I
7 Jahre zuvor
,,Ich fasse es nicht, dass das die Verantwortlichen sein sollen. Ich meine - schau sie dir an. Das sind Kinder'', hörte jeder von den vieren, getrennt in ihren Einzelzellen, eine der Wachen sagen.
,,Da kann ich mich nur anschließen. Es ist unglaublich. Vielleicht liegt eine Verwechslung vor?'' Ein kurzes Lachen ertönte aus einer der Zellen nach diesem Satz. Die beiden Männer, die beauftragt wurden bis zum Eintreffen des Königs die vier zu beaufsichtigen, drehten sich mit gerunzelter Stirn zum Ursprung des Gelächters.
,,Was gibt's da zu lachen?!'', keifte der etwas molligere von beiden den Jungen in der Zelle an. Seine hellblonden Haare waren zerzaust und einzelne Strähnen hingen ihm in die Augen. Er sah aus, als hätte er schon seit langer Zeit kein ausgiebiges Bad mehr genommen. Wahrscheinlich gehörte er zu den Armen des Reiches.
,,Hat's dir die Sprache verschlagen, Kleiner?!'', drängte nun der zweite von beiden und trat an die Gitterstäbe heran. Das Schmunzeln auf den Lippen des Jungen, das nur für einen kurzen Moment auftauchte, bevor es wieder verschwand, blieb unentdeckt von den Wachen.
,,Mir verschlägt's nie die Sprache. Ich bin nur nicht allzu scharf drauf mich mit zwei Idioten zu unterhalten'', entgegnete er mit fester Stimme und blickte auf.
,,Was fällt dir ein, du -'', bevor der beleidigte Mann seinen Satz beenden konnte, wurde er durch eine laute Stimme, die keinen Widerspruch duldete, unterbrochen.
,,Quiron. Salius.'' Angesprochene sprangen leicht auf und stellten sich aufrecht hin, bevor sie sich leicht nach vorne beugten, um ihrem König den nötigen Respekt zu zollen.
Alle, außer einem der Gefangenen schauten auf, um den Mann zu sehen, dem sie so unheimlich viele Probleme bereitet hatten. Er war hochgewachsen, hatte dunkle Haare, dunkle, nahezu schwarze, Augen und eine stattliche Statur. Doch auch die markanten Narben in seinem Gesicht blieben niemals unbemerkt. Man sagte, er soll viele Kämpfe bestritten, Kriege überlebt haben und das wichtigste: Er hatte Königin Zaridas Herz erobert, obwohl er ein Verurteilter war. Ein Verbannter. Dieser Mann war wie eine Legende im Reich, niemand wagte es sich ihm in den Weg zu stellen, denn alle hatten ein wenig mehr als nur Respekt vor ihm: Sie fürchteten ihn.
,,Sind sie das?'', fragte er mit tiefer Stimme, die einem jeden einen Schauer über den Rücken laufen lassen konnte.
,,Ja, mein Herr.''
,,Nur diese vier?''
,,Nur diese vier.''
Ohne eine weitere Frage schritt Lysander zur ersten Zelle, bei der er stehen blieb und den dort sitzenden Jungen genau betrachtete. Er wusste nur zu gut, wie es war, in diesen Zellen zu sitzen. Es war ätzend.
,,Wie ist dein Name?'', fragte der König mit konzentriertem Blick und versuchte jede Regung des Jungen zu beobachten und richtig zu interpretieren. Seine hellbraunen Augen verengten sich kurz, bevor er schluckte. Er schien angespannt zu sein, vielleicht sogar nervös. Das war derjenige, der zuvor noch gelacht hatte.
,,Enan.'' Lysander wusste nicht, ob der Junge log, deswegen musste er sich mit dieser Antwort zufrieden geben. Er nickte leicht.
,,Wie alt bist du?''
,,Ungefähr vierzehn.'' Also hatte der König mit seinem Gedanken beim ersten Blick auf die vier recht gehabt. Jugendliche aus einem der Armenviertel. Denn nur dort konnte es passieren, dass ein Kind seinen Geburtstag nicht kannte.
