ich wollte und brauchte diese Nähe zu ihr gerade viel zu sehr, als dass ich sie auch nur einen Millimeter loslassen wollte. Was auch Madam Pomfrey zu verstehen schien, die vorsichtig auf der Bettkante Platz nahm.
„Mr. Malfoy? Was ist passiert?", versuchte sie es etwas ruhiger, da sie offenbar bemerkte, dass ich gerade kaum dazu imstande war zu reden, geschweige denn zu denken. Mein Kopf war komplett leer.
„Es war Potter.", was das Einzige, das ich - aus ihrer Sicht natürlich vollkommen zusammenhanglos - von mir geben konnte, und ihre Reaktion darauf war wie zu erwarten ein fragender Gesichtsausdruck, sowie eine nach oben gezogene Augenbraue, mit der sie mich völlig ratlos musterte. Meine Unterlippe begann während des Sprechens wie verrückt zu beben, weshalb ich dem entgegenwirkte, indem ich mit nicht allzu sanftem Druck hineinbiss, nur wenig später breitete sich in meinem trockenen Mund der Geschmack nach Blut aus.
„Verzeihen Sie, Mr. Malfoy... ich verstehe nicht recht."
Glauben Sie mir, ich versteh's auch nicht...
„Was hat Mr. Potter getan?"
Ich schluckte.
„Alles..."
„Alles?", verstand sie noch immer nicht, worauf ich zögerlich nickte.
„Er hat gerade gestanden, d-dass... dass er es war."
Es kostete mich mehr Überwindung diese Worte auszusprechen als ich gedacht hätte. Sie wollten mir nur schwer über Lippen kommen, zogen mir zum wiederholten Male den Boden unter den Füßen weg, und ihrem plötzlichen, erschrockenen Aufatmen nach zu urteilen, hatte auch Madam Pomfrey inzwischen eins und eins zusammengezählt.
„Sie meinen..." Fassungslos schlug sie ihre Hand vor den Mund, womit sie den Rest ihres Satzes erstickte und verstummte. Gänzlich, als ich ihre Vermutung mit einem erneuten Nicken bestätigte.
„Hermine war so geschockt, d-dass sie..." Ich brach ab, als auch mir die Stimme versagte, und kuschelte mich verstärkt in Hermines Schopf, um diese Kälte, die meinen Körper zu umhüllen drohte, zu vertreiben. Es schmerzte mir, sie so zu sehen.
Sie war so eine reine, liebevolle Seele, die es nicht verdient hatte zu leiden. Und doch tat sie seit Jahren nichts anderes.
Jahrelang hatte sie an Potters Seite gekämpft, ihm immer wieder den Kopf aus der Schlinge gezogen, durchgehend ihr Leben für ihn riskiert. Sie hatte auf diesem Weg ihre Eltern verloren, war elendig gefoltert worden und durch die Hölle gegangen. Sie hatte ihm blind vertraut, auf brutale Weise für ihn gelitten und er dankte es ihr, indem er sie derartig skrupellos hinterging.
Während der Schlacht hatte sie den Tod ihrer Freunde und Mitschüler mitansehen müssen und vergangenen Freitag hatte sie auch mich sterben sehen, der - wie sie selbst gesagt hatte - wieder Licht in ihre dunkle Welt gebracht hatte. Der, der sie bedingungslos und von ganzem Herzen liebte.
Nach allem, was ihr in den letzten Tagen, Wochen, Monaten und Jahren widerfahren war, wunderte es mich also nicht im Geringsten, dass sie zusammengebrochen war. Potters Verrat war der allerletzte Tropfen in ihrem randvollen Fass der Verzweiflung gewesen. Sie hatte einfach keine Kraft mehr.
Mit all diesen Gedanken im Kopf, legte und drückte ich meine Lippen auf ihre Stirn, versuchte ihr mit diesem Kuss unterbewusst Sicherheit und Geborgenheit zu schenken; ihr zu zeigen, dass auch die ganze Welt gegen sie sein könnte, ich aber immer an ihrer Seite bleiben werde. Dass ich ein Leben lang für sie kämpfen werde, sogar für sie sterben würde. Welch Ironie...
