6. Little Things

Notiz an mich: Mach dich das nächste Mal aus dem Staub, bevor du dich auf eine weitere waghalsige Tour mit Taylor und El durch's Land aufmachst. Oder lass' es erst gar nicht so weit kommen.

Ich

könnte

wirklich

Suizid

begehen

!!!

Ich habe es mir nicht einmal ansatzweise so schlimm vorgestellt, wie es gerade im Moment war. Und Ohren zuhalten half noch nicht einmal, denn die beiden Streithähne schrien sich so laut an, dass selbst jeder Ohrstöpsel hilflos gegen das Geschreie der beiden wäre.

Selbst wenn ich die Musik, die aus meinen Kopfhörern kam, auf volle Pulle stellte, konnte ich die beiden immer noch hören.

Es war nicht auszuhalten.

Fragt mich nicht, wie weit wir schon gelaufen waren.

Auf jeden Fall waren wir echt schon ziemlich lange unterwegs.

Wirklich...lange.

Uff.

Bitte, Gott. Hilf mir.

Stimmchen hätte auch gereicht, aber du kannst mich ruhig weiter so nennen, gluckste sie und fing an zu lachen.

Ha. Ha. Ha. Sehr witzig. Nicht.

Bitte, rette mich einfach vor den beiden, bevor ich wirklich Suizid begehe. Bitte.

„Country-Musik ist der allerletzte Shit!"

„Bist du vollkommen irre?!? Country-Musik ist die Musik schlechthin!"

„Du bist irre! Country ist nur was für Bescheuerte, die keine Ahnung von Musik haben!"

„Also habe ich keine Ahnung von Musik, oder wie soll ich das jetzt verstehen?!"

„Ja. Genau das soll es heißen!"

Ich schulterte meinen Rucksack erneut und stapfte weiter durch die gähnende Leere den Haiway entlang. Keine Autos, keine Menschenseele weit und breit. Obwohl hier nicht mehr ganz so viel Sand - oder vielmehr Wüste - war, waren es gefühlte 40 Grad und der Schweiß rann mir an der Stirn ab.

Ich könnte jetzt gut einen Pool hier gebrauchen. Und einen Cocktail. Mit ganz, ganz, ganz viel Alkohol.

- ach scheiße, ich durfte ja keinen Alkohol mehr trinken.

Ich bin ja auch persönlich der Meinung, dass du mit dem Trinken aufhören solltest. Ist nicht gut für's Hirn, meinte meine innere Stimme wieder seufzend, außerdem kriegst du dann keine Filmrisse mehr und wachst auch nicht mehr eines Morgens auf, mit nem fremden Mann neben dir. Ach...das waren noch Zeiten.

Darf ich dich auf den Mond katapultieren?

Gerne! Ich war noch nie auf dem Mond...ob da wohl die Sonne scheint?

Ich verdrehte die Augen.

Sie war noch hoffnungsloser als ich. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich kramte mein Handy aus meiner Hosentasche heraus und suchte nach einem tollen Lied, das ich hören konnte, und das mich die beiden Kampfhunde hinter mir vergessen ließ. Seufzend scrollte ich meine ganze Gute Laune-Playlist durch, aber irgendwie war da nichts, was mich ansprach.

Außer eines.

Little Things.

Das Lied, mit dem alles begonnen hat.

Das mich jedes Mal zum Weinen brachte, egal ob ich es gerade live hörte oder nur über's Handy.

Ich hatte alle Lieder von den Jungs gelöscht, außer das.

Ich konnte es einfach nichts über's Herz bringen.

Ich wollte und konnte es nicht.

Ohne mich dagegen zu wehren, tippte mein Daumen automatisch darauf, und die sanften Gitarrenklänge erklangen. Ich ließ mein Handy wieder in meine Hosentasche gleiten und gab mich vollkommen der Musik hin.

Your hand fits in mine, like it's just for me

But bear this mind it was meant to be

And I'm joining up the dots with the freckles on your cheeks

And it all makes sense to me

Ach, wenn alles nur in meinem Leben einen Sinn hätte...mittlerweile wusste ich sogar nicht mehr, ob mein Leben überhaupt noch einen Sinn hatte.

Was mich jedoch besonders an diesem Lied schmerzte, war der Teil, den Niall sang.

Es tat unglaublich weh.

Ich kämpfte mit dem Drang, das Lied sofort auszustellen, aber ich quälte mich langsam durch die einzelnen Zeilen.

You never love yourself half as much as I love you

You'll never treat yourself right but I want you to

If I let you know, I'm here for you

Maybe you'll love yourself like I love you oh

Bei jeder Zeile ließ meine innere Stimme ein böses Kommentar los, ich musste sie wirklich besser unter Kontrolle bringen.

Mal war es ein „Jaaa, das sieht man, wie sehr du sie liebst", dann ein „Besser als du sie", „Du bist voooooll für sie da" und schlussendlich ein „Ich glaube, du liebst dich und dein scheiß Männerego mehr als Layla. Pff."

Zwar zerstörte sie dadurch irgendwie die Atmosphäre, aber ich musste mir auch eingestehen, dass sie vollkommen Recht hatte. In irgendeiner Hinsicht schon.

Und auf einmal erklang es in Dauerschleife.

