20. | Look closer - Nicht so, wie es scheint (1/2)

Erzähler POV


Der zwölfjährige Draco marschierte seinen Mannschaftskameraden hinterher, starrte dabei bedrückt zu Boden und wirkte einmal mehr komplett geistig abwesend. In seiner Hand trug er einen der neuen Besen, die sein Vater den Slytherins spendiert hatte und während alle anderen sichtlich begeistert davon waren, war bei ihm das genaue Gegenteil der Fall.

Sie stolzierten über den grünen Rasen des Innenhofs und blieben abrupt stehen, als Oliver Wood, der Kapitän der Gryffindors, die Schlangen zur Rede stellte. Hermine konnte kein Wort verstehen, was sie darauf schließen ließ, dass Draco damals alles um sich herum ausgeblendet hatte und dem Gespräch der beiden Kapitäne nicht zugehört hatte.

Erst als Marcus Flint zur Seite trat und den Gryffindors den neuen Sucher seiner Mannschaft zeigte, kehrte der Blondschopf ins Hier und Jetzt zurück und trat schließlich einige Schritte nach vorne.

„Malfoy?", stieß Harry verwundert aus und warf seinem neuen Konkurrenten einen überraschten und gleichzeitig wütenden Blick zu, der daraufhin arrogant grinste.

„Ganz genau. Und es gibt noch etwas Neues."

„Das sind Nimbus 2001! Wo habt ihr die her?", wollte Ron wissen und begutachtete die neuen Rennbesen, die der junge Draco ganz stolz präsentierte.

„Ein Geschenk von Dracos Vater.", erklärte Flint, der genauso arrogant grinste wie der Blondschopf, der es sich daraufhin nicht nehmen ließ, gegen den Rothaarigen  zu sticheln.

„Ja, Weasley. Im Gegensatz zu anderen kauft mein Vater bloß das Beste."

Hermine erinnerte sich selbst noch genau an diese Szene, doch sie hatte inzwischen ein ganz anderes Bild von dem ganzen Geschehen. Sie hatte immer den Eindruck gehabt, dass Draco seinen Vater bewundert, um nicht zu sagen vergöttert hatte, doch mittlerweile wusste sie, dass dies nicht der Fall gewesen war. Er war gegen seinen Willen und durch Bestechung in die Mannschaft aufgenommen worden und nicht, weil er es unbedingt gewollt oder verlangt hatte. Und alles hatte damit begonnen, dass er sich mit ihr angefreundet hatte und dadurch von seinem Vater bestraft und gezwungen worden war, den Namen Malfoy und dessen reine Blutlinie durch ein Schlammblut wie sie nicht verunreinigen zu lassen.

„Wenigstens musste sich in unser Team niemand einkaufen! Da zählt nämlich nur Talent!", vernahm sie nun ihre eigene zwölfjährige Stimme und schon bei dem Gedanken an das Kommende, bekam sie eine Gänsehaut am ganzen Körper. Sie beobachtete, wie sich auf dem Gesicht des Blonden ein entsetzter und wütender Ausdruck breitmachte, mit dem er sich ihrem Erinnerungs-Ich näherte und letztlich dicht vor ihr stehenblieb.

„Nach deiner Meinung hat niemand gefragt, du wertloses Schlammblut!"

Hermine konnte erkennen und sich auch noch selbst daran erinnern, wie nach diesem Satz etwas in ihrer jüngeren Version zerbrach, denn diese Worte hatten sie zutiefst verletzt und das bis heute. Nur, dass es ihr jetzt noch viel mehr schmerzte als damals.

Im Gesicht des Blonden erkannte sie nämlich, anders als damals, einen ebenso schmerzerfüllten Ausdruck, eine fast schon kranke Blässe und dunkle Ringe unter seinen Augen, die ihn müde, ausgelaugt und unheimlich verletzt wirken ließen.

