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"Und das ist der Hauptkonferenzraum. Hier wird unter anderem jede Ausgabe ausführlich besprochen, bevor sie in die Druckerei geht."
Meine Augen leuchteten auf, als ich das große Zimmer mit dem langen Glastisch und den zahlreichen Drehstühlen in der Mitte sah. Wie auch der Rest der Redaktion war dieser Raum minimalistisch und stilvoll eingerichtet, eine Menge Pflanzen verliehen dem Ganzen ein wohliges Flair und die große Fensterwand bot einen spektakulären Ausblick hinunter auf den Times Square.
"Ich werde sie jetzt zu Mrs. Smith bringen, damit sie mit ihr die Vereinbarungen ihrer Arbeitszusammenkunft besprechen können.", holte mich die blonde Assistentin aus meinen Gedanken und hielt mit einem freundlichen Lächeln die Tür auf. Aufgeregt nickte ich und folgte ihr auf hohen Absätzen durch einen hellen Flur, welcher mit Marmorfliesen ausgestattet war, bis wir vor einer breiten Tür aus Mahagoniholz stehen blieben. Die Assistentin, ich hatte ihren Namen ehrlich gesagt schon vergessen, klopfte an und wartete kurz, bis ein "Herein" zu hören war. Sie öffnete die Tür noch für mich, lächelte mir ein letztes Mal aufmunternd zu und dann war ich auf mich alleine gestellt. Staunend betrat ich das Büro der Abteilungschefin. Auch hier bestand der Boden aus Marmorfliesen und ein dicker, weißer Teppich lag in der Mitte des Raumes. Die Wand zu meiner linken bestand komplett aus Glas und davor standen eine Couch sowie ein kleiner Couchtisch. Und direkt gegenüber der Tür befand sich der Glastisch von Mrs. Smith, an welchem sie gerade saß und geschäftig in die Tasten ihres Macbooks haute. Meine Schuhe klackerten auf dem teuren Boden, als ich mich in ihre Richtung bewegte, was sie dazu brachte aufzusehen.
"Ms. Martens!" Mit einem breiten Lächeln stand sie von ihrem weißen Drehstuhl auf und ich strich mir den schwarzen Bleistiftrock glatt, während sie um den Tisch herumkam, um mir schließlich eine perfekt manikürte Hand hinzustrecken. Susan Smith war eine Frau in mittlerem Alter und sah trotz ihres ergrauten Dutts ziemlich jung aus. Sie war groß gewachsen und ziemlich schlank und trotz ihrer gefühlt meterhohen Absätze bewegte sie sich mit einer Eleganz und Leichtigkeit, die mich einschüchterte. Diese Frau war perfekt. Und ich wollte genauso sein wie sie.
"Ich freue mich so Sie kennenzulernen.", sprach ich, als ich ihre Hand ergriff und lächelte sie breit an.
Ich hatte das Gefühl Susan Smith und ich würden uns ziemlich gut verstehen, da wir nun schon locker seit einer halben Stunde bei einer guten Tasse Kaffee auf der Couch vor den Fenstern saßen und angeregt plauderten. Diese Frau war wirklich alles, was ich je sein wollte. Wunderschön, jung geblieben, unglaublich klug und erfolgreich.
