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Ein paar Monate zuvor...
Jacksonville, Florida, August

Ich war nie die Art Mensch gewesen, der es liebte sich unter die Leute zu mischen. Als meine Freunde 16 wurden und begannen auf Parties zu gehen und einen Freund nach dem anderen die große Liebe ihres Lebens nannten, stellte ich Pläne auf. Schulabschluss, Journalismusstudium, Redakteurin der New York Times, Bestsellerautorin.
Ich war nie die Art Mädchen gewesen, die heiraten und eine Familie gründen wollte. Als wir älter wurden planten meine Freunde ihre Traumhochzeit während ich meine Rede für den Literaturnobelpreis schrieb.
Für mich gab es nur eins. Erfolg. Ganz egal wie, oder was ich dafür tun musste, ich wollte dieser Welt meinen Stempel aufdrücken und mich unsterblich machen.
Eines Tages würden meine Freunde sagen können: „Olivia Martens? Ich hatte damals die Ehre mit ihr zur Schule gehen zu dürfen! Sie ist der Inbegriff der selbstbewussten, modernen Frau und eine wahre Schriftstellerikone!"

Ein lautes Knallen ließ mich zusammenzucken. Mein Kinn, das bis eben noch auf meinem aufgestützen Arm geruht hatte, rutschte von meiner Handfläche und wäre schnurstracks auf die Tischplatte zugesaust, hätte ich mich nicht noch im richtigen Moment gefangen, aufgerichtet und den Rücken durchgestreckt.
„Bringen Sie Jonah rasch den Entwurf für das Cover der Septemberausgabe ins Büro. Ich muss noch einmal in die Schreibabteilung, weil irgendein Vollidiot den Artikel über diese junge Nachwuchsdesignerin völlig durcheinander geschmissen hat."
Schwungvoll hatte Ashlyn die Mappe, mit allen Entwürfen für die Septemberausgabe des Klatschmagazins, auf meinen eh schon mit Dokumenten überfüllten Schreibtisch fallen gelassen und tippte nun penetrant mit dem langen, rot lackierten Nagel ihres Zeigefingers auf der Mappe herum.
Und bevor ich auch nur die Chance hatte, ihr zu antworten, drehte sich die großgewachsene Frau mit den blondgefärbten Haaren um und stolzierte dann mit nervigem Geklacker auf den hohen Hacken ihrer gefälschten Louboutins davon. Kurz sah ich ihr noch mit hochgezogener Augenbraue nach, dann schnappte ich mir seufzend die Mappe und machte mich auf meinen Weg durch das recht kleine Redaktionsgebäude.

Als ich mich vor ein paar Wochen für das Praktikum in der bescheidenen Redaktion des kleinen Klatschmagazins in Jacksonville beworben hatte, dachte ich noch, es wäre eine gute Idee gewesen. Dass ich letztendlich das Mädchen für alles spielen musste, hatte ich nicht erwartet. Ich wollte selber Artikel schreiben und recherchieren, doch stattdessen musste ich Kaffee holen, Dokumente hin und her tragen und Regale sortieren. Meine Eltern hatten mich gewarnt, hatten gesagt, ich würde wahrscheinlich enttäuscht werden, doch das dieses Praktikum so langweilig ausfallen würde, dass hätte ich dann doch nicht erwartet.

