26
Die nächsten Tage flogen vorbei wie ein undurchsichtiger Wirbelsturm. Ehrlich gesagt bekam ich kaum etwas mit. Ich hatte nur eine Vorlesung und zum ersten Mal seit Langem hatte ich wieder Spaß am Studium gehabt. Ich hoffte, ich würde mich nun wieder mehr auf mein eigentliches Ziel konzentrieren können. Doch irgendwie waren die nächsten Tage auch komisch. Melli benahm sich, als wäre alles wie immer, dabei war ich mir ziemlich sicher, dass sie etwas vermutete. Nach meinem kleinen Ausbruch in der Pizzeria neulich überkam mich immer öfter das Gefühl, dass sie genau wusste, was ich ihr verheimlichte. Nein, ich hatte ihr noch nicht erzählt, was ich für Jack empfand. Und ich hatte es auch nicht vor. Ich wusste nicht, wie sie es aufnehmen und damit umgehen würde. Kathy war ihre beste Freundin und diese schien ganz offensichtlich selbst Gefühle für Jack zu haben. Für Melli wäre es sicher merkwürdig, wenn sie herausfinden würde, dass Jack eigentlich etwas für mich übrig hatte.
Komm vorbei.
Ein schiefes Grinsen legte sich auf meine Lippen, als ich Jacks Nachricht sah. Wir hatten vor zwei Tagen angefangen miteinander zu schreiben und immer wenn ich seinen Namen auf meinem Display sah, machte mein Herz einen kleinen Sprung. Ich war wirklich Hals über Kopf verknallt.
Kann nicht, hab gleich noch eine Vorlesung.
Kopfschüttelnd legte ich das Handy zur Seite um weiter meine Tasche packen zu können. Seitdem Jack und ich in der Gasse geredet hatten, hatten wir uns nicht wiedergesehen und ich würde lügen, wenn ich sagte, dass mich das nicht wurmte.
Bullshit. Schwänz.
Ich seufzte und warf einen Blick auf die Uhr. Ich hatte nur noch zehn Minuten bis die Vorlesung anfing, doch auch wenn ich es kurz in Betracht zog, könnte ich es nicht mit mir selbst und meinem Gewissen vereinbaren, einfach so zu schwänzen.
Nein. Bis heute Abend wirst du wohl noch durchhalten.
Ich war bereits in meine Schuhe geschlüpft und hatte den Reisverschluss meiner Jacke bis zu meinem Kinn hochgezogen, als mein Handy erneut klingelte.
Ich werd's versuchen. Lern was, Florida.
Ein leichtes Lächeln lag auf meinen Lippen, als ich die Tür zu meinem und Mellis Zimmer schloss. Zwar hatten Jack und ich noch nicht besprochen, was jetzt eigentlich zwischen uns war und wie wir weitermachen würden, doch wir verleugneten nicht mehr, dass wir Gefühle hatten. Und das an sich war schon ein riesen Fortschritt, in meinen Augen.
Es war schon fast fünf Uhr, als ich mit schlurfenden Schritten wieder im Wohnheim ankam. Die Vorlesung hatte drei Stunden gedauert und nun war ich völlig ausgelaugt. Seufzend drehte ich den Schlüssel im Schloss und schob die Tür auf. Ich hatte den Blick auf den Boden gerichtet, als ich das Zimmer betrat und so machte ich mir fast in die Hose, als ich eine tiefe Stimme hörte.
„Du hast dir ja ganz schön Zeit gelassen."
Erschrocken zuckte ich zusammen, vor Schreck rutschte mir die Tasche von den Schultern, welche dann mit einem dumpfen Knall auf dem Holzfußboden aufkam und mein Kopf fuhr ruckartig hoch. Auf meinem Bett saß Jack, schwarze Skinny Jeans mit Loch am rechten Knie, schwarzer Kapuzenpullover und über meinem Stuhl hing seine Lederjacke. Er hatte die Arme gemütlich hinter dem Kopf verschränkt und die Beine auf dem Bett verkreutzt.
„Was machst du hier?", fragte ich atemlos, mein Herz raste immer noch vor Schreck und Jack grinste teuflisch.
„Auf dich warten.", antwortete er, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt und gähnte dann.
„Wäre fast eingeschlafen.", fügte er hinzu und ich schüttelte fassungslos den Kopf.
„Wie bist du hier überhaupt reingekommen?"