„Sie braucht jetzt viel Ruhe.", unterbrach die Medihexe meine Gedankengänge, hatte damit schlagartig meine volle Aufmerksamkeit. „Ihr Puls ist zum Glück normal, aber sie ist sehr geschwächt. Lassen Sie sie schlafen und seien Sie für sie da, wenn sie aufwacht. Was Miss Granger jetzt braucht, ist eine Bezugsperson, ein guter Freund, der ihr viel Kraft spendet."
„Das werde ich.", versicherte ich ihr ohne lange nachzudenken oder erneut in Gedanken zu versinken, was sie mit einem sanften Schmunzeln quittierte.
Nachdem sie ihr ein weiteres Mal über den Hinterkopf gestreichelt hatte, erhob sie sich vom Bett, tauschte noch schnell die leere Wasserkaraffe aus und verschwand letztlich wieder, um mich mit Hermine allein zu lassen. Und es war gleichzeitig der erste Moment, in dem auch ich einmal tief durchatmen und das Gespräch mit Potter Revue passieren lassen konnte.
Ich fand keine Worte mehr, wusste um ehrlich zu sein auch gar nicht, was ich von alldem noch halten sollte. Dass er alles andere als begeistert auf die Beziehung von Hermine und mir reagiert hatte, war ja nichts Neues, aber dass er zu so etwas Schrecklichem fähig sein könnte, hätte ich noch nicht einmal in den dunkelsten Zeiten für möglich gehalten.
Doch es war weniger die Tatsache, dass er mich angegriffen und getötet hatte, die mich derartig schockierte, sondern die, dass er Weasley dafür missbraucht hatte. Seinen besten Freund. Der mich zwar ebenfalls abgrundtief hasste und verachtete, auch nicht davor zurückschreckte mir dies mitzuteilen, aber er würde mich niemals körperlich angreifen, das wusste ich.
Generell hatten wir unsere Auseinandersetzungen und Streitereien während der letzten Jahre immer nur verbal ausgetragen. Mit einer Ausnahme...
Und diese eine Ausnahme lag gerade in meinen Armen.
Bei dem Gedanken daran spürte ich sofort einen stechenden Schmerz an der Nase, musste gleichzeitig aber leise auflachen. Ich hatte diesen Schlag damals echt verdient, aber es wunderte mich bis heute, dass Hermine ihn mir verpasst hatte. Mit dieser Heftigkeit wohl gemerkt!
Und das mochte vielleicht sadistisch oder krank klingen, doch hätte ich zum damaligen Zeitpunkt nicht schon seit zwei Jahren für sie geschwärmt, hätte ich es allerspätestens nach dieser Aktion. Sie war die Erste und zudem Einzige, die mir jemals die Stirn geboten hatte, und das nicht nur einmal.
Ihr Temperament, ihr Durchsetzungsvermögen, ihr Stolz, ihre Verbohrtheit; all das waren Eigenschaften an ihr, für die ich sie so bewunderte und mit denen sie alle anderen Mädchen schon immer in den Schatten stellte.
Zwar hatte ich mich während der letzten Jahre mal auf die ein oder andere Liebelei eingelassen, aber erstens konnte man diese an einer Hand abzählen, zweitens waren diese bedeutungslos gewesen, und drittens hatte mich keine so begeistern können wie Hermine. Einfach aus dem Grund, dass alle anderen wie kleine Schoßhündchen waren, die sich alles gefallen ließen und stets klein beigaben. Weil allen anderen das gewisse Etwas fehlte. Und dieses gewisse Etwas war nun mal die Tatsache, dass keine von ihnen sie war.
Es war bereits spät am Abend, gegen 23 Uhr, als mich ein leises Seufzen aus dem Halbschlaf riss, und sich der Körper, der halb auf meiner Brust ruhte, langsam bewegte.
Ich war schlagartig hellwach, als hätte man mir einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf geschüttet, und richtete meine Augen sofort auf Hermine, die immer wieder gequält brummte. Ihr warmer, unregelmäßiger Atem streifte dabei die dünne Haut an meinem Hals, beruhigte sich allerdings zunehmend, als ich anfing, sanft über ihren Rücken und ihren brünetten Schopf zu streicheln.
