⁰¹dinner for two (ii)

Bevor du hier anfängst, lies doch bitte das vorangehende Kapitel, um die Zusammenhänge zu verstehen (:

Zu unserer aller Überraschung hatte Silas tatsächlich zugesagt.

Gleich am Mittwochabend hatte sich Annika bei ihm erkundigt, ob er denn am Freitag schon etwas vorhätte und ohne dass sie ihn recht lang überreden musste, meinte er, er würde kommen.

Ehrlich gesagt bereute ich unsere Entscheidung langsam zutiefst.

Was, wenn der ganze Abend ein einziger Reinfall würde und wir mit dieser Schnapsidee alles nur schlimmer machten? Schmerzlich führte ich mir Papas gebrochenen Gesichtsausdruck wieder vor Augen.

Der Arme wusste gar nichts von seinem Glück.

Die einzigen Informationen, die wir mit ihm geteilt hatten waren, dass er sich bitte schick kleiden und Hunger mitbringen sollte. Wenn wir erwähnt hätten, dass Silas zu einem (hoffentlich) romantischen Dinner kommen würde, wüsste ich nicht, ob er so begeistert davon gewesen wäre. Und wenn er wüsste, dass seine Kinder kochen würden, hätte er wohl gleich der freiwilligen Feuerwehr Bescheid gegeben.

Gestern war Donnerstag. Luis, Annika und ich hatten uns zusammengesetzt um ein passendes Menü zusammenzustellen.

Es sollte besonders, aber nicht zu schwierig sein. Gar nicht so leicht, in den Tiefen des Internets drei Gerichte zu finden, mit denen wir alle zufrieden waren und wussten, dass sie sowohl Papa als auch Silas munden würden.

Aber letztendlich hatten wir unsere Entscheidung getroffen und uns sofort darangemacht die benötigten Lebensmittel zu besorgen. Dabei begingen wir den Fehler, einen Tag vor Silvester einkaufen zugehen. Wir hatten alle daraus gelernt und würden es in Zukunft bleiben lassen. Die Läden waren nämlich total überlaufen und wir mussten sechs Supermärkte abklappern, bis wir alles gefunden hatten.

Jetzt aber standen wir zu dritt in unserer gemütlichen Einbauküche, die mir noch nie zuvor so eng vorgekommen war. Es war später Nachmittag und in wenigen Stunden würde Silas aufkreuzen.

Papa war in der Kirche und hielt die traditionelle Silvestermesse. Anschließend hatte der Pfarrgemeinderat eine Notfallsitzung und er müsste noch ins städtische Krankenhaus und Altenheim.

Ausnahmsweise hatten wir gottesdienstfrei bekommen, aber nur unter der Voraussetzung morgen früh aufzustehen und den Neujahrsgottesdienst um neun zu besuchen. Murrend hatten wir zugestimmt, aber so hatten wir zumindest genügend Zeit, um alles vorzubereiten.

Jannik mussten wir versprechen, ihn über den Lauf des Abends regelmäßige Updates zukommen zu lassen. Der hatte heute ausnahmsweise keine Nachmittagskurse, stattdessen aber wohl eine Verabredung, die sich ziemlich wichtig angehört hatte.

Während Frau Holle sich am letzten Tag des Jahres auch einmal dazu entschlossen hatte, ihrer Arbeit nachzugehen und somit draußen die ersten Schneeflocken sanft zu Boden rieselten, drehte ich das Radio auf.

„[...] in Folge ist nun das Böllern an Silvester verboten. Für viele ein Albtraum für ande–"

„Nix da Albtraum, das hätten die schon viel eher beschließen sollen. Die armen Tiere", unterbrach Annika den Moderator und zog sich das Haargummi etwas fester, mit dem sie ihre hellblonden Haare zu einem hohen Zopf gebunden hatte, "Und nicht zu vergessen, ist es viel umweltfreundlicher."

