74. | Kometeneinschlag
Hermines POV
Der nächste Tag verlief relativ ruhig und reibungslos, ohne jegliche Komplikationen oder Zwischenfälle, und Dracos Zustand zeigte glücklicherweise bereits etwas Besserung.
Sogar so gut, dass er die Sauerstoffbrille nur mehr in der Nacht benötigte und auch die Anzahl der Infusionen deutlich heruntergeschraubt wurde, allerdings wurde er auch weiterhin dazu verdonnert im Bett zu bleiben. Womit weder er noch ich ein Problem hatten, denn verlassen durften wir den Krankenflügel ja ohnehin nicht und außer Betten und komischen Gerätschaften gab es hier sowieso nichts Spannendes zu sehen oder zu tun.
Ginny und Zabini hatten wir seit ihrem Besuch am Donnerstag und nachdem sie Hand in Hand Richtung Raum der Wünsche verschwunden waren, nicht mehr zu Gesicht bekommen, doch ich war mir sicher, dass die beiden Einiges zu besprechen hatten und gerade jede freie Sekunde ihrer Zweisamkeit genossen. Was ihnen keiner verübeln konnte.
Den gestrigen Tag hatten Draco und ich mit Lesen und Kuscheln verbracht, wir hatten noch etwas ausführlicher über meine Eltern, sowie die vergangene Woche gesprochen, ansonsten genossen auch wir einfach nur unsere Ruhe, die ab und zu von Madam Pomfrey gestört wurde, wenn sie nach uns sah oder unsere Mahlzeiten vorbeibrachte.
Inzwischen war Samstagnachmittag und ich schmökerte in einem meiner Bücher - gefühlt las ich es schon zum tausendsten Mal - während Draco ruhig vor sich hin döste und schlief.
Das Wetter und generell das ganze Ambiente waren heute eher trist, da sich die Sonne hinter dicken, grauen Regenwolken versteckte, sich keine Sekunde blicken ließ und den Raum in ein kaltes, eher ungemütliches Licht tauchte, zusätzlich brachte der nasskalte Wind, der draußen tobte, die dünnen, hohen Fenster des Krankenzimmers zum Klirren.
Ich hatte mich bis zum Kinn in die Decke und fest an Draco gekuschelt, mein Kopf lag seitlich auf seiner Brust, in meiner linken Hand hielt ich das Buch, welches ich irgendwann, als ich mich nicht mehr konzentrieren konnte und mir immer wieder die Augen zufielen, beiseitelegte. Stattdessen lauschte ich dem gleichmäßigen Herzschlag meines Freundes und versank in Gedanken, ein ganz bestimmtes Thema betreffend, das bereits seit heute Morgen immer wieder in meinem Kopf herumspukte.
Nämlich seit dem Moment, in dem Madam Pomfrey uns mitgeteilt hatte, dass Harry uns heute Abend einen Besuch abstatten wollte, für den sie allerdings Dracos und meine Zustimmung brauchte, da Unbefugten und unerwünschten Besuchern der Zutritt nach wie vor untersagt war.
Draco war der Erste gewesen, der nach kurzem Überlegen zugestimmt hatte - was mich ehrlich gesagt ziemlich gewundert und überrascht hatte - doch wenn man bedachte, dass er ohne Harry nicht mehr am Leben wäre, machte es durchaus Sinn, dass er ihn sehen und sich höchstwahrscheinlich bei ihm bedanken wollte. Und ich ebenso.
Dennoch hatte ich ein seltsames Gefühl bei der ganzen Sache, konnte allerdings nicht sagen warum oder woher das kam, nur, dass ich mich irgendwie etwas unwohl fühlte, wenn ich an diese Begegnung später dachte. Abgesehen davon, dass ich generell ziemlich übervorsichtig und schreckhaft geworden war, hatten Harry und ich während der letzten Wochen nämlich keine einzige normale Unterhaltung geführt, ohne, dass wir uns gestritten oder angekeift hatten.
