III
Als ich meine Mutter erblickte, musste ich wiederholt feststellen, dass ich und sie kaum etwas gemeinsam hatten, was unser Äußeres betraf. Nur die feinen Gesichtszüge ähnelten sich, doch meine Augen- und Haarfarbe hatte ich definitiv von meinem Vater.
,,Ah, Liyana. Ich habe dich gar nicht erwartet'', begrüßte sie mich und lächelte mich warm an. Ich liebte sie für ihre sanfte Art. Auch wenn ich wusste, dass sie durchaus manchmal aufbrausend sein konnte. Laut meines Vaters sogar öfter als nur manchmal.
,,Vater schickt mich. Ich soll schauen, ob ich dir vielleicht mit irgendetwas helfen kann'', erklärte ich und setzte mich vorsichtig, so dass mein Kleid möglichst nicht schmutzig wurde, auf das weiche Gras neben sie. Schon seit Jahren war es zu einem großen Hobby von ihr geworden im Garten des Königshauses selbst Hand anzulegen. Und wenn man ehrlich war, machte sie großartige Arbeit. Es war wunderschön.
,,Du kannst mir Gesellschaft leisten, aber ich brauche keine Hilfe. Ich komme bestens alleine zurecht'', lachte sie und schüttelte leicht den Kopf. Wahrscheinlich stellte sie sich Vater vor, wie er vor mir stand und mit seinem typischen Gesichtsausdruck sagte, ich solle nach ihr sehen.
Ich ließ den Kopf in den Nacken fallen und atmete tief durch. Die Sonne schien, der Himmel war wolkenlos. Es war ein wirklich schöner Tag, doch irgendwie konnte ich ihn nicht wirklich genießen. Das Thema, welches mein Vater und ich zuvor aufgegriffen hatten, verließ meine Gedanken einfach nicht.
,,Was hälst du eigentlich von der ganzen Sache?'', fragte ich leise und blickte erwartungsvoll auf meine Mutter. Sie stoppte für einen unscheinbaren Moment in ihren Bewegungen, bevor sie wieder weitermachte, als sei nichts gewesen. Doch das zeigte mir bereits, dass auch sie viel darüber nachdachte. Sie wusste nämlich, ohne eine explizite Erwähnung, wovon ich sprach.
,,Es ist eine Chance.''
,,Eine Chance? Nennst du den Tod eine Chance?''
,,Nein. So meine ich das nicht'', sie seufzte und verstummte für einen Moment. Sie schien gut über ihre Worte nachzudenken. ,,Dein Vater tut nie etwas ohne Grund, Liyana. Und ich vertraue ihm, deswegen hat er meine Einverständnis die Kämpfe durchzuführen.''
,,Ich weiß auch nicht, wieso mich das so sehr beschäftigt, es ist nur...wenn ich mir die, über die komplette Arena verteilten Leichen vorstelle, wird mir schlecht'', sagte ich und zog die Augenbrauen angestrengt zusammen. Dieses Bild war bereits einige Male in meinem Kopf erschienen und jedes Mal versuchte ich mit aller Kraft es wieder zu entfernen.
,,Ich weiß, was du meinst. Mir geht es nicht anders. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass niemand dazu gezwungen wird.''
,,Wie meinst du das?'', fragte ich und runzelte etwas die Stirn.
,,Naja, dein Vater wird niemanden zwingen da mitzumachen. Jeder Insasse darf selbst entscheiden. Vielen der Gefangenen droht eine Todesstrafe. Und wenn nicht das, eine verdammt lange Zeit in der Zelle. Beide Optionen sind nicht allzu angenehm. Ich denke, du kannst dir selbst ausmalen, dass nicht allzu viele dieses Angebot ausschlagen werden. Denn wie bereits gesagt: Es ist eine Chance'', erzählte mir meine Mutter. Von dieser Sicht aus hatte ich das ganze noch gar nicht betrachtet. Vielleicht war es wirklich keine so schlechte Idee.