Ich wusste nicht, ob sie aufwachte oder schlecht träumte, war im ersten Moment aber einfach nur erleichtert, dass sie offenbar wieder zu sich kam. Die letzten drei, vier Stunden hatte ich größtenteils damit verbracht, ihr immer wieder gut zuzureden und ihr kleine Streicheleinheiten zukommen zu lassen, in der Hoffnung, dass sie so schnell wie möglich wieder zu Bewusstsein kam, was jetzt wohl endlich der Fall war.
„Hermine?", versuchte ich flüsternd zu ihr durchzudringen und drückte mich ein kleines Stück von ihr weg, nur, um dann überrascht und gewissermaßen schockiert festzustellen, dass sie bereits wach war.
Schockiert aus dem Grund, dass ihr Ausdruck nicht nur vollkommen emotionslos und leer, sondern fast schon leblos war. Sie war kreidebleich und ihr Blick verlor sich meilenweit ins Leere, wie eine Leiche mit geöffneten Augen. Eben diesen fehlte diese Wärme, die sie normalerweise ausstrahlten, und dieses wunderschöne Funkeln, wenn sie sich für etwas begeisterte oder sich freute.
Ein Anblick, der mir das Herz aus der Brust riss und in tausend Einzelteile zerfetzte. Doch wer konnte es ihr verübeln?
„Hey...", hauchte ich gegen ihre bläulichen, leicht offen stehenden Lippen, als ich ganz vorsichtig meine Stirn an ihre legte und ihr Gesicht in meine Hände nahm, um auf diese Weise ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Was mir misslang. Sie schien mich nämlich nicht zu bemerken, geschweige denn wahrzunehmen, sondern noch immer völlig weggetreten zu sein. Wie gebannt und ohne auch nur einmal zu blinzeln, starrte sie durch mich hindurch, ihre Pupillen waren derartig groß und geweitet, dass von dem Rehbraun ihrer Iriden kaum noch etwas zu erkennen war.
„Ich bin für dich da, hörst du? Wir schaffen das schon irgendwie und... dann wird alles gut. Das verspreche ich dir."
Wieder reagierte sie nicht, zuckte noch nicht einmal minimal mit der Wimper oder den Augenlidern, was die Panik in meinem Inneren immer schlimmer machte.
„Es wird alles gut.", wiederholte ich, unter anderem, um es mir selbst einzureden, denn im Moment glich alles einem riesengroßen Scherbenhaufen und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie wir diesen jemals wieder zusammensetzen sollten.
Die Nachricht, dass Potter hinter alldem steckte, würde einschlagen wie eine Bombe - sei es im Ministerium, in Hogwarts oder generell der ganzen Zauberwelt.
Ausgerechnet Harry Potter.
Und ich war mir sicher, dass ihn viele für diese Aktion nur noch mehr bewunderten. Er hatte versucht, einen ehemaligen Todesser aus dem Weg zu räumen. Die Menschen würden ihn dafür feiern, womöglich sogar heiligsprechen.
Sollten sie ihn meinetwegen allerdings nach Askaban schicken und einsperren, würde man mich noch mehr verachten als ohnehin schon. Man würde wochenlang Zeitungsartikel zu lesen bekommen, in denen man mich und meine Familie in den Dreck zog, und mit großer Wahrscheinlichkeit würde man auch über Hermine und unsere Beziehung herziehen.
Etwas, wovor mir jetzt schon graute, denn ich wollte einfach nur meine Ruhe haben. Das war doch nicht zu viel verlangt, oder?!
Mit diesen Gedanken schlang ich meine Arme wieder richtig um meine kleine Hexe, doch sie wehrte sich dagegen, indem sie ihre flache Hand auf meine Brust legte und sich von mir wegdrückte. Was ich natürlich zu verhindern versuchte, aber sie verstärkte den Druck und distanzierte sich immer mehr von mir, bis sie sich ganz aus meinem Griff befreit hatte und an der Bettkante angelangt war.
