Teil 5
Ich kämpfte mich entschlossen und völlig orientierungslos durch die Äste, Zweigen, Lianen und Blätter des Jungels.
Mittlerweile bereute ich es, dass ich einfach so weggelaufen war, ohne Aidan zumindest noch eine der Wasserflaschen wegzunehmen.
Erschöpft setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich mit dem Rücken an den Stamm eines grossen Baumes. Ich was hundemüde.
Die ganze Anstrengung und Angst gestern hatte mich schon total ausgelaugt und die paar Stunden Schlaf, die ich hatte bevor wir hier angekommen waren, reichten bei Weitem nicht aus. Zudem kam noch der Streit mit Aidan und das wirre Herumgelaufe, welches auch nicht gerade zu meiner Erholung beitrug.
Ich schloss die Augen und legte meinen Kopf in den Nacken.
„Ich muss nur solange durchhalten, bis sie mich endlich finden." murmelte ich zu mir selbst als Aufmunterung.
Ich hoffte einfach es würde schnell gehen und ich müsste nicht allzu lange hier festsitzen.
So in Gedanken vertieft bemerkte ich gar nicht wie sich mir jemand näherte.
Dementsprechend erschrak ich auch, als dieser jemand plötzlich sagte: „Es tut mir Leid."
Mein Schrei lies alle Vögel in der Umgebung panisch davon fliegen und wahrscheinlich hatte auch jedes andere Tier die Flucht ergriffen.
„Wie hast du mich gefunden?" fragte ich Aidan immer noch mit einem wild pochenden Herzen.
„Ich bin deinen Spuren gefolgt." meinte er achselzuckend. Als er meinen Fragenden Blick bemerkte, ergänzte er: „Ich war mal Pfadfinder aber auch sonst war es nicht wirklich schwer deine Spuren zu finden." erklärte er.
Ich nickte verstehend und fragte gar nicht erst nach, was er damit genau meinte.
„Wieso bist du mir gefolgt?" wollte ich stattdessen wissen.
Ich dachte ich hätte es klar gemacht, dass ich genug von ihm und seinen Beleidigungen hatte.
„Wie gesagt, es tut mir leid, was ich vorhin alles zu dir gesagt habe." Sagte er und wirkte plötzlich etwas unsicher, ganz anders als wie ich ihn bisher kennengelernt hatte.
Eigentlich konnte ich es ja gut nachvollziehen. Wahrscheinlich war er einfach nur müde, gestresst und wahrscheinlich immer noch leicht unter Schock von all den Ereignissen der letzten Stunden. Mir ging es genau gleich.
„Auf jeden Fall wäre es dumm uns zu trennen. Wir sollten zusammenhalten, um uns gegenseitig zu helfen." fügte er dann noch hinzu, wieder vollkommen er selbst.
Als ich nicht sofort Antwortete blickte er mich abwartend an.
„Okay, ich vergebe dir, unter der Bedingung, dass du mir erzählst, was du gegen reiche Menschen hast." sagte ich schliesslich. Ich würde ihm auch so vergeben, eigentlich hatte ich es schon längst, aber ich wollte, dass er mir diese Frage beantwortete.
„Ich habe nichts gegen rei-" bevor er seine Lüge fertig aussprechen konnte, unterbrach ich ihn.
„Das klang vorher aber ganz anders."
Er seufzte. „In Ordnung, ich werde es dir irgendwann erzählen."
Ich hob eine Augenbraue.
„Irgendwann?" fragte ich skeptisch nach.
„Ja, irgendwann." erwiderte er und liess dabei keinen Platz für Widersprüche. Aber ich war zufrieden. Er würde es mir irgendwann sagen und das reichte mir.
„Gut, dann sind wir von nun an ein Team." verkündete ich und blicke grinsend zu ihm hoch. Er nickte nur steif und reichte mir die Hand, um mir beim Aufstehen zu helfen.
„Wohin jetzt?" fragte ich ihn.
„Ich würde sagen, wir suchen weiter nach nützlichen Ressourcen und vor allem nach Wasser." sagte er.
Ich nickte einverstanden und schon machten wir uns auf den Weg.
So ging es eine ganze Weile lang. Ohne das einer von uns etwas sagte, liefen wir wirr in der Gegend umher.
„Ich kann nicht mehr." meinte ich schliesslich erschöpft und setzte mich auf einen Stein.
Aidan drehte sich um und es schien als wollte er etwas dagegen einwenden, doch als er mich sah, schloss er seinen Mund wieder.
„Gut, lass uns ein Lager für die Nacht finden." meinte er schliesslich und deutete mir ihm zu folgen.
„Können wir nicht einfach hier bleiben?" fragte ich, keine Lust noch einen Schritt weiter zu gehen.
„Wir wissen nicht, was für Tiere hier leben und sollte es heute noch regnen, werden wir auch froh über einen Unterschlupf sein." Ich seufzte auf.
