Epilog
Es war ein verregneter und grauer Donnerstag. In den Straßen Jacksonvilles reihten sich Autos Stoßstange an Stoßstange, die Gehwege waren von Wasserpfützen durchlöchert wie Schweizer Käse und über der Stadt hing eine smogartige, schlechte Stimmung. Nur in Mimi's Café war es warm und hell und freundlich. Lächelnd seufzte ich vor mich hin, die Hände tief in den Taschen meines Wintermantels vergraben und gut gelaunt auf den Fußballen wippend, während ich die Getränkekarte studierte, die ich eigentlich schon seit Jahren auswendig im Schlaf aufsagen konnte.
„Hi, kann ich einen Schoko-Cappuccino mit einem Schuss Zimt haben, bitte? Für Olivia, zum Mitnehmen.", orderte ich mit einer Hand auf dem Verkaufstresen abgestützt, mein Getränk, als ich endlich an der Reihe war.
„Kein Problem, setzen Sie sich ruhig, ich rufe Ihren Namen, wenn Ihre Bestellung fertig ist.", trällerte die junge Blondine fröhlich vor sich her, während sie meinen Namen geschäftig auf einen Pappbecher kritzelte.
Seufzend ließ ich mich auf einen Stuhl am Fenster fallen, stützte das Kinn auf meinen Handballen und starrte hinaus in die nasse, kalte Innenstadt. Ich liebte den Regen. Es war als würde er alles reinwaschen. Ich musste verträumt lächeln, als ich im Schaufenster gegenüber den beleuchteten Weihnachtsbaum entdeckte. Der 1. Advent stand kurz bevor und die ganze Welt war schon im Weihnachtsfieber – mich eingeschlossen.
„Was seufzt du denn so selig vor dich hin?", hörte ich eine belustigte Männerstimme fragen und als ich den Kopf wandte, spürte ich auch schon von der Kälte leicht raue Lippen auf der Wange und das Kitzeln von Bartstoppeln, auf meiner Haut.
Breit lächelnd lehnte ich mich über den Tisch, nachdem der Braunhaarige sich gesetzt hatte und flüsterte geheimnisvoll: „Ich habe gerade darüber nachgedacht, was ich dir zu Weihnachten schenken werde."
„Und was schwebt dir so vor?", fragte er grinsend, doch ich schüttelte nur kichernd den Kopf.
„Das ist eine Überraschung, Max!"
„Hast du bei dem ganzen Lernen für deine Abschlussklausuren überhaupt Zeit über Geschenke nachzudenken?"
Schnaufend wedelte ich mit der Hand in der Luft.
„Für Geschenke ist immer Zeit, besonders, wenn man fast mit dem Studium fertig ist.", sagte ich bestimmt.
Lachend stimmte Max mir zu, als mein Name aufgerufen wurde.
„Komm, mein Cappuccino ist fertig und ich möchte mir unbedingt noch die Weihnachtsbaumbeleuchtung in der Mall ansehen!"
In bester Stimmung eilte ich zum Tresen, zahlte und bedankte mich höflich und nippte dann genussvoll an der flüssigen Kalorienbombe. In diesem Moment war ich davon überzeugt, dass es im Winter nichts Besseres als Schokolade und Zimt gab.
Max und ich schlenderten gemütlich in Richtung Ausgang, als über der alten Holztür das kleine, goldene Glöckchen bimmelte und ich den Blick von meinem Getränk hob und in Richtung der Person wandte, die soeben ins Café spaziert kam. Überrascht blieb ich stehen, was Max dazu brachte, mich verwirrt und mit leicht schräg gelegtem Kopf zu mustern, doch bevor er überhaupt nachfragen konnte, rollte ein einziges Wort, nein, ein ganz bestimmter Name über meine Lippen.
„Jack."
Und er sah noch genauso aus wie früher. Wenn möglich war er noch attraktiver geworden, aber die schwarzen Klamotten, die Boots und sogar die abgenutzte Lederjacke schien er einfach nicht ablegen zu können. Ohne das alles war er vielleicht auch einfach nicht Jack. Seine Haare waren ein wenig dunkler geworden, fast schon schwarz und wegen des feuchten Wetters waren sie richtig lockig, doch seine Augen waren noch immer das gleiche, warme Schokobraun, in welches ich mich damals verliebt hatte.
Doch im Gegensatz zu mir sah der Dunkelhaarige kein Stückchen überrascht aus. Als hätte er mich hier erwartet.
„Liv.", stellte er schlicht fest, bevor sein Blick kurz zwischen mir und Max hin und hersprang. Was er wohl für Vermutungen aufstellte? Schließlich blieb sein Blick bei Max hängen und zu meiner Überraschung nickte der Dunkelhaarige knapp, mit diesem typischen nichts aussagendem Ausdruck im Gesicht, den er schon damals drauf hatte. Er ersetzte im Prinzip, was bei jedem Menschen ein freundliches Lächeln und ein Hallo war.
„Was machst du hier?", fragte ich atemlos und versuchte noch immer das Gefühl in meinem Magen einzuordnen. War es Panik? Oder freute ich mich tatsächlich ihn zu sehen?
