107. Völlig verloren
Es glich einem Spiel, einem merkwürdigen Spiel, doch es verhinderte, dass ich völlig durchdrehte, dass ich nicht alles vergaß, dass ich mich zumindest an einige Dinge auch weiterhin erinnern würde. Während ich so meine endlosen Tage in dieser Schattenwelt verbrachte, längst vergessen hatte, wieso ich überhaupt hier war, was alles hierzu geführt hatte, ging ich in meinem Kopf immer und immer wieder simple Dinge meines Lebens durch, versuchte diese paar wenigen Sachen niemals zu vergessen. Mein Name war Marcy, ich war eine Prinzessin Asgards, seit meine Eltern von Eisriesen getötet wurden, Thor war mein Bruder und ich liebte Loki mehr als irgendwen auf allen neun Welten. Verzweifelt schloss ich meine Augen von dem Schmerz, der sich in mir ausbreitete, als ich versuchte mein Leben so nicht zu vergessen und doch wurde es von Tag zu Tag schwerer. Ich spürte, wie ich mehr und mehr Dinge vergaß, hatte jedoch keine Ahnung, was genau, es fühlte sich nur an wie schwarze Löcher, die in meinem Kopf entstanden und nicht mehr gefüllt werden konnten und sich als einzige Hoffnung an die Welt der Lebenden zu klammern erschien mir auch von Tag zu Tag schwerer. Anfangs hatte ich Loki gehabt, hatte in seinen Träumen zu ihm greifen können, doch selbst das war nicht mehr genug, nicht seit er angefangen hatte mit anderen Frauen was zu haben, meine Bindung zu ihm anfing dadurch zu bröckeln. Immer seltener konnte ich ihn klar vor mir sehen und wenn, dann zerbrach sein Anblick mir das Herz. Entweder weil er betrunken, ein billiger Abklatsch seines selbst war oder weil er gerade dabei war sich durch halb Asgard zu vögeln, Frauen suchte, die mir in gewisser Weise ähneln könnten und damit zerbrach er mein Herz. Ich wollte verstehen, wieso er das tat, doch es erschien mir unmöglich. Ich wusste weder, wieso er so drauf war noch wusste ich, wieso ich ihm so egal geworden war? Seit einer halben Ewigkeit erwähne er meinen Namen nicht mehr, ging nicht in mein Zimmer oder wirkte überhaupt so, als hätte ich je existiert, als hätte ich ihm auch nur irgendwas je bedeutet gehabt.
Gedankenverloren spielte ich mit dem letzten Überbleibsel meines alten Lebens herum, drehte das grüne Armband an meinem Handgelenk immer wieder hin und her, versuchte schmerzvoll mich an irgendwas zu erinnern, was mir weiterhelfen könnte, was mir sagen könnte, wieso das alles hier geschehen musste, doch bei dem Versuch die Lücken zu füllen, kamen mir nur mal wieder die Tränen vor Frustration. Leise schluchzte ich auf, als zeitgleich von meinem Schmerz geleitet Loki Gestalt vor mir annahm, er wieder wie eine Art Geist erschien, ich nur mal wieder die kurze Möglichkeit erhielt einen Blick auf die reale Welt zu werfen, die mir immer so vorkam, als würde sie hinter einem Schleier liegen. Ich versuchte meinen Tränen zum stoppen zu bringen, als ich meinen persönlichen Anker vor mir sah, auch wenn die Bindung zu Loki schwach geworden war. Nach all dem, was war, nach all dem, was er getan hatte, seit ich fort war, es war als würde es uns immer weiter voneinander trennen und ich war machtlos dagegen. Ich lächelte verbittert, als ich sah, wie betrunken er um die frühe Zeit war, dass er, kaum war er aufgestanden vom Bett, schon ein Glas Wein zur Hand hatte, das er jedoch nun gegen die Wand schmetterte und recht aufgelöst zu wirken schien. Ich hatte keine Ahnung, was ihn so durchdrehen ließ, doch es war fast schon normal geworden. Die meiste Zeit über war er entweder völlig betrunken oder todtraurig, so dass ich mir die meiste Zeit Sorgen machte er könnte sich noch irgendwas antun, wo ich hoffte und Thor manchmal anschrie, dass er ihm doch helfen, ihn wenn es sein musste einsperren sollte, doch natürlich hörte er mich nicht und anders als ich, schien Thor Loki längst aufgegeben zu haben.