"Ich war wirklich sehr von ihrem Artikel beeindruckt, Ms. Martens. Er hatte so eine verhöhnende und witzige Note und das ist genau die Art Unterhaltung die ich an einem Artikel schätze." Sie schien wirklich hellauf begeistert zu sein und ich konnte nicht verhindern, bei ihren Worten ein wenig rot zu werden.
"Ich danke Ihnen. Das bedeutet mir wirklich viel." Das tat es wirklich.
"Ich möchte mit Ihnen jetzt zu den Bedingungen unserer Übereinkunft kommen.", leitete die Abteilungschefin dann den eigentlichen Grund für unseren Termin ein und ich nickte bestätigend. Ich konnte es kaum erwarten zu erfahren, was ich in meiner Zeit bei Vanity Fair alles erleben würde.
"Mit Ihrem Artikel haben sie eine dreimonatige Kolumne gewonnen, die jeden Monat von ihnen selbst durch ein bis zwei Artikel ergänzt werden soll. Das Ganze geschieht auf unserer Website und damit Sie optimal arbeiten können, stellt Vanity Fair Ihnen ein kleines Büro auf unserer Etage zur Verfügung. Außerdem wird Ihnen ein Vertreter der Online Media Abteilung zur Seite gestellt, damit sich Ihnen nichts in den Weg stellen kann. Sie dürfen natürlich hauptsächlich von Zuhause aus arbeiten und ihre Zeit selber einteilen, da Sie ja momentan am Studieren sind, allerdings sind die wöchentlichen Meetings am Freitag auch für Sie verpflichtend. Des Weiteren dürfen Sie ihr Büro nutzen wann immer Sie wünschen.", ratterte sie runter und auch wenn es mir schwer fiel, mir alles zu merken, konnte ich nicht verhindern, dass sich ein aufgeregtes Kribbeln in mir ausbreitete.
"Keine Sorge, Sie werden das alles noch einmal schriftlich bekommen, sobald Sie den Vertrag unterschrieben haben.", schloss sie dann und lächelte mich freundlich an.
"Das hört sich einfach toll an.", gab ich atemlos zu und spürte, dass meine Wangen vom ganzen Lächeln bereits zu schmerzen begannen. Aber ich war einfach viel zu glücklich um damit aufzuhören.
"Das Thema Ihrer Kolumne bezieht sich auf die kleinen Intrigen, die innerhalb dieser Stadtmauern stattfinden. Ich will, dass sie tief im Dreck graben und jedes Geheimnis, jede Geschichte ans Licht bringen. Haben sie Gossip Girl geguckt? Genau das ist es, was ich mir vorstelle. Die Leser sollen wissen, wie die Menschen in dieser Stadt ticken. Die Art, wie sie über die Frauen ihn ihrem Artikel geschrieben haben, ist genau das, was ich auch weiterhin von ihnen haben möchte.", offenbarte mir Mrs. Smith dann das Thema meiner Kolumne und ich war viel zu aufgeregt um die Zweifel zuzulassen, die gerade versuchten, sich in meinem Kopf niederzulassen. Ich musste nur einmal an den ganzen Erfolg denken, der mich erwartete und schon waren sie verschwunden.
"Perfekt!", freute ich mich und nickte bereitwillig.
"Also dann dürfen ich und Vanity Fair sie ganz herzlich willkommen heißen, Ms. Martens. Auf eine reibungslose Zusammenarbeit!"

