VIII
Ich hatte das nicht erwartet. Ich hatte überhaupt nicht erwartet ihm so schnell zu begegnen. Es war nicht so, dass mir der Gedanke ihm bald gegenüber zu treten, um mich zu bedanken nicht bereits gekommen war. Nur war ich in diesem Moment alles andere als darauf vorbereitet gewesen auf seinen stechenden Blick zu treffen.
,,Liros. Du kannst mich zu den Zellen der anderen Insassen begleiten. Dabei könntest du mir auch gleich erzählen, wie sie es wieder geschafft hat, sich meinen Anweisungen zu widersetzen'', hörte ich meinen Vater sagen, doch so richtig erreichten seine Worte mich nicht. Denn das einzige worauf ich mich konzentrieren konnte, waren die grünen Augen, die meine nicht für eine Sekunde verlassen hatten.
Die Schritte meines Vaters und Liros' entfernten sich immer weiter. Ich wusste, warum er das getan hatte - warum er mich hier alleine gelassen hatte. Mein Vater gab mir eine Chance mit ihm zu sprechen.
,,Dass ich diesen Tag noch erleben würde...'', ertönte plötzlich eine fremde Stimme und brachte mich dazu meinen Blick von Neron abzuwenden und nach links zu schauen. Zwei Zellen weiter stand ein hochgewachsener Mann an den Gitterstäben seiner Zelle und betrachtete mich grinsend.
,,Die Prinzessin mit Leib und Seele. Vor mir.'' Er machte eine kurze Verbeugung nach vorne. ,,Ich bin Dajan, meine Gnädigste.''
,,Ich glaube das interessiert sie nicht im geringsten, Dajan. Hock dich wieder hin und halt den Mund'', sagte der Mann in der Zelle rechts von Dajan und links von Neron. Ich erkannte ihn sofort. Das war der Mann, der im ersten Arenakampf gewonnen hatte. Der Mann, auf den mein Vater gesetzt hatte. Sein ganz persönlicher Favorit.
Als ich seine Worte verarbeitete, verengten sich meine Augen automatisch. Für wen hielt er mich?
Mit einem kleinen, triumphierenden Lächeln setzte ich mich in Bewegung, bis ich direkt vor Dajan ankam, sodass uns nur noch die Stäbe zwischen uns trennten. Ich reichte ihm meine Hand.
,,Es freut mich dich kennen zu lernen.'' Meine Stimme war freundlich. Und sie war auf keinen Fall gestellt. Ich meinte, was ich sagte.
Mit dem siegreichsten Grinsen, das ich je in meinem Leben gesehen hatte, nahm er meine in seine Hand, führte sie zu seinem Mund und platzierte einen federleichten Kuss auf dieser. ,,Ganz bestimmt nicht so sehr, wie mich.'' Seine Augen blickten mich spitzbübisch an, während ich meine Hand wieder zurück zog.
Ich wusste nicht, wieso ich das tat. Wieso ich nicht einfach verschwand. Immerhin waren diese Männer nicht einfach so hier. Es hieß, dass sie etwas getan haben mussten, das meinem Vater und dem Gesetz nicht gefallen hatte. Wer wusste schon, ob die Hand, die meine gerade so sanft gehalten hatte, nicht bereits einen Menschen getötet hatte? Ich nicht. Aber aus irgendeinem Grund sagte mir mein Gefühl, dass ich mich nicht vor Männern befand, die so grausam sein konnten.
Nach einem leichten Nicken, das ich an Dajan richtete, entfernte ich mich wieder von seiner Zelle und stellte mich schließlich und endlich wieder vor Nerons.
Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte. Aber ich musste etwas sagen, denn ohne ihn würde ich nicht mehr hier stehen und nach Worten suchen können. Ich verdankte ihm eine Menge.
,,Du hast mich gerettet'', sagte ich und schaute durch die Gitterstäbe zu ihm rüber. Er bewegte sich nicht vom Platz, sondern blieb weiterhin auf der kleinen Bank sitzen. Ich konnte einfach nicht einschätzen, was in seinem Kopf vorging in diesem Moment.
,,Bilde dir nichts darauf ein. Das war Zufall. Ich habe falsch gezielt'', entgegnete er mit emotionslosem, kaltem Gesichtsausdruck. Doch auch, wenn er all seine Überzeugungskraft in seine Sätze eingebaut hätte - ich würde trotzdem wissen, dass er log. Es war kein Zufall. Denn wäre es einer gewesen, hätte nicht er als einer der letzten in dieser Arena gestanden. Er hätte nie nach diesem Messer gegriffen. Wenn er also vorhatte mich aus dem Konzept zu bringen, musste er sich mehr anstrengen.
,,Das dachte ich mir bereits.'' Ein Schmunzeln erreichte meine Lippen nach diesem Satz. Ich wusste, dass man deutlich genug hören konnte, dass ich es alles andere als ernst meinte. ,,Und genau deswegen wollte ich mich für deine Ungeschicklichkeit bedanken. Du solltest das Zielen üben. Man weiß nie, wann sich das nächste Mal die Gelegenheit für einen guten Treffer bietet.'' Ich konnte beobachten, wie sein Kiefer sich etwas anspannte. Und diese minimale, fast unscheinbare Reaktion reichte mir aus, um zu wissen, dass meine Worte auch nur irgendeine Wirkung auf ihn hatten.