Ich sah mit Tränen in den Augen zu der Liebe meines Lebens, zu meinem einzigen kleinen Lichtblick in all dieser Dunkelheit und auch wenn ich von Tag zu Tag mehr Dinge über ihn vergaß, ich wusste, dass er bei mir sein würde bis zum bitteren Ende, dass ich wahrscheinlich noch immer wissen würde, wer er war, selbst wenn ich nicht einmal mehr wüsste, wie mein eigener Name lautete. Loki schien nicht vorzuhaben noch länger in seinem Zimmer zu bleiben und da ich es nicht ertragen würde wieder völlig alleine hier zu sein, folgte ich ihm einfach aus dem Zimmer heraus, schaffte es mühevoll mich aufzurichten, auch wenn meine Beine unter meinem Gewicht zitterten, doch hier zu sein zehrte an all meinen Kräften. Es war nicht nur so, dass ich von Tag zu Tag weniger wusste, ich wurde auch schwächer, kränklicher und konnte nichts dagegen machen. Es gab hier in dieser Welt keine Nahrung, doch sterben tat ich ohne auch nicht. Ich musste ja nicht einmal schlafen, denn egal wie viel Schlaf ich auch kriegen würde, ich würde immer gleich erschöpft wieder aufwachen. Natürlich gab es auch ein paar Dinge, die alles hier ein wenig erträglicher machten, mal abgesehen von Lokis Anwesenheit. So sah ich eben all diejenigen, die wie ich auch in dieser Zwischenwelt waren, nur mit dem Unterschied, dass all diese Leute lediglich auf der Durchreise waren, weiterziehen durften, während ich hier feststeckte und weder zurück noch vorwärts konnte. So war es jedes Mal aufheiternd eine Person in dieser Welt zu sehen, die auch wirklich hier war, nicht nur ein Schatten der echten Welt war und auch wenn diese Leute nie sehr lange da waren, viel zu verwirrt von ihrem Tod waren, um mir Fragen über das was alles auf Asgard geschehen war zu beantworten, so war es erfreulich wenigstens kurz mit jemanden zu reden. All die Alten, Kranken und an gewöhnlichen Dingen Verstorbenen kamen erst in diese Zwischenwelt, ehe sie weiter nach Helheim ziehen würden. Ich beneidete sie alle darum, dass sie weg von hier konnten, ob sie nun tot waren oder nicht, sie wussten wenigstens, was sie waren, sie würden irgendwohin gelangen, ich nicht. Ich war eine Gefangene dieser Welt, verdammt dazu mich selbst und alle die ich liebte zu vergessen, unmöglich von hier fortzugelangen.
Seufzend folgte ich Loki durch die Gänge des Palasts, sah immer wieder andere Schatten dabei, die von Wachen oder Bediensteten, und unterwegs fragte ich mich einfach, wo er überhaupt hin wollte? Er schien so zielstrebig zu sein, als würde er ganz dringend an einen bestimmten Ort wollen, doch ich hatte keine Ahnung, was das für ein Ort sein könnte. Mit der Hoffnung vielleicht unterwegs einer verstorbenen Seele zu begegnen, was leider nicht häufig geschah an einem Ort, wo die Leute mehrere tausende von Jahre Alt werden konnten, folgte ich Loki so eine Treppe nach unten, direkt in die Kerkerräume, wo ich an dessen Eingang, genauso wie Loki selbst, völlig erstarrt stehen blieb. In mir drinnen versuchte eine Erinnerung hochzukommen, doch es war eine von denen, die vor einer sehr langen Zeit schon ausgelöscht worden war und so konnte ich nur hilflos da stehen, schaffte es anders als Loki nicht mich schnell wieder zu fangen und weiter zu gehen, sondern stand einfach da, bildete mir ein in der Ferne einen Kampf zu vernehmen, Schreie, spürte wie die Erde unter meinen Füßen bebte und ich spürte, wie viel Panik sich in mir anstaute. Ich wollte am liebsten nur weg rennen, ich wollte am liebsten diese Kerkerräume ganz weit hinter mir zurück lassen, nie wieder herkommen, doch gleichzeitig erfüllte es mich mit so viel Furcht Loki zu verlassen, wieder alleine irgendwo hier herum zu eilen, völlig verloren, weswegen ich zittrig durchatmete und hastig Loki nach rannte, der schon in irgendeiner der vielen Zellen drinnen stand und einen mir völlig unbekannten Mann an der Kehle die Wand hoch drückte. Dieser wirkte völlig abgemagert und sah alles andere als gut aus, so verwildert wie er wirkte, und obwohl ich keine Ahnung hatte, um wen es sich bei dieser Person handeln konnte, spürte ich eine ähnliche Wut gegen ihn, wie Loki sie wohl auch hatte, der diesem so feste die Kehle zudrückte, dass dieser schon bläulich anlief. Wer bitte war diese Person? Ich hatte das eigenartige Gefühl, als ob er einer von denen war, die ich wohl längst vergessen hatte, doch wer auch immer er war und was auch immer er getan hatte, dass er nun hier war und so verabscheut wurde, ich würde es nicht vermissen ihn vergessen zu haben, so viel stand fest.
