38

Bis auf die gedämpften Geräusche der Stadt war es leise in Jacks Wohnung. Erschöpft lehnte ich gegen die Rückenlehne der Couch, das leere Scotch Glas in meinen Händen wurde langsam warm. Neben mir seufzte Jack leise.
„Liv-"
„Halt die Fresse."
Dann war es wieder still. Aber nicht in meinem Kopf. Ich war erleichtert. Was komisch war, doch so war es. Ich war erleichtert, dass Jack mir von der Wette erzählt hatte. Dass er endlich einmal die Wahrheit sagte. Doch tief in mir drin tat alles weh.
„Ich-"
„Halt die Fresse."
Ich wartete ein, zwei, drei Sekunden, bevor ich mich ächzend aus den gemütlichen Polstern kämpfte und in die Küche schlurfte, wo ich mir noch ein Glas Scotch eingoss. Mittlerweile verstand ich für welche Art von Situation er gedacht war.
Mit erhobenem Zeigefinger blieb ich im Türrahmen zwischen Küche und Wohnzimmer stehen und schaute nachdenklich in die Luft. Jack schaute mich vom Sofa aus besorgt an.
„Ich kann nicht glauben, dass du so ein scheiß Bastard bist."
Ich hatte nicht geschrien, als Jack mir vor einer halben Stunde die Wahrheit gesagt hatte. Im Gegenteil. Äußerlich war ich ruhig geblieben. Innerlich war ich tausende Tode gestorben.
„Ich hab einen Fehler gemacht, ja. Aber versuch nicht mir weiß zu machen, das hättest du nie."
Ich schnaubte und schüttelte fassungslos den Kopf.
„Nein. Nicht so einen großen."
Ich trank einen großen Schluck Scotch um mich für das zu wappnen, was mir nun bevorstand. „Wieso?"
Hilflos schaute Jack mich an. Er wusste nicht worauf ich hinaus wollte.
„Wieso hast du mit ihr gewettet? Was hatte sie davon? Und was war dein Gewinn?"
Jack seufzte leise, während ich langsam wieder zurück zur Couch tappte und versuchte selbst darauf zu kommen.
„Lass mich raten. Es ging um Geld."
Sein ertappter Gesichtsausdruck verriet alles.
„Wie viel?"
„Zehntausend."
Schockiert spuckte ich den Scotch zurück ins Glas und hustete ein- zweimal, bevor ich mich mit fassungslosem Blick in Jacks Richtung drehte.
„Es ging um zehntausend verschissene Dollar?!" Toll, nun schrie ich doch.
„Aber, woher- wie und Kathy-", stammelte ich, doch es wurde einfach alles zu viel und erschöpft sank ich auf die Couch. Neben mir rieb Jack sich frustriert seufzend über das Gesicht.
„Ihr Vater ist stinkreich. Arbeitet an der Wall-Street ganz oben als CEO von irgendeiner großen Bank. Für sie ist das ein Taschengeld."
Nun, das ergab wenigstens Sinn. Doch es änderte nichts an der Tatsache, dass ich Kathy niemals als Multimillionärin eingeschätzt hatte. Oder vielmehr ihren Vater. Ich traute mich fast gar nicht, die nächste Frage zu stellen. Plötzlich wurde mir klar, worum es hier eigentlich ging. Dass es gar nicht um mich ging, sondern ich nur Teil eines viel größeren Spiels war. Doch ich brauchte noch immer Antworten.
„Was hätte sie bekommen, wenn sie gewonnen hätte?", fragte ich mit einem vorsichtigen Seitenblick auf den Dunkelhaarigen. Er war nach vorne gebeugt, die Unterarme auf den Knien abgestützt und den Kopf kraftlos hängend. Er lachte leise, doch es klang alles andere als unbeschwert.
„Mich." Seufzend hob er den Kopf, die vollen Lippen aufeinandergepresst, während er mich müde musterte. Meine Augen wurden groß.
„Sie versucht schon seit Jahren was Festes mit mir aufzubauen, aber ich fühle nicht so für sie, wie sie es sich gerne wünscht. Und dann hab ich es nicht auf die Jacksonville University geschafft. Ich konnte die Gebühren nicht bezahlen. Und dann kamst du. Kathy war so eifersüchtig, als sie merkte, dass wir beide uns näherkamen. Also bot sie mir die Wette an. Wenn ich dich bis Ende des Jahres ins Bett kriegte, würde sie mir zehntausend Dollar geben, für die Studiengebühren. Doch wenn ich es nicht schaffen sollte, würde ich hierbleiben, bei ihrem Vater als Banker anfangen und-" Jacks Stimme brach, ich merkte, dass es ihm schwerfiel mir all dies zu erzählen. Sein Blick war roh. Verzweifelt und flehend. Echt. Das hier war einhundert Prozent Jack.
„Und was?", hakte ich vorsichtig, aber eindringlich nach.
„Ich hätte sie heiraten sollen."
Ich wusste nicht, was ich in diesem Moment denken sollte. Sollte ich lachen? Ich brauchte mir nur vorzustellen, wie Jack und Kathy heirateten und schon kam es mir hoch. Außerdem war ich zu geschockt um einen anständigen Satz zu formen.
