18

Der Montagmorgen war kalt, windig und nass und auf dem Campus war nicht besonders viel los. Nur ab und zu kam mir ein Student entgegen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die teuren Bücher dicht an den Körper gepresst. Auch ich wollte mich beeilen, von einem Gebäude ins nächste zu kommen und wich im Laufschritt Pfützen und Schlammfallen aus, mein Blick konzentriert auf den Boden gerichtet. Erleichtert schob ich mir die Kapuze vom Kopf, als ich es endlich ins Warme geschafft hatte und schüttelte mich erst einmal. Wahrscheinlich sah ich aus wie ein nasser Pudel. Gähnend schlenderte ich durch die gefüllten Gänge und ging im Geiste schon mal die Möglichkeiten für mein Mittagessen durch, als ich plötzlich ein bekanntes Lachen hörte. Es war ziemlich leise, doch trotzdem schoss mein Kopf sofort in die Höhe und angestrengt suchte ich durch die Menge der Studenten hindurch nach meiner Mitbewohnerin. Komisch, was machte sie hier? Sie hatte heute keine Kurse und für einen Spaziergang übers Unigelände war das Wetter viel zu schlecht. Schließlich entdeckte ich sie nur wenige Türen weiter und erst wollte ich zu ihr herübergehen um sie zu begrüßen, als ich plötzlich sah, wie Mr. Abrahams Kopf aus der Tür zu ihrer linken lugte. Und es dauerte nicht lange, da war Melli hinter besagter Tür verschwunden. Das war meine Chance. Rasch kämpfte ich mich durch den Schülerstrom und malte mir bereits Mrs. Smiths Lobgesang auf mich aus, wenn ich ihr diese Story unterbreiten würde, als sich mir plötzlich eine große, blonde Gestalt in den Weg stellte. Erschrocken zuckte ich zusammen, hätte beinahe meine Bücher fallen gelassen und suchte nach dem Gesicht der Gestalt.
„Cole!" Überrascht musterte ich den jungen Mann vor mir und erkannte in seinem Blick eine angsteinflößende Entschlossenheit.
„Wir sehen uns viel zu wenig.", warf er mir vor, ein verspieltes Schmunzeln auf den Lippen. Seinen Blick ausweichend schaute ich mich im Flur um, suchte nach einer Antwort auf diese unangenehme Feststellung, doch wusste ehrlich nicht was zu sagen war.
„Hattest du nicht gesagt, du wärst nicht mit diesem Jack zusammen?"
Verwundert schoss mein Kopf wieder zu ihm herum.
„Bin ich ja auch nicht.", stellte ich klar, doch auf Coles Gesicht lag ein zweifelnder Ausdruck. Irgendwie gefiel mir die Richtung, die unsere Unterhaltung einschlug, nicht.
„Ich habe euch gesehen. Gestern, im Treppenhaus. Du in seinen Armen."
„Stalkst du mich?" Meine Augenbrauen waren verunsichert zusammengeschoben. Ich hatte nichts gegen Cole, auf keinen Fall, aber gerade kam er mir doch etwas aufdringlich vor.
„Natürlich nicht. Es war purer Zufall.", beteuerte er und seufzte leise. Ich konnte sehen, dass er noch etwas sagen wollte und es dauerte eine Weile, bis er schließlich drucksend fragte: „Wenn da wirklich nichts zwischen euch ist, würdest du dann mal mit mir ausgehen?" Meine Augen waren groß wie Suppenteller und peinlich berührt starrte ich auf meine Schuhe, schlammbemalt von meinem Sprint über den Campus. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, was ich sagen sollte. Einerseits fühlte ich mich geschmeichelt, dass er mich um ein Date bat und eigentlich hatte ich auch echt gedacht, dass ich ihn mögen würde, doch andererseits stellte ich gerade fest, dass ich mich geirrt hatte. Ich wusste nicht genau wie, wann, warum oder wohin mein Interesse an ihm verschwunden war, aber Fakt war, dass ich nichts mehr von ihm wollte.