„Dann sag mir jetzt sofort, wie ich sie retten kann! SOFORT!", schrie Loki den Kerl auch schon zornig an und überrascht von diesem Ausbruch, zuckte ich zusammen, versuchte zu verstehen, was ich bisher bei dem Gespräch verpasst hatte, um wen es hierbei bitte ging?
„Sie kann sich nur selbst retten. Sie kann als Lebende jederzeit zurück in die normale Welt, wenn sie eine Lücke dazwischen findet, doch es ist sowieso zu spät. Sie ist so lange schon dort, dass sie vermutlich nicht einmal mehr weiß, wer sie überhaupt ist", röchelte der Kerl halb am ersticken und irritiert zog ich meine Augenbrauen in die Höhe, schlang meine Arme um mich, als die Luft anfing immer kälter im Raum zu werden, was ungewöhnlich war, schließlich war es bisher immerzu überall gleich warm gewesen hier im Palat dieser Zwischenwelt und irgendwie machte mir das Angst, doch gleichzeitig war ich auch viel zu gebannt von dem Gespräch vor mir. Irgendwas in mir schrie mich an, dass es ganz wichtig war hierbei zuzuhören, zwar wusste ich nicht wirklich wieso, doch ich tat es dennoch, hielt fast schon den Aten an, als Loki seine nächste Frage stellte: „Eine Lücke? Was für eine Lücke? Wie wenn jemand stirbt?"
„Wenn jemand einen natürlichen Tod stirbt. Nur die Alten und Schwachen kommen in das Reich der Göttin des Todes, abgesehen mal von Verbrechern, der Rest geht direkt weiter nach Valhalla, also komm nicht auf die Idee, dass mein Tod sie zurückbringen kann. Mag zwar sein, dass ich in ihr Reich kommen würde, aber das heißt nicht, dass mein Tod auch eine Lücke darstellen wird", erwiderte die Person zynisch, nachdem Loki den Griff gelockert hatte um dessen Kehle und irritiert schüttelte ich den Kopf, während Loki wohl genug gehört zu haben schien und davon eilte. Wie erstarrt blieb ich an Ort und Stelle jedoch stehen, sah wie der Mann vor mir sich anfing aufzulösen, wie ich wieder völlig in der Welt der Schatten gefangen war, abgetrennt von den Lebenden und ich lachte trocken auf, als ich anfing mir alles zusammenzureimen.
„Er hat mich nicht vergessen", hauchte ich, als ich begriff, dass Loki hier mit diesem Mann über mich gesprochen hatte und wie er mich von hier retten konnte, denn wer außer mir befand sich in einer anderen Welt, drohte alles zu vergessen?
„Ich kann zurück", meinte ich und spürte wie mir Tränen der Freude anfingen übers Gesicht zu laufen bei dem Gedanken daran von hier wegzukommen, eine Möglichkeit gefunden zu haben diesem Ort zu entkommen, wieder zu meinen Geliebten zurückzukehren, nicht länger eine Gefangene sein zu müssen, nur wurde meine kurze Freude schnell zerstört, als die Welt anfing zu beben und zwar dieses Mal wirklich und nicht nur als Einbildung. Panisch davon, was nun los war, eilte ich so schnell es ging aus diesen grauenvollen Räumen und zurück nach oben, wo das Beben fast noch stärker zu spüren war. Irritiert sah ich mich in den verlassenen Gängen um, hatte keine Ahnung, was diese außergewöhnliche Veränderung an diesem Ort, wo immer alles beim Gleichen geblieben war, zu bedeuten hatte, als ich da eine seltsam vertraute, düstere Wolke erkannte, die sich anfing am Ende des Ganges zu bilden und immer dichter dabei wurde, ehe sie plötzlich anfing auf mich zuzukommen. Ich überlegte gar nicht großartig, was das zu bedeuten hatte, wusste einfach, dass ich nicht herausfinden wollte, was wäre, wenn sie mich erreichen sollte und eilte davon.