Eine lange, braune Haarsträhne löste sich aus meinem perfekt frisierten Dutt, als ich mit einem Arm die schwere Glastür zu Jonahs Büro aufstemmte. Seufzend strich ich sie hinter mein Ohr, bevor ich das muffige und unordentliche Büro des Chefredakteurs durchquerte und die abgegriffene Mappe auf seinen überfüllten Schreibtisch fallen ließ. Der glatzköpfige Mann mit dem dicken Bierbauch und der Zigarre in der linken Hand, sah nicht einmal auf, als er grummelte: „Danke, Maria."
„Olivia.", berichtigte ich deutlich und konnte nicht verhindern, dass ein gewisser, scharfer Unterton in meiner Stimme mitschwang.
„Ja, ja. Hol mir mal einen Kaffee, Diana."
Ich wollte gerade protestierend den Mund öffnen, um ihm endlich klar zu machen, dass mein verdammter Name Olivia war, als mir klar wurde, dass es sinnlos war. Ich schüttelte den Kopf und beschloss, dass er mir mal den Buckel runterrutschen konnte. Der verplante, alte Mann hatte nun bereits zwei Wochen Zeit gehabt, meinen Namen zu lernen und wenn er nicht einmal dies auf die Reihe bekam, dann verstand ich nun auch, warum sein Magazin floppte. Die Augen verdrehend drehte ich mich auf den Absatz um und verließ vor Wut lodernden Augen das nach Rauch stinkende Büro.

Die Küche der Redaktion war klein und im Gegensatz zum Rest der Räumlichkeiten sogar relativ sauber. Gelangweilt setzte ich eine neue Kanne Kaffee auf und lehnte mich an das helle Holz der Küchentheke, während ich wartete. Nein, so hatte ich mir meine Ferien definitiv nicht vorgestellt. Meine Gedanken wanderten zu Lilly. Meine beste Freundin befand sich in diesem Augenblick mit ihrem festen Freund am Strand und konnte die heiße Sonne Floridas genießen. Sie hatte mir noch geraten, meine Ferien nicht mit einem nutzlosen Praktikum zu verschwenden, doch ich hatte wie immer nur auf mich selbst gehört. Ich erhoffte mir von diesem Praktikum nämlich etwas. Und zwar nach meinem baldigen Journalismusstudium einmal bessere Chancen bei einer großen, erfolgreichen Qualitätszeitung zu haben. Im Moment war einfach nichts wichtiger, als die Basis einer großartigen Karriere zu schaffen.

Endlich war der Kaffee durchgelaufen und nachdem ich ihn in eine saubere Tasse gegossen hatte, schnappte ich mir noch einen Donut und legte ihn auf einen der weißen Teller, mit dieser hässlichen Blumenbemalung, auf die Jonah so zu stehen schienen. Erneut stemmte ich die Glastür auf, dieses Mal mit dem Ellbogen und erneut durchquerte ich sein muffiges Büro.
„Bitteschön."
Mit einem bitteren Lächeln stellte ich Tasse und Teller auf einem freien Platz des dunklen Schreibtischs ab und endlich erhob der grummelige Mann seinen Kopf, nachdem er einen kurzen Blick auf den Donut vor sich geworfen hatte. War ja klar, dass ungesundes Essen diese Wirkung auf ihn hatte.
„Du kannst für heute gehen."
Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch und warf einen kurzen Blick auf meine zarte, goldene Armbanduhr. Es war nicht einmal drei Uhr am Nachmittag und sonst verließ ich diese Möchtegernredaktion erst um fünf, manchmal sogar sechs Uhr. Anscheinend hatte der schwitzende Mann mit dem zu engen Hemd keine Beschäftigung mehr für mich. Und ehrlich gesagt war ich ziemlich erleichtert darüber.
„Dann bis morgen.", murmelte ich noch, bevor ich mich wieder auf den Weg zu meinem Schreibtisch in der kleinen Nische vor Ashlyns Büro machte, um meine Sachen zu holen und froh für heute diesem Loch zu entkommen.