Demnach war ich umso gespannter, wie es später ablaufen würde. Ich hoffte natürlich, dass wir alles in Ruhe klären und alle Missverständnisse aus der Welt schaffen würden, doch gleichzeitig wollte ich ohne jegliche Erwartungen in dieses Treffen gehen, um mir nicht zu viel zu erhoffen und dann enttäuscht zu werden.
Zudem hoffte ich, dass er eine Idee hatte, wer hinter diesem Angriff stecken könnte, oder dass er während des Aufenthalts im 'Drei Besen' irgendetwas Auffälliges bemerkt oder gesehen hatte, damit uns zumindest diese Last von den Schultern genommen werden würde.
Die Minuten verflogen, die ich hauptsächlich mit Nachdenken verbrachte und damit, Draco beim Schlafen zu beobachten, bis er am frühen Abend schließlich aufwachte, als Madam Pomfrey das Zimmer betrat.
Sie brachte uns unser Essen, das wir größtenteils stillschweigend zu uns nahmen, denn ich für meinen Teil war vollkommen ausgelaugt und unmotiviert, und zugegebenermaßen fiel mir hier allmählich die Decke auf den Kopf.
Draco und ich hatten zwar unsere Ruhe, konnten Tag und Nacht miteinander verbringen, aber die Gründe hierfür waren einfach nur grauenhaft, die Umstände waren beängstigend und alles andere als erfreulich, und mir fehlte verdammt nochmal der Alltag und das Leben in Hogwarts. Der Unterricht, die anderen Schüler und Lehrer, die Bibliothek, dieses Gemeinschaftsgefühl, ich vermisste sogar diese neugierigen, teils verhassten Blicke in der großen Halle - und das musste wirklich etwas heißen!
Ein paar Minuten später und nachdem wir beide aufgegessen und unsere widerlichen Heiltränke zu uns genommen hatten, war es gegen 18 Uhr dann so weit und niemand Geringeres als Harry Potter klopfte an der Tür.
„Hey.", begrüßte er uns relativ matt, fast schon betrübt, und trat nur zögernd ein, als würde er über ein Mienenfeld laufen, das bei einem einzigen Fehltritt in die Luft ging. Generell war seine Erscheinung alles andere als fröhlich, viel mehr ähnelte er einer wandelnden Leiche.
Sein Gesicht war an den Wangen ziemlich eingefallen, seine grünen Augen waren von dunklen Schatten umgeben und seine Lippen waren nicht nur trocken und spröde, sondern bläulich und an manchen Stellen eingerissen.
Kurz gesagt: er sah ziemlich abgemagert und ramponiert aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen oder als hätte er tagelang im Koma gelegen. Dieser Anblick versetzte mir einen kleinen Stich ins Herz, denn wenn ich eines hasste, dann, meine Freunde leiden zu sehen. Die letzte Woche schien auch für ihn ziemlich anstrengend und nervenaufreibend gewesen zu sein; hinzu kamen natürlich noch die Trennung von Ginny und die Anschuldigungen gegen Ron, was ihm ebenfalls ziemlich zusetzte, das war unverkennbar.
„Hey.", erwiderten Draco und ich wie aus einem Mund, mit dem gleichen, sanften Lächeln auf den Lippen, Harry jedoch schaute etwas müde und niedergeschlagen drein, schien unseren Blicken auszuweichen.
Nur hie und da wagte er es, uns direkt in die Augen zu sehen, ansonsten starrte er überwiegend zu Boden oder ins Leere, während er langsamen Schrittes den freien Stuhl ansteuerte, auf dem er sich letzten Endes, ein nervöses Räuspern verlautend, niederließ.