Ich musste diese verdammte Zwischenwelt endlich verlassen! Ich musste endlich von hier fort und dafür müsste ich jemanden finden, der dabei war am Alter oder einer Krankheit zu sterben. Wo sollte ich bitte so jemanden finden? Auf Asgard starb nicht unbedingt jeden Tag irgendwer, manchmal dauerte es Wochen, bis wieder jemand von uns ging und dann musste es nicht einmal am Alter oder eine Krankheit gelegen haben, sondern weil die Person als Krieger verstorben war und genau das würde laut den Worten des Mannes unten in den Kerkern ja nicht funktionieren.
So schnell es mir in meinem kaputten Zustand möglich war, eilte ich durch die Gänge des Palasts und weiter nach außen, wo ich mich eigentlich ungern aufhielt, einfach da hier alles so wirkte, als würde es von einem brodelnden Feuer verschlungen werden, doch wenn ich jemanden finden wollte, der im sterben lag, dann müsste ich ins Dorf. Dort waren weitaus mehr Leute, als im Palast, und vor allem auch mehr ältere Leute, die ihre besten Jahrhunderte schon hinter sich hatten. Es widerte mich in meinem tiefsten Inneren zwar fürchterlich an zu hoffen, jemanden zu finden, der gerade sterben würde, doch nach all der Zeit hier, nach allem was man mir genommen, was ich mitansehen und erleiden musste... ich konnte nicht mehr. Ich wollte nur noch nach Hause dürfen, ich wollte nur noch aus diesem Albtraum erwachen dürfen, der mir fast alles genommen hatte.
Meine Lungen brannten vor Überanstrengung, als ich bei der erdrückenden Hitze, die hier draußen herrschte, über die Wiesen in Richtung Dorf lief, nicht eine Sekunde Pause machen würde, mich nicht umdrehen würde, um zu sehen, wie nahe ich an der letzten Verdammung wäre. Ich spürte, wie mir Tränen vor Angst, vor Furcht übers Gesicht anfingen zu liefen, doch ich wollte nicht diese einzige Möglichkeit verlieren frei zu kommen. Ich wollte nicht mit Hoffnung erfüllt werden, nur um am Ende es nicht zu schaffen, nur um am Ende doch hier zu bleiben oder schlimmer noch endgültig fortgerissen zu werden. Ich wollte Thor wiedersehen, ich wollte zu Sif und zu Fandral und zu Hogun und all meinen anderen Freunden. Ich wollte Loki sehen und in seinen Arme sein, egal was er auch alles getan hatte und was ich alles hatte mitansehen müssen, ich wollte einfach nur noch bei ihm sein dürfen. Ich blinzelte mir meine Sicht so gut es ging frei, als ich an den ersten Häusern vorbei kam und nur leider keine Ahnung hatte, wohin ich sollte. Ich sah niemanden. Ich schaffte es keine einzige Person zu sehen, woher sollte ich schon wissen, wer gerade am sterben war? Panisch lief ich deswegen wahllos in irgendwelche Häuser so hinein, verließ sie genauso eilig wieder und suchte nach einem Ausweg, ohne zu wissen, wonach ich Ausschau halten sollte. So lange ich keinen Einblick auf die andere Seite kriegen würde, würde ich nicht zurück kommen und die Erkenntnis darüber hier festzusitzen, brachte mich ans endgültige Ende meiner Kraft. Verloren hielt ich an, fiel auf meine Knie mitten im Marktplatz und wusste, dass es nun enden würde. Gefangen in einer anderen Welt, niemals die Möglichkeit darauf haben wieder zurück zukommen, niemals die Möglichkeit zu haben herauszufinden, was geschehen war, es erschien mir als eine grauenvolle Art abzudanken und doch würde es genauso sein. Ich konnte einfach nur dort zwischen all diesen Häusern auf dem Boden knien, hörte nichts, außer mich selbst atmen, fühlte nichts, außer den Tränen, die auch weiterhin über mein Gesicht liefen, und ich wartete auf das Ende, auf irgendwas grauenvolles, als es ganz anders kam, denn plötzlich hörte ich jemanden doch tatsächlich husten. Verwirrt davon horchte ich weiter in die Stille hinein, glaubte mich nur verhört zu haben, als das Geräusch erneut ertönte und ich davon angetrieben mich von dem staubigen Boden erhob und langsam dem Geräusch folgte, einige Meter weiter, zu einem schlichten Haus, dessen Türe offen stand.
