30. Only You.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, die vertraute Umgebung wiederzusehen, nachdem man für eine lange Zeit nicht mehr hier war. Die kalte, Londoner Luft schlug mir entgegen, als ich Heathrow verließ und darauf wartete, dass Haley um die Ecke gefahren kam.

Einerseits war es schön, wieder hier zu sein.

Andererseits wollte ich genauso wieder dringen weg von hier.

Meine innere Stimme schwieg zu diesem Thema. Es kam kein Ton von ihr. Dafür war ich ihr sehr dankbar, denn ich fand, es war etwas, dass ich mit mir selber ausmachen musste und nicht mit einer weiteren Stimme in meinem Kopf.

Einzelne Regentropfen prasselten auf meine Haut.

Die Leute um mich herum zückten ihre Regeschirme und rannten zu ihren Autos.

Ich zog nur meine Kapuze auf und schaute gen Himmel.

Die Tropfen verbreiteten in mir ein ruhiges, befreiendes Gefühl. Ich hatte es schon lange nicht mehr gespürt. Es war immer etwas anderes, wenn man in einem Regenschauer in London stand als in einem Regenschauer in Paris.

Hier war es irgendwie ein Teil davon.

Ein schwarzer Wagen machte vor mir halt und ich erkannte Haley hinter dem Lenkrad. Ohne Umschweife öffnete ich die Beifahrertür und ließ mich auf den Sitz fallen.

„Na, du hast ja an Umfang zugenommen", lautete ihre Begrüßung. Ich knuffte ihr als Antwort in die Seite: „Es ist auch schön, dich wiederzusehen, Hay." Sie lachte einfach nur und drückte auf's Gas.

Sie pendelte sich in den Londoner Berufsverkehr ein und ich beobachtete das normale Stadtleben. Ich musste feststellen, dass sich in den letzten Wochen nichts geändert hatte, zumindest nichts Gravierendes.

„Ich habe Jessy erzähl, dass du schwanger bist, als sie gefragt hat, wann du mal wieder kommst", sprach Haley schließlich. „Und es kann sein, dass sie vor Freude ein wenig ausgeflippt ist. Aber nur ein wenig."

Ich lachte.

Das war mal typisch Jessy.

„James hat sich auch für dich gefreut." Sie lächelte. „Eigentlich haben sich alle für dich gefreut und wünschen dir viel Glück." Doch dann wankte ihr Lächeln plötzlich ein wenig. „Sean war letztens da."

Mein Blick schnellte zu ihr. Meine Frage musste ich nicht stellen, denn sie wusste sie ohnehin schon.

„Es ... war merkwürdig, ihn wiederzusehen, irgendwie. Naja, er ist immer noch Sean, aber auf eine andere Art und Weise. Er ist nicht mehr ganz so arschlochmäßig, wenn du verstehst, was ich meine."

Da braucht sie gar nicht mehr zu fragen. Wir kennen ihn ja zu genüge.

Ich sagte nichts.

Manchmal ist es besser, wirklich nichts zu sagen und die Aussage einfach im Raum stehen zu lassen.

Da hatte sie mal Recht.

Leise Musik dudelte aus dem Radio, ein Song von irgendjemanden, den ich nicht kannte, aber die Melodie war ganz nett.

„Wie ist eigentlich dein Plan?"

„Erst bewege ich mich in die Höhle des Löwen. Und dann geht's zur O2-Arena." Ich sah zur ihr. „Aber bete, dass ich lebend aus der Höhle des Löwen herauskomme."

„Vielleicht hast du Glück und dein Vater ist nicht da."

Haley parkte vor dem Tor des Grundstücks und ich sah zu dem Haus, indem ich aufgewachsen war. Doch jetzt sah es leer und verlassen aus. Kein Licht brannte und der Wagen meines Vaters fehlte.

Ich musste zugeben, dass ein Stein von meinem Herzen fiel.

Ihm jetzt zu begegnen war, als würde ich mich einem Selbstmordkommando unterziehen.

„Ich bin gleich wieder da", sagte ich und stieg mitsamt meiner Reisetasche aus. Ich schloss die Haustür auf und die warme Luft umhüllte mich. Es war merkwürdig zu sehen, dass sich auch hier nicht wirklich was geändert hatte. Alles war noch an seinem Platz.

Ich blieb für eine Weile im Wohnzimmer stehen und musterte es.

Familienbilder standen immer noch an Ort und Stelle auf den Regalen.

