Teil 6
Gequält streckte ich mich noch einmal in der Hoffnung, dadurch würden die Schmerzen wenigstens ein bisschen gelindert werden.
Natürlich war das nicht der Fall.
Mein ganzer Körper tat weh von der letzten Nacht, die wir auf dem kalten Steinboden verbracht hatten.
Ich beobachtete Aidan, der vor mir in die Richtung des Strandes lief. Von der Art und Weise her wie er sich bewegte, wusste ich, dass auch er Schmerzen hatte.
Im Gegensatz zu mir, hatte er sich bisher aber nicht dazu geäussert und es einfach als nebensächlich abgewunken.
Gemeinsam liefen wir durch den Jungel, mit dem Ziel wieder zurück an den Strand zu kommen. Dort mussten wir uns dringend etwas überlegen, um unser Wasserproblem zu lösen.
Unsere Wasserflasche war nur noch bis zur Hälfte gefüllt und bei dieser Hitze würde das nicht mehr lange halten. Wenn wir nicht so unglaublich sparsam sein müssten, hätte ich diese Flasche bereits vor einer Stunde leergetrunken.
„Bist du dir sicher, dass wir in die richtige Richtung laufen?" fragte ich und sah mich dabei orientierungslos um.
Hier war alles entweder grün oder braun.
Wie sollte man da den Überblick behalten?
„Ja." antwortete Aidan knapp und lief weiterhin stur geradeaus.
„Bist du dir sicher, oder läufst du einfach in eine Richtung, bis wir irgendwann aus dem Jungel raus sind?" fragte ich nochmals, da ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass irgendjemand einen so guten Orientierungssinn hat, um sich hier zurechtzufinden.
„Ich weiss, wo wir sind. Hör auf dumme Fragen zu stellen." murrte er leicht genervt.
„Es gibt keine dummen Fragen." zitierte ich Frau Ried, meine Lieblingslehrerin aus der Schule.
„Natürlich gibt es die. Du bringst ziemlich viele Beispiele von dummen Fragen."
Ich schüttelte vehement den Kopf.
„Wer Fragen stellt, will sein Wissen erweitern. Folglich kann eine Frage nie dumm sein, denn ihr Zweck ist es, schlauer zu werden." erklärte ich ihm und ignorierte dabei gekonnt seinen gemeinen Kommentar.
„Trotzdem gibt es dumme Fragen." meinte er schulterzuckend.
„Du kannst das nicht einfach so behaupten, du brauchst Argumente." wies ich ihn geduldig auf seinen Fehler hin.
„Nein."
Ich starrte ihn an.
Er starrte zurück.
„Natürlich brauchst du welche! Wie willst du sonst eine gute Diskussion führen?" sagte ich, dieses Mal etwas energischer.
„Ich will keine Diskussion mit dir führen." erwiderte er genervt.
„Aber du hast damit angefangen, also solltest du es auch beenden."
„Das versuche ich ja gerade."
Ich schüttelte den Kopf.
„Man beendet eine Diskussion nicht einfach, indem man ihr ausweicht."
Er seuft auf und massierte sich mit Zeigefinger und Daumen entnervt seinen Nasenrücken.
„Ich hätte dich nicht aus dem Wasser ziehen sollen." murmelte er.
„Dann wäre ich tot!" sagte ich schockiert.
„Und ich müsste mir nicht dein Gelaber anhören." erwiderte er und lief weiter in Richtung Strand.
„Ich dachte wir wären jetzt nett zueinander? Du meintest doch wir seien ein Team." wies ich ihn auf seine Entschuldigung von Gestern hin.
„Ja, das nehme ich alles zurück." brummte er mürrisch.
Okay, ich verstehe.
Er hat schlechte Laune. Ich nehme an, dass kommt von seinen Rückenschmerzen. Deshalb benimmt er sich so.
„Ist schon gut, Aidan." meinte ich und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
Er betrachtete mich einen kleinen Augenblick, so als wäre ich verrückt, beschloss aber nicht nachzufragen und einfach weiter zu gehen.
„Nein, wirklich!" sagte ich und holte mit schnellen Schritten zu ihm auf.
„Wir müssen uns doch gegenseitig helfen, also kannst du mir ruhig sagen, wenn du Schmerzen hast. Du musst nicht den grossen und starken Mann spielen. Vielleicht kann ich dir ja sogar helfen! Ich könnte zum Beisp-„
„Was redest du denn jetzt schon wieder für einen Schwachsinn?" unterbrach er mich genervt.