,,Und was ist, wenn jemand gewinnt? Was dann? Lasst ihr ihn dann einfach so frei herumlaufen?''
,,Nein. Natürlich nicht, das wäre zu gefährlich. Dein Vater hat andere Pläne für die Gewinner. Er ist sich noch nicht vollkommen sicher, aber unter Umständen nimmt er sie als Kämpfer auf. Denn wenn man bei einem solchen Arenakampf gewinnt, dann nicht aufgrund von Glück.''
Ich verschränkte meine Hände und starrte auf den Boden vor mir. Das hörte sich alles logisch an. Das alles hörte sich wirklich nicht schlecht an. Doch eine Kleinigkeit passte einfach nicht für mich.
,,Aber wieso jetzt?'' Irgendetwas stimmte nicht. Man kam doch nicht von einer auf die andere Sekunde auf eine solche Idee. Was also hatte meinen Vater dazu gebracht das alles zu organisieren?
,,Genau weiß ich es nicht. Er kam vor einigen Wochen ganz plötzlich mit diesem Einfall zu mir. Ich kann nur darüber spekulieren, was seine Beweggründe waren. Doch die Wahrheit kenne ich nicht. Wenn ich ihn danach frage, weicht er nur aus. Und du kennst ihn, wenn er etwas nicht erzählen will, dann wird er es auch nicht tun'', antwortete meine Mutter und sah mich entschuldigend an.
Ich konnte es einfach nicht verstehen. Wieso gab ein König Menschen, die teilweise abscheuliche Dinge verbrochen haben, auf einmal eine Chance auf ein besseres Leben? Ich bekam das Gefühl, dass ich die Antwort auf meine Frage nicht sehr bald bekommen würde. Doch ich würde die Wahrheit herausfinden. Koste es, was es wolle.
,,Weißt du, wann es anfängt?''
,,In zwei Tagen findet der erste Teil statt. Soweit ich weiß, sollen es wohl insgesamt vier werden. Und somit auch vier Gewinner.''
Vier Gewinner. Vier. Nicht drei, nicht fünf und auch nicht einer. Vier.
,,Er tut nie etwas ohne Grund, was?''
,,Nie'', schüttelte meine Mutter den Kopf.
Es würden vier Gewinner sein. Und das nicht ohne Grund.
***
Mit großen Schritten lief Lysander an den vielen Zellen vorbei, bis er schließlich schon die eingeteilten Wachen sehen konnte, die die vier auf seinen Besuch vorbereiten sollten.
,,Danke, ihr könnt jetzt gehen und euch um eure anderen Aufgaben kümmern. Ich komme zurecht'', schickte er die vier weg und ohne ein weiteres Wort, verneigten sich die Wachen, bevor sie auch schon verschwanden. Erst jetzt erlaubte sich Lysander einen Blick auf die vier Jungen, die ihn seit sieben Jahren jeden Abend zum Nachdenken bewegt hatten.
Hätte der König nicht so eine unheimlich große Selbstbeherrschung, hätte er ein überraschtes Aufatmen nicht verhindern können. Sie hatten sich verändert, fast nichts mehr war von den jungenhaften Gesichtszügen zu sehen. Sie waren zu Männern geworden, die offensichtlich nicht eine Trainingseinheit übersprungen hatten.
Sofort erkannte Lysander den kleinsten aus der Gruppe. Enan. Seine blonden Haare trug er kürzer, als früher. Und dafür, dass er sich den Schnitt wahrscheinlich selbst verpasst hatte, musste Lysander sagen, dass er das gar nicht schlecht hinbekommen hatte. Allen Insassen war es ein Mal im Monat gestattet sich zu rasieren, sich die Haare zu schneiden. Lysander wollte sich noch nicht einmal ausmalen, wie sie alle aussehen würden nach diesen sieben Jahren ohne eine solche Regelung.