,,Ihr müsst mich nun bitte entschuldigen. Ich muss noch eine Kleinigkeit erledigen. Wie ihr wisst, hat jemand versucht mich umzubringen.'' Mit diesen Worten drehte ich mich um und lief los. Dabei ließ ich meinen Blick noch ein Mal über jeden von ihnen schweifen. Neron, der Gewinner, Dajan und noch einer, den ich bis jetzt noch nicht kennengelernt hatte.
,,Ich hoffe sehr, dass auch wir uns irgendwann einmal noch unterhalten können'', blieb ich für einen kurzen Moment stehen und sprach ihn an. Seine hellbraunen, warmen Augen starrten mich leicht überrascht an. Da ich keine Antwort erwartete, setzte ich meinen Weg fort.
Erst als ich wieder im Königshaus ankam, merkte ich, dass ich nicht angespannt war. Es hatte mir nichts ausgemacht mit Schwerverbrechern des Reiches zu sprechen, ihnen die Hand zu schütteln, mich bei ihnen zu bedanken und Hoffnungen auf ein Wiedersehen zu äußern.
Was stimmte nur nicht mit mir?
***
,,Die Kleine ist schlagfertiger, als ich erwartet hätte'', murmelte Adan vor sich hin. Aber dennoch laut genug, dass auch die anderen ihn hören konnten. Nach dem Verschwinden der Prinzessin war es eine Weile lang totenstill gewesen zwischen ihnen. Jeder hatte wohl seinen eigenen Gedanken nachgehangen.
,,Ich hab' sie angefasst'', grinste Dajan über beide Ohren. ,,Ich hab' die Prinzessin angefasst.'' Die anderen konnten nur die Augen verdrehen über Dajans Begeisterung.
,,Übrigens: Deine Lügen sind ein Stück Scheiße wert, Neron. Die Kleine kennt dich nicht mal annähernd und wusste trotzdem, dass du Mist redest'', sprach Adan das laut aus, was alle anderen nur dachten.
,,Verwöhnte Göre'', zischte Neron vor sich hin.
,,Verwöhnte Göre, die du gerettet hast'', warf Enan in den Raum. Sein Satz hing einige Minuten kommentarlos in der Luft, bis schließlich Neron von seinem Platz aufstand und anfing mit langsamen Schritten hin und her zu laufen.
,,Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen'', sagte er nach einiger Zeit, doch erntete nur ein amüsiertes Lachen von seinen Freunden. Mit zusammengezogenen Augenbrauen blieb Neron stehen und lauschte auf die darauffolgenden Worte Adans.
,,Ehrlich gesagt, frage ich mich, ob du selbst glaubst, was du sagst. Denn vertrau mir: Wenn du es tust, bist du hier offiziell der einzige.''
,,Außerdem wäre es eine Schande, solch schöne Hände an einen solch sinnlosen Tod zu verschwenden'', sagte nun Dajan verträumt und erntete ein genervtes Aufstöhnen Enans und Adans.
,,Dein Schlabber an der Hand der Prinzessin bringt dich hier auch nicht raus, du Pseudo-Weiberheld'', machte ihm Enan die Situation klar. Doch wahrscheinlich wäre es egal, was die anderen sagen würden - Dajans Laune war für den heutigen Tag an ihrem Höhepunkt angelangt und hatte auch nicht vor diesen zu verlassen. Seiner Meinung nach vollkommen verständlich - er hatte die Prinzessin angefasst.
,,Schlabber an der Hand meiner Tochter?'', ertönte plötzlich die tiefe Stimme Lysanders und brachte Dajan dazu zu schlucken. Eigentlich hätte er das nicht hören sollen.
Mit hochgezogener Augenbraue erschien der König vor den vier jungen Männern und verschränkte die Arme.
,,Ich glaube, ich möchte nicht wissen, wessen Schlabber, warum, auf der Hand meiner Tochter gelandet ist. Aber ich hoffe euch ist klar, dass sie tabu ist.'' Sein Blick ging durch die Reihe. ,,Absolut tabu.''
,,Das ist natürlich bedauerlich, aber uns brauchen Sie das nicht zu sagen. Ich - und ich hoffe auch keiner von den anderen hier - hat vor Ihre Tochter durch Gitterstäbe zu verführen'', entgegnete Dajan trocken. ,,Obwohl das natürlich eine nette Herausforderung -''
,,Dajan!'', unterbrach ihn Adan, wie immer genervt von seinem ständigen Gerede.
,,Wenn wir gerade schon bei Gitterstäben sind'', setzte Lysander an und bekam die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden.
,,Ich möchte euch einen Vorschlag machen.''
_________________________
Guten Abend, Tag, Mittag - was auch immer gerade bei euch ist, wenn ihr das hier lest :D Wie versprochen habe ich das neue Kapitel relativ schnell geschrieben. Ich weiß, ich weiß - Cliffhanger sind etwas schreckliches. Und doch kann ich ihnen einfach nicht widerstehen._.
Ich hoffe ihr hattet Spaß beim lesen! Endlich haben Liyana und Neron ein paar Worte gewechselt :D
Sagt bescheid, wie es euch gefallen hat. :)
Bis zum nächsten Kapitel!
-Eure Karo ♥
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top