„Aidan..." beginne ich sanft.
Schmerzen können einem wirklich aufs Gemüt schlagen.
„Das ist doch ganz normal mein Rücken tut auch weh. Aber wir müssen uns zusammenreissen und trotzdem noch nett zueinander sein. Meine Mutter sagt immer, dass Höflichkeit und ein guter Umgang miteinander die Pfeiler unserer Gesellschaft sind."
Er musterte mich wortlos.
Ich schenkte ihm ein breites Lächeln.
„Okay, ich habe eine Idee, wie wir den Grundsatz deiner Mutter umsetzten können." sagte er schliesslich.
„Ich bin ganz Ohr." erwiderte ich erfreut, dass er wirklich versuchen will, netter zu sein. Er hatte also offenbar sein unvorbildliches Verhalten eingesehen und will seinen Fehler jetzt korrigieren. Das ist immer der erste Schritt zu Besserung.
„Keiner von uns redet, ausser es ist wirklich wichtig."
Okay.
Naja es ist immerhin ein Versuch.
„Also ich denke, wir sollten mehr miteinander sprechen. So können wir uns besser kennenlernen und-„ brachte ich einen Gegenvorschlag, doch er liess mich nicht einmal aussprechen.
„Was wenn ich dich nicht kennenlernen will?" fragte er und sah mir herausfordernd in die Augen
„Oh..." hauchte ich perplex.
Ich konnte nicht verhindern, dass mich seine Worte verletzt.
Es fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht.
„Ich dachte nur, da wir hier gemeinsam auf dieser Insel festsitzen..."
Er lachte kurz humorlos auf.
„Dann hast du falsch gedacht."
Ich nickte langsam und lief an ihm vorbei in Richtung des Strandes.
Was sollte ich darauf erwidern?
Ich dachte er wäre einfach nur schlecht gelaunt, aber anscheinend will er wirklich nichts mit mir zu tun haben. Dass er mir gestern gefolgt ist, lag wohl auch daran, dass unsere Überlebenschancen zusammen höher sind.
Gefühlte zehn Minuten später hatten wir den Jungel endlich hinter uns gelassen und befanden uns wieder am Strand.
Unentschlossen blieb ich schliesslich stehen und blickte über meine Schulter zu Aidan.
„Was nun?" fragte ich möglichst emotionslos.
Wenn er das konnte, dann ich auch!
„Ich würde sagen, wir suchen uns etwas zu essen und etwas wo wir übernachten können." schlägt er vor.
„Da du nicht schwimmen kannst, werde ich mich um das Essen kümmern." bestimmt er und hob einen langen Stock vom Boden auf.
Gut, dann sind die Rollen also verteilt.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und schaute nach einer Höhle oder sonst irgendetwas, was ein wenig Schutz vor Wind, Regen und was weiss ich noch bietet.
Als ich an einem grossen Ast entlang lief, kam mir die Idee eifach etwas zu bauen.
Es konnte doch wohl nicht so schwer sein, eine Art Zelt zu bauen. Immerhin habe ich dies bereits in einer Fernsehsendung gesehen.
Ich schleppte den Ast zu einem geeigneten Platz und lief am Strand entlang auf der Suche nach vier weiteren. Dabei konnte ich beobachten, wie Aidan mit einem selbstgebastelten Speer immer wieder Unterwasser tauchte, um dort wahrscheinlich nach Fischen zu jagen.
Ich schenkte ihm nicht weiter Beachtung und konzentrierte mich auf meine eigene Mission.
Als ich gefunden hatte, was ich suchte, betrachtete ich die Äste, die vor mir im Sand lagen. Ich bräuchte noch etwas, um sie aneinander zu befestigen, sonst würde es nicht lange dauern, bevor mein Zelt in sich zusammenbräche.
Nachdenklich lies ich meinen Blick umherwandern.
Was könnte ich dafür benutzen?
Plötzlich fiel mir ein, dass es im Jungel überall Lianen gab, die ich gut als Seile gebrauchen könnte.
Sofort machte ich mich auf den Weg in den Jungel, jedoch so, dass ich den Weg zurück wieder finden würde.
Als ich ein paar lange Lianen gefunden hatte, versuchte ich daran zu ziehen, in der Hoffnung, dass sie sich lösen würden.
