62. | Isolation (2/2)

Hermines POV


„Als McGonagall erfahren hat, was passiert ist, hat sie sofort die Aurorenzentrale benachrichtigt und... die haben ihn ins Ministerium gebracht."

„Ins Ministerium?!", stieß ich völlig verdattert, fast schon schreiend aus, schoss dabei wie vom Blitz getroffen in die Höhe und nahm für mehrere Sekunden nichts als die Farbe Schwarz wahr, die sich wie ein Schleier über meine Augen legte.

Nachdem dieser sich wieder verzogen hatte, war das Erste, das ich erkannte, meine beste Freundin Ginny, die sich von ihrem Stuhl erhoben hatte und auf mich zugekommen war, um mich zurück auf die Matratze zu drücken und zu verhindern, dass ich erneut das Bewusstsein verlieren würde, wozu gefühlsmäßig nicht mehr allzu viel gefehlt hätte.

„Ganz ruhig, Mine. Du sollst doch liegenbleiben.", ermahnte sie mich vergleichsweise ruhig, umfasste dabei vorsichtig meine Schultern, übte leichten Druck darauf aus und half mir schließlich, mich wieder bei meinem Draco einzukuscheln.

Ich konnte mir selbst nicht erklären, warum ich derartig reagiert hatte, wo ich mir vor wenigen Sekunden doch noch eingeredet hatte, dass Ron für mich gestorben war. Doch die Tatsache, dass McGonagall sofort zu solchen Maßnahmen griff, wunderte mich gehörig.

Natürlich durfte man absolut nicht außer Acht lassen, dass er einen unschuldigen Menschen mit einem Fluch angegriffen hatte und ihn - wenn jede Hilfe zu spät gekommen wäre - ermordet hätte. Demnach war es das einzig Richtige gewesen, das Ministerium zu informieren. 

Und vorsätzlicher Mord, aber auch ein Mordversuch wurde in den meisten Fällen mit mehreren Jahren Aufenthalt in Askaban geahndet.

Ron in Askaban...

Allein schon dieser Gedanke jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Der tollpatschige, unbeholfene, normalerweise gutherzige Ronald Weasley in dem düsteren, eiskalten, grausamen Askaban.

Ich verfluchte mich dafür, dass sich eine gewisse Besorgtheit in mir breitmachte, mir ganz leise zuflüsterte, dass er das nicht verdient hatte, denn - egal, was wir alles zusammen durchgestanden hatten und egal, was er während der letzten Jahre alles für mich und alle anderen getan hatte - er hatte aus Eifersucht meinen Freund bewusstlos geschlagen, ihn mit einem seltenen und unbekannten Fluch angegriffen und ihn verbluten lassen. Er hatte es nach allem sehr wohl verdient nach Askaban geschickt zu werden. Er sollte büßen für seine Tat und seine undurchdachten Handlungen.

„Und was passiert jetzt mit ihm?", hakte ich dennoch nach, einerseits, weil es mich tatsächlich interessierte und ich sichergehen wollte, dass ich ihn nie wieder zu Gesicht bekommen würde, andererseits, weil Ginny auf mich den Eindruck machte, als würde viel mehr dahinterstecken.

„Das weiß irgendwie keiner so genau. Das Ministerium darf momentan keine genaueren Informationen weitergeben, aber... er ist in einer Art Untersuchungshaft und wird von einem Heiler aus dem St. Mungo betreut, weil er vollkommen neben der Spur ist. Alles Weitere erfahren wir innerhalb der nächsten Tage. Spätestens dann, wenn über seine Strafe entschieden wird."

Fragend zog ich meine Augenbrauen zusammen.

„Das heißt also... es wird noch eine Verhandlung geben?"

„Kommt drauf an. Wenn Malfoy Anklage gegen Ron erheben will - wovon ich stark ausgehe - wird es eine geben. Dadurch, dass Malfoy noch am Leben ist und der Fluch weder schwarzmagisch, noch ein reiner Tötungszauber ist, haben sie ihn vorerst im Ministerium einquartiert, bis Malfoy aussagen kann, aber... du weißt vermutlich genauso gut wie ich, womit mutwilliger Mord oder ein Mordversuch bestraft wird."

