20

Das eiskalte Wasser in meinem Mund war in diesem Moment eine wahre Wohltat. Es war wunderbar, den ekelhaften Geschmack loszuwerden. Mein Kopf pochte und durch die Wände des grell beleuchteten Waschraums dröhnte die laute Musik dumpf zu mir herüber. Meine zitternden Hände krallten sich um das weiße Keramik des Waschbeckens und als ich mich im Spiegel sah, stöhnte ich leidend auf. Ich war weiß wie ein Laken, mit dunklen Augenringen und völlig zerzaustem Haar. Ich sah aus wie eine Vogelscheuche und genauso fühlte ich mich auch. Eine Weile blieb ich genauso vor dem schmierigen Spiegel stehen und versuchte etwas runterzukommen. Ich hatte keine Ahnung, was da eben zwischen Jack und mir passiert war, doch ich war mir ziemlich sicher, dass es dem Alkohol zuzuschreiben gewesen war. Sonst hätte ich niemals mit einem Mann auf diese Art getanzt. Und ganz besonders nicht mit Jack. Schmerzhaft verzog ich das Gesicht, als das Stechen hinter meiner Stirn stärker wurde. Ich wollte jetzt ganz dringend nach Hause, doch bei dem Gedanken, wieder daraus zu gehen und Jack zu begegnen, drehte es mir schon wieder den Magen um. Ein Glück, dass er nicht mitbekommen hatte, dass ich mich übergeben musste. Das wäre ja nur noch schöner gewesen. Nachdem ich mich notdürftig wieder gerichtet und zusammengerissen hatte, verließ ich leicht schwankend den Waschraum und machte meinen Weg rüber zur Bar, wo ich hoffte, auf Luna oder Melli zu treffen, um ihnen Bescheid zu geben, dass ich nun gehen würde. Ich hatte Glück und fand die beiden fröhlich plaudernd auf zwei der rotbezogenen Barhocker.

„Hey, ich würde dann jetzt langsam mal abhauen.", sagte ich über die laute Musik hinweg und nahm Luna meine Lederjacke ab. Mit vor Besorgnis gerunzelter Stirn und leicht schräg gelegtem Kopf sah Melli mich an.
„Ist alles in Ordnung?"
Doch ich nickte nur erschöpft und fuhr mir durch die verknoteten Haare.
„Du solltest aber nicht um diese Zeit alleine durch die Stadt wandern. Ich kann dich begleiten.", bot Melli dann an und war schon dabei vom Barhocker zu rutschen, doch ich hielt sie an der Schulter davon ab.
„Meinetwegen musst du nicht mitkommen. Ich muss doch nur die Ubahn nehmen, dann bin ich doch schon wieder am Wohnheim.", versuchte ich sie zu überzeugen. Ich wollte ihr nicht den Abend ruinieren. Aber Melli schüttelte nur bestimmt den Kopf.
„Auf gar keinen Fall lasse ich dich alleine mit der Ubahn durch die ganze Stadt fahren."
Seufzend beobachtete ich, wie sie in ihre Jacke schlüpfte und dann die langen lila Haare über die Schulter warf. Doch bevor sie nach ihrer Tasche greifen konnte, stand plötzlich Jack neben ihr.
„Schon gut, ich fahr sie nach Hause.", sagte er mit eindringlichem Blick in meine Richtung und ich schluckte unangenehm berührt. Das was eben zwischen uns passiert war, war mir einfach unglaublich peinlich. Ich wollte ihn gerade abweisen, als Melli plötzlich erfreut in die Hände klatschte.
„Das wär echt toll! Danke, Jack!" Und dann hatte sie doch tatsächlich den Anstand, mir breit grinsend zuzuzwinkern. Im Nu saß sie wieder auf dem Barhocker und bestellte sich ein Bier und bevor ich sie auch nur anflehen konnte, mich statt Jack nach Hause zu bringen, spürte ich auch schon seine große Hand auf meinem Rücken und wurde sanft in Richtung Ausgang geleitet.
„Aber-"
„Jetzt stell dich nicht so an, Liv. Ich hab eh keinen Bock mehr, hierzubleiben."
Und somit erstickte er meinen Protest im Keim und wir verließen gemeinsam den Club.