Die heiße Mittagssonne brannte unangenehm auf mich nieder, als ich mich auf den Weg zur Ubahn machte und sofort bereute ich meine Entscheidung, unbedingt meine neue langärmlige Bluse tragen zu wollen. Die konnte ich zuhause direkt wieder in die Waschmaschine packen und das, obwohl ich sie nur ein paar Stunden getragen hatte. Sie stank zusätzlich bestimmt auch noch fürchterlich nach Rauch. Wie ich das verabscheute.
Die vier Stationen bis zu meinem Block erschienen mir heute besonders lang. Vielleicht lag es an dem Geschrei des Kindes, der Frau neben mir. Oder dem Gestank in der Ubahn. Oder heute war einfach ein ganz besonders schlechter Tag.
Als ich etwa zehn Minuten später die Wohnungstür aufschloss, war alles was ich hörte das Ticken der großen Standuhr im Flur. Es war niemand da. Meine Eltern waren wahrscheinlich arbeiten, so wie sonst auch und wo meine Schwester Vanessa sich rumtrieb, war wie immer unbekannt. Dass ein Polizist sie noch nicht vollgesoffen an einer Straßenecke gefunden hatte war wirklich ein Wunder.
Prüfend warf ich einen Blick auf die teure Anrichte im Flur, wo sonst immer die Briefe lagen, doch heute war sie, abgesehen von der Blumenvase, leer. Ich seufzte leise. Seit Wochen wartete ich nun schon ungeduldig auf die Antworten der Unis, bei denen ich mich vor ein paar Monaten beworben hatte, doch bisher waren keine eingetroffen und die Ungewissheit zerrte so langsam an meinen Nerven.
Ich schlüpfte gerade aus meinen Schuhen, als mein Handy klingelte und damit eine eingetroffene Nachricht ankündigte. Ich stand noch auf einem Bein und wackelte ein wenig hin und her, während ich mit einer Hand an meinem Schuh zerrte und mit der anderem mein Handy aus meiner Hosentasche fischte.

Komm sofort vorbei! Riesen Neuigkeiten! xLilly

*

„Du wirst mir niemals glauben, was passiert ist!"

Überrascht schaute ich Lilly an, die mir gerade die Tür geöffnet und mich nicht einmal begrüßt hatte.
„Dir auch einen wunderschönen guten Abend, aller beste Freundin auf der ganzen weiten Welt.", begrüßte ich sie sarkastisch und schob mich an ihr vorbei in die kleine Dachgeschosswohnung, die die Blondine bewohnte. Wie immer lag alles überall, nur nicht da, wo es eigentlich hingehörte.
„Jaja, spar dir den Sarkasmus.", hörte ich Lilly aufgekratzt hinter mir sagen und nachdem ich meinen Blick in die Runde beendet hatte, drehte ich mich mit hochgezogenen Augenbrauen wieder zu ihr um.
„Was gibt's denn so Aufregendes?"
In diesem Moment hatte ich alles erwartet. Dass jemand gestorben war. Dass sie bestohlen worden war. Dass sie im Lotto gewonnen hatte. Dass ein fliegender Elefant heute Morgen durch ihr Schlafzimmerfenster gekracht war. Wirklich alles.
„Ich bin verlobt!"
Nur das nicht. Meine Augen wurden groß wie Untertassen, als ich den funkelnden Diamanten am Ringfinger meiner besten und ältesten Freundin sah. Ok, ich sah ihn nur leicht verschwommen, weil sie mir übermütig ihre ganze Hand direkt vors Gesicht hielt, aber dennoch.
„Oh mein Gott.", brachte ich nur heraus, umfasste ihre Hand und hielt sie weit genug von meinem Gesicht entfernt, sodass ich endlich den Ring bestaunen konnte. Das durfte doch nicht wahr sein.
„Von Alessio?", fragte ich, während ich ihre Hand noch immer geschockt hin und her drehte, um den Diamanten von allen Seiten strahlen sehen zu können. Er war wirklich wunderschön. Die Blondine schnaubte entrüstet, entzog mir ruckartig ihre Hand und sah mich dann mit diesem Dein-Ernst-Blick an, den jede beste Freundin einwandfrei beherrschte. Und meine ganz besonders.
„Natürlich ist er von Alessio! Von wem denn sonst?"
Nun leicht schmunzelnd schob sie sich an mir vorbei und machte sich auf in Richtung Wohnzimmer, wo sie sich dann summend auf die Couch fallen ließ. Ich trottete ihr hinterher, setzte mich langsam neben sie und konnte es noch immer nicht fassen. Meine beste Freundin war verlobt.