Erst jetzt fiel mir auf, dass sie ihre zweite Hand über den Mund gelegt hatte und gepresst atmete, und inzwischen flatterten auch ihre Augenlider wie verrückt, als würde sie jeden Moment erneut das Bewusstsein verlieren.
Doch es sollte ganz anders kommen.
Als würde ihr Körper plötzlich von einer Unmenge an Kraft durchströmt werden, schoss sie in die Höhe, stürzte aus dem Bett und stolperte zum Mülleimer, vor dem sie haltlos zusammenbrach und auf die Knie fiel, bevor sie sich lautstark übergab.
All das ereignete sich so unfassbar schnell, dass ich im ersten Moment gar nicht realisierte, was überhaupt vor sich ging, und als ich es schließlich tat, war es bereits zu spät.
„Scheiße, w-was...", stotterte ich, brach allerdings ab und zögerte keine weitere Sekunde mehr. Schwungvoll schlug ich die Bettdecke nach unten, schleuderte sie fast schon weg, und entfernte die Klammer an meinem Zeigefinger, die meinen viel zu hohen Puls auf diesen dämlichen Monitor übertrug.
Durch den fehlenden Kontakt allerdings piepste dieses blöde Ding jetzt ununterbrochen und monoton, was mir zwar unnormal auf die Nerven ging, gerade aber scheißegal war. Alles, was mir im Weg stand und mich von Hermine trennte, wurde achtlos zur Seite geschoben, denn ich musste jetzt irgendwie zu ihr - so schnell wie möglich.
„N-Nein, b-bleib- bleib liegen!", würgte sie im wahrsten Sinne des Wortes mit letzter Kraft hervor, beugte sich direkt danach wieder über den Mülleimer und übergab sich ein weiteres Mal.
Ich war dermaßen überfordert mit allem, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Fürs Erste taumelte ich irgendwie zu ihr, wobei mir wiederholt schwarz vor Augen wurde, ehe ich mich ganz dicht neben ihr auf dem Boden niederließ und einen Arm um sie schlang, mit der zweiten Hand hielt ich ihre Haare zurück, um zu verhindern, dass ihr diese ins Gesicht fielen. Ihr Körper war komplett entkräftet und in sich zusammengesackt, schien sich in einer Schockstarre zu befinden, die es mir unmöglich machte, zu ihr durchzudringen und sie zu beruhigen.
Auch auf das ohrenbetäubende Aufschlagen der Tür reagierte sie nicht. Im Gegensatz zu mir, der sofort erschrocken herumfuhr und hektisch den Kopf zur Seite riss, nur, um Sekunden später in das restlos schockierte Gesicht von Madam Pomfrey zu blicken, die aussah, als wäre sie einem Geist begegnet. Was hier in Hogwarts zwar nicht wirklich ungewöhnlich war, aber dennoch...
„Was ist-", donnerte sie ungehalten, noch während sie völlig kopflos hereinstürmte, verstummte allerdings schlagartig, als ihr panischer Blick bei Hermine und mir hängenblieb, wie wir aneinander gekuschelt auf dem Boden knieten und über dem Mülleimer hingen.
Ein Bild, das bestimmt ziemlich verstörend sein musste, sie aber gewissermaßen erleichtert aufatmen ließ. Der Grund hierfür schlich sich allmählich in mein Gehirn und wurde wortwörtlich immer lauter, vor allem in dem Moment, in dem die Medihexe den kleinen Monitor mit der kerzengeraden Linie und dem durchgehenden Piepsen beäugte.
„Sind Sie des Wahnsinns? Was in Merlins Namen ist hier bitte los?!", verlangte sie zu erfahren und steuerte das Pulsmessgerät an, um es auszuschalten und diesem nervtötenden Geräusch endlich ein Ende zu setzen. „Haben Sie auch nur den Hauch einer Ahnung, welchen Schrecken Sie mir eingejagt haben? Ich dachte Ihnen wäre sonst was passiert! Hatte ich Ihnen nicht strengstens verboten das Bett zu verlassen?!"
Ist ja nicht so, als würden wir freiwillig auf dem eiskalten Steinboden sitzen...