Unsicher betrat ich es, wissend, dass es eine Falle sein könnte, doch von wem bitte? Ich hatte sowieso rein gar nichts mehr zu verlieren und deswegen lief ich auch weiter durch das düstere Wohnzimmer in einen angrenzenden Schlafbereich, wo ich perplex zu dem alten Mann sah, der dort auf einem Bett lag, sich die Seele praktisch aus dem Leibe zu husten schien und dabei immer wieder mit irgendwem sprach, als würde er mehr sehen, als ich. Erst als ich näher lief, fiel mir auf, dass ich ihn so sah, wie ich sonst alle anderen in der realen Welt sah, wie durch einen Schleier hindurch und doch sah es so aus, als würde er teilweise klarer werden, nur um dann wieder verschwommen vor meinen Augen zu erscheinen.
„Sie sterben", hauchte ich leise und zuckte zusammen, als die Augen des Mannes sich bei meinen Worten auf mich richteten und er vor Schreck sich ein wenig aufrichtete. Wie konnte er mich bitte sehen? Niemand sah mich doch sonst?
„Siehst du auch das Mädchen?", fragte er irgendwen für mich nicht sichtbaren und wie erstarrt konnte ich nur da stehen, hatte keine Ahnung, was nun zu tun war, während der alte Mann weiter mit der Person diskutierte, dass ich da war, dass er nicht wusste, wer ich war und mir wurde klar, dass ich ihn beruhigen musste, so viel war ich ihm schuldig, wenn ich schon vielleicht mit seinem Tod zurück kommen könnte.
„Sie brauchen keine Angst zu haben", sagte ich deswegen und näherte mich ihm weiter, „Es gibt nichts, wovon Sie sich fürchten müssten."
„Wer bist du?", fragte er ehrfürchtig nach, als ich mich neben ihm kniete und ihn traurig musterte.
„Niemand. Ich bin gar nicht wirklich echt", erwiderte ich leise, denn die Wahrheit wäre doch viel zu verrückt gewesen und doch sah ich ihm genauestens an, dass er längst wusste, wer ich war. Ich sah, wie sich die Erkenntnis in seinen Augen widerspiegelte, wie er ehrfürchtig zu wirken schien.
„Ich erkenne dich. Du bist die Prinzessin... oh du armes Mädchen, was machst du denn hier? Solltest du nicht längst an einem besseren Ort als diesem sein? Zusammen mit deinen Eltern? Deinem Kind?", fragte er verbittert und irritiert runzelte ich die Stirn, denn mit meinen Eltern und meinem Kind? Was? Es ergab überhaupt keinen Sinn, was er da sagte, aber gut, er lag im sterben, wer konnte da schon klar denken?
„Ich komme an einen besseren Ort... schon bald", meinte ich leise und sah doch tatsächlich, wie er davon lächeln musste.
„Das hoffe ich sehr. Die Göttin der Liebe und der Kinder sollte nicht in einem kleinen, einfachen Haus sein, sie sollte draußen, auf einer Wiese voller Blumen sein, auf den Weg zu ihrem Heim", meinte er und sachte ergriff ich seine Hand, hörte das Geräusch der Dunkelheit sich nähern, doch aus irgendeinem Grund interessierte es mich gerade nicht, ob sie mich erreichen würde oder nicht. Ich wollte einfach in den letzten Momenten dieses Mannes bei ihm sein, ihm Trost spenden, ihm seine Angst vor dem Kommendem nehmen, denn er würde zwar in meiner dunklen Welt erwachen, doch er würde weiterziehen dürfen. Er würde kein Gefangener hier sein müssen und ich hatte keine Ahnung, was die Person auf der anderen Seite zu ihm sagte, doch er schien davon lächeln zu müssen, sah dann zu mir und wirkte glücklich.
„Komm gut nach Hause, kleine Prinzessin", hauchte er, als sein Blick einfach glasig wurde und ich da plötzlich spürte, wie meine Welt sich anfing aufzulösen. Es war als würde ich nicht länger in diesem Zimmer sein, es war als würde ich nicht länger in meinem eigenen Körper stecken und alles löste sich in Nichts auf. Mein Leben löste sich in Nichts auf, ich fühlte mich seltsam frei, seltsam sorglos, einfach nur frei, als würde einfach alles von mir genommen werden. Jede Erinnerung, jeder Moment meines Lebens, bis fast nichts mehr übrig war, bis ich fast so unschuldig wieder war, wie ein Kind.
