16 |Stargazing
Der kühle Wind zerrte an meiner Kleidung und spielte wild mit meinen Haaren - bestimmt sah ich schon ganz durcheinander aus. Ich genoss die angenehme Atmosphäre nach der langen Reise nach Asgard, die auch anstrengender war als erwartet.
Doch offenbar hatte es sich gelohnt. Bis zum Horizont erstreckten sich weite, dunkle Wiesen, ein kleiner Fluss bahnte sich seinen Weg weiter weg und hier und da standen vereinzelt breite, uralt aussehende Bäume.
„Gefällt es dir?", wurde ich von meiner Begleitung aus meinen Gedanken gerissen, bevor sie abschweifen konnten.
„Es ist... Es ist wunderschön, Loki", sprach ich laut aus und drehte mich lächelnd zu ihm. Er trug einen vollständig schwarzen Anzug, der ihm meiner Meinung nach perfekt stand und seiner Statur schmeichelte.
„Das freut mich", sagte er mit einem zufriedenen Funkeln in den Augen. Ich liebte es... Allgemein, seine Augen waren einfach der Wahnsinn. Erst vor wenigen Tagen war mir aufgefallen, dass sie nicht immer dieselbe Farbe hatten: Mal waren sie von einem klaren, glitzernden Blau, manchmal jedoch grün wie Smaragde. Heute Nacht strahlten sie wieder wie helle Saphire.
Loki winkelte seinen Arm an und forderte mich stumm auf, mich einzuhaken. Ohne lang darüber nachzudenken, tat ich das auch und wir gingen gemächlich los, einem langen Trampelpfad folgend. An meiner Seite gab er mir ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit, so dass ich wahrscheinlich auch blind und taub gelaufen wäre, solange er nur da wäre.
„Früher, als ich noch ein Kind war, habe ich diesen Ort geliebt", erzählte Loki.
„Ich bin zwar selten rausgegangen, aber wenn, dann habe ich mich mit einem Buch in den Schatten eines Baumes gesetzt und den Rest des Tages, bis tief in den Abend, dort verbracht"
„Das glaube ich gerne... Dieser Ort hat etwas, wenn auch nicht viel weniger als die anderen Plätze Asgards, die wir schon besichtigt haben", meinte ich etwas verträumt.
„Darf ich dich - nur für heute Abend - um etwas bitten?", fragte Loki zögerlich, nachdem wir einige Minuten still nebeneinander gegangen waren.
„Sicher", antwortete ich etwas neugierig. Ich beobachtete seine Gesichtszüge, als er tief Luft holte und seinen Blick nachdenklich über die Landschaft vor uns gleiten ließ.
„Vergiss alles, was passiert ist. Ich weiß dass es in letzter Zeit nicht immer einfach war, aber lass uns heute Nacht... Nur sein. Nur zu zweit, ohne Gedanken an das, was war oder kommt. Nichts Negatives. Ich weiß, dass sich das gerade irgendwie seltsam anhört-"
„Nein, tut es nicht", meinte ich ehrlich. Es überraschte mich nur, dass er so etwas sagte... Loki war fast nie bekümmert genug, um darüber überhaupt nachzudenken, der Abend musste ihm also wichtig sein.
Er sah mir wieder tief in die Augen und lächelte leicht, womit er auch mir ein Schmunzeln entlockte.
„Gut... Heute wird nämlich eine ganz besondere Nacht", versprach er. Ich wunderte mich zwar über seine Worte, beschloss jedoch, mir die Frage erstmal für später aufzuheben.
Ich lehnte mich ein Stück weiter an ihn, bis er noch im Gehen seinen Arm von meinem löste und um mich legte. Mein Arm folgte diesem Beispiel und so gingen wir die nächsten Meter eng umschlungen nebeneinander.
Es war wunderschön... Der Nachthimmel war schwarz wie Samt und die Sterne funkelten wie reine Edelsteine. Sogar die Milchstraße war zu sehen... Doch ansonsten nichts. Keine Wolken, keine nervigen Flugzeuge, nichts.
Ich hatte mich in die Nacht von Asgard verliebt... Genau wie in den Prinzen.