„Na schön, aber trägst du mich wenigstens?" bettelte ich mit meinem besten Welpenblick.
„Wie sehe ich aus? Wie ein Pferd?" fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Wie ein starker Mann, der mich trägt?" fragte ich hoffnungsvoll.
„Du kannst hier warten, wenn ich etwas gefunden habe, komme ich zurück." teilte er mir mit, bevor er wegging.
Baff sehe ich ihm nach.
Hatte er mich ernsthaft hier ganz alleine zurückgelassen?
Er konnte doch nicht mit dem Argument, dass hier eventuelle wilde Tiere lauern, einen Unterschlupf suchen gehen und mich dann hier völlig erschöpft und auf mich alleine gestellt zurücklassen!
Was wenn mich ein Jaguar angriff und mich zerfleischte?
Demzufolge verbrachte ich die nächsten Minuten damit, mich ängstlich umzuschauen, in der Furcht, dass vielleicht jeden Moment etwas aus dem Dickicht springen würde.
Als ich ein Rascheln hörte, kreischte ich erschrocken auf und sprang auf meine Beine, um im schlimmsten Fall wegzurennen.
Zu meinem Glück handelte es sich nur um einen kleinen Vogel, der sich zwischen den Blättern der Bäume hindurch, hoch in den Himmel schwang.
Erleichtert setzte ich mich erneut und wartete geduldig auf Adams Rückkehr.
Naja Geduldig... ich hatte einfach keine Energie, um wirklich etwas anderes zu machen, als zu warten.
Gelangweilt versuchte ich mir irgendwie die Zeit zu vertreiben. Eigentlich fühlte ich mich zu erschöpft, um überhaupt etwas zu machen, aber schlafen wollte ich hier auf keinen Fall.
Ich faltete also aus ein paar grossen Blättern Flugzeuge, die nicht fliegen konnte, zeichnete mir einem Ast Figuren in den Dreck und pfiff dabei ständig eine Melodie vor mich hin.
So verbrachte ich gefühlte Stunden damit zu warten, bis Aidan wieder auftauchte.
In Realität war es höchstens eine halbe Stunde, aber wie sagte Einstein so schön? Zeit ist relativ.
„Und hast du was gefunden?" fragte ich, erleichtert ihn wieder zu sehen. Es war wirklich unheimlich ganz allein auf dieser Insel zu warten. Er nickte und deutete mir ihm zu folgen.
„Etwa zehn Minuten von hier gibt es eine kleine Höhle. Das sollte genügen." sagte er und lief in die Richtung zurück, aus der er eben gekommen war.
Mit schnellen Schritten holte ich zu ihm auf, um nicht hinter ihm laufen zu müssen.
Ich war wirklich froh, dass er wieder da war. Ich fühlte mich bei ihm sicherer und um einiges wohler, als alleine.
Was eigentlich komisch war immerhin ist er ein Fremder und vor kurzem war er auch nicht wirklich nett mir gegenüber.
Andererseits ist das hier ein Ausnahmezustand, also war es wohl egal, ob ich ihn kannte oder nicht.
Hauptsache ich war nicht alleine in dieser Situation.
Mittlerweile war ich mehr als nur froh, dass Aidan nicht auf mein wütendes und beleidigtest Ich gehört hatte und mir in den Jungel gefolgt war.
Wir liefen schweigend nebeneinander und wie er gesagt hatte, befanden wir uns etwa zehn Minuten später vor dem Eingang einer kleinen Höhle. Eigentlich war es nur ein Spalt in der Felswand. Sie war ziemlich niedrig, gerade mal so hoch, dass man darin aufrecht sitzen konnte. Richtig breit war sie auch nicht. Für zwei Personen reichte sie, aber für drei würde der Platz schon recht knapp werden.
Ich kletterte zuerst hinein, Aidan direkt hinter mir. Nebeneinander sassen wir am Ende der kleinen Höhle und starrten in die Wildnis der Insel hinaus.
„Wir sollten uns Morgen einen Unterschlupf am Strand suchen, sonst werden wir niemals mitbekommen, wenn ein Schiff oder ein Rettungshelikopter vorbei kommt." gab ich nach einer Weile zu bedenken, in der wir einfach nur da sassen, beide in den eigenen Gedanken vertieft.
„Ja, morgen werden wir wieder zum Strand zurück gehen. Hier hat es wohl sowieso keine Süsswasserquelle."
Ich nickte zustimmend. Apropos Wasser. „Ich habe Durst, kannst du mir bitte mal meine Flasche reichen." fragte ich und deutete auf den grünen Sportbeutel.
Er öffnete diesen und drückte mir eine der zwei Glasflaschen in die Hände. Er nahm sich selbst die andere und trank ein paar Schlucke daraus.
„Sei sparsam." wies er mich darauf hin, dass wir mit unseren wenigen Ressourcen vorsichtig umgehen mussten.
„Jaja ich weiss." erwiderte ich und führte die Flasche an meine Lippen.