Benebelt schaffte ich es langsam meine Augen aufzubekommen und stellte fest, dass ich draußen war, dass ich mitten auf einer Wiese lag, wo Blumen meine Nase kitzelten und auf meiner Hand ein Marienkäfer entlang lief, der auch schon davon flog. Wie war ich hierhergekommen? Irritiert setzte ich mich aufrecht hin und verstand gar nicht mehr, was los war. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen, doch in mir drinnen herrschte eine völlige Leere, eine völlige Ahnungslosigkeit.
„Mami?", rief ich verwirrt aus, bekam Angst davon mich nicht erinnern zu können, nicht daran, wie ich hier gelandet war, noch was als letztes geschehen war. In meinem Kopf war alles wie leer gefegt, ich hatte gerade noch so die Gesichter meiner beiden Eltern in meinem Kopf und das wars, doch keiner der beiden schien hier irgendwo zu sein und das verwirrte mich dann doch schon sehr. Ich durfte doch gar nicht alleine fort von zu Hause. Irritiert von dem, was hier vor sich ging, stand ich auf, spürte wie mein Bauch krampfvoll schmerzte, wie schwindelig mir war und wie elendig es mir ging. Es war so, als wäre ich krank, doch ich hatte keine Ahnung, was los war und wollte nur noch die Hilfe meiner Mutter. Hastig rannte ich deswegen über die Wiese voll Blumen, direkt zu der Nachbarschaft, in der mein Haus stand, doch als ich die ersten Häuser erblickte, blieb ich geschockt stehen, denn irgendwas stimmte hier nicht. Ich zuckte vor Schmerzen erneut zusammen, doch beachtete sie kaum, während ich zu den Ruinen blickte, die mal meine Heimat gewesen waren. Jedes Haus dieser Straße war zerstört und doch sahen sie nicht so aus, als wäre das gerade eben erst geschehen. Moos wuchs an den meisten Steinen, die Natur hatte so gut wie jeden Umriss eines Gebäudes zurückgeholt und es sah nicht so aus, als würde hier überhaupt noch irgendeine Menschenseele sich aufhalten, doch wenn meine Eltern nicht hier wären, wo waren sie dann bitte? Ich wollte wirklich nicht weinen und doch schaffte ich es nicht meine Tränen aufzuhalten bei dem Gedanken alleine zu sein, bei den Schmerzen, die meinen Körper umhüllten, der Schwäche, die mich in die Knie zwang und am Eingang meines Hauses brach ich deswegen auch schon heulend zusammen. Wieso hatte ich bitte keine Ahnung mehr, was geschehen war? Wieso wusste ich es einfach nicht mehr? Ich kam mir so verloren vor, hatte das Gefühl, als wäre da ein halbes Leben versteckt in meinem Kopf, doch wenn ich versuchte mich an irgendwas, was mir helfen könnte, zu erinnern, dann war da nichts als Dunkelheit.
„Marcy?" Ich zuckte zusammen, als ich von weitem vernahm, wie jemand nach mir rief und verwirrt davon, wer das sein könnte, drehte ich mich um, nur um einen riesigen Mann zu sehen, der gekleidet wie ein Krieger war, dessen blondes langes Haar ziemlich zerzaust wirkte und der mich ansah, als könnte er seinen Augen nicht trauen, als wäre ich ein Geist und es wurde nur noch skurriler, als er plötzlich zu heulen anfing.
„Verdammt", hauchte er überwältigt und lief mit großen Schritten auf mich zu, was mich dazu veranlasste panisch aufzustehen und einige Schritte davon zu taumeln.
„Bleib weg von mir!", schrie ich hysterisch mit erhobenen Händen und sah wie er verdutzt stehen blieb, irgendwas zu begreifen schien.
„Marcy..."
„Woher weißt du, wer ich bin?", fragte ich panisch, blinzelte meinen Tränen weg und musterte den Fremden, der nun, wo ich ihn genauer ansah, doch etwas vertrautes an sich hatte, „Was ist hier geschehen? Wo sind meine Eltern?"
„Deine Eltern...", wiederholte er meine Worte schockiert und schüttelte immer wieder den Kopf und raufte sich die Haare, während er mich auch weiter ansah, als wäre ich nicht echt, als wäre ich vielleicht doch nur eile Illusion.
„Ich... ich bin vom Palast, deine Eltern haben mich nach dir geschickt, damit ich dich zu ihnen bringen kann", erklärte der Mann sich nun und räusperte dabei, um seine zittrige Stimme in den Griff zu kriegen. Ich sah ihn skeptisch an, wollte ihm nicht trauen, doch ich fühlte mich verloren und außerdem fingen da die fürchterlichen Schmerzen in meinem Bauch wieder an und schreiend sank ich erneut zu Boden, wo der Krieger auch schon auf mich zugeeilt kam und mich stützte.