„Und? Wie geht's so?", begann er nach etwa einminütigem, peinlichem Schweigen, das so still gewesen war, dass ich das Rauschen meines Blutes hatte hören können, das gefühlt in Schallgeschwindigkeit durch meinen Körper sauste. Auch hierbei sah er uns nicht an, sondern fixierte einen undefinierbaren Punkt zwischen Draco und mir.
„Schon etwas besser. Zwar noch nicht gut, aber... Madam Pomfrey versucht wirklich alles, damit es mir schnell wieder besser geht. Und die kleine Streberin hier auch." Zum Ende hin wanderten Dracos Augen mit einem leisen Schmunzeln zu mir, ob aus Verlegenheit oder weil er diese angespannte Stimmung ein wenig lockern wollte, wusste ich nicht, doch es schien Wirkung zu zeigen, denn Harry setzte doch tatsächlich ebenfalls ein kleines Lächeln auf. Es reichte zwar nicht ganz bis zu seinen Augen - genau genommen nicht einmal ansatzweise - aber immerhin war es ein Anfang.
„Übrigens bin ich... also... ich bin froh, dass du noch am Leben bist und...", stammelte er unsicher vor sich hin, nervös knetete er seine Hände, die unruhig in seinem Schoß lagen.
„Danke." Überrascht schoss Harrys Blick, besser gesagt sein ganzer Kopf, nach oben, als Draco dieses eine Wort aussprach, das den Auserwählten vermutlich kurzzeitig vom Glauben abfallen ließ.
„Ich mein's ernst, Potter.", setzte er nach, seine Miene war eisern und todernst. „Hermine hat mir erzählt, was passiert ist und... dass ich ohne dich tot wäre, also..."
„Schon gut. Lass uns keine große Sache draus machen."
„Das dürfte schwer werden, ich meine... du hast mir das Leben gerettet, das ist also sehr wohl-"
„Lass einfach gut sein, Malfoy! Bitte! Ich will nichts mehr davon hören!", würgte Harry ihm harsch das Wort ab, und das in einem derartig strengen und mahnenden Ton, dass erstmal Ruhe herrschte. Keine sonderlich angenehme oder entspannte Ruhe, sondern so ziemlich das genaue Gegenteil.
Ich schluckte, versuchte auf diese Weise diesen kürbisgroßen Kloß in meinem Hals loszuwerden, doch es misslang mir, wurde von Sekunde zu Sekunde nur noch schlimmer.
„Na gut, dann..." Er verstummte, wusste offenbar nicht, was er darauf noch sagen sollte, womit er definitiv nicht alleine war, denn auch ich war maßlos überfordert mit dieser Situation und fragte mich, was Harry dann überhaupt hier tat, wenn er nicht darüber reden, geschweige denn etwas davon hören wollte. Denn dass Draco sich bedanken wollte, war doch irgendwie logisch, oder nicht?
„Wie geht's dir denn so? Nach der ganzen Sache mit Ginny und so?", war letzten Endes ich diejenige, die das Thema in eine andere Richtung lenkte, auch, wenn dieses mindestens genauso unerfreulich war.
Dachte ich zumindest, denn...
„Na ja, wirklich überraschend war es ja nicht, wenn man sich die letzten Wochen mal anschaut." Er schien nicht wirklich enttäuscht oder gekränkt zu sein.
Aber er hatte ja recht, zwischen den beiden hatte es schon eine ganze Weile gekriselt und genau genommen hatte auch ich nur noch darauf gewartet, dass sie die Beziehung endgültig beenden würden. Dass Harry allerdings dermaßen locker und verständnisvoll damit umging, wunderte mich dann doch irgendwie.
„Und wie geht es dir damit?"
„Ehrlich gesagt hab ich's schon geahnt, dass es in die Brüche geht. Wir funktionieren einfach nicht als Paar und haben uns in den letzten Wochen total auseinandergelebt, also... ich hab mich schon damit abgefunden. Versteh mich nicht falsch, ich... ich liebe sie, gar keine Frage, aber... sie ist wie eine Schwester für mich. Ich will, dass sie glücklich ist. Und wenn sie das mit Zabini statt mit mir ist, dann-"
„Du weißt schon davon?", unterbrach ich ihn ruhig, gewissermaßen verwundert.