Mir fielen fast die Augen zu, als ich in Jacks Auto an der Fensterscheibe angelehnt nach draußen starrte. Es war still, keiner von uns sagte ein Wort und die Spannung zwischen uns war beinahe schon greifbar.
„Du hast heute also gar nichts getrunken?", fragte ich murmelnd und leicht lallend, um endlich das unangenehme Schweigen zu brechen. Aus dem Augenwinkel sah ich Jack nicken, während er konzentriert aus der Windschutzscheibe schaute und sich auf den Verkehr konzentrierte. Seufzend ließ ich meine Stirn gegen das kalte Fensterglas fallen und schloss erschöpft die Augen. Plötzlich ertönte leise Loving Calibers Why I Try aus den Lautsprechern und verwundert drehte ich meinen Kopf in Jacks Richtung.
„Radio.", war alles, was er auf meinen fragenden Blick hin antwortete und ich nickte nur verstehend. Während ich so den sanften Tönen des schönen Songs lauschte, wurden meine Augen immer schwerer und irgendwann schaukelte mich der leise brummende Motor in den Schlaf.
Ich wachte erst auf, als dieses Brummen plötzlich stoppte. Schlaftrunken hob ich den Kopf und sah aus dem Fenster, bemerkte, dass wir vor dem Wohnheim angekommen waren.
„Danke fürs Fahren."
Ich schenkte Jack ein schmales, erschöpftes Lächeln und kletterte dann aus dem Auto, wobei ich ungeschickt gegen die Autotür stolperte und hörte Jack daraufhin genervt seufzen. Auf der Fahrerseite wurde die Tür zugeschlagen und auf einmal stand er neben mir, schlang einen Arm um meinen Rücken und half mir, sicher zu stehen. Ohne ein Wort zu sagen führte er mich langsam und geduldig hoch zu meinem und Mellis Zimmer und selbst auf der Treppe, auf welcher wir mehrere Pausen einlegen mussten, damit ich mich nicht übergab, hatte er geduldig gewartet. An Jack angelehnt kramte ich in den Taschen meiner Lederjacke nach dem Zimmerschlüssel und als ich das kleine Metallstück nicht fand, wurde mein Kopf plötzlich ganz heiß und ich räusperte mich peinlich berührt, stand einfach da an Jack gelehnt, die Hände rutschten aus meinen Jackentaschen und ich traute mich nicht, ihn anzusehen.
„Jetzt sag mir nicht, dass du keinen Schlüssel hast.", hörte ich Jack ungläubig fragen und als ich nur verlegen nickte, seufzte er genervt.
„Du Vollidiotin."
Ich konnte ihm nicht einmal widersprechen. Melli und ich hatten vorgehabt, gemeinsam nach Hause zu kommen, als hatten wir beschlossen, dass es reichte, nur einen Schlüssel mitzunehmen. Und dummerweise war es Melli gewesen, die ihren Schlüssel mitgenommen hatte.
„Du kannst ruhig schon gehen. Ich warte hier, bis Melli wiederkommt.", erklärte ich und wollte mich bereits vor der Tür auf dem Boden niederlassen, doch Jacks fester Griff um meine Taille ließ dies nicht zu.
„Das kann noch ewig dauern. Hier ist es kalt und du bist betrunken. Und die meisten Studenten sind Arschlöcher, wer weiß also, was dir hier passieren könnte.", widersprach er mit festem Ton, doch bevor ich ihn fragen konnte, was mir denn sonst übrigblieb, sagte er nach einer kurzen Pause: „Du kommst mit zu mir."
Meine Augen wurden groß und, mit noch immer knallrotem Kopf, wollte ich mich aus seinem Griff winden, doch er hielt mich zu fest. Ich hatte gar keine Chance, ihm zu widersprechen – das Letzte, was ich wollte, war die Nacht bei ihm in der Wohnung zu verbringen – da führte er mich schon von der Zimmertür weg in Richtung Treppe und seufzend gab ich nach. Ich war zu müde und erschöpft, um jetzt mit ihm zu streiten und ich wusste selbst auch gut, dass es eine schlechte Idee gewesen war, vor der Tür auf Melli warten zu wollen.