Lysander ließ seinen Blick weiterschweifen.
Adan. Die eisblauen Augen hatten ihre Wirkung selbst nach sieben Jahren nicht verloren. Immer noch starrten sie Lysander mit der gleichen Intensität an, wie damals. Die Falten, die sich zwischen seinen Augenbrauen bildeten, hatten sich vertieft und schienen ein Teil von Adan geworden zu sein. Fast hätte Lysander darüber schmunzeln müssen.
Der nächste war Dajan.
,,Lang ist's her. Aber ich sag Ihnen was: Die scheiß Zellen sind kein Stück gemütlicher geworden'', sagte Letzterer, bevor Lysander sich auch nur das geringste Bild von ihm machen konnte. Dajans braune Haare sahen immer noch so aus, wie damals. Genau so verwuschelt, genau so ungezähmt. Auch seine dunklen Augen, die in ihrer Farbe stark der der Haare ähnelten, hatten das kindische Funkeln nicht verloren. Aus irgendeinem Grund, den er sich selbst nicht erklären konnte, empfand Lysander eine gewisse Freude zu sehen, dass ein solches Leben diesen Jungen, der ihm damals so unbeschwert erschienen war, nicht zu sehr verändert hatte.
Ohne auf dessen Kommentar einzugehen, kam Lysander nun endlich auch beim letzten der vier an. Wie auch vor sieben Jahren hatte er sich ihn für das Ende aufgehoben. Um ehrlich zu sein war Lysander natürlich an der Entwicklung aller vier interessiert gewesen, doch bei diesem Jungen, der zu einem stattlichen Mann herangewachsen war, war es doch etwas anderes.
Die braunen Haare, die nur ein wenig dunkler als die von Dajan waren, trug er etwas länger, weswegen nun auch die leichten Locken zu sehen waren. Doch die emotionslosen Züge schienen sich nicht vom Platz gerührt zu haben. Doch die Veränderung einer Eigenschaft war am deutlichsten. Kaum hatte der Insasse seinen Blick gehoben und seine Augen auf Lysander gerichtet, war es dem König aufgefallen. Seine Augen waren dunkler geworden. Denn nie würde er vergessen, wie er ihn vor sieben Jahren angesehen hatte. Nie.
Lysander räusperte sich und wandte den Blick für einen Moment ab, bevor er anfing zu sprechen.
,,Es freut mich zu sehen, dass ihr trainiert habt. Es freut mich auch zu sehen, dass ihr noch alle lebt.'' Es war die Wahrheit, die pure Wahrheit. Und doch konnte Lysander den Unglauben, der in einigen der Gesichter erschien, deutlich erkennen
,,Ich würde ja jetzt sagen, dass es mich auch freut zu sehen, dass Sie noch leben. Aber, naja, Sie wissen schon'', antwortete Dajan und brachte Lysanders Mundwinkel für einen kurzen Moment zum zucken. Dieser Junge und sein loses Mundwerk...
,,Ich habe euch etwas zu sagen.'' Anscheinend war allen vier aufgefallen, dass sich der Tonfall des Königs etwas verändert hatte. Er war ernster geworden.
,,Ihr werdet die Chance bekommen, hier raus zu kommen.''
,,Was?'', ertönte aus drei Mündern gleichzeitig. Auch ohne, dass Lysander es gesehen hätte, wüsste er, wer von den vieren still geblieben war.
,,Und wie? Ich mach alles, um in einem verfluchten Bett schlafen zu können'', fügte Enan hinzu. Sofort fiel dem König auf, wie tief die Stimme des damals vierzehnjährigen geworden war.
,,Eigentlich ist es ziemlich simpel. Ihr kämpft und ihr überlebt. Mehr nicht'', antwortete Lysander und versuchte jede Reaktion mitzubekommen.