Ihre Lippen formten sich zu einem wehmütigen Lächeln, voller Schmerz und Trauer, das mir in Kombination mit ihren schimmernden Augen einen Stich ins Herz versetzte.

Sie würde noch einen Bruder verlieren. 

An den wohl grausamsten Ort, den man sich nur vorstellen konnte.

Und erneut spürte ich, wie sich das Gefühl von Mitleid in mir breitmachte, aber in gewisser Weise auch Reue. 

Ich fragte mich, ob alles ganz anders verlaufen wäre, wenn ich Harry von Anfang an in die Beziehung von Draco und mir eingeweiht hätte. Wenn ich ihn, genau wie Ginny, früher über die Abende aufgeklärt hätte, an denen wir zusammen für unser Projekt gearbeitet hatten. Wenn ich auch ihm von dem Kuss am See oder unserem ersten Date im Raum der Wünsche erzählt hätte.

Hätte er es dann verstanden? Hätte auch er sich die Geschichten über Dracos Vergangenheit angehört? Hätte er mit Ron dann in Ruhe darüber geredet?

War es irgendwie auch meine Schuld, dass all das passiert war? Dass Draco nun im Koma lag und um sein Leben kämpfen musste? Hätte ich es verhindern können?

Ich fühlte mich unfassbar schuldig, mitverantwortlich, ich verfluchte mich gerade selbst dafür.

Wie schon so oft in der Vergangenheit musste Draco für das büßen, das ich falsch gemacht hatte. Mal wieder war er derjenige, der meinetwegen leiden musste.

Ich wollte schreien. Meinen ganzen Frust und den unendlichen Hass auf mich selbst herausschreien, um dieses bedrückende Gefühl wieder loszuwerden.

Ich wusste nicht, wie lange ich einfach nur dalag, mir die Schuld für alles zuschrieb und mich stark zusammenreißen musste, nicht in Tränen auszubrechen, doch es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Auf Ginnys Worte reagierte ich nicht, ich wusste auch nicht, ob sie noch etwas hinzugefügt hatte, da meine Ohren komplett dichtmachten und lediglich ein helles Piepsen wahrnahmen.

Erst, als ich spürte, wie sie ihre Hand auf meine legte, sich ein Stück über Draco und mich beugte und mir mit einem besorgten Ausdruck auf dem Gesicht in die Augen sah, horchte ich wieder auf.

„Womit haderst du gerade?", wollte sie wissen, ihre Stimme war ruhig, nicht lauter als ein Flüstern, und dennoch lag ein Hauch von Besorgnis darin.

Ich schüttelte nur den Kopf, da ich nicht fähig war zu antworten und ich sie an meinen momentanen Gedanken nicht teilhaben lassen wollte, um die Situation für uns beide nicht noch weiter zu verschlimmern. Vermutlich würde sie sowieso nur so etwas sagen wie 'Dich trifft keine Schuld', 'Du hast nichts falsch gemacht' oder 'Ron ist ein Idiot', damit ich mich besser fühlte, doch das würde nichts ändern.

„Ron wird euch beiden nie wieder auch nur ein Haar krümmen und euch beiden nie wieder in die Quere kommen, okay? Das verspreche ich dir. Er wird seine gerechte Strafe bekommen. Egal, in welchem Verhältnis wir zu ihm stehen."

„Er ist dein Bruder.", brachte ich heiser hervor, dieses Argument war meiner Meinung nach stark genug, um ihren Worten zu widersprechen, doch sie sah das ganz anders.