Mich unwohl in dem dunklen Flur umschauend wartete ich, während Jack die Tür aufschloss. Vielleicht hätte ich doch lieber im Club bleiben sollen, um dann mit Melli nach Hause gehen zu können. Dann wäre ich jetzt nicht hier. Mit Jack. In seiner Wohnung. Zögerlich folgte ich ihm über die Türschwelle in das dunkle Apartment und stand dann hilflos im Eingangsbereich herum. Es war ein wenig kalt und fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Körper, wobei das unechte Leder meiner Jacke leise quietschte. Es wurde hell, als Jack den Lichtschalter betätigte und erschrocken kniff ich die Augen zusammen. Mein Kopf tat immer noch höllisch weh. Als sich meine Augen langsam an das grelle Licht gewöhnt hatten, sah ich mich neugierig um. Wir befanden uns in einer kleinen Niesche, mit einer dunklen Holzkommode und einer Willkommensmatte, auf der ein Paar Turnschuhe lag. Ich stand am Rande eines kleinen Wohnzimmers, mit einer braunen Ledercouch, einem kleinen Couchtisch und einem großen Fernseher an der Wand. Auf den Fensterbänken stapelten sich Bücher, Zeitschriften und Fotoalben. Ein großer grauer Teppich bedeckte fast den kompletten Holzboden. Im gleichen Raum befand sich eine kleine Einbauküche mit hellgrauen Oberflächen und auf genau diese Küche steurte Jack zu. Nicht wirklich wissend, was ich mit mir anstellen sollte, blieb ich einfach neben der Tür stehen und schaute mich weiter um. Neugierig wanderte mein Blick immer wieder zu Jack herüber, der in den Küchenschränken kramte und sich schließlich mit einem Glas Wasser in der Hand in meine Richtung drehte.
„Aspirin.", sagte er und vorsichtig stapfte ich zu ihm herüber. Dankbar nahm ich ihm die Tablette und das Glas ab und folgte ihm zur Couch. Ich hatte mich gerade hingesetzt, als plötzlich ein kleines schwarzes Etwas auf den Couchtisch vor mir sprang und erschrocken zuckte ich zusammen.
„Was ist das?", fragte ich überrascht, stellte aber sogleich fest, dass es eine kleine Katze war, die sich da auf dem kleinen Tisch nieder gelassen hatte.
„Eine Katze.", erklärte Jack nüchtern und ich beobachtete, wie besagte Katze es sich auf seinem Schoß gemütlich machte. Aus dem schwarzen Fell blitzte ein treues Auge hervor und schockiert stellte ich fest, dass es auch das einzige Auge war.
„Das ist Sabrina. Ich hab sie vor ein paar Monaten verletzt auf der Straße gefunden, also habe ich sie zum Tierarzt gebracht und sie danach adoptiert.", erzählte er mit einem liebevollen Blick auf Sabrina herunter und gerührt schaute ich zu, wie er das kleine Ding unterm Kinn kraulte. Ich war überrascht, dass gerade Jack eine verwundete Katze zu sich nahm, doch ich musste zugeben, dass es herzerwärmend war.
„Sabrina? Wie in Sabrina – total verhext!?", harkte ich nach und grinste belustigt, als Jack nickte. Wow, heute entdeckte ich wirklich eine komplett neue Seite an ihm. Eine Weile war es still zwischen uns, nur Sabrinas Schnurren und das leise stetige Prickeln des Mineralwassers in meiner Hand waren zu hören. Behutsam setzte Jack Sabrina nach einer Weile neben sich auf der Couch ab, bevor er mir das inzwischen leere Glas abnahm, es in die Spüle stellte und mir schließlich bedeutete, ihm zu folgen. Neben dem großen Fernseher an der Wand führte eine dunkle Holztür in ein überraschend großes Schlafzimmer. Das große dunkle Doppelbett war ungemacht und auf dem Teppich lagen überall verstreut Klamotten. Hier und da lag ein Katzenspielzeug und ich war überrascht, das kleine elektronische Klavier unter dem Fenster zu entdecken. Gerade wollte ich Jack darauf ansprechen, als dieser schon dabei war, das Bett zu richten und irgendwie war die ganze Situation so absurd, dass ich schon wieder knallrot wurde.
„Keine Sorge, ich schlafe auf der Couch.", beruhigte Jack mich mit einem schiefen Grinsen, als er meine Reaktion gesehen hatte und ich nickte nur, den Blick auf den Boden gerichtet.
„Hier.", sagte der Dunkelhaarige, als er mir ein großes T-Shirt und eine karierte Schlafanzughose hinhielt und fragend legte ich den Kopf schief.