„Hör zu, Cole. Ich fühle mich wirklich geschmeichelt, aber ich kann nicht mit dir ausgehen. Von meiner Seite aus ist da einfach nichts." Ich schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln, doch konnte plötzlich beobachten, wie sein Blick hart wurde.
„Also ist da was zwischen Jack und dir."
Etwas genervt und auch ein wenig überfordert mit der Situation seufzte ich.
„Ob da etwas zwischen mir und Jack ist geht dich, bei bestem Willen, nichts an, Cole." Meine Stimme war bestimmt, etwas scharf und vielleicht klang ich auch ein wenig abweisend, doch so war es nun einmal. Cole hatte nichts mit Jack und meinem Was-auch-immer zu tun.
„Na dann wünsche ich dir viel Glück mit ihm. Aber glaub mir, du verdienst was Besseres!", fauchte er mit wütend blitzenden Augen und bevor ich etwas erwidern konnte, fuhr er herum und stapfte mit vor Wut geladenen Schritten davon. Geschafft rieb ich mir mit einer Hand über die Stirn, bevor ich meinen Blick wieder zu der Tür schweifen ließ, hinter die eben Melli verschwunden war. Doch ich hatte Pech gehabt, denn plötzlich stand Melli vor mir, ein leicht verunsicherter Blick hinter ihrem breiten Grinsen versteckt und ich wusste, dass sie Angst vor dem hatte, was ich gesehen haben könnte. Doch leider, dank Cole, hatte ich absolut nichts gesehen.
„War das der aus dem Café letztens? Was wollte er denn?", erkundigte das lilahaarige Mädchen sich interessiert und ich konnte nur genervt seufzen, als ich an das Gespräch zurückdachte, welches ich eben noch gezwungen war zu führen.
„Er wollte mit mir ausgehen und als ich abgelehnt habe dachte er, ich hätte was mit Jack. Weil er uns gestern zusammen gesehen hat.", erzählte ich und begann während dessen in Richtung meines Klassenzimmers zu gehen. Glücklicher Weise war ich wie immer etwas früher aufgebrochen und würde so nicht zu spät kommen.
„Wow, hört sich an als wäre er dein Stalker.", lachte Melli neben mir und leider konnte ich ihr da nur zustimmen. Doch plötzlich blieb Melli mitten im Gang stehen und hielt mich mit ernsten Blick am Arm zurück.
„Aber jetzt mal ernsthaft, was ist da zwischen dir und Jack?" Ihre Stimme war leise, so als hätte sie Angst, ihr Bruder würde uns belauschen und jeden Moment ganz plötzlich auftauchen können. Frustriert stöhnte ich auf.
„Da ist nichts! Es war deine eigene Idee, dass er mir bei meinem Blog hilft!"
Beschwichtigend hob Melli die Hände und langsam setzten wir uns wieder in Bewegung. So langsam ging es mir wirklich auf die Nerven, dass jeder dachte, Jack und ich hätten etwas am Laufen. Unser längstes Gespräch bestand aus gerade einmal vier Sätzen!
„Ich frage auch nur, weil ich mir nicht ganz sicher bin, ob Kathy letzten Freitag vielleicht nicht ganz ehrlich gewesen war."
Fragend sah ich meine Mitbewohnerin von der Seite an. Was sollte das denn jetzt bedeuten. Melli seufzte leise.
„Ich glaube, sie empfindet etwas für meinen Bruder, aber sie versucht es zu verbergen, indem sie dich ermutigt, dich an ihn ranzumachen.", erklärte sie schließlich, doch ich kam irgendwie nicht ganz hinterher.
„Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Vor allem, weil ich nicht einmal etwas von Jack will.", argumentierte ich, doch Melli zuckte nur unwissend mit den Schultern. Sie kannte Kathy besser, immerhin waren die beiden beste Freundinnen, also was, wenn sie Recht hatte? Was wenn Kathy wirklich in Jack verliebt war? Den ganzen restlichen Weg zu meinem Klassenzimmer konnte ich nur an diese eine Frage denken, selbst als Melli sich bereits verabschiedet hatte, um zurück in unser Zimmer zu gehen, konnte ich nur daran denken, dass Kathy möglicher Weise auf Jack stand. Und ich wusste nicht wirklich wieso, aber plötzlich stellte ich mir immer wieder die Frage, was das wohl für mich bedeuten würde.

*

„Bist du sicher, dass es okay ist, wenn ich mitkomme?"
Unsicher drückte ich den flauschigen Teddybären enger an mich und sah Melli, die mit den Händen in den Taschen ihrer Regenjacke vergraben auf den Fußballen vor und zurück wippte, mit einem zweifelnden Blick an.
„Klar. Und selbst wenn, jetzt ist es sowieso zu spät." Sie schenkte mir ein schiefes Lächeln durch den großen Spiegel im Fahrstuhl und zuckte anschließend mit den Schultern. Ich musste zugeben, als sie mich gefragt hatte, ob ich mit ihr Ryan besuchen möchte, war ich drauf und dran gewesen, abzulehnen. Irgendwie fühlte es sich immer noch merkwürdig an, ein Teil dieser Gruppe zu sein, vor allem wenn man bedachte, was ich eigentlich vorhatte. Auf dem kleinen Bildschirm erschien die 19 und nach nur wenigen Sekunden öffneten sich die Fahrstuhltüren. Ich war noch nie bei Ryan zuhause gewesen – wieso auch – und folgte deswegen Melli wie ein verlorenes Hündchen, die zielstrebig auf die Tür mit der silbernen Aufschrift 19a zu. Überrascht beobachtete ich, wie Melli einen kleinen Schlüssel aus ihrer Jackentasche zog und die Apartmenttür aufschloss.
„Du hast einen Schlüssel?", fragte ich dümmlich nach und folgte ihr in die Wohnung. Aus dem Augenwinkel sah ich das lilahaarige Mädchen nicken.
„Wir haben mal untereinander die Schlüssel ausgetauscht. Wenn du also irgendwann mal Luna ausrauben willst, sag Bescheid."
Ich lachte leise und sah mich währenddessen in dem kleinen Apartment um. Schnell stellte ich fest, dass es zu Ryan passte. Die Möbel waren definitiv Second-Hand, denn abgesehen davon, dass sie kleine Dellen und Schrammen hatten, passten sie nur bedingt zusammen. Die Wände waren grau und der Boden bestand aus dunklen Laminat. Nach meinem kleinen Rundumblick blieb ich schließlich bei den vielen Schuhen hängen, die wild übereinander unter der Garderobe lagen und fragend schaute ich meine Mitbewohnerin an, die allerdings bereits aus ihren Stiefeln geschlüpft war und hinter einer Tür zu ihrer linken verschwand. Rasch warf ich meine Sneaker auf den kleinen Haufen und folgte ihr. Wir landeten in Ryans Schlafzimmer, der graue Teppich hatte die gleiche Farbe wie die Wände und ausnahmsweise passte das dunkle Holz der Möbel hier zueinander. Aber auf dem Bett saß nicht nur Ryan, an das Kopfteil angelehnt und mit einem fetten, blauen Auge, sondern auch der Rest der Freunde.
„Ups.", war das erste was ich sagte, als ich kurz nach Betreten des kleinen Zimmers direkt über Kathys Fuß gestolpert war. Während Melli ihre Freunde der Reihe nach begrüßte, quetschte ich mich zwischen sie auf die blaue Bettdecke und hielt Ryan den Teddybären mit der Aufschrift Get well soon! vors Gesicht.
„Hi. Hoffe, du denkst nicht, dass du zu alt für ein Kuscheltier bist. Aber irgendwie hat der hier mich an dich erinnert."
Tatsächlich passte das schwarze Fell des Bären gut zu seinen Haaren und, wie ich gerade herausfinden durfte, auch in seine Wohnung. Schief grinste Ryan mich, nahm mir den Teddy ab und platzierte ihn gut sichtbar auf seinem Nachttisch.