Da musste ich ihr zustimmen. Soweit ich mich erinnern konnte, hatten wir noch nie selbst Feuerwerkskörper in den Himmel geschossen. Manchmal hatten wir Sternenwerfer und waren davon schon hellauf begeistert gewesen. Allerdings musste ich zugeben, dass ich es eigentlich schon immer ganz schon fand, die farbigen Explosionen am Himmel zu betrachten.

Der Moderator hatte seinen Monolog beendet und es folgte ein Weihnachtslied. Ein seltener Klang um diese Zeit.

Papa beschwerte sich regelmäßig, dass schon in der Vorweihnachtszeit die ganze Weihnachtsmusik todgespielt wurde und wenn dann die eigentliche Weihnachtszeit begann, konnte man sie nicht mehr hören. Deshalb boykottierte er den Radio seit Jahren ab Anfang Dezember.

„Also gut. Womit fangen wir an?", fragte Annika begeistert und rieb sich motiviert die Hände. Am liebsten hätte ich sie gepackt und in den Schnee nach draußen gestellt, damit sie etwas abkühlen konnte. Ihre übertrieben gute Laune war ja kaum auszuhalten.

„Am besten fangen wir mit dem Schokomousse an. Das kann dann bis heute Abend richtig durchziehen", meinte ich bestimmt, war mir bei meiner Aussage allerdings alles andere als sicher.

Musste Schokomousse durchziehen? Gott, kochen war wirklich nicht meine Stärke.

Annika schnappte sich das Tablet auf dem wir die Rezepte gespeichert hatten und öffnete den richtigen Tab.

„Ich finds immer noch blöd, dass wir Eier und Schlagsahne verwenden müssen", stellte sie murrend fest, als sie erneut über die Zutatenliste las.

„Bei aller Liebe, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Nachspeise aus Kichererbsen-Wasser gut schmeckt."

Luis beäugte Annika schief, während seine Hände aus den Hosentaschen wanderten und er die Arme vor der Brust verschränkte. Begeisterung sah anders aus.

„Du hast es ja nicht mal probiert", schnaubte Annika und griff nach der Schokolade.

Die war zwar auch nicht vegan, da Luis der Meinung war, wenn wir sowieso Sahne und Eier mischen, dann kann die Schokolade schließlich auch eine 'richtige' Schokolade sein. Dafür wurde sie fair produziert und war Bio. Für das Geld, dass ich im Laden lassen musste, hoffte ich dann auch dass sie genau so schmeckte. Fair produziert und Bio.

Während Annika die Schokolade klein hackte und auf dem Wasserbad schmolz, kümmerte ich mich um die Sahne und Luis übernahm die Aufgabe zu meckern.

Als er dann meinte, die Schlagsahne würde bereits zu Butter, reichte es mir und ich drückte ihm die Zwiebel für die Vorspeise in die Hand.

„Schneid die in kleine Würfel und wenn du fertig bist, kannst du weiter meckern. Und wehe du weinst", warnte ich zuckersüß, während ich ihn in Richtung Esszimmer abschob. Murrend ließ er sich auf die Eckbank fallen und begann die Zwiebel zu schneiden.

Zurück in der Küche, rührte Annika bereits die Sahne unter die Schoko-Ei-Masse, während sie vergnügt zum Lied im Radio summte. Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und schickte ein Foto an Jannik: Nachspeise ist bereits fertig.

Postwendend kam ein sabberndes Emoji zurück. Seit wann verbrachte er so viel Zeit an seinem Smartphone?

Wenig später war das Mousse in kleine Schüsseln abgefüllt und in den Kühlschrank gewandert. Timo saß mittlerweile in seinem Hochstuhl und beobachtete Luis dabei, wie er Kartoffeln schälte. Annika briet mit geschürzten Lippen das Fleisch für den Hauptgang an und ich schnippelte den Schnittlauch im Esszimmer, als ohne Vorwarnung ein „Oh fuck!" aus der Küche erklang.

Luis warf mir einen panischen Blick zu und von Timo kam ein freches „Scheiße." Beinahe zeitgleich sprangen Luis und ich auf und stürmten in die Küche zu Annika, wo wir bereits von dunklen Rauchschwaden und schwarzem Etwas, in der Pfanne erwartet wurden.

