Kapitel 16

„Das kann nicht dein ernst sein?!" Entgeistert starrte ich auf die riesige Auffahrt an deren Ende sich eine Villa befand, die mehr aus Glas als aus Stein zu bestehen schien. „Und das verstehst du unter „Eine Unterkunft finden"?? Genauso gut hättest du hier ein Schild mit der Leuchtschrift „Belle und Nicolaj sind hier!" anbringen können! Wir sind irgendwo am Arsch der Welt, weit und breit keine Menschenseele und das soll unauffällig sein?" Ich redete mich richtig in Rage, kochte vor Wut und konnte noch nicht einmal sagen, warum. „Komm runter, Belle. Hier findet uns keiner. Die Hütte gehört einem...Kunden der mir noch einen Gefallen schuldig war." Ich starrte ihn an, zählte innerlich bis zehn um mich davon abzuhalten ihm sofort den Kopf abzureißen. „Einem Kunden?!" zischte ich. Nicolaj ließ sich von meinem Wutausbruch nicht aus der Ruhe bringen. Ruhig sah er mich an was mich noch mehr aufregte. „Wo hätten wir den deiner Meinung nach sonst hin gehen sollen? Auf die Alm in eine Hütte mitten in den Bergen?" spöttisch hob er eine Augenbraue und ich musste mich komplett beherrschen um ihm nicht eine zu kleben. „Ach, leck mich doch" keifte ich, stieg aus und knallte die Türe mit deutlich mehr Kraft als nötig zu. Ja, ich wusste, dass ich mich albern benahm. Unter anderen Umständen hätte ich es genossen in so einem luxuriösen Haus zu leben. Aber die Umstände waren eben beschissen und mein Leben stand verdammt noch mal auf dem Spiel. „Ich versteh wirklich nicht was dein Problem ist." Ich konnte deutlich heraushören, dass er inzwischen auch ziemlich gereizt war. „Wir mussten weg, ich hab etwas aufgetrieben wo wir bleiben können fürs Erste und es ist kein schimmliger Keller. Was passt dir hier bitte nicht?" Ich funkelte ihn an. „Was mir hier nicht passt? Es ist verdammt auffällig! Wie lange hat hier keiner mehr gewohnt? Und jetzt plötzlich kommt hier ein Pärchen mit einem klapprigen Auto und jeweils einer Tasche an um in dieser Hütte zu wohnen? Du hast Recht, mein Süßer. Unauffälliger geht's wirklich nicht." Meine Stimme trifte vor Sarkasmus. Mir war bewusst, dass ich übertrieb aber ich war gereizt und ich musste Dampf ablassen. Und Nicolaj war gerade da. „Weißt du was? Dann schlaf doch im Auto! Ich hab mir nicht zwei Nächte um die Ohren geschlagen für dieses Haus um mir dann von dir Vorwürfe machen zu lassen." Inzwischen standen wir in der prunkvollen Eingangshalle. Aber ich hatte keinen Blick dafür. „Du hast die zwei Nächte um die Ohren geschlagen? Ich hab verdammt noch mal seit drei Nächten nicht mehr geschlafen. Und warum? Wegen dir! Wegen deinem Verfluchtem „Job"! Hat es für keine andere Ausbildung gereicht oder was? Für einen stinknormalen Bürojob, mit geregelten Arbeitszeiten und geregeltem Gehalt? Und vor allem ohne Chef, der mich lieber Tod als Lebendig sieht." Das war nicht fair. Das wurde mir in dem Augenblick bewusst als es raus war. Nicolaj starrte mich fassungslos an. „Wenn alles so scheiß ist, dann hau doch einfach ab." Er brüllte nicht, nein. Aber er sagte das so emotionslos und kalt, dass es mir kalt den Rücken runter lief. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Haus mit einem endgültigen Knall der Haustür. Meine Wut war verraucht. Stattdessen fühlte ich mich leer und ausgebrannt. Ich hatte ihn verletzt. Gott, ich war schrecklich. Müde und mit hängende Schultern schnappte ich mir meine Tasche aus dem Flur, schlurfte in die obere Etage und öffnete die erstbeste Türe, in der Hoffnung, dass es sich um ein Schlafzimmer handelte. Ich hatte Glück. Eine riesige Glasfront säumte die gesamte Frontseite, ich hatte einen perfekten Blick auf eine ausgedehnte Waldfläche und hier und da konnte man das glitzern von Wasser erkennen. Das Bett war aus Holz und mit dem weißen Baldachin würde man es eher in dem Schlafzimmer einer indischen Prinzessin vermuten. Aber es passte trotzdem hier rein. Es war schön aber ich wusste es nicht zu würdigen. Ich war so müde, ich hätte mich auch auf dem Boden gelegt und ich sehnte mich nach einer heißen Dusche. Zu meinem Glück war das Bad im gleichen Zimmer und ich musste nicht erst nach einem Badezimmer suchen. Ich schälte mich aus meinen Klamotten, warf sie zu Boden und tappte ins Bad. Ohne einen Blick in den prächtigen Spiegel zu werfen, der über dem weißen, modernen Waschbecken hing, stieg ich in die Dusche. Der Duschkopf war riesig und als ich das Wasser aufdrehte, rieselte das warme Wasser sanft wie Regen auf meinen Körper, entspannte meine verkrampften Muskeln. Ich kannte mich nicht mit Duschen aus aber das hier konnte nur eine Regenwalddusche sein. Ich wusste nicht wie lang ich unter der Brause stand. Erst als sich meine Haut schrumpelig und verquollen anfühlte stieg ich aus der Dusche. In ein Badetuch gewickelt und einem Handtuch um den Kopf ging ich zurück in das Zimmer. Ich warf einen Blick auf mein Handy. Eine Nachricht von Julia in der sie wissen wollte wo ich stecke und dass sie die Polizei alarmieren würde, wenn ich mich nicht innerhalb der nächsten 24 Stunden melden würde. Ich beantwortete sie nicht. Von Nicolaj hatte ich, wie nicht anders zu erwarten, keine Nachricht. Ich schalte mich eine Närrin. Warum sollte er mir schreiben wenn er auch genauso gut zu mir hätte kommen können. Ich wusste, dass ich mich bei ihm entschuldigen musste aber im Momente brachte ich es einfach nicht über mich. Ich war zu stolz um zuzugeben, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Nackt wie ich war krabbelte ich in das große Bett. Es war zu groß und zu breit für mich alleine. Mir fehlte die Nähe eines anderen Körpers. Nicolajs Körper. Erschöpft rollte ich mich unter der Decke zu einem Packet zusammen und versuchte einzuschlafen.