„Nach der Sache mit dem Club hat Melli mir einen Schlüssel gegeben. Für den Notfall.", erklärte er und ich nickte verstehend, bevor ich knallrot anlief, als ich an die Nacht im Club dachte. Oder viel mehr an das was danach passierte. Ich räusperte mich und pellte mich aus meiner Jacke, dann schlüpfte ich aus meinen Schuhen und legte meine Tasche auf dem Tisch ab. Dann stand ich mitten im Zimmer herum. Ich wusste nicht, was ich nun machen oder sagen sollte.
„Was?", fragte ich etwas gereizt, als Jack mich mit schräggelegtem Kopf ansah.
„Kommst du jetzt mal her?", fragte er und rollte mit den Augen. Ich spürte, wie meine Wangen schon wieder heiß wurden. Das hier war einfach absurd. Wieso war es zwischen Jack und mir plötzlich so komisch? Oder bildete ich mir das nur ein? Langsam setzte ich mich in Bewegung und blieb vor meinem Bett stehen, auf dem Jack sich langsam regte. Er setzte sich auf, schob dann die Beine über die Bettkante und saß nun direkt vor mir.
„Hey.", sagte ich leise und etwas dümmlich und Jack lachte nur. Dann streckte er die Arme aus und legte seine Hände auf meine Hüften, blieb jedoch auf meinem Bett sitzen und schaute von unten zu mir hoch. Langsam schoben seine Finger den weißen Stoff meines Sweaters hoch, sodass sie meine nackte Haut über meinen Hüften streichelten konnten. Die Stellen die er berührte prickelten heiß.
„Hey.", antwortete er, schien mich zu necken und seufzte dann leise. Ich beobachtete ihn, wie er vor mir saß und mich musterte, während seine Hände begannen, meine Seiten zu massieren. Dann stand er langsam auf, seine Brust berührte meine und er schaute so intensiv auf mich herunter, dass mir gleichzeitig heiß und kalt wurde. Sein Gesicht kam meinem immer näher und ich war froh, dass er mich festhielt, denn meine Beine waren weich wie Wackelpudding. Mein Herz raste. Meine Hände schlangen sich um seine Oberarme und gespannt wartete ich auf Jacks nächsten Schritt. Seine Lippen waren nur noch wenige Zentimeter von meinen entfernt und ich konnte sie schon fast auf meinen spüren, doch als ich mich ihm gerade entgegenrecken und meine Lippen endlich auf seine pressen wollte, entfernten sie sich plötzlich. Stattdessen bewegten sie sich in Richtung meines Ohrs und nachdem Jack einen federleichten Kuss direkt unter meinem Ohrläppchen platziert hatte, flüsterte er:
„Warum so schüchtern, Florida?"
Dann rutschten seine Hände von meinen Seiten und er schob sich einfach so an mir vorbei, begann in Mellis Sachen zu stöbern und tat so, als wäre nichts geschehen, während ich Probleme hatte, meinen Atem unter Kontrolle zu kriegen. Ich ließ mich auf mein Bett fallen, weil ich nicht länger auf meine Beine vertraute und beobachtete, wie Jack mit völlig neutralem Gesichtsausdruck durchs Zimmer schaute. Wie konnte er nach so etwas so unbeteiligt weitermachen? Schon war es zwischen uns wieder komisch, keiner sagte etwas und ich saß einfach nur stumm da, während Jack mich keines Blickes mehr würdigte. Gerade wollte ich ein Gesprächsthema anfangen, als plötzlich die Tür aufging und Melli im Zimmer stand.
„Wow, was ist denn hier für eine Totenstimmung?"
Seufzend zuckte ich mit den Schultern und warf einen kurzen Blick in Jacks Richtung, der mittlerweile in einem meiner Bücher blätterte. Es war Der Herr der Fliegen. Gut, dass wir nicht mehr so aneinanderhingen, wie eben noch, sonst hätte Melli uns in flagranti erwischt.
„Hast du auf mich gewartet, Bruderherz?", fragte sie Jack, während sie aus ihren Schuhen schlüpfte und ihre Büchertasche schwungvoll auf ihr Bett warf, wobei sie fast Jack traf, der noch immer in meinem Buch blätterte und geistesgegenwärtig einen Schritt zur Seite gemacht hatte. Ich nickte beeindruckt.
„Habe dir nur das Zeug vorbeigebracht, das du bei mir vergessen hast.", sagte er und deutete abwesend auf eine vollgestopfte Tasche auf Mellis Bett. Begeistert klatschte meine Mitbewohnerin einmal in die Hände, doch ich zog nur verwirrt die Augenbrauen zusammen. Ich hatte gedacht, Jack wäre meinetwegen hergekommen, doch da hatte ich mich wohl geirrt. Ich konnte nicht verhindern, dass ich ein wenig enttäuscht war.