„Das war mal Rind", bemerkte unser Bruder und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Bevor der Feuermelder angehen konnte, riss ich das kleine Küchenfenster auf und wedelte die Luft nach draußen, was im Nachhinein gesehen nicht viel brachte.

„Ich hab nur ne Sekunde nicht aufgepasst und jetzt ist das ganze Fleisch verbrannt, was machen wir denn jetzt?", fragte Annika und betrachtete bedauernd das kleine Häufchen Elend in der Bratpfanne.

„Wir könnten noch Glück haben, dass irgendwo ein Supermarkt mit Fleischtheke offen hat", grübelte Luis und warf mir einen Blick zu, der so viel bedeutete wie: schwing deinen Hintern in Papas gelben Corsa und fahr in die Stadt.

„Oder, wir rufen Matthias an. Die Weißens haben doch eine Metzgerei Zuhause", schlug Annika vor.

„Mhm, dann bin ich aber weg", stellte ich fest.

„Emilia, mach doch nicht jedes Mal so ein verdammtes Theater. Es ist ne Pause und kein verdammter dritter Weltkrieg."

Ich sog scharf die Luft ein. Luis war wirklich ein Profi darin, schlechte Dinge zu noch viel schlechteren Zeitpunkten von sich zu geben.

Annika warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Ja, ist doch so", zuckte Luis mit den Schultern. "Wir könnten den Abend aber auch dafür nutzen, dass ihr beide euch ausreden könnt."

„Da gibts nichts zu reden."

„Das hat sich vor drei Wochen aber noch ganz anders angehört."

„Ich bin einfach froh, mich im Moment nur um mich selbst zu kümmern und nicht noch Zeit in jemand anderen investieren zu müssen", erklärte ich und machte mich auf den Weg zur Garderobe.

Während ich mir meinen Mantel überzog und in meine Stiefel schlüpfte, folgte mir Annika in den Flur.

„Meinst du, es wäre nicht doch eine gute Idee Matthias um Hilfe zu fragen?"

„Und wie stellst du dir das vor? Dass ich anrufe, hoffe, dass er abhebt und dann sage: ich weiß wir reden im Moment nicht, aber ich brauch deine Hilfe beim Kochen, weil meine Schwester unfähig ist, ein Stück Fleisch in der Pfanne anzubraten?"

„Autsch. Kein Grund, den Giftstachel auszufahren. Ich meins doch nur gut", meinte Annika verletzt.

„Tut mir leid, aber es ist kompliziert."

Geschäftig wickelte ich mir einen dicken Schal um den Hals und zog mir eine warme Mütze über die Ohren.

„Wenn ich bis in einer Stunde nicht zurück bin, dann ruft an."

Mit diesen Worten zog ich die Tür hinter mir etwas schwungvoller als beabsichtigt zu und stapfte schlecht gelaunt zur Garage. Inständig hoffte ich, dass Papa daran gedacht hatte, die Reifen zu wechseln.

Begleitet von einem grausamen Quietschen, öffnete sich das alte Tor und brachte das leuchtend gelbe Auto zum Vorschein. Immer wieder musste ich daran denken, wie oft sich deshalb bereits Kinder gegenseitig geboxt hatten.

Das Gefährt war schon etwas in die Jahre gekommen, aber für Papas Seelsorgedienst oder für kleine Besorgungen war es immer noch gut genug. Vorausgesetzt der Motor sprang an.

Aber das tat er heute zum Glück und so fand ich mich wenige Minuten später im ersten Supermarkt. Jedoch musste ich zu meinem Bedauern feststellen, dass die Fleischtheke dort schon geschlossen hatte.

Auch in Supermarkt Nummer zwei, drei und vier sollte ich vor gähnend leeren Theken stehen und überlegte schon das Billigfleisch aus der Tiefkühltheke zu kaufen, oder die fünfundvierzig-minütige Fahrt nach Fargenmoos auf mich zu nehmen. Aber dann würden wir es nicht mehr rechtzeitig schaffen.

