4

Der Mittwoch begann heiß und stickig und am liebsten hätte ich die weißen Vorhänge vor meinem Schlafzimmerfenster direkt wieder geschlossen, als mir die grelle Morgensonne beinahe die Augen weglaserte. Gequält stöhnte ich auf und kniff die Augen fest zusammen, um sie danach Stück für Stück wieder zu öffnen, als ich mich ein wenig an das helle Licht gewöhnt hatte. Eine Weile lang beobachtete ich die Straßen unter mir, meine müden Augen folgten dem regen Berufsverkehr und ich ließ mir somit ein wenig Zeit wach zu werden.

"Wann kommst du heute nach Hause?", waren die ersten an mich gerichteten Worte an diesem Morgen, sobald ich die Treppe heruntergekommen war.
"Irgendwann am späten Nachmittag.", antwortete ich wage, während ich meine Tasche auf der Kücheninsel abstellte und mir anschließend eine Tasse Kaffee einschenkte. Aus dem Augenwinkel sah ich meine Mutter bestätigend nicken, bevor sie die Zeitung aufschlug und ihren blonden Schopf dahinter versteckte. Ich schüttelte frustriert den Kopf. Meine Mutter war noch nie die gesprächigste Person gewesen, doch am Morgen konnte man von ihr echt nicht viel mehr als sechs Worte erwarten. Aber fairer Weise war es bei mir ähnlich.
"Guten Morgen, Spatz."
Mein Vater betrat die Küche mit einem fröhlichen Grinsen und der üblich schief sitzenden Brille auf der Nase. Fröhlich drückte er mir einen überschwänglichen Kuss auf die Stirn, nachdem ich ein müdes Morgen gemurmelt hatte.
Wir frühstückten still, meine Eltern hatten sich der Zeitung gewidmet und ich war in Gedanken bei meinem Artikel für Vanity Fair. In letzter Zeit dachte ich an fast nichts anderes mehr. Ich trank den letzten Schluck meines Kaffees und schaute auf die Uhr.
„Also dann, ich muss los."
Rasch stellte ich meine Tasse in den Geschirrspüler, schnappte mir meine Tasche und verließ dann mit einem halbherzigen Winken in Richtung meiner Eltern das Apartment.

Es war halb vier am Nachmittag und ich war gerade dabei meine Sachen zusammenzupacken, als mein Handy, bereits tief in meiner Tasche vergraben, zu klingeln begann.
"Hallo?"
"Liv? Hier ist Max."
Überrascht öffnete sich mein Mund einen Spalt. Ich hatte überhaupt nicht erwartet sobald schon von ihm zu hören.
"Max! Hey. Was gibt's?", begrüßte ich ihn erfreut, hing mir meine Handtasche über die Schulter und verließ dann mein provisorisches Büro.
"Ich weiß, wir haben uns erst gestern gesehen und vor allem auch erst gestern kennengelernt, aber ich habe noch nie viel von Regeln gehalten, was Dating angeht.", sprach er mit lockerer und selbstbewusster Stimme und irgendwie konnte ich dabei das Grinsen förmlich heraushören. Doch auch meine Mundwinkel verzogen sich nach oben und ich wank Jenny zum Abschied zu, bevor ich aus der Glastür auf die Straße trat.
"Hättest du Zeit für einen Kaffee?"
Unentschlossen schaute ich die Straße herunter, die in Richtung der U-Bahn Station führte, welche ich nehmen musste um nach Hause zu kommen. Dann schaute ich in die entgegengesetzte Richtung, der ich folgen müsste um in die Innenstadt zu kommen. Es war still am anderen Ende der Leitung, Max wartete auf eine Antwort und ich fand keine.
Vanity Fair. Wenn ich ihn mag, dann werde ich ihn hier zurücklassen müssen, falls ich die Kolumne bekomme.
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und musste feststellen, dass es die perfekte Zeit für einen schönen, starken, schwarzen Kaffee war.
Er ist ein toller Kerl und hat mir gestern einen großen Gefallen getan.
Ich seufzte einmal leise, dann wandte ich mich in Richtung Innenstadt.
"Was hältst du von Mimi's Café in einer halben Stunde?"