„Verdammt! Ich sollte dich in die Heilkammer bringen, das mit der verdammten Narbe hatte ich ganz vergessen in all der Zeit", murmelte er und ich verstand zwar nicht, was er da sagte, doch ich litt zu sehr, um zu widersprechen und ließ mich von ihm einfach hoch heben, wo ich mich bemerkenswert sicher fühlte. Es hatte etwas so vertrautes an sich in der Nähe dieses Mannes zu sein und wenn ich meine Eltern wiedersehen würde, dann müsste ich sie dringend fragen, woher ich dieses Gefühl bitte hatte, doch vorerst versuchte ich mit dem Schmerz in mir klarzukommen, der sich anfühlte, als würde ich von Innen heraus zerrissen werden.
„Ganz ruhig, ja Marcy? Ich habe dich nicht wieder von den Toten, damit du mir jetzt in den Armen wegstirbst", redete der Blonde auf mich ein, während er mit mir in seinen Armen zum Palast rannte.
„Es tut so weh", schluchzte ich schmerzvoll auf, klammerte mich an dem Oberteil des Mannes fest, wobei mein Blick auf das Armband an meinem linken Handgelenk fiel und ich es irritiert musterte, abgelenkt davon den Schmerz gleich um einiges weniger spürte, der sogar anfing etwas weniger stark zu werden, was der Krieger zu merken schien.
„Genau, schau einfach das Armband an und versuch dich zu erinnern, ok?", sagte er eindringlich, doch ich hatte keine Ahnung, woran ich mich bitte erinnern sollte, als wir den Palast erreichten und ich schon hörte, wie jemand lautstark dort am schreien war.
„THOR!"
„Oh verdammt", fluchte mein Retter und stellte mich wieder auf meine nackten Füße, wo ich mir fast ein wenig schäbig in den edlen Gängen vorkam mit einem Kleid, das recht mitgenommen wirkte und ohne Schuhe zu tragen, doch den Mann interessierte es nicht, er drückte mich augenblicklich hinter sich, als die Person, die so am schreien war, auf uns zu lief.
„Thor, du verdammtes Arschloch! Kette mich noch einmal fest und ich bringe dich um!"
„Jetzt ist nicht die Zeit hierfür, du musste sofort zurück gehen, hast du mich verstanden, ich...", versuchte der Mann, der wohl Thor, so wie der Prinz Asgards, hieß, den anderen zu beruhigen, während ich eingeschüchtert hinter ihm stand und die halbe Welt nicht mehr verstand, als da der neu dazugekommene an diesem vorbei schaute und bei meinem Anblick so wirkte, als ob er ohnmächtig werden müsste.
„Marcy...", hauchte er so leise, dass es wie ein Wispern klang und seine Stimme ertönte in meinen Ohren so wunderschön melodisch, wie eines der Lieder, die meine Mutter mir immerzu vorgesungen hatte und auch seine ganze Erscheinung brachte irgendwas in mir zum dahinschmelzen, als würde seine Nähe genug sein, um zu existieren.
„Sie erinnert sich nicht, du solltest wirklich...", redete Thor auf den Mann weiter ein, doch dieser schenkte ihm keine Beachtung mehr, drückte sich an ihm vorbei und wollte schon auf mich zu gehen, schien mich unbedingt berühren zu wollen, als bräuchte er einen Beweis dafür, dass ich echt war, doch da ergriff mich erneut die Panik, schließlich kannte ich ihn doch gar nicht und so wartete ich gar nicht darauf, dass er mich erreichte, sondern drehte mich um und eilte in die andere Richtung des Ganges davon. Ich ignorierte die Schmerzen in mir, die Rufe nach meinem Namen und ich wollte nur noch weg, wäre sicher auch weggekommen, bis ich Thors Stimme da durch den Gang rufen hörte.
„Loki, du darfst sie nicht gehen lassen!" Und genau da hielt ich wie erstarrt an.
