Lonely Sunset
Wie jeden Samstag Nachmittag saß ich im Park und atmete die immer wärmer werdende Luft ein. Vereinzelte Sonnenstrahlen schienen auf meine geschlossenen Lider und in der Ferne könnte ich ein leises Vogelpärchen vernehmen, das sich zwitschernd auf die Suche nach etwas Essbarem für ihren Nachwuchs machte.
Ein zufriedenes Lächeln umschloss meine Lippen und langsam rutsche ich ein kleines Stück an der Parkbank runter.
Es war mein Lieblingsplatz. Jeder Holzbalken war in einem anderen Pastelton gestrichen, die Griffe hatten wunderschöne, detaillierte Schnitzereien und wurden in schlichtem weiß gehalten. Direkt über mir war ein riesiger Kirschblütenbaum, der nur an wenigen Stellen einen Tropfen Sonne durch ließ. Doch wenn man sehr früh morgens aufsteht, kann man zwischen dem ordentlichen Garten der alten Frau Seon und unserem Wochenmarkt einen wunderschönen Sonnenaufgang betrachten.
Früher habe ich meinen Bruder schon zu unmenschlichen Zeiten geweckt, damit er mich hier her bringt. Stundenlang saß ich hier auf seinem Schoß und starrte in die noch immer schwarze Nacht, bis sich plötzlich der Himmel in ein Rosa Licht getaucht wurde. Immer wieder aufs neue faszinierte es mich und aufgeregt rüttelte ich immer den Älteren wach, welcher auf meiner Rücken-Schulter-Partie eingeschlafen war. Er erzählte immer, dass es eine Qual war, so früh aufzustehen, nur um einen Sonnenaufgang zu sehen, doch das Strahlen in meinen Augen war wertvoller, als alles, das er je besitzen wird.
Der Gedanke an ihn ließ mein Herz Feuer fangen. Seit er für sein Studium weggezogen war, hatte ich ihn nicht mehr gesehen, auch wenn wir sehr regelmäßig telefonieren. Ich dachte daran, wie er mir damals mit elf meinen ersten Horrorfilm gezeigt hatte. Er war damals siebzehn und meine Eltern waren zusammen in eine Theatervorstellung gegangen. Natürlich hatte ich unglaubliche Angst, doch er nahm mich nur in den Arm und fuhr ruhig durch meine Haare und verteilte den ein oder anderen Kuss auf meinem Scheitel und wenn eine sehr brutale Stelle kam verdeckte er meine Augen, auch wenn ich immer versuchte durch seine Finger zu spicken. Mir zu Liebe hatte er sogar den Raum nicht ganz abgedunkelt. Das Schönste war aber, dass ich noch sehr spät abends Süßes essen durfte, was sich trotz meiner Bauchschmerzen, welche mich zusätzlich nicht haben schlafen lassen, gelohnt hatte, da sonst nie meine Liebe zu Horrorfilmen gefunden hätte.
Gadankenverloren strich ich eine Haarsträhne hinter mein Ohr und es fühlte sich an, als wäre es er.
«Ähm, Entschuldigung...»
Meint man mich?
Unsicher spähe ich durch ein halb geöffnetes Auge und schaue direkt in die Augen eines strahlenden Jungens und damit meine ich nichtmal sein extrem freundliches Grinsen, nein, er lächelte mit seinen Augen.
Dieser Fakt gab mir etwas Sicherheit und ich setzte mich gerade hin, um ihn besser betrachten zu können.
«Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht ein Bild von mir machen kannst. Ich bin nicht von hier und hätte ganz gerne ein paar Bilder, um mich an die Zeit zurück erinnern zu können»
Mit seiner rechten Hand streckte er mir eine recht professionelle Kamera hin, welche ich sogleich griff. Es ließ sich nicht vermeiden, dass sich unsere Hände kurz striffen, was ich gekonnt ignorierte. Der Mann gegenüber von mir, zog schnell seine Hand zurück und stellte sich auf Position.
Ich lief ein, zwei Schritte zurück, um etwas Abstand zwischen uns zu bekommen, damit die Linse nicht zu nah an ihm dran war.
Schell machte ich ein paar Bilder und kam dann auf ihn zurück.
«So, hier hast du deine Kamera wieder. Ich hoffe sie sind etwas geworden, bin leider nicht die Beste, was Photographie betrifft»
«Wem erzählst du das... wir sollten für unseren Kurs auch ein paar Dinge photographieren. Ich hab bis heute noch kein einziges Motiv, obwohl ich es in einer Woche abgegeben soll. Naja was soll's»
Ein kurzes Lachen entwich seiner Kehle und er skippte kurz durch die Bilder, wärend ich ihn noch immer musterte.
«Und du bist also neu hier?»
«Ja, mein erster Tag hier. Ich hab früher eine Stunde entfernt gewohnt, jetzt bin ich näher an meinem Studiumsplatz. Es war echt knapp, beinahe hätte ich meine Wohnung nicht bekommen»
Seine offene Art gefiel mir. Heutzutage sind viele Menschen verschlossen und verstecken Ängste und Misserfolg, aber auch Erfolge in sich. Doch bei ihm schien es anders und das machte ihn interessant, weshalb ich die Unterhaltung am Leben hielt.