"So schlimm war es wirklich nicht. Ich hatte sogar echt Spaß."
Lächelnd rührte Max in seinem Cappuccino und schaute mich über den Tisch hinweg beruhigend an. Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf und nahm einen Schluck von meinem schwarzen Kaffee, spürte dabei Max Blick auf mir.
"Du musst zugeben, die Redaktion ist Mist."
Max lachte leise und begann dann zu nicken.
"Ok, ich gib's zu. Es gibt sicher bessere Redaktionen in Jacksonville. Also, warum hast du dir gerade diese ausgesucht?", fragte er interessiert, stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab, legte den Kopf in die Hände und musterte mich aufmerksam.
"Es war die einzige Praktikumsstelle, die ich spontan bekommen konnte.", gab ich zu und Max brach in lautes Lachen aus.
"Das glaub ich dir.", antwortete er und trank einen Schluck von seinem Cappuccino, während ich ihn grinsend beobachtete. Ich hätte es echt nicht erwartet, aber wir hatten tatsächlich noch mehr Spaß als gestern und konnten uns wirklich gut unterhalten. Was würde Lilly sagen? Zwischen uns stimmte einfach die Chemie.
"Und was hast du vor, wenn das Praktikum vorbei ist? Ich meine, du willst Journalistin werden, klar, aber da liegt ja noch ein langer Weg vor dir. Wie hast du vor ihn zu gestalten?", erkundigte Max sich und legte leicht den Kopf schief. Seine hellen, grünen Augen funkelten und ich wusste gar nicht wieso und was genau in diesem Moment über mich kam, doch auf einmal hörte ich mich meine Gedanken laut aussprechen: "Wow, du hast echt die schönsten Augen, die ich je gesehen habe."

Max Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen und er zeigte mir somit seine perfekten, strahlend weißen Zähne, doch ich vergrub nur peinlich berührt, jedoch mit einem Schmunzeln auf den Lippen, das Gesicht in meinen Händen, um den Blicken seiner intensiven Augen auszuweichen.
Ich hörte Max leise lachen und als ich den Kopf wieder hob, sah ich ihn nur sichtlich amüsiert den Kopf schütteln.
"Ich danke dir.", sprach er dann mit strahlendem Gesicht und ich schenkte ihm ein kleines Lächeln. Glücklicher Weise hatte mein schmachtender Ausbruch auch etwas Gutes gehabt, denn Max hatte seine Frage von vorhin vergessen und wir begannen ein belangloses Gespräch über Gott und die Welt. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir tatsächlich so wichtig sein würde, doch ich wollte nicht, dass Max so früh von Vanity Fair und meinem möglichen Umzug nach New York erfuhr, denn ich wusste, dann würde es kein zweites Date geben. Und ich musste zugeben, dass ich das wirklich, wirklich schade finden würde.

*

Es nieselte leicht und ich hatte meinen durchsichtigen Regenschirm aufgespannt, als ich am nächsten Morgen auf einer der am meisten befahrenen Straßen Jacksonvilles auf dem Weg zum nächsten Briefkasten war. Ich hatte meinen Artikel gestern Abend mit Leichtigkeit fertiggestellt, die Worte waren praktisch einfach geflossen und heute würde ich ihn nach New York schicken. Ich war aufgeregt, ein wenig nervös, doch am meisten war ich mir sicher, dass ich eine gute, solide Chance hatte. Eine Absage kam für mich gar nicht in Frage.

Ich kam an einem der kleinen, schwarz bemalten Kästen an, auf welchem groß das Zeichen der Post aufgemalt war und vorsichtig zog ich den Umschlag aus meiner Handtasche, der mein Leben verändern könnte. Der Regen wurde stärker, prasselte jetzt in einem gleichmäßigen Rhythmus auf meinen Regenschirm und die Straße unter mir. Rasch bildeten sich kleine Pfützen und die Autos, die an mir vorbeifuhren, wirbelten immer mehr Wasser auf. Einen letzten Blick warf ich noch auf den Umschlag in meiner Hand, checkte, ob die Adresse auch wirklich stimmte und atmete dann einmal tief durch, bevor ich ihn einwarf. Und jetzt blieb mir nur noch die Hoffnung und das Warten.

"Da bist du ja!"
Übermutig hatte Lilly mir die Tür geöffnet und strahlte mich mit einem Grinsen an, dass so breit war, dass ich glaubte, ihr würden dabei die Wangen wehtun.
"Hey.", antwortete ich schlicht, trocknete meine Schuhe ein wenig auf der Fußmatte ab und trat dann in die Dachgeschosswohnung meiner besten Freundin.
"Kaffee?"
Ich schaute Lilly nur mit einer hochgezogenen Augenbraue an, woraufhin sie herumwirbelte und in die Küche verschwand, um den Kaffee aufzusetzen.
Ich machte es mir derweilen zwischen Hochzeitsmagazinen, seitdem ich das letzte Mal hier war hatten sie sich stark vermehrt, Stoffproben und kleinen Polaroids auf dem Sofa gemütlich und ließ den Blick durch die Wohnung schweifen. Abgesehen von der Couch war die Wohnung ordentlich und sauber. Zu sauber. Mit gerunzelter Stirn richtete ich mich auf und wanderte mit den Augen jede kleinste Ecke ab. Schließlich folgte ich einer Spur aus kleinen Pappstückchen ins Schlafzimmer und was ich dort sah, ließ meine Kinnlade auf den Boden knallen. Überrascht begutachtete ich die Kartons und Kisten, die übereinandergestapelt waren und den gesamten Schlafzimmerboden bedeckten. Die Türen des Kleiderschranks waren weit geöffnet und es hingen nur noch einzelne Kleidungsstücke auf den Plastikbügeln.