Der echte Draco wusste, dass er ihr eine Erklärung schuldig war und er sich dazu rechtfertigen musste, und auch wenn ihm bewusst war, dass es hierfür keinerlei Entschuldigung gab, brach er die Verbindung dennoch ab und schickte Hermine zurück in den Raum der Wünsche.

Sie saß nach wie vor auf seinem Schoß und sah ihm tief in die Augen, die mal wieder verdächtig schimmerten und sie verzweifelt musterten.

„Ich weiß, dass ich das mit nichts auf der Welt wiedergutmachen kann und es keine Entschuldigung für mein unmögliches Verhalten gibt, aber ich... ich konnte einfach nicht mehr. Ich war mit meinen Nerven am Ende und... und die Tatsache, dass du ausgerechnet Weasley in Schutz genommen hast, der dich im ersten Schuljahr wie Dreck behandelt hat, und du stattdessen mich blamiert hast, indem du gesagt hast, dass ich kein Talent hätte, da... da sind mir komplett die Sicherungen durchgebrannt. Du hast ja gesehen, dass ich nie Quidditch spielen wollte, sondern mein Vater mich dazu gezwungen hat und dass ausgerechnet du mir in den Rücken gefallen bist, hat mir endgültig den Rest gegeben, weil... ich weiß, es ist egoistisch, aber ich... ich hab dich aufgegeben und hab diese Schmerzen in Kauf genommen, um dich zu beschützen und in Sicherheit zu wissen, aber... dass du dann... also... dass du mich dann... so... so bloßgestellt hast, das..."

„Schhh...", fiel sie ihm ruhig ins Wort und nahm sein Gesicht in die Hände, um ihm vorsichtig und beruhigend über die Wangen zu streicheln, da er wie verrückt zu stottern und schluchzen begonnen hatte.

„Ich weiß, dass ich dich damit unglaublich verletzt habe, aber es hat mir mindestens genauso wehgetan wie dir, glaub mir. Ich hasse mich dafür und ich würde das alles am liebsten rückgängig machen, wenn ich könnte. Hätte ich gewusst, was ich damit anrichte und dass... dass dich dieses Wort ein Leben lang verfolgen wird, dann... ich... es tut mir so schrecklich leid, Hermine.", redete er sich erneut in Rage und fixierte am Ende hin erneut den weißen Verband an ihrem Unterarm, was auch Hermine nicht entging, die daraufhin ihre Hände von seinem Gesicht löste und sich stattdessen an jene Stelle fasste.

„Dafür kannst du nichts, Draco.", murmelte sie bedrückt und musterte dabei den weißen Stoff, unter dem sich dieses grässliche Wort verbarg, ehe sie ihre Augen wieder auf den Blonden richtete.

„Du hast mich damals unheimlich verletzt, das stimmt, aber für das, was mir deine Tante angetan hat, kannst du nichts. Und du hast recht, für deine Worte gibt es keine Entschuldigung, aber ich kann dafür deine Rechtfertigung nachvollziehen. Ich konnte mich ja nicht mehr an deine gute Seite erinnern und... hätte ich das noch gewusst, dann... also, kaum zu glauben, aber ich... ich verstehe dich... Ich hätte nicht so gemein sein dürfen und dir nicht unterstellen sollen, dass du kein Talent hast und-"

„Hör auf.", unterbrach er sie in ihrem Redefluss, was sie erschrocken zusammenzucken ließ.

„Was?" „Du sollst aufhören. Es gibt wie gesagt keine Entschuldigung und auch keine Rechtfertigung und du kannst am allerwenigsten etwas dafür. Also hör auf, die Schuld bei dir zu suchen, denn sie liegt einzig und allein bei mir. Ich bin einfach, wie du selbst vor ein paar Tagen gesagt hast, ein jämmerlicher Feigling.", stellte er bitter klar, worauf Hermine in Tränen ausbrach und sich an ihn kuschelte.

„Du bist kein Feigling, Draco. Und dein Vater ist der Einzige, der daran Schuld hat. Du hättest das niemals zu mir gesagt, wenn er dir das alles nicht angetan hätte, das weiß ich."