„Klar. Sie hat sich ja nicht grundlos von mir getrennt. Sie hat mir alles erklärt und... wie gesagt... ich will einfach nur, dass sie glücklich ist. Egal, mit wem."
Ich nickte, verstand durchaus, was er mir damit sagen wollte und wie er sich fühlte, denn mir war es mit Ron ja nicht anders ergangen. Ich liebte ihn und das würde ich immer tun, aber eben nur wie einen guten Freund oder einen Bruder.
Und trotzdem entgingen mir die kleinen Tränen nicht, die sich während des Sprechens wie ein Vorhang über Harrys Augen legten, doch ich versuchte diesen nicht allzu viel Beachtung zu schenken, zumal es eine ganz normale und natürliche Reaktion war, die ich nur zu gut nachvollziehen konnte.
Sein leises Räuspern riss mich nur wenige Sekunden später aus meinen Gedanken.
„Ich hab übrigens noch was für dich.", sagte er überwiegend an Draco gerichtet, anschließend ließ er seine rechte Hand in seine Hosentasche gleiten, wo er kurz herumkramte, bevor er sie geballt wieder herauszog.
Ich war im ersten Augenblick völlig überfordert und fragte mich, was er vorhatte, doch in dem Moment, in dem er seine Hand öffnete und uns somit den kleinen Gegenstand zeigte, der sich darin befand, sprang mir fast das Herz aus der Brust.
„Oh mein G-Gott, Harry, w-wie... wie hast du...", stotterte ich restlos überwältigt, brach allerdings ab und stemmte mich schwungvoll nach oben, was zur Folge hatte, dass mir kurzzeitig schwarz vor Augen wurde.
Ich konnte kaum glauben, was ich da sah, denn ich hatte nicht damit gerechnet, diesen jemals wieder zu Gesicht zu bekommen.
Es war der kleine, herzförmige Schlüsselanhänger, den ich Draco im ersten Schuljahr geschenkt hatte. Der, den Ron in tausend Einzelteile zerfetzt hatte... eigentlich! Jetzt war er nämlich wieder ganz, sah fast aus wie neu.
„Ich bin am Freitag noch etwas länger im 'Drei Besen' geblieben und... hab ein paar Dinge in Ordnung gebracht. Unter anderem den Anhänger hier." Während er sprach, fixierten seine Pupillen nachdenklich das kleine Foto.
„Aber wie hast du... Ron hat ihn doch-"
„Aufspürzauber.", fiel er mir kleinlaut ins Wort. „Damit hab ich die ganzen Einzelteile gefunden und... dann hab ich sie mit dem 'Reparo' zusammengefügt."
„Danke!", stieß ich erleichtert aus und spürte eine kleine Tränenwelle in mir aufsteigen, gleichzeitig fiel mir ein riesengroßer Stein vom Herzen, denn ich war ihm so unendlich dankbar für alles, dass dieses eine Wort nicht einmal ansatzweise beschreiben konnte, was ich gerade wirklich an Dankbarkeit verspürte.
Ich beugte mich noch ein Stück nach vorne, streckte meinen Arm aus und griff etwas zaghaft nach dem kleinen Schlüsselanhänger, den Harry mir vorsichtig in die Hand legte. Für einen kurzen Moment verweilte ich in dieser Position, starrte wie gebannt auf den Anhänger mit dem kleinen Foto und biss mir gedankenverloren auf die Unterlippe, als meine Emotionen mich mal wieder zu übermannen drohten.
