13. Kapitel ~

emancipation~

Die leisen Stimmen hallten in dem hohen, prunkvollen Speisesaal wieder. Von der Decke hingen riesige Kronleuchter, mit gefühlt mindestens einhundert einzelnen kleinen Lichtern, die zusammen ein großes Leuchtfeuer bildeten. Auch die Decke selbst war bemalt und erinnerte an eine Kirche, wegen der vielen Engel und Wolken, die dort oben verewigt worden waren.

"Eika, iss und träum nicht die ganze Zeit herum, sonst wird das Essen noch kalt.", ermahnte mich meine Mutter streng und blickte mir dabei direkt in die Augen, um meine volle Aufmerksamkeit zu bekommen.

"Aber ja doch, Mutter. Tut mir leid, wenn ich sie verärgert haben sollte.", erwiderte ich mit spitzer, herausfordernder Stimme und hob leicht das Kinn an, während ich redete. Darauf reagierten die Anwesenden, also meine Tante, meine Eltern und Lydia, mit einem überraschten und auch teilweise entsetzten Gesichtsausdruck. Mein Vater verschluckte sich sogar an dem Wein, den er gerade getrunken hatte und sofort war einer der Bediensteten bei ihm, um ihm zu helfen. "Wenn es genehm ist, würde ich mich nun auf mein Zimmer begeben. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend und einen guten Appetit.", fuhr ich einfach ungerührt fort, schob meinen Stuhl, welcher aus feinstem Eichenholz war, nach hinten und entfernt mich ohne weiter darüber nachzudenken vom Tisch. Ich verließ den Saal und strebte dann zielsicher die Tür zum Garten an, als ich auf einmal aufgebrachte Rufe hinter mir hörte.

"Eika, du bleibst sofort stehen! Was fällt dir ein, dich so zu benehmen? Wir werden jetzt ein Wörtchen reden, junge Dame!", ertönte die, vor Zorn, schrille Stimme meiner Mutter, weshalb ich zufrieden grinste ohne es überhaupt zu merken.

'Was würde Deidre tun?'

Moment, wieso fragte ich mich so etwas überhaupt? Wieso sollte ich darüber nachdenken, was sie tun würde? Obwohl; bestimmt würde sie sich nicht so einfach herumkommandieren lassen. Sie würde einfach gehen, fliehen und frei sein, an einem Ort, wo sie keiner findet.

Meine Mutter hatte mich noch immer nicht erreicht, da der Gang lang war und sie wegen ihrer hohen Absätze und dem eng geschnittenen Kleid nur beschwerlich vorankam. "Mum, tut mir leid, aber nein." Meine ruhigen Worten ließen sie stehen bleiben und sie musterte mich mit einem verwirrten, aber auch ungläubigen Blick, als ich anfing mir in aller Ruhe die Absatzschuhe auszuziehen.

"Ich bin nicht dieses Mädchen, das du dir so sehr wünscht. Ich bin ich, also versuch nicht mich nach deinen Wünschen verändern zu wollen.", sprach ich mit unerwartet mutiger und fester Stimme. Gerade öffnete sie den Mund, um etwas darauf erwidern zu wollen, doch ich war meine Schuhe, welche ich in die Hand genommen hatte, in ihre Richtung. Scheppernd schlugen sie direkt vor ihren Füßen auf und sorgten für ein lautes Geräusch, das noch eine kurze Weile durch den Gang hallte. Vermutlich würden die Schuhe auch Kratzer oder andere Spuren auf dem gleichmäßigen Parkett hinterlassen, was mir jedoch relativ gleich war. Dann wand ich mich ab und stieß die große Glastür mit den Händen auf, welche in den malerischen Garten meiner Tante führte.

Kurz blieb ich noch stehen und schloss die Augen, wobei ich die Luft tief einsog und kurz den Geräuschen der Abenddämmerung lauschte.

'Es fühlt sich so verdammt gut an. Wieso habe ich das noch nicht viel früher getan?'

Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, bevor ich die Augen wieder öffnete. Dann rannte ich einfach los. Barfuss die kalten Steinstufen der Treppe hinunter, ohne mich noch einmal nach meiner Mutter umzuschauen. Hätte ich es getan, dann hätte ich ihr Gesicht gesehen. Ein Gesicht, in dem sich die verschiedensten Emotionen wiederspiegelten, doch eine Emotion war am deutlichsten abzulesen. Auf ihrer Stirn hatten sich Zornfalten gebildet und die Augen hatte sie leicht zusammengekniffen, während sie die Lippen fest aufeinanderpresste, um nicht meinen Namen laut loszuschreien. Innerlich kochte sie vor Wut und wären wir nicht zu Besuch bei meiner Tante gewesen, hätte sie einen Tobsuchtanfall bekommen, den ich nie vergessen hätte.

Warscheinlich würde ich richtig Ärger bekommen, sobald ich wiederkommen würde . . .

'Wieso solltes du wiederkommen? Du kannst hingehen, wo auch immer du willst. Niemand ist dir gefolgt und niemand weis, wo du hingehst.'

Die Stimme in meinem Kopf klang verlockend und ich hielt auf einem sanften Hügel an, welcher sich außerhalb des Gartens meiner Tante befand. Als ich mich umschaute, sah ich hinter mir das riesige Anwesen, in welchem alle Fenster hell erleuchtet waren uns vor mir lag ein kleines Waldstück und nach diesem gab es ein kleines, aber dennoch belebtes Dorf.

'Du musst ja nicht ganz wegbleiben, nur für eine Nacht. Willst du nicht auch einmal diese >>Freiheit<< spüren? Frei von Regeln sein?'

Langsam wand ich der Villa und damit auch meiner Familie den Rücken zu. Vor mir tat sich der Wald mit seinen hohen Bäumen auf, welche bedrohlich auf mich hinabzublicken schienen.

'Wovor hast du Angst? Es ist nur ein Kilometer, dann bist du hindurch, das dauert nur knappe 10 Minuten, wenn du die Strecke rennend zurücklegst.'

Es kam mir absurd vor, wieso ich auf die Stimme in meinem Kopf hören sollte; doch hatte ich überhaupt eine Wahl? Ganz sicher würde ich jetzt nicht mehr zurückgehen, dafür war ich schon zu weit gekommen.

"Jetzt oder nie.", flüsterte ich mit leiser Stimme und löste den Zopf aus meinen Haaren, den ich mir vor dem Abendessen gemacht hatte. Ich hatte mich im Allgemein frisch gemacht, damit niemand etwas von meinem Zusammenbruch mitbekommt, von Lydia abgesehen, die diesen immerhin zu verschulden hatte.

Nun fiel mein Haar in leichten Wellen, über meinen Rücken und ein paar kleinere Haare standen zu allen Seiten ab, doch da ich es nicht sah, störte es mich auch nicht. Dann holte ich noch einmal tief Luft und lief los, ohne nachzudenken oder mich noch ein letztes Mal umzuschauen, so wie ich es bereits vorher an der Glastür zum Garten getan hatte.

Die Haare wehten im Wind und das Kleid wurde schmutzig am Saum, doch ich rannte einfach weiter und genoss meine Freiheit in ganzen Zügen. Auch die kleinen Steine oder Stöcke, die in meine Fußsohlen stachen, störten mich nicht. Und so rannte ich einfach weiter, während der Himmel sich lila färbte und der rabenschwarze Wald mich endgültig verschluckte.

Das Anwesen, noch immer hell erleuchtet, ragte über dem Wald empor und für einen kurzen Moment war eine dunkle Gestalt an einem der großen Fenster zu erkennen, welche Eika nachsah. Doch so plötzlich wie sie aufgetaucht war, war die Gestalt auch schon wieder verschwunden und Eika hatte nicht bemerkt, wie jemand ihr fortgehen beobachtet hatte . . .

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