„Loki?", wiederholte ich den Namen leise, stützte mich plötzlich so völlig entkräftet an der Wand neben mir und schrie auch schon vor Schmerzen auf, doch es waren nicht die Schmerzen an meinem Bauch, es waren Schmerzen in meinem Kopf, als gefühlt mehrere Millionen an Erinnerungen in diesem zusammenbrachen, als würden sie durch eine unsichtbare Barriere duchbrechen, die sie von mir ferngehalten hatten und plötzlich sah ich alles wieder, erinnerte mich an alles wieder. Die Eisriesen, Loki und Thor, wie sehr ich Loki liebte, Thors Verbannung, die Schlacht von New York. Ich sah hunderte von Jahren vor meinem Auge abspielen, sah all die Trainingsstunden, all die Küsse mit Loki wieder, ich sah meine Freunde, den Tod meiner Eltern, ich sah Aras, die ganzen vergossenen Tränen, den Krieg, all die Dramen, all das Leid, all das Schöne und schließlich sah ich Loki und das Gift.
„Marcy?", fragte Loki mich besorgt, sprach mit einer Stimmlage, als befürchtete er, dass ich jeden Moment einen hysterischen Anfall kriegen würde, was gar nicht so abwegig war, denn als ich mich zu ihm umdrehte konnte ich nicht mehr. Ihn zu sehen, seine grünen Augen zu sehen mit dem ganzen Schmerz, der ganzen Sehnsucht und Liebe dahinter, in sein bildschönes, vertrautes Gesicht wiederzusehen und all die Erinnerungen damit zu verbinden, es zerbrach mich.
„Du hast mich umgebracht", hauchte ich und fing auch schon das Heulen an, woraufhin er selbst auch zu Heulen anfing.
„Nein, nein Marcy ich... es tut mir alles so unendlich leid. Es tut mir alles so furchtbar leid", schluchzte er auf und zog mich auch schon endlich an sich, während wir beide so umschlungen auf den kalten Boden sanken, doch es interessierte uns nicht. Was spielte jetzt schon noch eine Rolle? Ich konnte nur mein Gesicht an seine Brust drücken, seinen Geruch einziehen, mich an ihn klammern, als würde mein Leben davon abhingen und ihm ging es nicht anders.
„Wieso hast du mich umgebracht?", fragte ich immer wieder völlig panisch, wusste zwar, dass es nicht seine Schuld war, doch ich war nervlich am Ende, so wie er auch, so wie wir alle.
„Bitte verlass mich nie wieder", flehte er mich im Gegenzug immer wieder völlig am Ende an und ich heulte vermutlich davon angetrieben nur noch mehr und dachte an die letzten Momente zurück. Ich dachte an die Momente in diesem Kerker zurück, an die Kälte, die Dunkelheit und alles in mir drinnen schmerzte noch mehr, als es sowieso schon der Fall war, doch sich Stück für Stück an all das Elend, all den Schmerz zu erinnern, fühlte sich wie die reinste Folter an.
„Sie sind alle tot... unser Baby, Sif... Hogun... alle sind sie tot", schluchzte ich verzweifelt, erinnerte mich mit jeder Minute mehr an alles und konnte mich kaum mehr beruhigen, konnte mich nur an Loki festkrallen und versuchen gegen die drohende Dunkelheit anzukämpfen, die mich versuchte einzuholen, während sich irgendwann auch ein völlig aufgelöster Thor zu uns auf den Boden setzte, ebenfalls am heulen war und seinen Umhang um uns legte, versuchte die Kälte abzuschirmen, mir irgendwelchen beruhigenden Worte zuflüsterte, mir dabei übers Haar, übers Gesicht strich, während Loki sich immer und immer wieder bei mir entschuldigte, alle paar Sekunden meinen Kopf, meine Stirn oder einer meiner Hände küsste. Egal wie sehr ich auch versucht hatte wach zu bleiben, so verlor ich schließlich irgendwann, nachdem wir eine halbe Ewigkeit so auf dem Boden gesessen hatten, den Kampf, schlief völlig erschöpft in Lokis Armen ein und fühlte mich das erste Mal seit einer halben Ewigkeit wieder sicher, wieder geborgen, denn ich war zu Hause. Ich war endlich zu Hause.
Aloha :) Mehr als 5000 Wörter, ich glaube das muss fürs erste für euch reichen xD Da habt ihr endlich eure Wiedervereinigung gehabt und ich hoffe wirklich sehr, dass es euch irgendwie gefallen hat, auch wenn das ganze Drama noch nicht ganz ein Ende gefunden hat.
Kurze Frage: Mag hier irgendeiner von euch eigentlich die Tribute von Panem? Ich überlege mir ja eine Geschichte in dem Bereich anzufangen, aber mal schauen, wer gute Geschichten in dem Bereich kennt darf sie mir gerne empfehlen xD xx
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