,,Kämpfen kann ich. Und ich habe sieben Jahre in diesem Drecksloch überlebt. Kein Problem'', meinte Adan und lehnte sich entspannt gegen die Wand in seinem Rücken. Lysander seufzte, denn ganz so leicht war es dann doch nicht.
,,Es werden vier Arenakämpfe veranstaltet. In jedem der Kämpfe wird ein Gewinner hervorgehen. Jeder von euch wird in einem der Kämpfe mitmachen.''
,,Und gegen wen kämpfen wir?'' Adan verengte etwas seine Augen und betrachtete den Mann vor seiner Zelle akribisch.
,,Gegen die anderen Insassen, die sich freiwillig dazu entscheiden werden, mitzumachen.''
,,Das heißt, wir haben eine Wahl?'', fragte Enan mit hochgezogenen Augenbrauen und einem Hauch von Überraschung in der Stimme.
,,Eigentlich würde ich sagen, dass es eure Entscheidung ist, ob ihr mitmacht oder nicht. Denn das ist es, was allen anderen Insassen gesagt wird. Doch im Grunde will ich das gar nicht sagen. Macht mit. Ergreift diese Chance und kommt hier raus.'' Lysanders Stimme wurde zum Ende hin leiser, aber intensiver. Es war kaum zu übersehen, wie wichtig ihm diese Sache war.
,,Was, wenn wir verlieren?'', machte Adan einen legitimen Einwand.
,,Dann sterbt ihr. Höchstwahrscheinlich. Wenn nicht, dann landet ihr erneut hier.''
,,Ich bin sowas von dabei. Das wird bestimmt lustig'', sprang Dajan erfreut auf und fing an sich zu strecken. Ein kleines, unscheinbares Lächeln schlich sich auf Lysanders Lippen. Er hatte sich schon fast gedacht, dass Dajan der erste sein würde, der zusagte.
,,Keine Ahnung, ob das eine gute Idee ist. Aber schlimmer als ein Leben in der Zelle kann's wohl kaum sein. Ich bin auch dabei'', war Adan der nächste der zusagte. Lysander nickte ihm zu, bevor sein Blick zu Enan wanderte. Er schien gut darüber nachzudenken. Dazu hatte er auch vollstes Recht. Der König verstand, dass das keine leichte Entscheidung war. Doch er hoffte, dass jeder von den vieren ja sagen würde. Denn im Grunde fand das Ganze nur wegen ihnen statt.
,,Ich werde mitmachen'', ertönte schließlich nach einigen verstrichenen Sekunden aus Enans Mund. Lysander konnte nicht wirklich einschätzen, ob er wirklich so entschlossen war, wie er klang, aber er hoffte es.
,,Was ist mit dir?'', wandte sich der König nun zu dem letzten in der kleinen Gruppe. Er hatte ihn noch kein einziges Mal reden gehört. Vor sieben Jahren wollte er ihm nichts über sich verraten. Für einen kurzen Moment hatte Lysander damals wirklich gedacht, dass er vielleicht stumm war. Doch diesen Gedanken hatte er schnell verworfen. Sein Schweigen hatte andere Gründe, da war er sich sicher.
,,Er macht mit'', kam es von Adan. Doch auch wenn Lysander diese Worte am liebsten einfach akzeptiert hätte, er konnte nicht.
,,Nein. Ich will es aus seinem Mund hören.''
Stille. Eine lange Stille folgte. Und diese dauerte lange genug, um Lysander daran denken zu lassen, ob alles umsonst gewesen sei. Doch kaum war dieser Verdacht in seinem Kopf erschienen, verschwand er auch schon wieder.
,,Ich mach's.''
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Hallo ihr Lieben! :) Heute mal ein etwas längeres Kapitel als sonst :) Ich hoffe ihr hattet Spaß! Und jaaaa er hat endlich etwas gesagt :D Auch wenn man noch gar nicht so viel über ihn weiß - irgendwie freut man sich oder? :D
Bis zum nächsten Kapitel! :)
-Eure Karo ♥
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