„Du willst doch sicher nicht in dem Outfit schlafen?"
Und weil er da natürlich recht hatte, nahm ich zögerlich die Kleidung entgegen, die mir wahrscheinlich viel zu groß, aber dafür bestimmt total gemütlich war.
„Danke.", murmelte ich, als Jack sich bereits zum Gehen gewandt hatte. Er blieb im Türrahmen stehen und als er über die Schulter zu mir zurücksah, schenkte ich ihm ein kleines, aber ehrliches Lächeln.

Ich musste zugeben, dass Jacks Bett unglaublich gemütlich war, doch trotzdem fand ich in dieser Nacht lange keinen Schlaf. Die ganze Zeit wälzte ich mich hin und her, konnte nur daran denken, dass Jack auf der blanken Ledercouch ohne Decke und nur mit einem Kissen schlief und ich aber in seinem warmen Bett. Ich fühlte mich unglaublich schlecht. Es war sicher schon drei Uhr nachts, als ich schließlich aufgab. Seufzend schlug ich die dicke Daunendecke zurück und krabbelte aus dem Bett. Barfuß tapste ich über den warmen Teppich zur Schlafzimmertür, welche leise quietschte, als ich sie öffnete. Im Wohnzimmer war es dunkel, nur das Licht des Mondes schien durch die hellen Vorhänge, die somit so ziemlich unnütz waren. Mit etwas Mühe konnte ich Jacks schemenhafte Figur auf dem kleinen Sofa ausmachen und langsam, um nicht auch noch über Sabrina zu stolpern, denn die konnte ich in der Dunkelheit gar nicht ausmachen, machte ich mich auf zur Couch.
„Jack?", flüsterte ich leise, nachdem ich mich zwischen die Couch und den kleinen Tisch auf seine Höhe gehockt hatte und wusste nicht einmal, ob er mich überhaupt hören konnte. Ich sah, wie sich sein Körper langsam bewegte und dann hob er den Kopf.
„Liv?", hörte ich ihn schlaftrunken murmeln, als er sich langsam aufsetzte.
„Schläfst du schon?", fragte ich unnötiger Weise und hörte, wie Jack seufzte.
„Nein."
Danach war es wieder still zwischen uns. Ich hatte einfach nicht den Mut, ihm anzubieten, mit mir im Bett zu schlafen.
„Was ist los, Liv?", fragte er ungeduldig.
„Geh mit mir ins Bett.", sagte ich und bereute sofort meine Wortwahl. Obwohl es dunkel war, konnte ich das Schmunzeln auf seinen Lippen erahnen.
„Also wirklich, Liv. Solltest du mich vorher nicht wenigstens mal zum Essen einladen?", scherzte er und ich war froh, dass er nicht sehen konnte, wie sich meine Wangen rot färbten.
„Dann eben nicht.", murmelte ich leicht gereizt, stand auf und hielt den Bund der Schlafanzughose fest, damit sie mir nicht von den Hüften rutschte. Vorsichtig tapste ich davon, als ich ihn plötzlich leise sagen hörte: „Tut mir leid."
Wie angewurzelt blieb ich stehen und drehte mich zu ihm herum. Er hatte sich entschuldigt. Jack Parker hatte sich soeben bei mir entschuldigt. Im sanften Schein des Mondes konnte ich seine Umrisse ausmachen. Er stand direkt vor mir, nur wenige Zentimeter entfernt und ich wusste ehrlich gesagt nicht, was ich nun sagen sollte. Aber anscheinend war das auch nicht nötig, denn Jack schob sich, ohne ein weiteres Wort, an mir vorbei und stapfte ins Schlafzimmer. Ich atmete tief durch und sah mich noch einmal kurz in der kleinen Wohnung um. So langsam hatten sich meine Augen an das Mondlicht gewöhnt und ich konnte besser sehen. Von der Küche blitzte mir Sabrinas Auge entgegen und leise miaute sie. Ich musste lächeln. Es war zwar merkwürdig hier zu sein, doch wenn ich ganz ehrlich war, dann fühlte ich mir hier wohl. Bei Jack. Ich seufzte wohlig, bevor ich Jack ins Schlafzimmer folgte und dann mit einem leisen Knarren die Holztür hinter uns schloss.

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