Den ganzen Weg über hörte ich es, wechselte nicht einmal das Lied oder zog mir die Kopfhörer aus den Ohren. Es ließ mich sogar die beiden Streithähne hinter mir vergessen. Ich tauchte vollkommen in dieses Lied ein, sog jede einzelne Zeile, jedes einzelne Wort in mich auf.

Dieses Lied war wahrscheinlich eines der wenigen Dinge, die mich noch an unsere Zeit erinnerten.

Und ich hasste mich dafür.

Ich hasste mich dafür, dass ich mich daran erinnern musste.

Obwohl es verdammt nochmal tausend Mal mehr wehtat.

Mein Herz litt wie sonst was darunter, aber das war mir egal.

Wieso musste Liebeskummer nur so schmerzhaft sein?! Das überlebte doch keine Menschenseele!

Um ehrlich zu sein, doch. Es gibt da so einen Spruch, den ich wirklich sehr gerne mag: Zeit heilt alle Wunden. Auch deine. Zwar nicht von heut auf morgen, aber irgendwann wirst du darüber lachen, und dann hast du jemanden, der dich zu würdigen weiß und nicht auf deinem Herzen rumtrampelt. Denn solche Männer will niemand.

Ich werde ihn nie vergessen können.

Ich werde jeden Tag erinnert, von allem, was ich sehe, und von allem, was ich fühle.

Jeden.verdammten.Tag.

Ich wischte mir die Tränen weg, die gerade meine Wange hinabrollten, und atmete tief durch.

Ich konnte mich nur zu gut erinnern, als ich im Krankenhaus dasaß, und die Ärztin mir gebeichtet hat, dass ich schwanger sei. 4.Monat. Ich hatte nicht gewusst, wie ich darauf hätte reagieren sollen, schließlich war der Vater des Kindes niemand Geringeres als Niall. Meine beste Option damals war weinen, und auch das hatte ich getan. Die Ärztin hatte mich in den Arm genommen und mich getröstet. Sie hatte mir die Wahl gelassen, wem ich es erzählte, und bis heute wissen es nur Taylor, El und Haley. Nicht einmal Dad.

Ich wusste nicht, wie ich ihm das beibringen sollte. Zumal ich erst fast 20 Jahre alt war, und viel zu jung bin um Mutter zu werden.

Und doch habe ich mich gegen die Abtreibung entschieden.

Ich wollte schon immer Kinder haben - auch wenn es später besser gepasst hätte - und wenn ich jetzt die Möglichkeit hatte, eines zu bekommen, dann werde ich das auch tun. Egal, ob ein gewisser Herr das allerletzte Arschloch ist oder ich Angst vor Dad haben müsste.

Das nehme ich gerne alles in Kauf.

Jemand tippte mich an der Schulter an, ich zog meine Kopfhörer raus und schaute fragend in El's Gesicht. „Gleich kommt der Sonnenuntergang, und Taylor hatte die Idee, dass wir ein Bild von uns drein mit dem Sonnuntergang machen", erklärte sie mir und ein kleines Lächeln bildete sich auf ihren Lippen.

Ich nickte begeistert und stellte mich schon einmal mit El in Position, Taylor stellte noch irgendetwas an ihrem Handy ein und positionierte es auf die Trennbande zwischen den beiden Spuren, bevor sie schließ zu uns rannte und sich hinter uns beiden stellte.

Das Bild war wunderschön geworden.

Taylor, El und ich in der Mitte, alle ein ehrliches Lächeln aufgesetzt. Hinter uns der Sonnenuntergang, der Fluss - ich hatte keine Ahnung, welcher das war - und ein paar Bäume.

Wahrscheinlich das schönste Foto, was ich jemals gemacht habe.

Taylor schickte es uns beiden auf's Handy.

Wenigstens gab es hier Netz, wenn auch kein gutes, aber es reichte, um auf Twitter zu gehen und es zu posten. Darunter schrieb ich: Auf Sonnenuntergangreise mit den beiden Streithähnen ;) #aufdemWegnachNewYork

Dann bemerkte ich die anderen Tweets und Bilder, die ich gepostet hatte. Darunter war auch das Bild von mir und Taylor auf dem Hochhaus in Miami. Ich fing bei unserem Anblick an zu grinsen. Ich konnte einfach nicht anders, unsere Grimassen waren einfach nur schräg.

Beim nächsten Bild setzte mein Herz einen Schlag aus, bevor es in doppelter Geschwindigkeit anfing zu schlagen.

Es war unser letztes Bild.

Wir waren damals noch nie so glücklich gewesen wie je zuvor.

Ich wusste noch genau, von wann das Bild stammte.

Es war in einer ihrer Tour-Pausen gewesen, und er hatte mich einfach überrascht. Ich war gerade vom Training gekommen, ein Tag vor meinem vorletzten Wettkampf bei den OP, und hatte gefühlte fünf Luftsprünge gemacht, als ich ihn entdeckt hatte.

Das Bild zeigte uns beide, einen Arm um die Taille des anderen geschlungen.

Haley hatte es gemacht.

Dieses Bild trieb mir wieder Tränen in die Augen. Ich klickte es weg, und landete auf einmal auf Niall's Seite. Sein letzter Tweet war ungefähr zehn Stunden her, brachte aber mein Herz zum Überlaufen.

Zu wissen, dass man das Falsche getan hat, zerreißt einen innerlich noch mehr.

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