Als ich am nächsten Morgen wach wurde tastete ich automatisch nach Nicolaj in der Hoffnung, dass er über Nacht doch noch zu mir gekommen war. Natürlich war die andere Seite leer. Ich seufzte. Was hatte ich auch erwartet? Das er alles vergaß was ich ihm an den Kopf geworfen hatte und alles wieder gut war? Manchmal war ich wirklich naiv. Ich warf einen Blick auf den Wecker, der neben mir stand. Es war gerade mal halb sieben. Aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich war hellwach. Also schwang ich die Beine aus dem Bett, schlüpfte in mein zu großes Flanellhemd und öffnete die Schlafzimmertür. Im Gang war alles ruhig. Das Haus war viel zu groß für zwei Personen. Barfuß tappte ich die kalte Steintreppe nach unten. Es dämmerte draußen gerade erst. Ich ging in das Wohnzimmer und öffnete die Terassentür, die direkt in einen großen Garten führte, der an ein Stück Wald grenzte. Kühle Luft schlug mir entgegen und ich begann zu frösteln. Ich beschloss mir einen Tee zu kochen. Ich fühlte Wasser in den Wasserkocher, einen Teekessel konnte ich auf die Schnelle einfach nicht finden, und steckte ihn ein. Während das Wasser anfing zu kochen, durchforstete ich den Vorratsschrank und entdeckte in der hintersten Ecke eine Packung Kräutertee. Der war zwar nicht unbedingt meine erste Wahl aber besser als gar kein Tee. Ich holte mir eine Tasse aus dem Schrank und hängte den Beutel hinein. Inzwischen kochte das Wasser. Ich goss die kochende Flüssigkeit über den Beutel und ließ ihn ziehen. Ich lehnte mit dem Hintern an der Arbeitsfläche und starrte aus dem Fenster. Ich hatte einen direkten Blick auf die Auffahrt. Der Wagen, den Nicolaj besorgt hatte, stand noch immer am selben Platz wo Nicolaj ihn hingestellt hatte. Erleichterung durchfloss mich. Er war also nicht weggefahren. Ich schüttelte innerlich den Kopf über mich selber. Er würde mich nie alleine hier lassen. Mein Tee war inzwischen fertig. Ich fischte den Teebeutel aus der Tasse und beschloss mich auf die Terrasse zu setzten. Eine Decke war schnell gefunden. Ich klemmte sie mir unter den Arm und balancierte die Tasse unfallfrei nach draußen. Dort stellte ich sie auf den kleinen Tisch neben der Liege, die frei im Garten stand. Ich setzte mich und wickelte mich in die Decke. Starr blickte ich auf den Waldrand, hielt mich an meiner Teetasse fest. Ich zerbrach mir den Kopf darüber wie ich das mit Nicolaj wieder ins Reine bringen konnte. Inzwischen hatte sich die Morgensonne hinter dem leichten Nebelschleier hindurchgekämpft und schien mir auf die Nase. Ich hatte keine Ahnung wie lange ich schon hier saß. Aber es musste schon ziemlich lange sein, den mein Magen knurrte lautstark und forderte sein Frühstück. Ich wickelte mich aus der Decke, ließ sie aber liegen. Die konnte ich später noch aufräumen. Mit der Tasse in der Hand drehte ich mich um. Ich zuckte zusammen als ich eine Person im Türrahmen lehnen sah. Nicolaj. Wie lange stand er wohl schon da und beobachtete mich? Ich sah ihn einfach nur an. Das „Es tut mir leid" kam einfach so über meine Lippen.

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