„Bruder hin oder her! Er hat kein Recht dazu, einen unschuldigen Menschen mit einem Fluch anzugreifen und zu töten! Blut mag vielleicht dicker sein als Wasser, aber... schau dir doch zum Beispiel mal Dracos Familie an! Sein Vater, seine Tante. Das allein hat gar nichts zu bedeuten! Ich liebe Ron! Über alles! Aber am Freitagabend, da... hab ich mich kurzzeitig gefragt... warum ausgerechnet Fred gestorben ist, der... niemandem etwas angetan und niemanden grundlos verletzt hätte u-und... warum nicht Ron derjenige war, der-"

„Hör auf.", fiel ich ihr ins Wort, mein Kopf flog hektisch von einer Richtung in die andere, während meine Augen sich mit heißen Tränen füllten. 

Ich konnte nicht fassen, dass sie Derartiges auch nur dachte. Dass er so etwas Schreckliches getan hatte, war natürlich unverzeihlich und in keiner Weise nachvollziehbar oder gerechtfertigt, aber dennoch wünschte man keinem den Tod.

Auch sie vergoss inzwischen mehrere Tränen, ich wollte gerade nichts sehnlicher tun, als sie in meine Arme zu schließen und sie in eine feste Umarmung zu ziehen, doch ich war viel zu schwach, um diesem Verlangen nachzugeben. Aus diesem Grund drückte ich aufmunternd ihre Hand, in der Hoffnung ihr irgendwie zu vermitteln, dass sie diese Gedanken ganz schnell wieder aus ihrem Kopf verbannen sollte. 

Doch vergeblich.

„Ist doch so! Fred musste sterben und... und Ron tötet wahllos einen Menschen, weil er mal wieder nicht mit seiner scheiß Eifersucht klarkommt!"

„Hör auf, Ginny! Was Ron getan hat ist grausam und unverzeihlich, gar keine Frage, aber er hat es trotzdem nicht verdient zu sterben, okay? Keiner von uns hat das.", versuchte ich ihr klarzumachen, worauf sie letzten Endes tatsächlich verstummte.

Ihre schimmernden Augen fokussierten Draco, der von alldem nichts mitbekam und dessen Zustand - zumindest den Geräuschen und Anzeigen des Pulsmessgerätes zufolge - nach wie vor stabil war.

„Es tut mir so unendlich leid, was passiert ist.", wimmerte sie kopfschüttelnd, ihrer Kehle entwich dabei ein leises Schluchzen, das mein Herz in hunderttausend, winzig kleine Stücke zerriss.

„Du kannst nichts dafür, Ginny. Hör auf dir deswegen Vorwürfe zu machen, okay? Nur weil Ron dein Bruder ist, heißt das nicht, dass du etwas dafür kannst oder es hättest verhindern können."

Sie presste ihren Kiefer aufeinander, was ihre Wangenknochen markant hervortreten, ihr Gesicht in Kombination mit ihrer blassen Haut fast schon kränklich wirken ließ.

„Ich hasse ihn dafür!"

Ich wollte ihr am liebsten widersprechen, ihr sagen, dass es falsch war, doch ich konnte es nicht. Ich musste ihr recht geben, denn mir ging es nicht anders. Man hatte mir zwar immer nachgesagt, dass ich die Art von Mensch war, die nicht hassen konnte, doch in diesem Fall war es wirklich das. Hass.

Ich schwieg, äußerte mich nicht zu ihren Worten und tat auch nichts weiter, als ihr mitfühlend in die Augen zu sehen, ihr wortlos zu übermitteln, dass ich ihr nur zustimmen konnte.

„Mum ist außer sich vor Wut.", murmelte sie eine ganze Weile später, in der wir nichts weiter getan hatten, als stumm unseren jeweiligen Gedanken nachzuhängen, doch dieser eine Satz ließ mich schlagartig wieder aufhorchen.

„Sie weiß schon Bescheid?" „Ja. McGonagall hat Mum und Dad darüber informiert was passiert ist. Sie haben das alles erst gar nicht glauben wollen, aber... sie sind so unfassbar wütend auf ihn und... einfach nur maßlos enttäuscht."

„Kann ich verstehen. Ich meine... sind wir doch mal ehrlich... Keiner hätte ihm das jemals zugetraut.", warf ich dazwischen, worauf Ginny nur zustimmend nicken konnte.