„Danke."
Ich erwiderte sein Lächeln, bevor ich vom Bett aufstand und so Melli Platz machte, die sich gleich theatralisch auf das Bett schmiss. Rasch begrüßte ich den Rest der Freunde und blieb zunächst etwas unsicher vor dem Bett stehen. Denn jetzt wo Melli meinen Platz eingenommen hatte, war nichts mehr auf dem Doppelbett frei.
„Hilfst du mir, für alle etwas zu trinken zu holen?", fragte Luna mich plötzlich und erleichtert folgte ich dem Mädchen mit den kurzrasierten Haaren aus dem Zimmer. Alles war besser, als völlig außen vor in der Ecke zu stehen. Ich würde es niemals laut aussprechen, aber insgeheim fragte ich mich schon ab und zu, wann ich wohl voll und ganz dazu gehören würde. Mit Melli kam ich wirklich gut klar und überraschender Weise auch mit Jack, doch bei den anderen hatte ich irgendwie das Gefühl, dass sie mir gegenüber zögerlich waren. Aber das konnte ich auch verstehen. Sie waren immer diese eine Gruppe gewesen und plötzlich kam einfach jemand Neues und drängte sich dazu. Wenn das bei Lilly und mir so gewesen wäre, hätte ich das auch nicht toll gefunden.
„Wie schön, dass du auch gekommen bist.", hörte ich Luna plötzlich sagen, während sie mir ein Tablett reichte. Ich lächelte sie ehrlich an. Vielleicht waren sie noch etwas zögerlich, doch es dauerte halt eine Weile, bis man mit jemand Neuem warm wurde. Und Luna war schon immer so nett zu mir gewesen.
„Ich wusste gar nicht, dass alle hier sein würden. Ich find's toll, wie sich alle um Ryan kümmern.", gestand ich und hielt das Tablett, während Luna ein Glas nach dem anderen darauf abstellte. Eifrig nickte sie.
„Das ist doch klar. Was ihm passiert ist, ist einfach nur schrecklich. Aber ich bin auch wegen Ole hier. Was er durchmacht ist furchtbar, er hat ein schlechtes Gewissen und geht viel zu streng mit sich um.", erzählte die Naturblonde mir und langsam nickte ich zustimmend, bevor ich verwirrt die Augenbrauen zusammenschob.
„Wieso hat Ole ein schlechtes Gewissen? Er ist die ganze letzte Woche nicht einmal von Ryans Seite gewichen."
Tief seufzte Luna, holte zwei Flaschen Mineralwasser aus dem Kühlschrank und schloss die Tür mit einem eleganten Hüftschwung. Schwer lagen ihre blauen Augen auf mir und verschwörerisch sah sie einmal nach links und einmal nach rechts, als hätte sie Angst das wir belauscht werden würden. Ihre Stimme war leise und ernst, als sie schließlich sagte: „Naja, immerhin hat er letztens noch an Ryans Motorrad rumgeschraubt. Und nur kurz danach hatte Ryan doch diesen Unfall."
Beinahe hätte ich das beladene Tablett mit einem lauten Scheppern fallen gelassen, doch der Schauer der mir bei Lunas Worten über den Rücken lief, war intensiv. Natürlich erinnerte ich mich noch an das Gespräch mit Luna in der Bar, wie konnte ich so eine merkwürdige Unterhaltung auch vergessen. Das Blut gefror mir in den Adern, als ich mir in Erinnerung rief, was Luna gesagt hatte, als ich sie gefragt hatte, wo Ole und Ryan an diesem Abend gewesen waren. Verschwörerisch legte Luna einen Finger auf die Lippen und bedeutete mir, Stillschweigen zu bewahren. Hektisch nickte ich. Nein, den Freunden würde ich nicht sagen, dass es Oles Schuld war, dass Ryan diesen Unfall gehabt hatte.

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