„Sie ist aufgesprungen und hat sich übergeben, was hätte ich denn sonst tun sollen als ihr zu helfen?", versuchte ich mich zu wehren, ohne dabei meine eigentlichen Gedanken laut auszusprechen, denn ich wollte sie nicht provozieren und die Situation nicht noch mehr eskalieren lassen. Sie war auch ohne meine schlauen Sprüche schon rasend vor Wut und Madam Pomfrey war definitiv eine der Letzten, mit denen ich es mir verscherzen wollte.
„Nach mir rufen oder den Notfallknopf neben Ihrem Bett betätigen, wie wäre es damit, hm?"
Ich war kurz davor den Mund zu öffnen, um ihr zu widersprechen oder ihr klarzumachen, dass es mir schon deutlich besser ging und ich für Hermine alles in Kauf nahm, entschied mich aber dagegen und widmete mich stattdessen der Hexe in meinen Armen, die sich zum mittlerweile vierten Mal übergab.
„Schhh... schon gut. Lass es raus.", flüsterte ich leise in ihren Schopf, den ich sanft gegen meine Brust drückte und immer wieder mit kleinen Küssen bedeckte, in der Hoffnung, sie ein wenig beruhigen zu können. Ich war mir ziemlich sicher, dass der immense Schock für all das verantwortlich war, denn ich wusste leider selbst nur zu gut, wie das war, wenn einem alles zu viel wurde und man derartig neben sich stand, dass man wortwörtlich am liebsten kotzen wollte.
„Sie steht noch immer unter Schock.", bestätigte nur wenig später auch Madam Pomfrey meine Vermutung „Ich werde ihr etwas zur Beruhigung geben." und wandte sich wieder von uns ab, vermutlich, um besagtes Beruhigungsmittel aus dem Nebenzimmer zu holen.
Worüber ich zugegebenermaßen ziemlich erleichtert war, denn dieses 24/7 unter Beobachtung stehen wurde immer unerträglicher. Natürlich war es nur zu unserem Besten, aber es nervte allmählich. Ich wollte nur noch gesund und fit werden und dann von hier verschwinden, wieder einen normalen Alltag in Hogwarts führen.
Sofern man als ein Draco Malfoy und eine Hermine Granger einen normalen Alltag in Hogwarts führen konnte... Noch dazu als Paar.
Ein leises Wimmern ließ mich wieder aufhorchen, das immer lauter und stärker wurde, bis es in ein Schluchzen überging und so voller Verzweiflung war, dass es mir beinahe das Herz zerriss.
Ihr zierlicher Körper, um den ich beschützend meine Arme gelegt hatte, zitterte und bebte so intensiv, dass ich sie nur mit Mühe und größter Anstrengung halten konnte, was ich natürlich auf mich nahm. Nichts war mir gerade so wichtig, wie sie zu beruhigen und in jeder freien Sekunde für sie da zu sein, um ihr irgendwie, irgendwann diesen fürchterlichen Schmerz von der Seele zu nehmen.
„Gut so, lass alles raus.", ermutigte ich sie, da es oftmals das Beste war, den Tränen einfach freien Lauf zu lassen, vor allem, wenn man das Gefühl hatte daran zu ersticken. Sie musste diesen Frust, diese Qualen irgendwie loswerden, herausschreien oder eben herausschwemmen.
Und bei Salazar - das tat sie.
Eine Sturzflut brach aus ihren unschuldigen, rehbraunen Augen heraus, wie ein eiskalter Platzregen, wie ein Staudamm, der in sich zusammenfiel und alles um sich herum überflutete und unter Wasser setzte.
Ihre Muskeln versagten endgültig ihren Dienst und ließen sie gar leblos wegknicken, wodurch sie mit ihrem ganzen Körpergewicht gegen meine Brust krachte. Hilfesuchend krallte sie sich in mein T-Shirt und in meine Haut, umklammerte mich, als wäre ich der einzige Rettungsring in diesem unendlich großen Meer, in dem sie gerade zu ertrinken drohte.
Weil ihr aber die nötige Kraft fehlte, scheiterte und verzweifelte sie bei dem Versuch sich an Land zu ziehen, und das dermaßen, dass sie so stark wie noch nie zu weinen begann. Immer wieder japste sie nach Luft, doch jeder Atemzug wurde von einem heftigen Schluchzen unterbrochen, das mir durch Mark und Bein ging und mich ebenfalls an den Rand der Verzweiflung brachte.