«Glückwunsch, was studierst du, wenn ich fragen darf?»
«Bildende Kunst, Schwerpunkt auf Malerei und Bildhauerei, aber Photographie ist halt auch dabei, damit muss ich jetzt wohl leben»
Schon wieder das süße Lächeln.
«Klingt ja spannend. Also ich war ja noch nie begabt, was bildende Künste anging. In der Schule hab ich mich immer irgendwie mit einer zwei durchgemogelt, da unsere Lehrerin das 'Abstrakte' in meinen Bildern gemocht hatte. Ich möchte dazu sagen, dass ich nie abstrakt gezeichnet habe, sondern dass mein Bild einfach so schlecht war»
Dieses Mal brachen wir zusammen in ein kleines Gelächter aus.
«Ich hätte echt Mal gerne ein solches Bild gesehen, um zu sehen, was sie daran so abstrakt fand. Aber ich schätze jetzt einfach Mal, dass du nicht jeden Tag ein Bild von dir aus der Schulzeit in der Tasche hast, für den Fall, dass sich ein verrückter Kunststudent es anschauen will»
«Da liegst du goldrichtig, aber du hast doch bestimmt eine Zeichnung von dir auf dem Handy oder? Könnte ich das vielleicht sehen»
Mit einem 'natürlich' holte er sein Smartphone raus und stellte sich neben mich. Er brauchte nicht einmal eine Minute, bis er ein Bild gefunden hat und was ich da sah, war echt beeindruckend.
«Also jetzt verstehe ich, warum du Kunst studiert hast»
Er bedankte sich und wollte gerade gehen, als ich all meinen Mut zusammen sammelte und ihn am Unterarm festhielt.
«Ähm, du brauchst doch noch ein paar Motive für deinen Kurs und du bist neu hier, also warum zeig ich dir nicht meine Lieblingsorte?»
«Klingt gut, vielleicht finde ich ja das ein oder andere, das gut vor der Linse aussieht»
Mit einem Nicken machte er den Schritt, welchen er zuvor von mir weg getan hatte, in meine Richtung.
«Hier entlang!»
Aufgeregt zog ich ihn durch den halben Park und bog dann in eine Seitengasse ab.
«Keine Sorge, ich will dich nicht entführen, du wirst gleich sehen, warum ich dich hier herbringe», meinte ich, ohne dass er überhaupt Zeit hatte nachzufragen.
Und tatsächlich, da waren wir: eine schmale Gasse mit hohen, weißen Häuserwänden. Auf der linken Seite war eine gelb-gestrichene Feuerleiter, die sich vom Boden bis unter das Dach streckte und auf der rechten Seite waren mehrere kleine Grafittis, welche mich schon als Kind fasziniert hatten. Ich habe diesen Ort durchs Versteckspielen gefunden, als ich durch die enge Gänge gerannt war, in der Hoffnung einen Ort zu finden, wo mich keiner finden konnte.
Verträumt strich ich über die schon längst getrocknete Farbe und war erstaunt, wie strahlend sie nach all den Jahren noch war.
*klick*
Verwundert drehte ich mich um und sah, dass er seine Kamera auf die Scene gerichtet hatte.
«Hier ist es echt wunderschön»
Meinte er, nachdem er sich alles eine Weile angeschaut hatte.
«Warte bis du das siehst.»
Ungeduldig schleppte ich ihn von einem Ort zum anderen und der junge Student kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
Seine Bilder häuften sich und nach einer Ewigkeit, in der wir nur geredet hatten oder gelaufen waren, gingen wir zurück in den Park.
«Also danke für all die schönen Orte, an die du mich gebracht hast, war echt schön, jemanden nettes in einer neuen Stadt zu treffen»
«Hab ich doch gerne gemacht»
Wir verabschiedeten uns und eigentlich wollte ich nach Hause gehen, doch ein kurzer Blick in den Himmel zeigte mir, dass in wenigen Minuten der Sonnenuntergang sein sollte, weshalb ich mich im Schneidersitz auf die Bank auf der anderen Seite des Parks setzte. Diese war ziemlich alt und im Gegensatz zu meiner Bank war diese aus sehr dunklem Holz gefertigt, doch sie strahlte trotzdem ein wohliges Gefühl aus. Die Metallverzierungen kühlen meinen Rücken und zufrieden atmete ich Luft aus.
Langsam aber sicher wurde der Himmel dunkler und verfärbte sich. Nach all den Jahren, in den ich in diesem Park war, hatte ich nie den Sonnenuntergang aus dem Park gesehen, nur ihren Aufgang.
Das Spiel der Farben ließ mich lächeln.
Ich konnte eine Gestalt im Augenwinkel sehen, welche sich neben mich setzte, doch ich wollte meinen Blick nicht abwenden. Sanft lehnte ich mich gegen ihn und genoss seine Wärme.
Länge Zeit sagte ich nichts, bis ich ihm etwas anbot.
«Falls du du noch ein Motiv brauchst und einen wunderschönen Sonnenaufgang fotografieren möchtest, ich bin jeden Samstag und Sonntag hier, um ihn mir anzusehen. Wäre schön wenn du mir Gesellschaft leisten würdest»
Ich spürte sein Nicken an meinem Kopf.
«Versprochen»
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top