„Das entschuldigt aber noch lange nicht mein unmögliches Verhalten."

„Er hat dich meinetwegen gefoltert! Ist doch klar, dass dir das irgendwann zu viel wird und du die Kontrolle verlierst.", bestärkte sie ihn schluchzend, was ihn dazu veranlasste, seine Arme wieder um die kleine Hexe zu legen.

„Das Foltern war ja noch nicht einmal das Schlimmste, das er mir angetan hat...", murmelte er kaum hörbar, doch für Hermine recht deutlich, weshalb sie verdutzt dreinschaute und ihm letztlich wieder in die Augen sah.

„Was meinst du?" „Naja, ich... ich dachte immer, dass der Schmerz von einem Cruciatus-Fluch der schlimmste überhaupt ist, bis ich gelernt hab, dass es noch viel schlimmere Schmerzen gibt."

„Welche?", wollte Hermine sofort wissen und machte sich bereits auf das Schlimmste gefasst, denn sie konnte sich kaum vorstellen, dass es tatsächlich etwas Schmerzvolleres geben konnte als den unverzeihlichen Folterfluch.

„Dich nicht mehr bei mir zu haben."

Diese Worte waren einmal mehr zu viel für die Brünette, die sich stark zurückhalten musste, nicht erneut in Tränen auszubrechen, denn dieses Geständnis war vermutlich das schönste, das ihr bislang jemand gemacht hatte.

Ein für den Blondschopf wunderschönes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit, das er ohne zu zögern erwiderte. Sie schlang daraufhin wieder ihre Arme um seinen Hals und zog sich daran näher zu ihm heran, was er selbstverständlich zuließ.

„Das wird nie mehr passieren.", flüsterte sie in seinen Nacken, auf den sie einen hauchzarten Kuss platzierte, der ihm eine Gänsehaut am ganzen Körper bescherte und ihm ein wohlig warmes Gefühl im Bauch zauberte.

„Was wird nie mehr passieren?" „Dass du mich nicht mehr bei dir hast."

„Wie soll ich das verstehen?", hakte Draco nach, da er sich nicht ganz sicher war, ob er verstand, worauf sie hinauswollte, denn er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie bei ihm bleiben beziehungsweise überhaupt bei ihm sein wollte.

„Ich werde nicht noch einmal zulassen, dass uns jemand diese Freundschaft zerstört." „Freundschaft?" „Ja, das... das sind wir doch, oder? Freunde."

„Ja... Freunde...", wisperte er teils glücklich, teils bedrückt, denn er für seinen Teil empfand viel mehr für dieses bezaubernde Mädchen als eine einfache Freundschaft, doch das war dennoch viel mehr, als er sich vor wenigen Tagen, Monaten und Jahren noch erhofft hatte, weshalb er das selbstverständlich so hinnahm.

„Dürfte ich meiner neu- beziehungsweise wiedergewonnenen Freundin denn die nächsten Erinnerungen zeigen?", wollte er wissen und kraulte ihr dabei sanft über den Kopf, was sie zufrieden brummen ließ.

„Mhmm...", murmelte sie unverständlich, worauf der Blonde leise auflachte und ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte.

„Du klingst wie ein schnurrendes Kätzchen, da wird dir die nächste Szene bestimmt gefallen.", spottete er mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht, was der Hexe allerdings etwas suspekt war, weshalb sie sich ein kleines Stück von ihm löste, allerdings nur so weit, dass sie ihm gerade so in die Augen schauen konnte.

„Wieso?" „Kätzchen." „Warum Kätzchen?"

„Hast du dein kleines Vielsafttrank-Missgeschick im zweiten Schuljahr schon vergessen?", stichelte er, wobei das Grinsen in seinem Gesicht immer breiter wurde, während Hermine immer blasser wurde und ihr Gegenüber mit großen Augen ansah.

„W-Woher... woher weißt du davon?"

„Von meiner besten Freundin, der maulenden Myrte.", witzelte er amüsiert, wofür er einen Schlag gegen die Brust bekam.