Es war nur ein Gegenstand, für Außenstehende mochte meine Reaktion vielleicht übertrieben wirken, doch mir bedeutete er einfach die Welt. Für mich war es der Beweis, dass alles, was Draco mir damals im Raum der Wünsche gezeigt und erklärt hatte, einst Realität gewesen war. Dass wir damals wirklich befreundet und unzertrennlich gewesen waren. Dass wir diese grausamen Zeiten und diesen schrecklichen Krieg überstanden und wieder zueinandergefunden hatten.
Ich zuckte leicht zusammen, als ich plötzlich eine Hand auf meinem Rücken spürte, die mich ins Hier und Jetzt zurückholte, etwas überrascht drehte ich mich um und blickte in die eisgrauen Augen meines Freundes. Seine Lippen waren zu einem sanften, ebenso erleichterten Lächeln geformt, zogen mich derartig in seinen Bann, dass ich meine am liebsten daraufgelegt hätte, um ihn zu küssen. Wäre da nicht Harry gewesen, der den Blondschopf sowieso schon sehr misstrauisch beäugte.
Dennoch ließ ich mich wieder zurücksinken und schmiegte mich an Dracos Brust, wo ich ihm schmunzelnd den Schlüsselanhänger vor die Nase hielt.
„Hier."
„Danke.", hauchte er erst in meine, dann in Harrys Richtung, und nahm ihn mir aus der Hand, drehte ihn kurz und ließ ihn in seiner leicht geballten Faust verschwinden, die er letztlich rechts neben sich auf der Matratze ablegte.
Abgesehen von einem emotionslosen Nicken reagierte der Schwarzhaarige nicht darauf, sondern starrte wieder zu Boden, während er sichtlich angespannt seine Finger knetete, die vereinzelt sogar knacksten.
All das führte dazu, dass ich mich zum wiederholten Male fragte, was eigentlich los war, denn dieser Harry hier hatte nichts mit dem der letzten Jahre zu tun. Man sah ihm an, dass er total nervös war, sich unwohl und vermutlich fehl am Platz fühlte. Hinzu kamen sein generell seltsames Verhalten, sein Erscheinungsbild und die Tatsache, dass er keinem von uns beiden so richtig in die Augen sehen konnte.
Irgendetwas stimmte nicht. Und damit meinte ich, dass irgendetwas ganz gewaltig nicht stimmte.
„Du hast doch irgendwas, oder?", hakte ich fürsorglich und ehrlich besorgt nach, versuchte aus seiner Mimik herauszulesen, wo das Problem lag, doch auch hier fand ich nichts.
Kurz überlegte ich, mithilfe von Legilimentik in seinen Kopf einzutauchen, um seine Gedanken zu lesen, entschied mich aber dagegen, weil es immer noch ihm überlassen war, worüber er reden wollte und worüber nicht. Nur machte es mich fast wahnsinnig, dass er heute so verschlossen war und eins auf geheimnisvoll tat, denn wenn er jemandem vertrauen konnte, dann ja wohl mir, oder nicht?
„Was meinst du?", spielte er auch weiterhin den Unwissenden, was ich ihm jedoch nicht mehr länger abkaufte. Er wusste ganz genau, worauf ich hinauswollte, das sah ich. Ich kannte ihn inzwischen einfach lang und gut genug, um zu merken, wenn ihm etwas auf der Seele lag.
„Du bist so anders. Irgendwie... ich weiß nicht... irgendwie so... gebrochen." Mir fiel kein passenderes Wort ein. Seinem bedrückten Schmunzeln geschuldet, fühlte ich mich in meiner Annahme allerdings bestätigt.
„Die letzten Tage waren die Hölle auf Erden, also... ja, gebrochen trifft es vermutlich ziemlich gut."
„Willst du irgendwie... keine Ahnung... darüber reden? Ich meine... wir können auch unter vier Augen reden, wenn es dir lieber wäre.", schlug ich erst etwas zögerlich, dann immer entschlossener vor, da ich mir vorstellen konnte, dass er unter anderem auch aufgrund von Dracos Anwesenheit nicht darüber reden wollte. Wirklich freundlich, geschweige denn friedlich war es zwischen den beiden ja immer noch nicht, da wollte Harry sich bestimmt nicht schwach oder gar traurig präsentieren. Dachte ich. Der wahre Grund schien aber ein ganz anderer zu sein.