„Mum wollte, dass ich sofort nach Hause komme, aber... ich hab ihr gesagt, dass ich jetzt für dich und Malfoy da sein will und nicht einfach verschwinden kann. Ein paar wütende Briefe später hat sie es dann endlich mal verstanden."

Ihrer Erklärung folgte ein leises Kichern, sowie ein augenrollendes Kopfschütteln, das mir ein Schmunzeln entlockte, gleichzeitig jedoch rührten mich ihre Worte und ihre damit verbundene Fürsorge in höchstem Maße.

Und ich konnte es gar nicht oft genug sagen, aber... Ginny war die beste Freundin, die man sich wünschen konnte.

Ihr zuvor betrübter und zutiefst verletzter Gesichtsausdruck hellte sich immer weiter auf, bis sich ein sanftes, gewissermaßen erleichtertes Lächeln auf ihren Zügen manifestierte, das mich daran zurückerinnerte, dass es ja noch ein anderes Thema gab, das mich brennend interessierte. Genug von Ron und den Spekulationen, was mit ihm passieren könnte. Wir hatten ohnehin so gut wie keinen Einfluss darauf.

„Jetzt, wo das geklärt ist, könntest du mir ja endlich mal erklären, woher deine gute Laune kommt, oder? Und jetzt sag bloß nicht wieder sowas Hirnrissiges wie 'Ich weiß nicht, was du meinst'!"

Zugegeben - das war eine miese Überleitung und ein noch mieserer Themenwechsel, aber ich musste es endlich wissen.

Dass Ginny nicht sonderlich begeistert darüber war, besser gesagt ziemlich überrumpelt, zeigten mir ihre plötzlich weit aufgerissenen Augen, die eine fast schon beängstigende Größe annahmen, und ihre rötlichen Wangen, die sie vergeblich zu verstecken versuchte.

„Was... willst du denn hören?", hakte sie kleinlaut, sichtlich eingeschüchtert nach, worauf ich nur leise schmunzeln konnte.

„Was haben Zabini und du in den letzten Tag denn so getrieben? Und jetzt sag mir nicht, dass ich mir meine Frage damit wieder selbst beantwortet habe!"

„Ach du- Mine!", schrie sie erschrocken auf, inzwischen war ihr komplettes Gesicht so rot wie eine überreife Tomate, was mich hämisch grinsend und süffisant mit den Augenbrauen wackeln ließ.

Tja! Wie du mir, so ich dir, meine Liebe.

„Komm schon! Du kannst mir nicht weismachen, dass gar nichts passiert ist! So, wie ihr euch die ganze Zeit anstarrt und Händchen haltet, könnt ihr keinem was vormachen!"

„Ist das... wirklich so auffällig?" „Ihr himmelt euch an wie ein frisch vermähltes Ehepaar! Es ist sogar mehr als auffällig, Ginny."

Ich lachte leise und kopfschüttelnd auf, versuchte ihr irgendwie klarzumachen, dass sich ihre Laune und ihr Verhalten innerhalb der letzten Tage um etwa 180 Grad gedreht hatten, doch sie senkte nur beschämt den Kopf.

„Nein, es... ist alles wie immer."

Ein paar Sekunden lang war es still, der sanfte Herbstwind, der über die Ländereien zog, war das Einzige, das gerade zu hören war, während ich Ginny mit meinem Mach-mir-doch-nichts-vor-Blick musterte. Ich glaubte ihr kein Wort.

„Ich schwöre es!", brauste sie auf und hob abwehrend ihre Hände nach oben, als sie meinem verschmitzten, wissenden Grinsen begegnete. „Wir haben die letzten Tage zwar durchgehend zusammen verbracht, aber... er war mir einfach nur ein guter Freund, okay? Er war immer da, wenn wir bei dir oder bei Malfoy im Krankenflügel waren, hat mich getröstet, mich abgelenkt, mich in den Arm genommen und... d-das war wirklich alles. Vorhin haben wir einen kleinen Spaziergang durchs Schloss gemacht, aber... ich... es ist alles gut."