Ich trank einen grossen Schluck und verzog dann überrascht das Gesicht. Anstatt das kühle, erfrischende Gefühl von Wasser zu spüren, brannte meine Kehle wie Feuer.
Ich hustete und fasste mir an den Hals.
„Was ist los?" fragte Aidan sofort alarmiert und legte mir besorgt eine Hand auf die Schulter.
„Das ist kein Wasser." sagte ich, als ich mich wieder etwas beruhigt hatte.
„Was dann?" wollte Aidan wissen und roch an der Flasche, um deren Inhalt identifizieren zu können.
„Das ist wahrscheinlich der stärkste Schnaps, den ich in meinem Leben getrunken habe." antwortete ich und meinte die Wirkung des Alkohols schon leicht zu spüren.
Kein Wunder, ich vertrug generell nicht viel, vor allem nicht noch auf leeren Magen.
„Verdammt! Jetzt haben wir nur eine einzige Flasche Wasser. Dieser verfluchte Seefahrer und sein Alkohol." fluchte Aidan frustriert.
„Sag sowas nicht." bat ich ihn.
„Wieso nicht? Es ist doch wahr!" meinte er immer noch mit einer lauten Stimme.
„Dieser Mann ist wahrscheinlich gestorben, einfach weil er versucht hat, uns zu helfen." murmelte ich.
Ich zog die Knie an meine Brust und schlang meine Arme um meine Beine.
Ich fühlte mich schlecht.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen und es tat mir unendlich leid, dass dieser Mann tot war.
Vielleicht war ein wenig Alkohol in dieser Situation doch nicht ganz so schlecht. Ich griff erneut nach der Flasche mit dem Schnaps und wollte gerade einen Schluck daraus trinken, als mich Aidan stoppte.
Er nahm mir geschickt die Flasche weg und verschloss sie wieder.
„Du solltest das nicht trinken. Alkohol dehydriert und das ist das letzte, was wir gerade brauchen können."
Ich nickte schweigend und legte meinen Kopf auf meine Knie.
Plötzlich legte sich etwas zögerlich ein Arm um mich. „Es tut mir leid." murmelte Aidan leise.
Überrascht sah ich auf.
„Was tut dir leid?" fragte ich verwirrt.
„Dass ich so über den Kapitän gesprochen habe. Du hast recht, hätte er uns nicht helfen wollen, wäre er an dem Abend nicht rausgefahren und auch nicht gestorben."
Es überraschte mich so etwas von ihm zu hören. Mir war klar, dass ich den dunkelhaarigen Mann vor mir eigentlich fast gar nicht kannte, aber bisher ist er mir nicht so vorgekommen, als würde er sich gross um andere kümmern.
Obwohl... eigentlich hatte er gerade in der letzten Stunde ein paar Mal bewiesen, dass er wohl doch ein Herz hatte.
Er war mir gefolgt, hatte sich entschuldigt, hat alleine nach einem Unterschlupf gesucht, damit ich mich ein wenig ausruhen konnte und vorhin wirkte er sogar ein winziges bisschen besorgt um mich.
„Ich hab mich noch nicht bei dir bedankt, dass du mich gerettet hast." sagte ich nach einer Weile schliesslich.
Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Wenn ich dir nicht hinterher gesprungen wäre, müsste ich jetzt nicht mein Wasser mit jemandem teilen."
Er reichte mir seine Flasche und ich starrte in einfach nur mit grossen Augen an.
„Das war ein Scherz, nun trink endlich." meinte er schliesslich und verdreht die Augen.
„Du bist gemein." sagte ich leicht schmollenden griff nach der Flasche.
„Ich weiss." erwiderte er schmunzelnd während er im grünen Beutel wühlte und ein halbes Brot ans Tageslicht beförderte.
Beim Anblick der Nahrung knurrte mein Magen laut.
„Hungrig?" fragte Aidan und hielt das Brot in die Luft.
„Natürlich! Ich habe seit einem Tag nichts mehr gegessen." Ich wollte nach dem Brot greifen, als er es blitzschnell aus meiner Reichweite entfernte.
„Nicht so hastig." tadelte er mich und kramte ein altes Taschenmesser aus dem Sportbeutel.
„Du hast wohl an alles gedacht." kommentierte ich die Tatsache, dass er geistesgegenwärtig mitten im Sturm sogar ein Messer eingepackt hat. Er schnitt zwei Scheiben vom nicht mehr ganz so frischen Brot ab und reichte mir eine davon.
Es war nicht gerade die leckerste Mahlzeit, die ich in meinem Leben gegessen hatte, aber um den Hunger ein wenig zu stillen reichte es durchaus.
Schweigend sassen wir nebeneinander in der kleinen Höhle und verspiesen unser bescheidenes Mahl.
Danach legten wir uns schlafen, um genügend Energie für den kommenden Tag zu sammeln.
Frohe Ostern 😊
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