„Ach verdammte Scheiße!", fluchte ich, als ich auch in Supermarkt Nummer fünf kein Glück haben sollte.

Schwungvoll drehte ich mich auf den Fersen um und knallte mit vollem Karacho in eine Person, die gerade um die Ecke gebogen war.

Scheppernd und platschend fielen dieser ihre Einkäufe aus dem Arm und verteilten sich über die kalten Steinfliesen des Ladens.

Mann, war das schon wieder unangenehm.

„Sorry, das tut mir total leid", entschuldigte ich mich und merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Sofort ging ich in die Hocke und machte mich daran die Dinge einzusammeln.

Bevor die andere Person allerdings etwas erwidern konnte, hielt ich inne und sah auf.

Den Geruch, der mir in der Nase kitzelte, seit ich der Person näher gekommen war, würde ich wohl auch in Jahren noch überall erkennen. Herbes, frisches Parfum welches den penetranten Geruch von Bratfett überdecken sollte, seine Dienste aber nie komplett erfüllen konnte.

„Na toll", rutschte mir heraus, als ich in Matthias' bernsteinfarbene Augen blickte.

Seine dunkelblonden, schulterlangen Haare, hatte er zu einem Knoten zusammengebunden. Die vorderen zwei Strähnen jedoch waren zu kurz, als dass sie vom Haargummi gehalten werden konnten, weshalb sie ihm lose in die hohe Stirn fielen. Seit neuestem zierte augenscheinlich ein Drei-Tage-Bart seine Wangen und ließ seine Konturen weicher erscheinen.

„Da hört sich aber jemand nicht gerade erfreut an, mich zu sehen", meinte er, ein amüsiertes Grinsen auf den schmalen Lippen.

Sein Blick wanderte langsam über mein Gesicht, blieb dann kurz an meinen Lippen hängen, bis er dann wieder Augenkontakt suchte.

„Wenn ich ehrlich bin, tatsächlich so überhaupt gar nicht."

Ich hörte mich kalt an, aber das war mir gerade herzlich egal. Matthias war tatsächlich die letzte Person, die ich heute sehen wollte. Mein einziger Ausweg, dieser Situation so schnell wie möglich zu entkommen, war seine Sachen zusammenzusuchen und ihn dann stehen zu lassen.

Also machte ich mich eifrig daran, die letzte Packung Joghurt aufzuheben, die wie durch ein Wunder nicht aufgeplatzt war.

„Schlechter Tag?", fragte er und richtete sich langsam wieder auf.

„Selbst wenn, hats dich ja die letzten Wochen auch recht wenig interessiert", konterte ich und drückte ihm den Plastikbecher auf eine der letzten freien Plätze in seinem Arm.

Sein stechender Blick lag immer noch auf mir, doch ich konnte und wollte ihn nicht erwidern. Während der letzten Tage hatte ich mich langsam damit abgefunden, dass die Sache zwischen uns beiden Geschichte war. Zwar würde ich lügen, würde ich behaupten, es täte nicht mehr weh an ihn zu denken, aber es wurde von Tag zu Tag leichter.

Doch jetzt, da ich so direkt und unvorbereitet mit ihm konfrontiert wurde, fühlte es sich an wie am ersten Tag. All die Pflaster, welche die vielen Scherben meines Herzens zusammengehalten hatten, wurden ohne Vorwarnung heruntergerissen und hinterließen erneut klaffende Wunden.

Ich brauch mal 'ne Pause. Gib mir ein paar Tage Abstand. Das wird mir alles einfach viel zu viel.

Der Gedanke an die letzten Worte, die er zu mir gesagt hatte, brannten in meiner Brust, als würde jemand hochprozentigen Alkohol über mein wundes Herz schütten. Zumindest hatte er mich angerufen und das Ganze nicht nur via Textnachricht verkündet.

„Na dann, Ciao", meinte ich schulterzuckend und machte Anstalten zu gehen, doch Matthias hielt die Konversation noch nicht für beendet.