„Ich konnte diese Wette einfach nicht verlieren. Ich brauche das Geld fürs Studium und ich kann sie einfach nicht heiraten. Ich hatte vor, dich einfach schnellst möglich rumzukriegen, dass ich mich während diesem ganzen Bullshit in dich verliebe war nicht geplant gewesen."
Ich wusste nicht, ob es möglich war, doch in diesem Moment machte mein Herz einen Sprung und setzte gleichzeitig komplett aus. Jack sah mein geschocktes Gesicht und plötzlich wurde sein Ausdruck weich.
„Ich weiß es seit dem Morgen nachdem wir miteinander geschlafen haben, doch ich glaube, ich tu es schon viel länger. Wahrscheinlich seit der Nacht auf dem Empire State Building."
Mir fehlten nicht nur die Worte, mir fehlten auch meine eigenen Gedanken. Alles was ich hörte war Ich hab mich in dich verliebt. Nicht einmal antworten konnte ich ihm.
„Ich wünschte ich hätte einen besseren Moment gefunden es dir zu sagen. An Silvester. Oder einfach direkt an diesem Morgen. Aber ich hatte Angst. Vor genau diesem Gespräch."
Endlich fand ich meine Worte wieder.
„Hast du das Geld schon bekommen?"
Überrascht runzelte Jack die Stirn. Dann nickte er langsam. Tränen stiegen mir in die Augen. Endlich. Endlich schien ich zu reagieren. Der Schmerz wurde doppelt so schlimm und mir wurde klar, dass ich nicht so weitermachen konnte.
„Ich will dich nie wiedersehen, Jack."
Seufzend schloss er die Augen. Ich konnte nicht sagen, was in diesem Moment in ihm vorging. Vielleicht störte es ihn gar nicht, vielleicht schon. Ich wusste es nicht, doch ehrlich gesagt wollte ich es auch einfach gar nicht mehr wissen.
Ich ließ Jack mit geschlossenen Augen auf der Couch zurück und brachte das Glas zurück in die Küche, während ich mir überlegte, was ich nun tun sollte. Wie konnte ich weiter hier leben, mit seiner Schwester und seinen Freunden befreundet sein und ihm dabei für den Rest meines Lebens aus dem Weg gehen?
„Weißt du das du total überreagierst? Du hast dich in dieser Nacht doch an mich rangeschmissen wie sonst was!"; schrie Jack plötzlich, sein Gesicht rot vor Wut, als er in die Küche stürmte und erschrocken wich ich einen Schritt zurück.
„Hättest du es mir nicht so verdammt leicht gemacht, hätte ich das irgendwie anders geregelt!" Die Ader an seinem Hals pulsierte, als er mit flatternden Nasenflügeln auf mich herunterschaute.
„Ist das dein scheiß Ernst?! Du gibst mir die Schuld, an deiner Unehrlichkeit?!", brüllte ich fassungslos zurück.
„Hast du vielleicht mal daran gedacht, dass ich dir vertraut habe?!"
„Dann bist du selbst schuld!"
„Sag mal bist du eigentlich kernbehindert?! Du weißt schon, dass zu Sex zwei Menschen gehören, oder?! Pack dir doch mal selbst an die Nase!"
„Du solltest dir mal zuhören, Liv! Du laberst kompletten Bullshit! Geh einfach! Hau ab!", brüllte er aus vollem Halse und ich konnte förmlich hören wie mein Herz brach. Kopfschüttelnd drehte er sich um und wollte die Küche verlassen, doch ich war noch nicht fertig mit ihm.
„Was hast du erwartet, Jack? Das ich es toll finde, dass du jetzt abhauen und studieren kannst, nachdem du uns einfach an diese dumme Kuh verkauft hast?! Nachdem du meine Gefühle für persönliche Vorteile ausgenutzt hast?! Tut mir leid, dass ich deine Heuchlerei nicht gut heiße!"
Sofort wirbelte er herum, seine Brust hob und senkte sich so schnell, dass ich fürchtete, er würde gleich komplett ausrasten.
Doch sein Blick wurde auch nicht weicher, als er die heißen Tränen sah, die mittlerweile über meine Wangen liefen.
„Meine Fresse, hör doch einmal auf zu weinen!", fauchte er, doch das machte alles nur noch schlimmer.
„Ich hab mich in dich verliebt und dir war es egal.", schluchzte ich.
„Nein, natürlich war es-", doch er unterbrach sich selbst, als er meine Worte zu realisieren schien.
Schluchzend vergrub ich das Gesicht in meinen Händen. Ich hörte schwere Schritte in meine Richtung kommen und als ich seine Hand auf meinem Arm spürte, riss ich mich schwungvoll aus seinem Griff. Wie automatisch schnellte meine Hand nach vorne, mein Körper reagierte als mein Verstand nicht mehr konnte. Laut schallte die Ohrfeige an den kahlen Küchenwänden wieder, Jacks Gesicht schnellte nach links und ich sah, wie er mit weit aufgerissenen Augen und wie eingefroren an die Wand starrte. Ich wusste, das war das Ende. Nichts auf dieser Welt konnte einen Streit wie diesen ungeschehen machen.
„Leb wohl, Jack Parker."
Dann drehte ich mich um und ohne ein letztes Mal zurückzuschauen stürmte ich laut schluchzend und mit gebrochenem Herzen aus der Wohnung. Und gleichzeitig aus Jacks Leben.


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