Dann meinte Loki, er wolle mir nachher noch etwas weiteres zeigen. Mittlerweile hatte die Nacht ihren Höhepunkt erreicht, es wurde immer kälter und bis auf die Sterne und die dünne Mondsichel am Himmel war es stockduster.
Dennoch genoss ich die beruhigende Auszeit von dem allgegenwärtigen Licht und konnte mich vor allem mit Loki an meiner Seite leicht auf die ganzen neuen Eindrücke einlassen.
Mittlerweile hielten wir uns nur noch an den Händen, um etwas schneller voranzukommen, auch wenn unser Tempo immer noch gemütlich blieb. Schließlich kamen wir an einen kleinen, runden Hügel, über den ich mich neugierig von Loki führen ließ.
Ich fröstelte etwas, konnte diese Tatsache jedoch von den ganzen Merkmalen des neuen Ortes verdrängen.
Von hier aus konnte man einen ungewöhnlich dicken, uralt wirkenden Baum erkennen, dessen Äste lange Zweige und dichte Blätter trugen.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, da hatten wir den Gipfel auch schon erreicht. Loki löste sich mit einem Mal von mir und ging, nur verfolgt von meinem neugierigen Blick, hinüber zu dem verdeckten, dicken Stamm des Baumes.
„Dies ist eine Eibe", erklärte er mir ruhig. Ich verschwieg, dass ich das schon wusste... Doch der Anblick war dennoch atemberaubend.
Ich liebte große, alte Bäume, es war ein Jammer, dass es sie heutzutage auf der Erde nur noch selten gab.
Dennoch stellte sich mir langsam die Frage, ob es noch weiteres gab, was Loki mir zeigen wollte... Er konnte ja nicht wissen, dass ich Bäume mochte, so hatte er doch sicher noch anderes geplant, oder?
Bei allen Göttern, meine Neugier ließ sich wirklich nur schwer bremsen. Ich beschloss, es auf mich zukommen zu lassen, schließlich wollte ich meinen Freund nicht die Überraschung verderben, die er mir machen wollte.
Plötzlich gluckste Loki belustigt, doch bevor ich wusste, was ich sagen sollte, nahm er wieder kopfschüttelnd meine Hand in seine und raunte mir ins Ohr:
„Ach Y/N, ich sehe doch was du denkst. Keine Angst, es wird gleich losgehen, wir sehen uns nicht nur Bäume an"
Bevor ich protestieren konnte, hatte er mir schon einen sanften, schnellen Kuss auf die Lippen gedrückt und hinterließ so ein wohliges Gefühl in meinem Bauch, das mich alles andere wieder vergessen ließ. Mir war lange nicht mehr kalt.
„Also... Was ist heute so besonders?", fragte ich, nachdem wir uns voneinander gelöst hatten. Loki lächelte leicht.
„Heute, meine Liebe, ist die Nacht der fallenden Sterne"
Etwas verwirrt legte ich meinen Kopf schief.
„Ich denke auf Midgard nennt ihr das einfach Sternschnuppen", meinte er schmunzelnd und bestätigte so meine leise Vermutung.
„Es gibt heute also viele davon?", schlussfolgerte ich etwas unsicher, woraufhin der Gott nickte.
„Es kann jeden Augenblick loslegen. Normalerweise sehen alle von einem Balkon oder dem großen Garten aus zu, doch-"
„Dieser Ort ist dafür tausendmal besser geeignet", beendete ich seinen Satz.
Eine Weile standen wir schweigend nebeneinander, die Blicke gen Himmel gerichtet...
Bis Loki auf einmal nach Luft schnappte und leise „Dort!" ausrief.
Das musste die erste Sternschnuppe gewesen sein.
Und noch in demselben Moment begann ein wortwörtlicher Regen aus Lichtblitzen.
Sternschnuppen flogen wie Hagelkörner über das Himmelszelt, bis es silbern schimmerte.
Es war unglaublich.
Mit offenem Mund beobachtete ich das magische Schauspiel. Moment um Moment, Minute um Minute verstrich, ohne dass es langweilig wurde.
Doch irgendwann wurden die Lichter immer weniger. Es war offensichtlich, dass das Schauspiel zum Ende kam.