„Wie kommst du darauf, dass mich nicht interessiert, wie's dir geht?"

Seine Stimme klang belegt und leiser als sonst, aber ich hatte keine Probleme ihn zu verstehen.

„Hm, lass mich überlegen. Weil dir vielleicht alles zu viel wurde und du nach unserem Telefonat von heute auf morgen jeglichen Kontakt abgebrochen hast."

Es klang genervter, als ich es beabsichtigt hatte und wenn ich so reflektierte, was mir gerade über die Lippen gekommen war, wirkte es total affig und übertrieben.

„Aber das heißt doch nicht, dass du dich nicht bei mir hättest melden dürfen."

Für einen kurzen Moment wanderte ein gebrochener Ausdruck über sein Gesicht, dieser verschwand aber sofort wieder und machte dem spitzbübischen Glitzern in seinen Augen Platz.

Diesem spitzbübischen Glitzern, dass ich so sehr geliebt hatte. Aber jetzt fühlte ich nur eine klaffende Leere und brennenden Schmerz, wenn ich in seine Augen sah.

„Entschuldigung, dass ich das falsch interpretiere, wenn man mir indirekt sagt man werde seinem Freund zu viel und er brauche eine Pause", frustriert warf ich meine Arme in die Luft.

Ich hatte so etwas von überhaupt gar keine Lust auf diese Unterhaltung.

„Wenn du mich jetzt entschuldigst, aber ich muss los."

Wie zur Bestätigung klingelte das Handy in der Tasche meiner Winterjacke und ich war selten so erfreut darüber, diesen Ton zu hören.

„Emilia hier", hob ich, ohne zu registrieren, wessen Name eigentlich auf dem Display stand, ab.

„Ich bins Luis. Hat dich Olaf der Schneemann geholt, oder wo bleibst du?"

„Bin schon auf dem Weg", meinte ich, „Aber ohne Fleisch."

„Wie ohne Fleisch? Was sollen wir denn deiner Meinung nach so schnell kochen?", rief Annika auf der anderen Seite empört in den Hörer. Unsere kleine Tierschüzerin konnte also auch anders.

„Wie wärs mit ner fleischlosen Alternative?", schlug ich vor, als mein Blick auf die Soja-Nuggets im Kühlregal fiel.

„Wenn du einen veganen Braten im Angebot hast, gerne", meinte Luis und ich sah seinen herausfordernden Blick bildlich vor mir.

„Na ja, Nuggets, Würstchen oder Hackfleisch?"

„Wir haben bestimmt noch Reste im Kühlhaus", kam es jetzt von Matthias, der das Gespräch augenscheinlich verfolgt hatte. Ich ignorierte seine Aussage.

„Wer ist denn da bei dir im Hintergrund?", fragte Luis neugierig nach.

„Ach, nur eine Mutter, die mit ihrem weinenden Baby zu kämpfen hat", log ich wie gedruckt.

„Dafür hörte sich die Stimme aber ziemlich männlich an."

„Ja, die Frau hat eine ziemlich maskuline Stimme, da hast du Recht", stimmte ich meinem Bruder zu und Matthias schenkte mir einen verwirrten Blick, den ich mit einem genervten Augenrollen quittierte.

„Ich schau, was ich finde und komm dann gleich heim", erklärte ich und legte ohne mich zu verabschieden auf.

„Hast du mich gerade als Mutter betitelt, die mit der Erziehung ihres Kindes überfordert ist?", hakte Matthias empört nach und sah sich um. Womöglich auf der Suche nach einem weinenden Säugling.

„Vielleicht."

Ein Schnauben kam von seiner Seite, doch es ließ mich kalt. Sollte er doch bocken.

Ich warf einen letzten Blick ins Kühlregal, entschied mich dann kurzerhand für vegane Schnitzel und viel zu teuren Back-Ziegenkäse, bevor ich mich auf den Weg zu den Kassen begab.

„Wie gesagt, mein Angebot steht noch."

Jetzt war es an mir zu Schnauben. Der Typ war schlimmer als eine Klette.