Jetzt, nachdem ich die Wahrheit kannte, war es für mich nur Heuchlerei und Lügen, mit denen mein Vater die unschöne Wahrheit vertuschen wollte. Es ekelte mich an. Wenn er hier gewesen wäre, ich hätte ihm diese Bilder um den Kopf gehauen.

„Layla?"

Erschrocken drehte ich mich um.

Dad.

Er stand in voller Montur am Türrahmen und sah mich mit einem überraschten Gesichtsausdruck an.

Meiner blieb jedoch steinhart.

„Dad", erwiderte ich nur.

Dieser ... es gibt kein Wort für ihn und die Dinge, die er getan hat.

Ich bemerkte die grauen Strähnen in seinem dunklen Haar und den übermüdeten Glanz in seinen Augen, die eine matte Farbe angenommen hatten. Seine Haut wirkte ein wenig blass und er wirkte erschöpft.

Zu meiner Überraschung stand sogar Felicity nicht mal hinter ihm, er war alleine.

Er öffnete den Mund, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen: „Sag nichts, ich will nichts hören."

Damit stiefelte ich Richtung Treppe.

„Layla, es tut mir Leid."

„Glaub' mir, für die Dinge, die du getan hast, reicht ein einfaches Es tut mir Leid nicht mehr", schnaubte ich und ging stur weiter.

Mein Zimmer war unberührt und kalt. Ich schmiss die Tasche auf das gemachte Bett. Mein Blick wich zu einer Kiste unter meinem Bett, die ich nicht weggeschmissen hatte. Damals, als ich schmerzvolle Erinnerungen weggeschmissen hatte.

Ich hockte mich hin, was sich mit dem Bauch als eine schwierige Aufgabe herausstellte.

Der Kartondeckel war eingestaubt. Ich pustete den Staub weg und zum Vorschein kam meine Schrift, good memories. In dem Karton lagerten Gegenstände, Fotos, alles, was Bedeutung hatte. Ein Armband von meiner Mutter, eine schöne Kette von meiner Cousine, die Irish Love-Mütze von Niall.

Letzteres nahm ich in die Hand.

Lächelnd konnte ich mich noch zurückerinnern, dass Niall sich in Sotchi beschwert hatte, dass ich ständig irgendwelche Sachen von ihm geklaut habe – allein aber nur, um etwas zu haben, was mich in der Zeit ohne ihn tröstet.

Du tust das Richtige. Du gibst deinem alten Leben noch einmal eine Chance, mit allem was dazu gehört.

Und auch da hatte sie Recht.

Ich zog mir die Mütze auf. Das Lächeln blieb auf meinen Lippen.

Mit einem beschwingten Gefühl im Magen, machte ich mich zurück auf den Weg zu Haley. Sie sah mich mit einem forschenden Blick an, doch ich sagte nur: „Es ist okay." Und tatsächlich, in diesem Moment war es sogar wirklich okay.

Sie sagte nichts, sondern startete den Motor und fuhr Richtung O2-Arena.

Mit jedem Meter, dem wir dem großen Stadion näherkamen, nahm mein Herz ein schnelleres Tempo an.

Ich hatte mich entschieden, ein Leben mit Niall zu führen.

Ich liebte ihn.

Es war alles, was zählte.

Und jeder andere, der sich gegen solche Gefühle wehrte, war ein Dummkopf.

So wie du.

So wie ich.

Eine riesige Menschenmasse befand sich vor dem Stadion, lauter Mädchen, die wild durcheinander kreischten, sangen, unterhielten und Selfies machten.

„Das erinnert mich an das Robbie Williams-Konzert, wo wir mal waren und wir auch vollkommen ausgerastet sind, weißt du noch?" Haley lachte und parkte den Wagen.

„Oh ja. Wir haben uns ROBBIE auf die Stirn gemalt", lachte ich. „Und du kamst dann auf die Idee, ein Kuscheltier auf die Bühne zu schmeißen."

„Ey, er hat es gefangen und Danke gesagt!"

Wir fingen beide an zu lachen.

( „Du willst jetzt nicht ernsthaft ein Einhorn-Kuscheltier auf die Bühne schmeißen, oder?" – „Doch, wieso nicht?" – „Weil es absolut peinlich ist!" – „Mir egal." )

Ich atmete tief durch und dann stieg ich aus. Haley machte es mir nach und sah zu der Menge: „Ich schätze, wir nehmen den Hintereingang." – „Oh ja", lautete meine Antwort.