Für mich klang das zwar wenig, um nicht zu sagen absolut nicht überzeugend, noch dazu, weil sie mir meine eigentliche Frage damit nicht beantwortet hatte. Doch ich beschloss einfach, ihr zu vertrauen und ihr zu glauben, immerhin hatte sie keinen Grund mir etwas vorzumachen oder mich zu belügen. Und dennoch war ich mir nicht ganz sicher, ob ich nun erleichtert oder doch lieber ein wenig enttäuscht sein sollte.

„Hast du schon mit ihm geredet? Über... du weißt schon... deine Gefühle und so?"

„Nein, noch nicht." Sie seufzte, schüttelte langsam, fast schon betrübt den Kopf. „Wir haben viel über damals geredet und... über alles, was im sechsten Schuljahr passiert ist, aber... ich wusste teilweise einfach nicht, was ich sagen sollte. Er hat mich zum Beispiel wie aus dem Nichts gefragt, ob ich die alten Zeiten und unsere Treffen auf dem Astronomieturm auch ab und zu vermisse! Sowas fragt man doch nicht, oder?!"

„Und was hast du ihm gesagt?", wollte ich wissen, beobachtete mit eher gemischten Gefühlen, wie sie sich sichtlich verlegen am Hinterkopf kratzte und mit dem gleichen, hochroten Kopf wie vor wenigen Minuten zu Boden schielte.

„Die Wahrheit..."

Ich stutzte. Dass man ihr aber auch immer alles aus der Nase ziehen musste.

„Die da wäre?" „Dass ich unsere Treffen auch vermisse. Dass ich... ihn... vermisse..."

Ihre Worte waren nicht lauter als ein leises Nuscheln, fast hätte ich sie nicht verstanden, und doch waren sie so klar und deutlich, dass ich einen Moment brauchte, um ihr Gesagtes zu verarbeiten.

„Und... wie hat er darauf reagiert?"

Stille.

„Ginny?"

Ein ergebenes Seufzen verließ ihren Mund, als sie die Hand, die bis gerade eben noch auf meiner geruht hatte, zitternd wegzog, um ihr Gesicht damit zu verdecken. Fast hörte es sich an, als ob sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde.

„Na schön, es war ein Kuss, okay?! Ein einziger Kuss, aber... der hatte in diesem Zusammenhang absolut nichts zu bedeuten!"

Ach du-

Ungläubig und mit offener Kinnlade starrte ich meine beste Freundin an, die ihr Gesicht nach wie vor in den Händen vergraben hatte und leise, kaum hörbar in ihre Handflächen schluchzte. 

Ich hatte mir aufgrund ihrer guten Laune zwar bereits gedacht, dass irgendetwas zwischen ihr und Zabini vorgefallen sein musste, doch dass ich mit meiner Annahme tatsächlich recht behielt, überrumpelte mich dann doch gehörig.

„Nur ein Kuss? Mehr ist nicht passiert?" Wobei ein Kuss ja schon genug und zu viel des Guten war, wenn man bedachte, dass Ginny eigentlich vergeben war.

„Nein, es war wirklich nur ein einziger Kuss." „Okay, d-das... kam jetzt ein bisschen unerwartet, aber... wie ist es denn dazu gekommen, wenn ich fragen darf?"

„Nachdem ich ihm gesagt hab, dass ich ihn und unsere gemeinsame Zeit auch vermisse, hat er mich in seine Arme gezogen und... mich ganz lange einfach nur umarmt. Er hat mich dabei immer wieder auf die Stirn geküsst und auf die Wange und... irgendwann haben wir uns nicht mehr beherrschen können und... wir waren uns so nah, haben uns in die Augen gesehen, diese ganzen Gefühle und Emotionen sind wieder hochgekommen und... dann ist es irgendwie passiert.", erklärte sie betrübt, inzwischen hatte sie die Hände von ihrem Gesicht gelöst, das immer noch gerötet war und sich ein wenig mit ihren roten Haaren biss, welche ihr locker über die Schulter hingen, sich aufgrund ihrer schnellen, abgehackten Atmung unregelmäßig hoben und senkten.