Lysander ging einige Schritte weiter, bevor er vor der zweiten Zelle stehen blieb. Der Junge war der einzige von den vieren, der nicht saß, sondern lag. Es schien ihn nicht im geringsten zu interessieren, dass in dieser Zelle das letzte Mal vor Jahrhunderten sauber gemacht wurde. Die Arme hatte er hinter seinem Kopf verschränkt, die Füße ausgestreckt.
,,Was ist mit dir? Wie heißt du?'' Der Junge, der etwas größer zu sein schien, als Enan, drehte den Kopf zum König und betrachtete ihn mit einem Grinsen, das - wortwörtlich - nicht zu übersehen war.
,,Ich bin Dajan. Der schönste hier.''
,,Und der dümmste'', kam von dem Jungen eine Zelle weiter mit gedämpfter Stimme. Und auch wenn Lysander zugeben musste, dass es ihn ein wenig amüsierte, zeigte er das natürlich nicht. Das hatte er nie und würde auch jetzt nicht damit anfangen. Die Kommentare ignorierend fuhr er mit seinen Fragen fort:
,,Was ist mit deinem Alter?''
,,Ich bin fünfzehn. Im Gegensatz zu Enan bin ich schon im Alter, in dem die Mädchen einem hinterherlaufen.''
,,Um Gottes Willen, halt den Mund, Dajan!'', erneut der Junge von zuvor. Es überraschte Lysander, dass die Jungs ihm bis jetzt tatsächlich ihre Namen verraten hatten. Und sogar ein wenig mehr, als nur das, wie er bei Dajan feststellen musste. Ohne sich noch mehr Gedanken über diesen sonderbaren Jungen zu machen, der seine Gefangennahme überraschend locker zu nehmen schien, trat Lysander an die nächste Zelle heran.
,,Adan, fünfzehn'', sagte der Junge mit den schwarzen Haaren und den kristallblauen Augen, ohne dass Lysander auch nur ein Wort äußern musste. Das ging schnell.
,,Seid ihr verwandt?'', fragte der König zur Abwechslung eine andere Frage.
,,Mit diesem Schwachkopf nebenan? Sehe ich so aus?'', entgegnete Adan und schaute genervt zur Seite. Er war wohl ein etwas komplizierterer Fall, als Dajan.
,,Hey!'', hörte Lysander Dajan einen Einwand äußern, doch tat so, als hätte er es überhört. Er hatte wichtigere Dinge zu tun, als sich mit den Streitereien zweier Insassen auseinander zu setzen.
Das waren also schon mal drei der Verantwortlichen. Der Verantwortlichen für fünf Brände in der Nähe des Königshauses, bei denen zwei Männer verletzt wurden, zehn Raubüberfälle auf Gasthäuser in der Innenstadt und das, wofür sie hauptsächlich hier saßen: Die Sprengung des großen Tores am Eingang zum Königshauses, bei dem Boris, einer der Wachen schwer verletzt wurde und nun in Lebensgefahr schwebte. Es war ungeklärt, wie diese vier Knirpse es geschafft hatten so nah an das Territorium der Königsfamilie zu gelangen. Sie waren an den Wachen vorbeigekommen und hatten die Mittel eine Sprengung zu bewerkstelligen. Nicht auszudenken, was in ein paar Jahren hätte sein können, hätte man sie nicht geschnappt. Sie waren gefährlich. Jung, naiv, aber gefährlich für die Gesellschaft. Lysander erkannte Muster einer nahenden Revolution. Wenn sie zu viert so viele Probleme schaffen konnten, mochte sich der König noch nicht einmal ausmalen, zu was sie mit Hunderten von Anhängern in der Lage sein würden. Und diese Anhänger wären in ein paar Jahren noch nicht einmal so abwegig gewesen - Gegner der Königsfamilie gab es immer und würde es auch immer geben.