"Lilly?", rief ich nach meiner besten Freundin, drehte mich mit verwirrtem Blick um und blieb im Türrahmen zur Küche stehen.
"Was denn?"
Geschäftig füllte sie den Kaffee in zwei Tassen, goss Milch in ihren Kaffee und drehte sich schließlich mit den Tassen in den Händen zu mir um. Lilly sah meinen ungläubigen Blick und schaute plötzlich unsicher drein, als sie mir meine Tasse reichte.
"Du ziehst aus?", fragte ich mit gerunzelter Stirn und umschloss mit den Fingern die warme Tasse. Lilly seufzte, bevor sie mit dem Kopf in Richtung Sofa deutete.

"Wo willst du hinziehen?"
Lilly verkreutzte die Beine auf dem grauen Stoff der Couch und trank einen vorsichtigen Schluck von ihrem Kaffee, ignorierte dabei meinen ungeduldigen Blick.
"Ich ziehe zu Alessio.", erklärte sie dann endlich und guckte nach einem kleinen Schmunzeln in ihre Tasse.
"Konntest du dir das nicht schon denken? Wir werden heiraten, natürlich werden wir da auch zusammenziehen.", fuhr sie dann fort.
"Aber du liebst deine Wohnung! Wieso zieht ihr nicht hier ein?"
Hoffnungsvoll zeigte ich Lilly meinen besten Schmollmund und war voll und ganz davon überzeugt, dass dieser sie umstimmen würde.
"Du bist doch nur beleidigt, weil wir dann nicht mehr zwei Blocks voneinander entfernt wohnen.", warf Lilly kopfschüttelnd ein und schien dann nach einem bestimmten Hochzeitsmagazin zu suchen. Ich zuckte mit den Schultern.
"Nicht direkt beleidigt, aber du musst doch zugeben, dass es viel praktischer ist, wenn du nur zwei Blocks entfernt wohnst und nicht am anderen Ende der Stadt.", meinte ich schmollend und schenkte ihr dabei ein kleines Lächeln. Ich wusste, es ging nicht darum, wo sie wohnte und wie weit dieser Ort entfernt war. Solange sie glücklich war, freute ich mich für sie und würde sie bei ihren Entscheidungen unterstützen.
"Wenn du Hilfe beim Packen oder Kistenschleppen brauchst, sag Bescheid."
Lilly lächelte mich dankbar an, bevor sie ihren Arm um meine Schultern schlang und mich seufzend an sich zog.
„Ich hab dich lieb, Livy."

An diesem Abend redeten Lilly und ich viel über die Zukunft. Als ich Lilly so über ihre Zukunft mit Alessio reden hörte und wie alles schon festgelegt war, wurde mir klar, dass meine Zukunft genau das Gegenteil war. Klar, wir hatten beide einen Plan, dennoch schlugen wir komplett unterschiedliche Wege ein. Lilly war gerade in ein Gespräch über zukünftige Kinder vertieft, als ich plötzlich dringend das Bedürfnis hatte, jemanden von meinen Plänen zu erzählen.
"Ich habe mich für einen Job bei Vanity Fair in New York beworben."
Lilly verstummte augenblicklich und ihre Augen wurden groß, als sie mich neugierig musterte.
"Was für einen Job denn? Und für wann? Hast du schon eine Rückmeldung bekommen? Dann musst du nach New York ziehen, oder?", durchbohrte sie mich aufgeregt mit Fragen.
"Es geht um eine dreimonatige Kolumne, die im nächsten Jahr erscheinen würde. Nein, das wird noch dauern und ja, ich werde dann nach New York ziehen.", erklärte ich ihr knapp und beobachtete, wie Lilly mich anstrahlte.
"Wow, das ist ja eine tolle Gelegenheit! Stell dir nur mal vor, was das für deine Zukunft bedeutet! Du könntest dich bei der New York Times bewerben!" begann sie zu schwärmen und ich konnte ihr nur grinsend zustimmen. Ich war unglaublich froh, dass sie sich für mich freute. Ich hatte Angst gehabt, sie würde auf mich sauer sein, wenn sie davon erfuhr, doch sie war es nicht. Sie war einfach eine wahre Freundin. Und falls ich den Job bei Vanity Fair, oder den Platz auf der NYU bekam und nach New York zog, würde ich sie unglaublich vermissen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top