„Musst du heute Abend arbeiten?", fragte Melli dann und es war das erste Mal seitdem sie hereingekommen war, dass Jack den Kopf hob. Doch anstatt seine kleine Schwester anzuschauen, warf er mir einen verschwörerischen Blick zu, auf seinen Lippen ein verschmitztes Lächeln.
„Nein. Ich bin zuhause und werde mir eine schöne Nacht machen."
Die Einladung in seinem Tonfall war nicht zu überhören und nervös räusperte ich mich. Er wollte, dass ich zu ihm kam. Über Nacht.
„Ew, halt's maul, Jack! Von deinen Perversitäten will ich nichts wissen!", beschwerte Melli sich mit angeekeltem Gesicht, hatte offensichtlich nichts bekommen und Jack zuckte nur mit den Schultern.
„Du hast gefragt."
„Ja und das werde ich nie wieder."
Ich kicherte leise, woraufhin Jack mir ein schiefes Grinsen zuwarf. Dann klappte er schwungvoll das Buch zu, sodass ein kleiner Knall zu hören war und legte es auf meinem Schreibtisch ab, wo er es gefunden hatte.
„Na dann gehe ich jetzt mal."
„Jaja, bis irgendwann mal.", murmelte Melli nur, in ihr Handy vertieft und ich folgte Jack mit meinem Blick, wie er sich seine Jacke überzog und dann zur Tür stapfte. Er drehte sich noch einmal zu mir herum und das glitzernde Braun seiner Augen überwältigte mich fast.
„Wir sehen uns."
Dann war er verschwunden, die Tür fiel langsam hinter ihm ins Schloss und ich kaute nachdenklich auf meiner Unterlippe. Ich konnte über Nacht nicht zu ihm gehen. Dazu war ich nicht bereit. Es war ja noch absolut gar nichts zwischen uns passiert und wir hatten auch noch immer nicht darüber reden können, was wir eigentlich waren und nun voneinander erwarteten. Ich wusste nicht einmal, ob Jack überhaupt darüber reden wollen würde. Dachte er wirklich ich würde so schnell mit ihm ins Bett steigen? Es war vielleicht etwas unfair, doch plötzlich machte sich in mir ein flaues Gefühl breit. Benutzte er mich nur? Wollte er nur mit mir schlafen und mich danach links liegen lassen? Ich hatte Angst. Angst, dass ich sein Geständnis völlig falsch verstanden hatte. Schließlich hatte er nie wirklich gesagt, dass er Gefühle für mich hatte. Immer wieder hatte er beteuert, dass er statt Kathy mich unter sich sehen will. Dass er mich stöhnen hören will. Meiner Meinung nach war das kein Liebesgeständnis. Innerlich ohrfeigte ich mich, weil ich solange gebraucht hatte, um das zu bemerken.
„Wollen wir mit unserem Supernaturalmarathon weitermachen?", holte Melli mich aus meinen dunklen Gedanken und warf mir von der Seite einen prüfenden Blick zu. Sie hatte bemerkt, wie ich starr vor mir her gestarrt hatte. Ich atmete einmal tief durch. Ich sollte mich nicht in irgendwelche Spekulationen verrennen, die mich traurig machten, sondern einfach mal endlich richtig offen mit Jack sprechen.
„Klar."
Wir hatten gerad einmal eine Episode geschafft, da erhellte eine Nachricht von Jack meinen Handybildschirm. Ich prüfte kurz, ob Melli vielleicht versuchte zu erspähen, wer mir geschrieben hatte, doch sie war voll und ganz in die Serie vertieft. Als ich sie murmeln hörte, wie heiß Sam Winchester doch war, öffnete ich ohne Bedenken die Nachricht.
Wann bist du hier?
Ich runzelte die Stirn und seufzte leise. Irgendwie war ich jetzt ein wenig sauer.
Ich komme nicht. Frag doch Kathy, ob sie stattdessen die Beine für dich breitmacht.
Vielleicht war ich unfair und zu weit gegangen, doch ich war verletzt. Ich ignorierte die folgenden Nachrichten von Jack und versuchte mich wieder auf die Serie zu konzentrieren, was mir allerdings nicht sehr gut gelang. Ich war wütend. Auf Jack und auch auf mich. Wie hatte ich nur so naiv sein können? Ganz offensichtlich hatte Jack kein Interesse an meinem Herzen, sondern nur an dem, was sich zwischen meinen Beinen befand. Und gleichzeitig machte mich das unglaublich traurig.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top