Ich wusste absolut nicht, was ich noch tun sollte, denn nichts schien zu helfen oder sie zumindest ein bisschen zu beruhigen. Ich hätte vermutlich noch stundenlang auf sie einreden können und es wäre nicht besser geworden.
Sogar Madam Pomfrey war restlos überfordert mit der Situation und ließ beinahe das kleine Fläschchen fallen, als sie zurückkam und Hermine derartig zerschlagen vorfand.
Sie schluchzte unaufhörlich in meine Halsbeuge, die von ihren unzähligen, heißen Tränen überflutet wurde, und ihre Atmung war so hektisch und abgehackt, dass ihr gesamter Körper erzitterte. Wie ein instabiles, marodes Haus, das während eines Erdbebens ins Wanken geriet und letztlich in sich zusammenstürzte.
„Helfen Sie ihr bitte, i-ich...", flehte ich, brachte aber nichts weiter als ein heiseres Krächzen heraus, das mir die Kehle zuschnürte.
Innerlich betete ich, dass alles nur ein Traum war; ein Albtraum, aus dem ich gleich aufwachen würde. Und zwar am heutigen Morgen, als alles noch gut gewesen war. Dann würde womöglich auch das Gespräch mit Potter ganz anders laufen. Er würde uns einfach nur besuchen, den Schlüsselanhänger vorbeibringen, über belangloses Zeug reden und dann wieder verschwinden.
Was natürlich vollkommen idiotisch war, aber... ein Teil in mir hoffte wirklich, dass er unschuldig war und nichts von alldem getan hatte. Dass alles nur ein riesengroßes Missverständnis war. Allein schon Hermine zuliebe. Von Weasley ganz zu schweigen.
Die Fingernägel, die sich inzwischen tief in meine Haut bohrten, erinnerten mich allerdings schmerzhaft daran, dass wir uns in keinem Traum, sondern der bitteren Realität befanden, zu der ich jetzt auch gedanklich zurückkehrte.
„Miss Granger? Können Sie aufstehen?", drang Madam Pomfreys Stimme an mein Ohr, die mittlerweile wieder hinter Hermine kniete und sachte über ihren bebenden Rücken streichelte, nachdem sie ihr das kleine Fläschchen mit dem Beruhigungstrank eingeflößt hatte.
Wie erwartet, bekam sie lediglich ein Kopfschütteln als Antwort, also beschloss ich, es im wahrsten Sinne des Wortes selbst in die Hand zu nehmen und sie irgendwie zurück ins Bett zu tragen.
Eine Entscheidung, die der Medihexe zwar überhaupt nicht gefiel, aber sie und viele andere wussten ja, dass ich mich ungern, besser gesagt nie von meinen Plänen abbringen ließ, also- Oh fuck!
Apropos Plan...
„Was- Mr. Malfoy! Sie können nicht-", schimpfte die Grauhaarige, doch es war bereits zu spät. Mit all der Kraft, die ich gerade aufbringen konnte, stand ich auf und lud mir Hermine auf die Arme, was mir die Tatsache, dass sie ein Fliegengewicht war, deutlich erleichterte.
Ich war zwar selbst immer noch relativ wackelig auf den Beinen, aber ihr Wohlbefinden war mir im Moment wichtiger als mein eigenes, also nahm ich sämtliche Schmerzen und den schwarzen Schleier vor meinen Augen in Kauf und überspielte all das ein wenig, indem ich mein typisches, arrogantes Grinsen aufsetzte.
„Sie sehen doch, dass ich's kann.", spottete ich selbstgefällig in ihre Richtung, verkniff mir aber das passende Lachen dazu, da ihr Ausdruck immer strenger und mahnender wurde.
„Sparen Sie sich Ihre vorlauten Sprüche, Mr. Malfoy! Mit Ihrem Zustand ist nach wie vor nicht zu spaßen, also mäßigen Sie sich gefälligst! Wenn ich Sie noch ein einziges Mal außerhalb des Bettes erwische, ohne, dass ich dabei bin oder es Ihnen ausdrücklich erlaubt habe, lernen Sie mich von einer ganz anderen Seite kennen! Haben Sie mich verstanden?!"