„Ich studiere hier. Seit ein paar Wochen.", antwortete er knapp und ließ seinen Blick über meine Figur gleiten, bevor er mir endlich richtig in die Augen schaute. Und auf einmal löste sich sein harter Gesichtsausdruck und ein schiefes Lächeln umspielte seine Lippen, an denen noch immer der altbekannte Ring glänzte.
„Meine Fresse, es ist drei Jahre her und du hast dich kein Stück verändert, Liv. Du bist noch immer verdammt hübsch."
Es war, als sei endlich eine erdrückende Schwere von uns gehoben worden und mir entwich sogar ein kleines Schnauben, dass beinahe als Lachen hätte durchgehen können.
„Stimmt, wir haben uns nicht mehr gesehen, seit-", ich wollte Lillys Hochzeit sagen, doch unterbrach mich selbst, als ich merkte, wie unangenehm es sein würde, schlechte Erinnerungen aufzuwirbeln.
„Seit ich aus New York weggezogen bin.", vollendete ich den Satz etwas wage.
Kurz war es still, ich konnte spüren, wie unangenehm Max sich neben mir fühlte und entschied mich, ihm ein aufmunterndes Lächeln zu schenken.
„Also, deine Kolumne.", sagte Jack dann plötzlich und sofort räusperte ich mich unangenehm an das ganze Drama erinnert.
„Ich hab sie nie gelesen.", gab er zu und langsam nickte ich mit dem Kopf.
„Tja, ich hab sie nie veröffentlichen lassen.", klärte ich ihn auf und überrascht weiteten sich seine Augen.
Es war eine Entscheidung, die mir nicht wirklich schwergefallen war, doch die trotzdem ein klein wenig geschmerzt hatte. Kurz nach Lillys Hochzeit, als ich meine Sachen in New York abgeholt hatte, hatte ich bei Vanity Fair aufgehört, bevor irgendetwas online gestellt werden konnte und war nach Hause gekommen. Nach Jacksonville, zur Jacksonville University. Und zu Max, welchem die ganze Begegnung mit Jack gerade wohl ziemlich unangenehm war, was ich aber gut verstand, wenn man bedachte, wie sich die beiden das erste Mal getroffen hatten. Und zwar mit der Faust ins Gesicht. Also beschloss ich, Max zu erlösen und die unangenehme Stille, die sich zwischen uns dreien ausgebreitet hatte zu beenden.
„Also dann, war schön dich wiederzusehen. Max und ich haben noch etwas vor, ich wünsche dir alles Gute im Studium, Jack." Ich schenkte ihm ein freundliches Lächeln und schob mich mit dem Blick nach unten gerichtet an ihm vorbei, bereit, weiterzumachen, als wäre dieses ganze Treffen nie passiert, als ich plötzlich Jacks Hand auf meinem Unterarm spürte. Doch dieses Mal war es anders. Dieses Mal löste seine Berührung keine kribbelnde Hitze aus. Sie war weder angenehm, noch unangenehm. Es war einfach nur eine Hand, die auf meinem Arm lag.
„Hey.", sprach er eindringlich und ich schluckte nervös, bevor ich mich zu ihm drehte und fragend den Kopf schieflegte.
„Ich will von vorne anfangen.", sagte er ernst und überrascht hob ich eine Augenbraue. Sofort spürte ich Max' Hand, die sich sanft auf meinen Rücken lehnte, als wolle er mir zeigen, dass er hier war und mich zur Not aus der Situation befreien konnte.
„Von vorne?", fragte ich nach, war mir nicht ganz sicher, ob ich ihn richtig gehört hatte. Zustimmend nickte Jack, bevor er die Hand ausstreckte. Verwirrt runzelte ich die Stirn.
„Hi, ich bin Jack, nett dich kennenzulernen. Olivia, richtig?"
Ein paar Sekunden lang starrte ich einfach nur auf seine ausgestreckte Hand und in meinem Kopf ging ich alle möglichen zukünftlichen Szenarien durch, die sich nach dieser Entscheidung abspielen könnten, doch ich kam immer wieder zum selben Entschluss.
Manche Menschen waren da um zu bleiben, manche da um irgendwann wieder zu gehen. Und ich wollte unbedingt herausfinden, zu welcher Sorte Jack gehörte.
Mit einem zaghaften Lächeln ergriff ich seine Hand und plötzlich spürte ich wieder etwas. Seine Haut auf meiner, es war kaum der Rede wert, vielleicht bildete ich es mir auch ein, doch trotz seiner kalten Hand spürte ich eine vertraute Wärme und wenn möglich sogar ein kleines Kribbeln. Es war ein bisschen wie früher, irgendwie war es aber auch ganz anders. Ich konnte nicht wirklich einordnen, was ich gerade fühlte, ich wusste nur, dass ich bereit war. Ich war bereit, die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Abzuschließen. Ich wusste, dass ich keinen von ihnen missen wollte, als wären ich schon immer dazu bestimmt gewesen sie kennenzulernen und hätte ich auch nur einen von ihnen nie getroffen, wäre ich jetzt nicht hier. Ich hätte wohlmöglich niemals meinen Platz gefunden. Und als ich so in Jacks warme schokobraune Augen schaute, wusste ich, es war Zeit einander zu vergeben. Wer wusste schon, was die Zukunft uns bringen würde?
„Richtig. Ich freue mich schon darauf, dich kennenlernen zu dürfen, Jack."
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