Sichtlich in sich gekehrt schüttelte er den Kopf.
„Danke, aber... ich bin eigentlich nur hier weil ich... ich wollte, dass ihr die Ersten seid, die davon erfahren, also..." Er nahm einen tiefen, langgezogenen Atemzug, während mir selbst zunehmend die Luft ausging, anschließend richtete er seine müden, geschwollenen Augen direkt auf Draco.
„Ich werde jetzt zu McGonagall gehen und ihr sagen, wer dir das angetan hat."
Dann setzte mein Herz aus. Wie auf Knopfdruck. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Von der einen auf die andere Millisekunde drehte sich plötzlich alles, wie ein Tornado, der mich mit sich riss und mich wild herumwirbelte, weshalb ich mich Halt suchend an Draco klammerte, der ebenfalls merklich verschreckt die Luft anhielt.
„D-Du weißt inzwischen, wer es war?", stotterte ich hilflos vor mich hin. Mir wurde unglaublich schlecht, als ich mich langsam wieder aufrichtete, ich meinte mich übergeben zu müssen und bildete mir sogar ein, das gefährliche Brodeln meiner Magenflüssigkeit zu spüren.
Das zögerliche Nicken von Harry nahm ich nur am Rande wahr.
„Wer war es?", kam es heiser von Draco.
Keine Antwort.
„Harry? Wer war es?", bohrte ich mit zittriger Stimme nach, mein Blut raste in unmessbarer Geschwindigkeit durch meinen Körper und mein Herz lief inzwischen ebenfalls wieder auf Hochtouren, klopfte viel zu schnell und unregelmäßig, pochte unangenehm in meinen Ohren.
Doch auch mir gab er keine Antwort. Er schwieg. Wie ein Grab.
Und so konnte ich nur beobachten, wie er seine Ellbogen auf seinen angewinkelten Knien abstützte und sein Gesicht mit einem frustrierten Seufzen in den Händen vergrub.
Je länger ich ihn und dieses Bild, das er uns bot, betrachtete, je länger ich über sein Verhalten, seine Erscheinung, seine Nervosität nachdachte, desto lauter wurde ein bestimmter Gedanke in meinem Kopf, den ich am liebsten sofort wieder daraus verbannen wollte.
Erinnerungen an die letzten Wochen und an Freitagabend tauchten vor meinen Augen auf, unzählige Worte hallten in meinen Ohren wider, die es mir allerdings unmöglich machten, diesen einen Gedanken wieder loszuwerden.
Das kann nicht-
„H-Harry?", versuchte ich es ein letztes Mal, ich brauchte einfach die Gewissheit.
„Sag mir nicht, d-dass-" Ein brennendes Stechen durchfuhr mein sich überschlagendes Herz. Ich wollte es nicht wahrhaben. Selbst wenn es sich bewahrheiten würde, ich wollte es einfach nicht.
Doch in dem Moment, in dem er sein Gesicht aus seinen Händen befreite, seinen Kopf hob und mich aus tränenverschleierten Augen ansah, versagte mir die Stimme.
Nein!
Ohne, dass ich es kontrollieren konnte, flog mein Kopf von der linken zur rechten Seite und wieder zurück, immer wieder und immer schneller, in der Hoffnung, diesen Gedankengang loszuwerden.
Nein, nein, nein, d-das... das darf einfach nicht wahr sein!
Aber ich scheiterte.
„Ich kann das... i-ich kann d-das erklären..." Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Augenwinkel, kullerte seine Wange hinab, tropfte zu Boden, schien das gesamte Zimmer zu überfluten und mich zu ertränken.
Und dann... traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag.