So traurig ich auch war, dass es vorbei sein würde, konnte nichts das Glücksgefühl in mir löschen.
Selten war alles so vollkommen, doch nun war praktisch alles... Wundervoll.
Loki hatte Recht gehabt - alles für heute Nacht zu vergessen, machte die Situation nur noch schöner.
„Da!", rief ich erfreut auf, als doch noch eine besonders helle, dicke Schnuppe über die Himmelsdecke flog - Götter, die war riesig gewesen!
Dann jedoch viel mir auf, wie Laut mein Ausruf wohl in dieser ruhigen Idylle gewesen sein musste.
Etwas beschämt über meinen Ausruf presste ich die Lippen aufeinander und schielte zu Loki, der meinen Blick jedoch belustigt erwiderte.
„Hast du sie gesehen?"
„Ja, habe ich. Das war eine der Königinnen, von denen es nur wenige pro Jahr gibt", erklärte Loki mir ruhig. Zwar sagte mir der Name nichts, doch Lokis Beschreibungen zufolge schienen diese Dinger selten zu sein.
Mein Lächeln wurde noch breiter, da fragte Loki schließlich: „Hast du dir denn etwas gewünscht?"
Ich überlegte kurz, bevor ich nickte.
„Und... Verrätst du mir, was?"
„Dann geht der Wunsch doch nicht in Erfüllung", erinnerte ich ihn in Gedanken an den alten Mythos.
In Lokis Blick flackerte kurz Bedauern auf, als hätte er tatsächlich eine Antwort erwartet.
Nun... Die konnte er haben.
Ehe der Gott reagieren konnte, hatte ich ihn schon an der Schulter zu mir gedreht, sein Kinn mit der anderen Hand hinab geneigt und mich selbst auf die Zehenspitzen gestellt, so dass ich ihm einen festen, innigen Kuss auf die Lippen drückte.
Seine Überraschung war rasch verflogen, mit derselben Leidenschaft erwiderte Loki den Kuss und schlang einen Arm um meine Hüfte.
Das altbekannte und trotzdem großartige Gefühl der Geborgenheit und Liebe flammte wieder in mir auf und schickte Schmetterlinge durch meinen ganzen Körper.
Ich konnte nicht sagen, was ich mehr liebte - dieses Gefühl oder Loki selbst.
Viel zu früh war der Kuss schon vorbei, doch die Atmenot hatte sich bereits bei uns beiden erkennbar gemacht.
Schwer atmend lösten wir uns, blieben jedoch mit unseren Gesichtern nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.
Ich spürte Lokis warmen Atmen an meiner Wange und lächelte unwillkürlich. Das war unglaublich gewesen.
Unter seinen halb gesenkten Lidern blickte Loki mich mit einer Intensität an, die mir eine Gänsehaut beschaffte. Selbst in der Nacht schienen seine Augen zu strahlen.
Nach einigen weiteren Momenten durchbrach mein Wispern die Stille der Nacht:
„Ich denke, das war Antwort genug, nicht?"
In Lokis Augen funkelte Belustigung.
„Ja Liebes, allerdings", stimmte er mir zu.
„Gut... Was ist dein Wunsch?", fragte ich nun ebenfalls.
Loki beugte sich auf einmal wieder zu mir herunter, hielt kurz inne, bevor er dann aber flüsterte:
„Der ist schon längst in Erfüllung gegangen"
In meiner Begriffsstutzigkeit benötigte ich einen Augenblick, bis mir klar wurde, dass er mich damit meinte. Mein Herz hüpfte vor Glück auf und ab und ich neigte mein Gesicht ein wenig weiter zu ihm, so dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten.
„Ich liebe dich so sehr", hauchte Loki.
„Ich liebe dich auch, Loki", wisperte ich zurück, bevor wir uns ein weiteres Mal in dieser Nacht küssten.
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Wie hat's euch gefallen?
Ist diesmal sogar früher gekommen... :)
Tausend Dank mal wieder für eure Unterstützung! Dass so viele Leute meine Story lesen und mögen, ist einfach unglaublich ^•^
Bis demnächst!
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