„Und du wolltest es?"

„Ja.", hauchte sie, ein leises Seufzen verlautend, ehe sie ihre Augen vorsichtig auf meine richtete, um mich mit ihrem reuevollen Blick zu fesseln. „Ich wollte es sogar mehr als alles andere. Und es hat sich so verdammt richtig angefühlt, dass ich... es war einfach so... perfekt. Ich wollte gar nicht mehr aufhören, ihn nie wieder loslassen und... mir war plötzlich alles egal, aber... irgendwann hat er sich wieder zurückgezogen und sich dafür entschuldigt. Dann ist er ohne ein weiteres Wort zu sagen einfach gegangen."

„W-Was? Er hat dich danach einfach stehenlassen?!" Was zur Hölle.

„Ja, er ist einfach verschwunden und hat mich alleine im Gang gelassen. Ursprünglich waren wir auf dem Weg zum Raum der Wünsche, weil wir unseren freien Tag genießen wollten, aber... er ist abgehauen und... ich bin dann in unser Zimmer, hab deine Tasche gepackt und... bin zu dir gegangen."

Sie hatte ihre Hände in den Schoß gelegt, knetete diese sichtlich nervös und angespannt, was nicht besser wurde, als ich auf ihre Worte lediglich mit einem relativ emotionslosen Kopfnicken reagierte.

„Sei bitte nicht sauer auf mich, okay?", lamentierte sie bedrückt, ihre Augen schimmerten dabei zunehmend im Licht der tief stehenden Sonne, die sanft durch das hohe Fenster schien.

Ich runzelte die Stirn, unsicher, was ich davon halten sollte, und auch ein wenig überrumpelt, denn ich hatte nicht vor, sauer auf sie zu sein oder sie für etwas zu verurteilen, das sie getan hatte.

„Warum sollte ich sauer auf dich sein?"

„Weil ich... also... irgendwie bin ich Harry damit ja fremdgegangen und... ich weiß, dass du nicht begeistert warst, als ich dir davon erzählt habe, dass ich auch Dean damals betrogen habe, aber... ich konnte einfach nicht anders und konnte nicht widerstehen, weil... die ganzen Vorkommnisse der letzten Tage, das mit Malfoy, eure jeweiligen Gesundheitszustände und-"

„Hey, ganz ruhig, Ginny.", fiel ich ihr ins Wort, streckte vorsichtig meine Hand nach ihrer aus, um diese zu drücken, in der Hoffnung, sie auf diese Weise zu beruhigen und aufzumuntern. Was Wirkung zeigte, denn ihr verkrampfter, angespannter Gesichtsausdruck entspannte sich und wurde wieder etwas weicher.

„Du weißt genau so gut wie ich, dass es absolut nicht in Ordnung ist dem Partner fremdzugehen, sei es auch nur ein einziger Kuss, aber ich würde dich dafür doch niemals hassen, verachten oder verurteilen. Das ist eine Sache zwischen dir und Harry und... dass ein Gespräch mit ihm jetzt unumgänglich ist, muss ich dir vermutlich nicht sagen, oder?"

Langsam schüttelte sie den Kopf.

„Nein, ich... werde mit ihm reden, sobald es möglich ist. Es ist nur so, dass er sich in den letzten Tagen stark zurückgezogen hat und fast nur in seinem Zimmer war, deswegen hab ich ihn schon seit Samstagmorgen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Außerdem hat das mit Malfoy jetzt Vorrang und... ich will Harry in Ruhe über alles aufklären. Nicht nur nebenbei, damit ich es schnell hinter mich bringen kann, sondern... er verdient die ganze Wahrheit. Auch, wenn ich Gefahr laufe alles zwischen uns kaputtzumachen."