„Sollte das etwa wehtun? Süß.", spottete er weiter, was der Brünetten allmählich auf die Nerven ging, denn sie wollte endlich eine ordentliche Antwort auf ihre Frage bekommen.

„Das hat bei uns eben die Runde gemacht, nachdem Myrte es einer Slytherin erzählt hat."

„Ohhh...Okay...", stammelte Hermine mit einem mittlerweile leichten Rotschimmer auf den Wangen und sie versuchte krampfhaft, den Blicken von Draco auszuweichen, was ihr allerdings nicht wirklich gelang.

Dass dieses Thema damals die Runde gemacht hatte, stimmte sie sichtlich nervös, denn damit verbunden war schließlich eines ihrer Geheimnisse, nämlich, dass Harry und Ron sich damals in Crabbe und Goyle verwandelt hatten, um den Malfoy Sprössling über den Erben Slytherins auszuquetschen. Sie betete inständig, dass er davon nicht auch etwas mitbek-

„Aber ich frag mich schon, was in deinem sonst so klugen Kopf damals schiefgelaufen ist, dass du ernsthaft geglaubt hast, ich wäre so dumm und würde nicht checken, dass deine beiden Hohlbirnen sich in Crabbe und Goyle verwandelt haben.", unterbrach er schmunzelnd ihre Gedankengänge und sprach auch noch ausgerechnet dieses Thema an, was ihr Gesicht gänzlich in eine Tomate verwandelte.

„Wie... Wie hast du davon erfahren?" „Erfahren? Gar nicht. Ich hab mein Köpfchen eingeschaltet, eins und eins zusammengezählt und den Rest haben deine beiden Hohlbirnen erledigt."

„Warum?" „Ich hab die beiden im Gang gesehen und Goyle hatte urplötzlich eine runde, schwarze Brille auf. Und ich weiß ja nicht, wie viele Hogwarts Schüler du kennst, die so eine Brille tragen, aber das war schon wirklich selten dämlich und mehr als auffällig.", erklärte der Blonde und ließ es sich nicht nehmen, schadenfroh zu glucksen, denn wenn er an das Szenario von damals dachte, konnte er über die Dummheit von Potter und Weasley nur lachen.

„Er hat nicht ernsthaft vergessen seine Brille abzunehmen, oder?"

„Oh doch.", lachte er erneut spöttisch auf, worauf Hermine nur mit dem Kopf schütteln konnte.

„Bei Merlins Bart, wenn ich das gewusst hätte, dann-"

„-hättest du deine Katzenkrallen ausgefahren und Potter damit eine zweite Narbe im Gesicht verpasst?", fiel er ihr belustigt ins Wort, was die Brünette nun ebenfalls schmunzeln ließ.

„Diese Szene erspar ich uns lieber, aber die Unterhaltung im Gemeinschaftsraum möchte ich dir definitiv nicht vorenthalten! Das zeigt dir hoffentlich, wie dämlich die Beiden sind. Behalte einfach die ganze Zeit im Hinterkopf, dass ich von Anfang an wusste, dass Potter und Weasley dahinterstecken. Und lass dich von meinem letzten Satz nicht zu sehr schockieren, okay?"

„Okaaay...", murmelte die Brünette unsicher, da sie nicht so recht wusste, was genau damals passiert war. Ihre beiden Freunde hatten ihr nämlich nur erzählt, dass man Harry für den Erben Slytherins gehalten hätte, doch über das restliche Gespräch hatten sie sie nicht aufgeklärt, weil es laut den Beiden auch nicht von großer Bedeutung gewesen wäre.

Das zweifelte sie inzwischen jedoch an, denn irgendetwas Wichtiges musste diese Szene ja beinhalten, sonst würde Draco sie ihr wohl nicht zeigen wollen.

Sie schnappte sich sofort ihren Zauberstab, da sie viel zu neugierig war, um noch länger zu warten, und tauchte mit einem 'Legilimens' wieder in seine Geheimnisse ein...


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