„Lilly. Ihr seid nicht einmal ein Jahr zusammen.", äußerte ich schließlich meine Bedenken hinsichtlich ihrer Verlobung und sofort schaute mich das schlanke Mädchen genervt an.
„Ich wusste, dass du das sagen würdest.", knirschte sie und drehte den Ring am Finger hin und her. Auch wenn ich Alessio echt mochte, dass tat ja schließlich auch jeder, fand ich, dass die beiden da eindeutig etwas überstürzten.
„Du bist gerade erst 20 geworden!", startete ich einen neuen Versuch, meiner besten Freundin Verstand einzubläuen, doch sie wank nur schnaubend ab.
„Na und? Ob ich mit 20 oder mit 30 heirate, ist doch scheiß egal."
Gerade wollte ich widersprechen, denn meiner Meinung nach war das nicht scheiß egal, Alter war eben doch nicht nur eine Zahl, als Lilly sich seufzend in meine Richtung drehte, die Beine verkreuzte und nun im Schneidersitz neben mir saß.
„Ich liebe ihn, Liv. Und er liebt mich. Und ich weiß, dass ich nie wieder jemanden so sehr lieben werde, wie ich ihn liebe. Er ist der Richtige, das weiß ich."
Überzeugt und aus ehrlichen, blauen Augen schaute Lilly mich eindringlich an. Ich schüttelte nur seufzend den Kopf.
„Woher willst du das denn wissen? Du bist noch so jung. Was ist, wenn du nächsten Monat jemand anderen kennenlernst und ihn mehr liebst als Alessio?"
Entgeistert fiel Lilly die Kinnlade runter, bevor sie kopfschüttelnd von der Couch rutschte. „Du verstehst das nicht. Du warst noch nie verliebt. Du hast doch keine Ahnung, wie es ist, nicht mehr ohne diese eine Person leben zu können.", erklärte sie mir und holte währenddessen eine Sektflasche aus dem Schrank unterm Fernseher hervor. Woher sie die hatte wollte ich gar nicht erst wissen. Lilly war einfach eine hoffnungslose Romantikerin, ganz im Gegenteil zu mir und zugegebenermaßen verstand ich ihre Situation wirklich nicht. Allerdings hatte doch jeder Mensch andere Ziele im Leben und während es bei mir eine erfolgreiche Karriere war, war Lillys Ziel eben zu heiraten.

„Also was ist, feiern wir jetzt meine Verlobung, oder nicht?"
Fragend hielt die großgewachsene Blondine die Flasche und zwei Gläser hoch und während ich sie noch immer zweifelnd ansah, beschloss ich schließlich, dass Lilly schon wusste, was sie tat. Das wusste sie immer. Sie hatte einfach immer alles unter Kontrolle, obwohl sie ein von Grund auf chaotischer Mensch war und das beneidete ich so an ihr. Mit einem langen Seufzen schob ich all meine Vorurteile und Sorgen zur Seite.
„Natürlich. Komm her, zukünftige Miss Perez!", seufzte ich schließlich, schüttelte leicht grinsend den Kopf und streckte die Arme in ihre Richtung aus. Jubelnd warf sich meine beste Freundin wieder aufs Sofa, direkt in meine Arme und ließ übermütig den Korken der Flasche knallen. Breit grinsend schenkte sie den Sekt ein, während ich die Gläser hielt.
„Na dann, auf mich!"
Unsere Gläser klinkten, als wir grinsend anstießen und anschließend beide einen großen Schluck nahmen. Das leichte Klirren läutete einen neuen Abschnitt in Lillys Leben ein und der Sekt perlte auf meiner Zunge, als ich mich über die Verlobung meiner besten Freundin freute. Ihr Wunsch würde bald in Erfüllung gehen und ich gönnte es ihr von ganzen Herzen. Und trotzdem kam ich nicht drumherum mich völlig egoistisch zu fragen, was diese Hochzeit wohl für mich bedeuten würde.


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