Wie eine Bombe, die in meinem Inneren explodierte.
Wie ein Komet, der auf die Erde zuraste und alles zerstörte, woran ich jemals geglaubt hatte.
„Du warst es.", wisperte ich, und noch während ich diese wenigen Worte aussprach, wusste ich, dass es keine Frage und auch keine Vermutung, sondern eine Tatsache war, über die ich mir soeben schmerzlichst bewusst geworden war.
Ich brauchte auch keine Antwort oder eine Bestätigung, denn sein seltsames Verhalten, sein Ausdruck, sein Blick und generell sein gesamtes Erscheinungsbild sprachen Bände.
Es war Harry.
Harry hat versucht Draco zu töten.
Beziehungsweise es sogar getan, aber...
Nein, er... Harry hat ihm doch das Leben gerettet!
Wie kann das also sein?!
Und was hat das alles mit Ron zu tun?!
Unzählige Fragen schwirrten gerade in meinem Kopf herum, der jeden Moment explodierte, da war ich mir sicher.
„Warst du es? Ja oder nein?" Ich musste es jetzt einfach wissen.
Es passte nicht zu ihm! Überhaupt nicht!
Ich kannte Harry - er würde niemanden einfach so angreifen. Vor allem nicht grundlos.
Ich schluckte.
Was aber, wenn er einen Grund hatte? ...
„Hermine, i-ich-" „JA ODER NEIN?!"
Mein ganzer Körper bebte, als würden mehrere tausend Volt durch ihn hindurchschießen oder als würde die ganze Welt von einem starken Erdbeben erschüttert werden, und eine riesengroße Panik flammte in mir auf, die nur darauf wartete, aus mir herauszubrechen.
„J-Ja, i-ich... ich war's."
Es war nur ein Flüstern, doch diese endgültige Gewissheit, diese unvorstellbare Wahrheit, wirkte wie ein lauter, ohrenbetäubender Schrei, der mich innerlich ein für allemal zerriss. Ich war zutiefst schockiert. Gebrochen. Fand keine Worte mehr.
Völlig unkontrolliert und instinktiv schnellte mein Arm zur Seite in Richtung Nachttisch, wo ich mir meinen Zauberstab schnappte, den ich krampfhaft umklammerte. Derartig fest, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn dieser entzweigebrochen wäre.
Ich wusste nicht, was ich da tat, denn mein Körper handelte vollkommen automatisch, wie von selbst, und all das ging so schnell, dass ich erst wieder klarer denken konnte, als die Spitze meines Zauberstabes auf den leichenblassen Harry zeigte.
„Verschwinde!", hauchte ich ihm mit zittriger Stimme und zusammengebissenen Zähnen entgegen, zeitgleich schoss mir eine Unmenge an Tränen in die Augen, die meine Sicht auf den Schwarzhaarigen verschwimmen ließ, von dem ich nur noch hörte, wie er scharf die Luft einzog.
Damit war er allerdings nicht allein, denn auch Dracos Kehle entwich ein halberstickter Laut, als er meinem Handeln geschuldet geschockt aufatmete, was ich aber ignorierte.
Ich beugte mich über ihn, schirmte ihn auf diese Weise von Harry ab, um ihn zu beschützen und zu verhindern, dass er ihn womöglich erneut angreifen würde, denn wenn er es schon einmal geschafft hatte, Draco anzugreifen, würde er bestimmt nichts unversucht lassen, es ein weiteres Mal zu versuchen.
Vielleicht war ja genau das sein Plan gewesen. In den Krankenflügel kommen, eines auf unschuldig machen und ihn dann eiskalt überwältigen.
„Lass es. Er ist es nicht wert.", unterbrach die flüsternde Stimme zu meiner Rechten meine Gedankengänge und ich spürte, wie meine Hand, in der ich den Zauberstab hielt, umschlossen und mit sanftem Druck nach unten gezogen wurde.