*

Genüsslich schlürfte ich meinen schwarzen Kaffee und beobachtete, wie Melli und Kathy beeindruckt meinen Angestelltenausweis begutachteten.
"Das ist ja mega geil!", fand Kathy und reichte den Ausweis an Jack weiter, welcher ihn allerdings nur einmal desinteressiert hin und her drehte, bevor er ihn mir achtlos in die Hand drückte. Ich dachte mir irgendwie schon, dass er keine Ahnung haben würde, was dieses kleine laminierte Stück Papier für mich bedeutete. Aber das war in Ordnung. Ehrlich gesagt war es mir scheiß egal, was er darüber dachte.
"Und wovon soll deine Kolumne handeln?", fragte Melli interessiert nach und stützte den Kopf auf die Hände. Ich brauchte nicht einmal wirklich nachzudenken, wusste sofort, dass ich jetzt lügen musste, da die Freundschaft zu ihr und den anderen mir tollen Schreibstoff liefern würde.
"New York aus der Sicht einer Studentin. Ich soll geheime Ecken finden, Menschen interviewen und Street Style beurteilen und so etwas.", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen. Begeistert nickten die beiden Mädchen.
"Das klingt toll! Hey, ich hab da eine Idee!" Aufgeregt richtete Kathy sich auf und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Jack. Verwirrt legte ich den Kopf schief und auch Jack schien keine Ahnung zu haben, was die Dunkelhaarige von ihm wollte.
"Jack ist ein toller Fotograf! Außerdem kennt er New York wie seine Westentasche, er wird dir alles zeigen können und nebenbei wunderschöne Fotos für dich machen können, mit denen du sicher beeindrucken wirst. Vielleicht springt dabei ja auch was für Jack raus!"
"Gute Idee!", stimmte Melli ihr eifrig kauend zu und nickte ihrem Bruder auffordernd zu.
"Das würdest du doch bestimmt für Liv machen."
Doch ich schnaubte nur belustigt, bevor Jack antworten konnte und nahm einen Schluck von meinem Kaffee. Die anderen schauten mich fragend an.
"Als ob Jack so etwas für mich tun würde. Er hat doch bestimmt Besseres vor.", erklärte ich mich und lachte leise. Das Jacks Fotos nicht von Nöten waren konnte ich ja wohl schlecht sagen, denn dann würde meine kleine Lüge ganz schnell auffliegen.
"Hey, Florida."
"Ja?" Abwartend wandte ich Jack meinen Kopf zu und bereute sofort, dass ich doch tatsächlich auf diesen bescheuerten Spitznamen hereingefallen war. Jacks selbstsicheres Schmunzeln machte das Ganze auch nicht wirklich besser.
"Ich hol dich Montag um Vier ab. Zieh dir was Warmes an, wir beide werden nämlich eine kleine Spritztour unternehmen."

*

„Nein, Mum. Mir geht es bestens! Die Kolumne bei Vanity Fair ist eine riesen Chance und ich bin überglücklich." Rastlos drehte ich mich in meinem Schreibtischstuhl hin und her.
„Hast du denn schon Freunde gefunden? Und wann ist dein erster Kurs?", löcherte mich meine Mutter und ich hörte, wie mein Vater im Hintergrund belustigt sagte: „Nun lass das Kind doch einfach mal erzählen, Judith."
Ich grinste leicht, als ich die Stimme meines Vaters hörte und spürte plötzlich einen Kloß in meinem Hals. Ich vermisste meine Eltern. Wegen der ganzen Aufregung in den letzten Tagen hatte ich gar keine Zeit gehabt, daran zu denken, wie sehr sie mir tatsächlich fehlten.
Im Augenwinkel sah ich, wie Melli ihr iPad provisorisch auf ihrem Nachttisch positionierte und mir dann schließlich zwei Daumen nach oben zeigte.
„Ich muss jetzt auflegen, Ma. Melli, meine Mitbewohnerin und ich wollen einen Film gucken."
„Na gut, aber morgen rufst du nochmal an und dann reden wir ganz in Ruhe, ja?", verlangte sie und ich musste schlucken, als ich ihre belegte Stimme hörte.
„Versprochen. Und grüß Dad von mir, ja?"

Ich seufzte leise, als ich mich neben Melli auf ihrem Bett niederließ und die Chipstüte entgegennahm, die sie mir sofort gereicht hatte.
„Was gucken wir?", fragte ich und richtete das Kissen unter meinem Kopf.
„The Kissing Booth.", antwortete Melli mit vollem Mund und rutschte noch ein wenig auf der quietschenden Matratze hin und her, bevor der Film startete.
Es war faszinierend, dass wir schon nach wenigen Tagen so vertraut miteinander umgehen konnten. Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich meine neugewonnene Freundin unauffällig von der Seite beobachtete. Doch sie bemerkte es trotzdem.
„Verlieb dich bloß nicht in mich, Florida."
Überrascht prustete ich los und schon bald stieg Melli in mein wildes Gegacker ein. Jap, wirklich faszinierend.