Paul war ganz entzückt uns zu sehen. Auch er gehörte zu den Menschen, der sich für mich freute und ließ uns ohne Probleme durch den Hintereingang ins Stadion. Haley blieb draußen stehen, mit der Begründung: „Es ist deine Sache, ich bleibe hier draußen und warte auf dich, oder komme nach."

Sie sah mich mit einem auffordernden Blick an. Ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich mich weiter vor durch die verzweigten Korridore des Backstage-Bereiches. Aus der Ferne vernahm ich Stimmen und Gitarrenklänge.

Als ich sie hörte, schoss mir sofort ein Name durch den Kopf.

Niall, sagte meine innere Stimme.

Mein Herz nahm an Tempo zu, obwohl ich nicht wusste, wieso. Vielleicht lag es an der Aufregung, vielleicht lag es an der Angst, die ich immer noch ein klein wenig verspürte. Sie wurde durch ein anderes Gefühl zurückgedrängt. Es war stärker als alles andere, was ich jemals gespürt hatte.

Als erstes kam mir ein lockiger Haarschopf ins Sichtfeld. Harry war ganz überrascht mich zu sehen: „Layla, was machst du denn hier?" Er zog überraschte beide Augenbrauen hoch, dann wanderten seine Augen zu meinem Bauch und er gab ein verblüfftes „Oh" von sich, ehe er sich räusperte: „Niall ist hinten und stimmt seine Gitarre."

Ich lächelte ihm dankbar zu und machte mich weiter auf den Weg.

„Übrigens, Layla."

Ich drehte mich zu ihm um

„War schön, dich wiederzusehen." Ein Grinsen umspielte Harrys Lippen und ich lachte leicht: „Ich dich auch, Harry, ich dich auch."

Harry verschwand lachend um die nächste Ecke und ich machte mich weiter auf den Weg. Als nächstes begegnete ich Louis und Eleanor. Letztere schaute mich mit einem wissenden Blick an und grinste, während ihr Freund ihr nur einen verwirrten Blick zuwarf und mich mit einer Umarmung begrüßte. Liam tauchte auch auf, schien aber sichtlich im Stress zu sein. Er grüßte mich nur kurz und verschwand auch schon wieder.

Wenigstens hat er den Anstand, dich noch zu grüßen.

Ja, wenigstens etwas.

Die Klänge der Gitarre wurden lauter. Ich öffnete die Türe ein Stück, hinter der die Klänge zu hören waren, und erblickte den gesuchten blonden Haarschopf. Ich versuchte keinen Mucks von mir zu geben. Niall hockte auf einem Stuhl, auf seinem Schoß die Gitarre, die er gerade stimmte. Er hatte eine konzentrierte Miene aufgesetzt.

Irgendetwas sagte mir, dass er wieder in der Phase war, wo er nichts wahrnahm, außer den Klang seiner Gitarre. („Ich kann das nicht beschreiben, aber wann immer ich meine Gitarre stimme, ist es, als würde alles andere um mich herum verschwinden.)

Ich sah ihm einfach nur zu.

Es waren sanfte, warme Klänge, die einem doch durch Mark und Bein gingen. So sanft, aber zugleich auch so ausdrucksstark. Es gab wenige, die solche Musik mit der Gitarre spielen konnten.

Just in diesem Moment fiel mir wieder Taylors Gitarre ein, oder vielmehr meine, die sie mir zu meinem Geburtstag geschenkt hat und die noch immer auf meinem Schrank in meinem Zimmer lag. Bei der nächsten Gelegenheit sollte ich sie vielleicht da runter holen.

Irgendwann erwachte er aus seinem Tagtraum und der Klang verstummte. Niall stellte die Gitarre zurück auf den Ständer. Als er sich umdrehte, sein Blick mit meinem verhakte, hielt er mitten in der Bewegung inne.

„Das war schön, was du gespielt hast", sprach ich lediglich und lächelte

Er sah mich für eine Weile einfach nur an. Vielleicht, weil er verdauen musste, dass ich wirklich zurückgekommen war und einen Neustart wollte. Selbst an den Ring hatte ich gedacht und ich konnte noch immer nicht leugnen, dass mich ein wohliges Gefühl durchfuhr, als ich ihn angezogen habe.

Ich wurde in eine feste Umarmung gezogen und a liefen bei mir die Tränen.

Ich war da, wo ich hingehörte.

Bei ihm.



So, nach langem Warten wieder ein Update. Ich hoffe, es hat euch gefallen und wir sehen uns im nächsten :D

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