„Wenn du es ihm so erklärst, wie du es mir auf dem Astronomieturm erklärt hast, wird er es bestimmt verstehen. Er kann dich ja nicht zwingen, dass du ihn liebst und bei ihm bleibst. Wenn du nicht glücklich bist, macht es auch keinen Sinn daran festzuhalten, weißt du? Nicht jede Beziehung ist für immer bestimmt. Vor allem, wenn man einen anderen liebt. Harry wird nicht sonderlich begeistert sein, das ist klar, und ich bezweifle auch, dass er Freudensprünge machen wird, aber... steh dir und deinem Glück nicht mehr länger im Weg, okay?"

Nachdem ich geendet hatte, waren vielleicht zwei oder drei Sekunden vergangen, in denen ich tief durchgeatmet hatte, bis hin zu Ginnys Reaktion, die wie auf Knopfdruck in Tränen ausbrach und herzzerreißend in ihre Handflächen schluchzte. 

Ich musste stark an mich halten, es ihr nicht gleichzutun, denn zu sehen, wie verzweifelt, gleichzeitig aber auch befreit sie war, rührte mich in höchstem Maße. Sie hatte alles Glück dieser Welt verdient und wenn das Zabini war, dann sollte sie ihn und sich selbst nicht mehr länger quälen und endlich ihren Gefühlen nachgehen. So, wie sie es vor zwei Jahren schon hätte tun sollen.

Ich konnte regelrecht sehen, wie die Last von ihren Schultern abfiel, die sie wochen- und monatelang mit sich herumgeschleppt hatte und die sie immer wieder zu Boden hatte bringen wollen. Und während sie zuvor noch wie der glücklichste Mensch der Welt gewirkt hatte, war nun das genaue Gegenteil der Fall.

„Komm her.", hauchte ich, rappelte mich dabei ein kleines Stück auf, um meine Arme auszubreiten und ihr zu signalisieren, dass sie sich zu Draco und mir aufs Bett legen sollte, damit ich mein Verlangen, sie in eine Umarmung zu ziehen, endlich stillen konnte.

Anfangs war sie merklich überrumpelt, sah mich an, als hätte sie einen Geist gesehen oder als wäre ich die Reinkarnation Voldemorts, doch dann erhob sie sich langsam von ihrem Stuhl, nahm stattdessen auf dem Bett Platz und legte sich letzten Endes auf die andere Seite neben Draco, sodass dieser zwischen uns lag.

Ich streckte meine Hand nach ihr aus und machte es mir auf der Brust meines Freundes bequem, sodass ich einen guten Blick auf Ginny hatte, die es sich gemütlich machte, nach wie vor ein paar Tränen vergoss und immer wieder leise schluchzte.

„Es wird alles gut, okay? Das mit Zabini klärt sich schon wieder und das mit Harry auch. Mach dir deswegen nicht so viele Gedanken oder Vorwürfe. Du musst jetzt nur ehrlich zu den beiden sein und sie über deine wahren Gefühle aufklären. Und egal, was passiert, ich stehe hinter dir, okay? Versprochen."

Während ich sprach, streichelte ich über ihren Kopf, in der Hoffnung sie mithilfe dieser Geste und meiner Worte beruhigen zu können, was tatsächlich etwas Wirkung zeigte, denn sie nickte, versuchte sich an einem sanften Lächeln und wischte sich mit dem Handrücken den Großteil ihrer Tränen weg.

Es tat mir im Herzen weh sie derartig zerbrechlich und verletzt zu sehen, vor allem, wenn man bedachte, dass sie sonst immer eine selbstsichere, gut gelaunte Person war, die sich von nichts und niemandem einschüchtern ließ, doch in Momenten wie diesen wurde deutlich, dass auch jeder noch so starke Mensch eine Schwachstelle hatte. In Ginnys Fall waren es ihre Gefühle, ihre wahren Empfindungen für Zabini und Harry, die sie nicht mehr länger zurückhalten und verstecken konnte.

Und egal wie schwierig es in den nächsten Tagen für sie werden würde, ich würde immer hinter ihr stehen, ihr immer wieder Mut zusprechen, immer für sie da sein.


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