*

Das ich am letzten Samstag tatsächlich auf Jack hereingefallen war machte mir sogar am darauffolgenden Montag noch zu schaffen, als ich gerade meine erste Vorlesung verließ. Eigentlich war es auch super spannend gewesen, doch jetzt wo meine Gedanken nicht mehr um all die neuen Infos kreisten mit denen ich so eben gefüttert worden war, fiel mir plötzlich ein, dass Jack mich in einer halben Stunde abholen würde. Ich hatte wirklich versucht es noch abzuwenden, schließlich brauchte ich diese dummen Fotos ja gar nicht, doch Mellis Bruder war gar nicht mehr abzuwimmeln gewesen. Wahrscheinlich wollte er mir und auch sich selbst einfach nur etwas beweisen. Warum er sonst mitkam konnte ich mir anders nämlich nicht erklären.
"Wie war dein erster Kurs?", erkundigte Melli sich sofort nachdem ich über die Türschwelle unseres Zimmers getreten war.
"Wirklich sehr interessant. Ich kann die nächste Vorlesung kaum erwarten.", erzählte ich ihr ehrlich und ließ mich seufzend auf mein ordentlich gemachtes Bett fallen.
"Das hört sich doch super an. Oh, Jack hat übrigens geschrieben, dass du dir ne Regenjacke mitnehmen sollst."
Erneut seufzte ich.
"Ich kann doch nicht schon wieder auf seinem beschissenen Motorrad mein Leben riskieren, Melli.", klagte ich und wischte mir mit den Händen über die Stirn. Alleine der Gedanke an das schwere, schwarze Ding sorgte dafür, dass bei mir der Angstschweiß ausbrach.
"Ach komm, das letzte Mal lief es doch auch gut und ich habe Jack auch noch extra einmal gebeten sich zurückzuhalten.", versuchte meine Mitbewohnerin mich zu beruhigen und unterbrach das Flechten ihrer Haare, um sich auf meinem Bett niederzulassen und mir aufmunternd den Arm zu tätscheln. Auch wenn ich ihr das hoch anrechnete, war ich mir sicher, dass es wohl kaum etwas gebracht hatte. Jack schien es einfach zu genießen mich zu quälen, deswegen würde er auch heute wieder so riskant fahren wie am Wochenende. Wieso war er eigentlich immer so desinteressiert, doch wenn es darum ging mich in den Wahnsinn zu treiben blühte er regelrecht auf? Wie er mich ständig "Florida" nannte und mich als prüde abstempelte und wie er sich gar nicht für mein Leben interessierte, obwohl er dies vor Kurzem mit diesem Höllenritt zum Spaß noch gefährdet hatte, ließ doch darauf schließen, dass ich ihm egal war. Und ehrlich gesagt war mir das total egal. Mir war egal, dass ich ihm egal war. Ich wünschte nur, er würde dabei nicht ständig mein Leben gefährden.
"Ich bin mir sicher, dass Jack dich bei deinem Artikel super unterstützen wird, Liv. Wer weiß, vielleicht kurbelt er ja sogar deine Inspirationsquelle ein wenig an.", versuchte Melli es weiter und da machte es bei mir dann plötzlich Klick. Schlagartig richtete ich mich auf und ignorierte Mellis überraschtes Zusammenzucken. In Gedanken schickte ich ein kleines Stoßgebet gen Himmel da ich mir sicher war, dass nur dieser Jack und seine Freunde geschickt haben konnte.
"Du hast Recht, Melli. Jack wird mir sicher eine ganz neue Welt offenbaren.", grinste ich teuflisch, während ich vom Bett aufsprang und mir meine Regenjacke schnappte.
"Der Gute wird sich im Nachhinein noch wünschen, mein Leben nicht ständig auf seiner dummen Maschine riskiert zu haben.", murmelte ich leise, als ich gut gelaunt die Tür zu unserem Zimmer hinter mir ins Schloss warf und eine völlig verdutzte Melli zurückließ.

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