Salazar, sie raste vor Wut.
Und weil sie mich damit mehr einschüchterte als ich es gewohnt war, drehte ich mich möglichst unbeeindruckt weg und steuerte mit zusammengebissenen Zähnen das Bett an, um die ehemalige Gryffindor vorsichtig darauf abzulegen. Ihr Griff um meinen Hals war dabei so fest, dass ich sie nur schwer von mir wegdrücken konnte, und dieses quengelige, fast schon verletzte Wimmern, das sie verlauten ließ, gab mir den Rest.
„Schon gut, Süße. Ich leg mich gleich zu dir, okay?", hauchte ich ihr entgegen und platzierte einen kleinen Kuss auf ihrer Stirn, der sie verhalten und unsicher nicken ließ.
Kurz wandte ich meine Augen von der Brünetten ab, um sie erneut auf Madam Pomfrey zu richten, die mir mit einer eindeutigen Handbewegung zu verstehen gab, dass ich mich ebenfalls hinlegen und nie wieder auch nur in Erwägung ziehen sollte, aufzustehen.
Ich kam ihrer wortlosen Aufforderung also unverzüglich nach, hob die Bettdecke an, schlüpfte darunter und legte sie anschließend über mich und Hermine, die sich etwas unbeholfen und mit frischen Tränen in den Augen an meinen Oberkörper schmiegte, also half ich ihr dabei, indem ich meinen linken Arm um sie schlang und sie mit leichtem Druck an mich zog.
Auch hierbei wurde ich strengstens von der Medihexe beobachtet, die langsamen Schrittes auf uns zukam, bis sie dicht neben dem Bett Halt machte. Ihr Ausdruck wechselte binnen Sekunden von zornig zu fürsorglich, als sie ihre Aufmerksamkeit nicht mehr länger mir, sondern Hermine schenkte.
„Der Trank wird Sie emotional, aber auch körperlich etwas beruhigen, damit Sie in Ruhe schlafen können. Das ist jetzt sehr wichtig. Ich werde Ihnen einen Spuckbeutel neben das Bett legen, sollten Sie sich erneut übergeben müssen, ansonsten bleiben Sie bitte liegen. Das gilt vor allem für Sie, Mr. Malfoy!"
Während des letzten Satzes huschten ihre Augen wieder zu mir, durchbohrten mich derartig, dass ich ihr nicht mehr zu widersprechen wagte, noch dazu, weil ich mir über den Ernst der Lage durchaus bewusst war.
Es war nur so, dass diese spöttischen, arroganten Sprüche vieles einfacher machten. Meist versuchte ich, ernste Situationen mit lustigen Bemerkungen zu verharmlosen oder ins Lächerliche zu ziehen, weil ich mir meine eigentlichen Gefühle und Emotionen nicht anmerken lassen wollte. Es war eine Art Selbstschutz, um nach außen hin kühl und distanziert zu wirken. So, wie ich es gelernt hatte.
Mit diesen mahnenden Worten jedoch, hatte sie mich nun ein für allemal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Demnach resignierte ich und versicherte ihr, dass ich mich an ihre Anweisungen halten würde, womit sie sich letzten Endes zufrieden gab und sich verabschiedete.
Es war bereits nach Mitternacht, als die Lampen im Krankenflügel erloschen und wir nach diesem schrecklichen Tag endlich in einen ruhigen Schlaf sanken.
- - -
Wieder ein längeres und nicht gesplittetes Kapitel, mit vielen Einblicken in Dracos Gedanken :)) Das hier beweist doch, dass er ein ganz Lieber ist, der nichts Böses planen würde, oder? ;) ^^
Auch, wenn nicht allzu viel passiert ist (abgesehen von dem mit Hermine natürlich), hoffe ich, dass es Euch gefallen hat und Ihr auch weiterhin gespannt seid :)
Liebe Grüße und bleibt alle gesund!
Eure Emma <3
>>>
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top