Leider waren diese Dinger jedoch extrem stabil, sodass ich mit meinem ganzen Gewicht dran hängen konnte, ohne dass sie auch nur vielleicht reissen würden.
Mit einem neuen Plan, ging ich zurück an den Strand und schnappte mir das Messer, mit dem Aidan seinen Speer gebastelt hatte. Als ich zurück zu den Lianen lief, spürte ich kurz Aidans Blick in meinem Rücken. Ich ignorierte ihn jedoch eifach und lief stur geradeaus weiter.
Wieder im Jungel, kletterte ich flink einen Baum hoch und schnitt einige der Lianen so weit oben wie nur möglich ab.
Mit meiner Beute in den Armen lief ich zurück zu den Ästen. Ich band je zwei davon zu einem Kreuz zusammen. Mühsam stellte ich eines der Kreuze auf und drückte die beiden Enden mit meiner ganzen Kraft in den Sand.
Als ich fertig war, tat ich das selbe noch mit dem zweiten Kreuz. Probeweise stiess ich ein paar mal gegen die beiden Holzgerüste, um zu sehen, ob sie einigermassen standfest waren. Zufrieden machte ich mich daran, den längsten Ast auf die beiden Kreuze zu legen, dass ich danach daraus ein Dach bauen konnte.
Ich betrachtete das Gerüst und überlegte, was ich darauflegen sollte. Mein Blick viel auf die grossen Palmblätter, die bestimmt ein gutes Dach abgeben würden. Immerhin waren sie so konstruiert, dass das Wasser daran herunterfliesst.
Ich klemmte mir das Messee zwischen die Zähne und kletterte die Palme hoch, was viel anstrengender war, als der Baum von vorhin.
Oben angekommen, wickelte ich meine Beine so um den Stamm, dass ich beide Hände gebrauchen konnte, ohne herunter zu fallen.
„Was zur Hölle tust du da?" hörte ich Aidan rufen.
Ich blickte nach unten und sah ihn dort verwirrt stehen, mit seinem Speer in der Hand woran ein Fisch aufgespiesst war.
„Ich beschaffe uns ein Dach." erklärte ich ihm und machte mich daran die Blätter der Palme abzuschneiden.
Eins nach dem anderen viel runter in den Sand und als ich genug hatte, wollte ich gerade wieder runter klettern, als mein Blick auf die Kokosnüsse viel.
Die wären bestimmt auch nützlich...
Ich schmiss also auch einige davon runter in den Sand.
„Hey!" rief Aidan plötzlich und als ich runter sah, bemerkte ich, dass ich ihn beinahe mit einer der Kokosnüssen getroffen hätte.
„Sorry." entschuldigte ich mich, unschuldig lächelnd, bevor ich die Palme wieder herunterkletterte.
„Was soll das werden?" fragte Aidan, mürrisch wie immer, sobald ich unten angekommen war.
Er zeige mir einem Finger auf mein halb-fertiges Holz/Blätterzelt.
„Das wird unser Lager." sagte ich und ohne eine weitere Erklärung fügte ich noch hinzu: „kümmer du dich doch um ein Feuer, dann kannst du den Fisch braten und bis dann sollte ich fertig sein."
Auch wenn er nicht so zufrieden wirkte, steckte er den Speer mit dem Fisch in den Sand und machte sich auf die Suche nach Feuerholz.
Während er also mit kochen beschäftigt war, sammelte ich die Palmblätter ein und band sie an den horizontal liegenden Ast, sodass ein Dach entstand.
Ich blickte in das kleine Zelt und beschloss die restlichen Blätter rein zu legen, damit wir eine Art Matratze hatten.
Das improvisierte Zelt bot nicht viel Platz, aber dennoch war es genug für zwei Personen.
Stolz auf meinem Werk, setzte ich mich zu Aidan ans Feuer. Der Fisch war fertig gebraten und er reichte mir ein Stück davon.
„Das war eine gute Idee." meinte er nach einer Weile, in der wir schweigend gegessen hatten und deutete mir seinem Kinn auf das Zelt.
„Danke." sagte ich überrascht, da ich kein Kompliment von ihm erwartet hätte. Mit einem Lächeln auf den Lippen ass ich zufrieden weiter.
Voten und kommentieren nicht vergessen! ❤️
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top