„Wie war das noch mal mit Abstand und mir wird alles zu viel?", fragte ich, während ich die Packungen auf das Kassenband legte und meinen Geldbeutel heraus kramte.

Oder besser: heraus kramen wollte.

„Ach komm schon, das kann doch jetzt wirklich nicht sein!"

Panisch klopfte ich alle Taschen ab, die mein Outfit besaß, nur um dann ernüchternd festzustellen, dass ich in der Eile meinen Geldbeutel Zuhause vergessen haben musste.

Murrend nahm ich die Packungen wieder vom Band und wollte schon nach hinten in den Ladenbereich gehen, als sich Matthias mir in den Weg stellte.

„Ich zahl für dich mit."

„Kommt nicht in Frage", protestierte ich, doch er nahm mir ohne eine Chance zu lassen, die Sachen aus der Hand und legte sie zu seinen.

„Stell dich nicht so an, du kannst mir das Geld ja demnächst wieder geben, wenn du unbedingt willst."

Widerstand war zwecklos, also verschränkte ich meine Arme und machte offensichtlich, dass ich ihn nicht unterstützte. Doch ein kleiner Teil in mir, fand seine Aktion ziemlich nett.

Ein leises 'Danke' kam über meine Lippen, als der Einkauf bezahlt war und irgendwie fühlte ich mich schlecht, wenn ich jetzt einfach so zu meinem Auto stürmen würde. Deshalb bat ich ihm meine Hilfe an, seine Einkäufe zu seinem Auto zu tragen.

„Ich bin mit dem Fahrrad da", erwiderte er darauf hin und beäugte den immer stärker werdenden Schneefall skeptisch, „Und jetzt wohl eher zu Fuß."

„Kommt gar nicht in Frage. Ich fahr dich."

Die Worte kamen schneller über meine Lippen, als mein Hirn hatte denken können und innerlich verfluchte ich mich für meine eigene Dummheit.

„Ähm, danke."

Ohne Murren, folgte er mir zu dem gelben Corsa, den ich am anderen Ende des Parkplatzes geparkt hatte. Obwohl ich den Wagen vor nicht einmal fünfzehn Minuten hier abgestellt hatte, war er von einer dichten weißen Schneedecke bedeckt.

Ich befreite das Dach von der kalten Schicht. Den Rest würde der Scheibenwischer schaffen.

„Ich fahr kurz einen Umweg über unser Haus, dann bekommst du gleich dein Geld", erklärte ich, als ich mich auf den Fahrersitz fallen ließ.

„Es eilt wirklich nicht."

„Sonst vergess' ich es nur wieder."

„Wie du willst."

Die zehnminütige Fahrt über, sprachen wir kein Wort miteinander. Es herrschte Stille. Aber keine der angenehmen Sorte.

Irgendwie fand ich es unheimlich, wie schnell sich so eine Schlucht zwischen uns gebildet hatte. Vor einem Monat noch, hätte es mir nichts ausgemacht mit Matthias auf so engem Raum zu sitzen und kein Gesprächsthema zu haben. Jetzt jedoch konnte der Abstand zwischen uns nicht groß genug sein.

Umso erleichterter war ich, als ich Zuhause einparkte. Wie von der Tarantel gestochen, sprang ich aus dem Auto und stürzte zur Haustür. Aus mir unerklärlichen Gründen zitterte ich so sehr, dass ich fünf Anläufe bräuchte, bis ich den Schlüssel ins Schloss brachte.

Gerade, als ich mich gegen die Tür lehnte um sie zu öffnen, wurde sie von innen aufgezogen und Annika stand mir gegenüber. Rücksichtslos stürmte ich an ihr vorbei ins Warme Innere des Hauses.

„Da bist du ja endlich! Hast du- Was hast du's denn so eilig? Wirst du verfolgt?", begrüßte sie mich und streckte ihren Kopf aus der Haustür.

„Nicht direkt", kam es von mir und Annika entkam ein überraschter Ausruf.

„Hi, Matthias! Was verschlägt dich denn hier her?"

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