So sehr ich Dracos Versuch mich zu beruhigen und mich von etwas abzuhalten, das ich später bereuen würde, auch schätzte, aber ich hatte gerade einfach keine Kontrolle mehr. Über gar nichts. Weder über meine Gedanken, noch über mein Tun oder diese unendlich große Wut in meinem Inneren.
„Er hat dich umgebracht! Er hat dich verdammt nochmal-"
„Ich weiß, was er getan hat.", fiel er mir ins Wort und zog mich ganz vorsichtig in seine Arme, wogegen ich mich zwar zu wehren versuchte, aber scheiterte. „Du machst es aber nicht ungeschehen, wenn du ihm jetzt einen Fluch auf den Hals hetzt. Feuer lässt sich bekanntlich nicht mit Feuer bekämpfen, also mach bitte nichts Dummes."
Ich wusste, dass er recht hatte. Dass es nichts ändern oder ungeschehen machen würde, sollte ich Harry mit einem Zauber angreifen. Ich wollte ihm nicht wehtun, ihn nicht verletzen, ich wollte einfach nur, dass er verschwand, mir aus den Augen ging und seine gerechte Strafe bekam.
„Glaubt mir, i-ich wollte das nicht! Lasst es mich bitte erklären, dann... es war alles ganz anders, ich-", versuchte er sich zu wehren, stand vorsichtig auf und kam schleichenden Schrittes auf uns zu, doch das wusste ich zu verhindern.
„Bleib weg von ihm!" Bedrohlich funkelte ich in seine Richtung und richtete meinen Zauberstab erneut auf ihn, einfach nur, um ihn einzuschüchtern. Was den erwünschten Effekt erzielte, denn er blieb wie angewurzelt stehen und starrte mich aus großen, ängstlichen Augen an.
„B-Bitte, Hermine, ich-"
„Geh!"
„Aber-"
„Raus!", schrie ich mit letzter Kraft, bevor mein Körper endgültig erschlaffte und in sich zusammenfiel.
Unsanft landete ich auf Draco, der mich auffing und mich beschützend in seine Arme schloss. Ich konnte mich nicht mehr länger beherrschen und zurückhalten und brach in Tränen aus, die mit mächtigem Druck, wie ein Wasserwerfer aus mir herausschossen.
Meine Brust zog sich so stark zusammen, dass ich am liebsten aufschreien wollte vor Schmerz, der sich durch meinen ganzen Körper fraß und mich innerlich zerstörte. So fühlte es sich zumindest an. Als würde aufgrund dieser Erkenntnis, aufgrund dieser Wahrheit und dieses Verrats meines besten Freundes irgendetwas in mir kaputtgehen.
Ich war mir ziemlich sicher, dass es mein Herz war, denn dieses zerbrach in tausend Teile, als er kehrtmachte und verschwand. Und mit ihm all die Erinnerungen an unsere wundervolle, jahrelange Freundschaft.
„Es tut mir leid.", waren seine letzten Worte, die zu uns herüberwehten und auch nach seinem Verschwinden noch lange in meinen Ohren echoten, bis irgendwann alles taub wurde. Als wäre ich unter Wasser und würde elendig ertrinken, begleitet von unnormal starken Schmerzen, seelischen Qualen und unendlichem Leid.
Ich wollte am liebsten aufspringen und meinen ganzen Frust herausschreien, doch ich war wie gelähmt, konnte mich keinen einzigen Mikrometer mehr bewegen und immer noch nicht glauben, was gerade eigentlich passiert war. Es war alles so verdammt schnell gegangen.
In meinen Ohren vernahm ich nur mehr ein leises Rauschen, ab und an spürte ich Dracos Lippen auf meiner Stirn oder seinen warmen Atem, wenn er mir etwas zuflüsterte, doch jedes seiner Worte prallte ab, bis ich gänzlich am Ende meiner Kräfte war und alles um mich herum schwarz wurde.
>>>
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top