Einerseits musste Lysander zugeben, dass er Mitleid empfand. Niemand wünschte einem Kind ein Leben in einer Zelle. Doch sie frei rumlaufen lassen? Das war ihm leider nicht möglich. Das Gesetz des Reiches verbot es ihm, selbst wenn er es wollte. Denn auch der König musste sich an gewisse Dinge halten und die Freilassung potenzieller Revolutionäre war keines davon.
Lysander konnte sich gut vorstellen, wie seine Frau reagieren würde, sobald er ihr von der Situation und von den vier Jugendlichen berichten würde. Sie wäre außer sich, würde jede Möglichkeit suchen, um einen anderen Weg der Bestrafung zu finden. Doch die einzige andere Möglichkeit in diesem Fall war die Todesstrafe - und diese kam nicht in Frage. Nicht bei Kindern. Nicht solange Lysander der König Kiralis' war.
Der König schüttelte leicht den Kopf, um seine Überlegungen auf später zu verlegen. Er wusste, dass er früher oder später einen anderen Weg finden würde für diese vier Jungs. Denn auch, wenn er wusste, dass sie bestraft werden mussten, wusste er auch, dass sie es aus Wut taten. Aus Wut auf ihre miserable Situation gegen die Lysander und Zarida leider noch keine Lösung gefunden hatten.
Um diesen Besuch endgültig abzuschließen, lief Lysander noch die wenigen Schritte bis zur letzten Zelle. Er brauchte einen Moment um den Jungen im Eck der Zelle zu entdecken. Die Augen hatte er geschlossen, den Kopf gegen die Wand gelehnt.
,,Wie ist dein Name?'' Mit einem Mal blickten Lysander stechend grüne Augen entgegen. Doch eine Antwort bekam der König nicht. Es schien plötzlich unheimlich still geworden zu sein im Kerker. Selbst die anderen drei schienen bemüht noch leiser zu atmen.
,,Wie alt bist du?'' Erneut kein Wort.
,,Du möchtest es mir nicht sagen?'', fragte Lysander ein drittes Mal und zog die Augenbrauen leicht zusammen. Dieser Junge war anders. Der König konnte noch nicht einschätzen auf welche Art und Weise. Aber er war anders.
Sein Blick hatte eine Kälte in sich, die selbst Lysander nur selten in seinem Leben gesehen hatte. Die braunen Haare fielen ihm ins Gesicht, doch das schien ihn nicht zu kümmern. Die Arme hatte er auf seine angewinkelten Knie gestützt und ließ sie schlapp herunterhängen. Nicht die geringste Regung nahm Lysander in seinem Gesicht wahr. Und in diesem Moment sah er für eine Sekunde sich selbst vor sich.
Lysander wandte sich ab, ging ein wenig nach hinten und drehte sich wieder zu den vieren um.
,,Hört genau zu. Ihr werdet die Möglichkeit bekommen zu trainieren, euch in Form zu halten. Auch Essen und Trinken werdet ihr genug bekommen - hungern müsst ihr nicht. Aber denkt daran: Das sind Privilegien. Und das auch nur, weil ihr nicht in absehbarer Zeit hier rauskommt.''
Das waren Lysanders letzte Worte zu ihnen an diesem Tag und für die nächsten sieben Jahre. Bevor er jedoch wieder in den Thronsaal zu seiner Frau und seiner Tochter verschwand, schweifte sein Blick unwillkürlich nochmal zu dem letzten Jungen. Zu dem Jungen, der auch für die nächsten sieben Jahre namenlos bleiben würde.
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Haaaaaallo, meine Lieben! :) Geht's euch gut?:) Es freut mich, dass ihr vorbeischaut! Und hoffe natürlich auch, dass euch das erste Kapitel gefallen hat :) Über eure Meinungen würde ich mich natürlich, wie immer, freuen! :) ♥
P.S.: Na? Lysander? Zarida? Boris? Ich denke die sollten den meisten bekannt vorkommen :D ♥
Bis zum nächsten Kapitel! :)
-Eure Karo♥
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