17. Ein einfaches Wieso

Meine Sinne waren wie benebelt, als ich immer und immer wieder das Stück Papier in meinen Händen durchlas. Insgeheim hoffte ich, dass das nur ein mieser Scherz war, doch mit jedem weiteren Mal, den ich den Zettel durchlas, wurde mir klar, dass das hier Realität war.

Haley sah mich besorgt an. Ihr Mund stand leicht offen, beinahe als suchte sie noch die passenden Worte, die mich trösten sollten. Aber anscheinend belehrte sie sich eines Besseren und schloss ihn wieder. In diesem Fall gab ich ihr sogar Recht. Keine Worte der Welt würden mich trösten können. Nicht, nachdem ich diesen Zettel in der Hand gehalten hatte.

Meine Hände fingen an zu zittern.

Meine Muskeln fingen an zu zucken. Mein Herz zog sich in meiner Brust zusammen, schmerzhaft, unvorstellbar schmerzhaft. Ich bekam beinahe keine Luft, aber ich kämpfte gegen den Schmerz an, um der Wut freien Lauf zu lassen.

Ich zerriss das Papier in tausend kleine Stücke. Es wurde das reinste Puzzle, obwohl ich mir sicher war, dass selbst der raffinierteste Mensch der Erde dieses Ding nicht mehr zusammenbasteln konnte. Meine beste Freundin sah mir stumm zu, wie ich meine Wut auf das Papier übertrug und dann auf die Scheidungspapiere meines Vaters.

Und ich hatte gedacht, ich würde diesen Verräter kennen.

Aber falsch, wenn ich es getan hätte, dann hätte ich von seinem Vorhaben gewusst. Er hatte sich von Mum scheiden wollen, kurz bevor sie gestorben war. Da erlaubte er es sich noch auf ihrer Beerdigung zu erscheinen, obwohl er hätte auch dabei mit Felicity ins Bett steigen können, so wie in den letzten anderthalb Jahren auch.

Jetzt ergab auch dieser Hass gegenüber Mum einen Sinn.

Es lief schon eine ganze Weile was zwischen ihnen und Felicity hatte gewollt, dass sich dieser Dreckskerl namens mein Vater von meiner Mum scheiden ließ. Jetzt war auch mein Hass gegenüber ihr berechtigt, denn endlich hatte ich etwas, um sie aus meinem Leben zu kicken.

„Layla, ich glaube wir sollten...", begann Haley zögernd, aber als ich sie mit einem fuchsteufelswilden Blick ansah, klappte sie ihren Mund zu und schluckte. Ich zerriss die Scheidungspapiere und stopfte sie mit dem Vertrag in die Tonne.

„Komm, lass uns gehen." Ich versuchte mich zu beherrschen, obwohl ich einem lauten Schrei und einem Nervenzusammenbruch verdammt nah stand. Aber ich versuchte es, diesen Triumph würde ich meinem Vater nicht gönnen.

Haley nickte und folgte mir wie ein Hündchen seinem Herrchen zurück zu mir nach Hause. Ein knallgelbes Auto stand in der Einfahrt. Von weitem erkannte ich, dass es sich dabei um Felicity's Wagen handelte. Ich ballte meine Hände zu Fäuste bis meine Knöchel weiß wurden. Vor Wut schaffte ich es nicht einmal, diese verdammte Haustür zu öffnen. Zum Glück war Haley bei mir, die mir den Schlüssel aus meiner Hand nahm und die Tür selber aufmachte.

Von oben hörte ich das Quietschen des Bettes.

Ein Gefühl des Ekels überrannte mich. So sehr, dass ich mich fragte, wie mein Dad ein solches Arschloch werden konnte. Aber es war mein Schicksal, was sollte ich auch schon anderes sagen. Es hasste mich und ließ mich leiden, so wie immer.

Du solltest dich rächen. Dafür, dass er dir deinen Freund genommen hat und dafür, dass er so ein Arschloch ist. Es tut mir leid es sagen zu müssen, aber er hat es einfach verdient. Und ich glaube, in diesem Punkt wird mir jeder andere Mensch auch zustimmen, sagte meine innere Stimme.

Nicht nur jeder Mensch, sondern auch ich.

Ich warf Haley einen Blick zu, aber es schien nicht so, als würde sie mich aufhalten wollten. Sie setzte sich auf den Fuß der Treppe und verschränkte abwartend die Arme. Ich liebte sie dafür, einfach dass sie meine beste Freundin war und auf meiner Seite stand. Es tat gut zu wissen, dass wenigsten ein Mensch auf deiner Seite stand und dem du blind vertrauen konntest.

Nicht wie bei anderen Menschen, warf meine Stimme noch knurrend ein.

Ich rannte die Treppe hoch. Das Quietschen des Bettes hörte nicht auf, anscheinend waren sie zu sehr in ihrem „Akt der Liebe" vertieft und hörten mich gar nicht.

Ich fühlte mich alles andere als schlecht, als ich die Tür zu Dad's Schlafzimmer aufstieß und diese krachend gegen seinen Kleiderschrank stieß. Felicity entfloh ein schriller Schrei und zog sich die Decke über ihren entblößten Körper. Dad fiel vor Schreck fast vom Bett, aber das war mir gerade sowas von egal.

Mein Gesicht war rot angelaufen, meine Muskeln so angespannt wie noch nie. Jeder Mensch wäre vor mir davongelaufen, aber was mich wirklich zum Explodieren brachte war, dass Felicity sich zu fragen erlaubte: „Was macht die in deinem Schlafzimmer?!"

„Raus aus diesem Haus, du verdammtes Flittchen!" Ich riss ihr die Decke weg und zog sie ein paar Zentimeter mit, weil sie sich verbissen an die Decke klammerte, die ihren nackten Körper verdeckte.

Wenn ich ehrlich sein soll, dann hätte ich mir den Anblick ihres komischen Herzchen-Tattoos um ihren Bauchnabel ersparen können. Ich meine...ein Herzchen-Tattoo! Welcher Mensch, der bei Sinnen wäre, würde sich ein so hässliches Tattoo stechen lassen?!

Ich antwortete ihr nicht, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war nicht direkt auf Felicity loszugehen. Sie schnappte sich so schnell sie konnte ihre Klamotten und flüchtete aus dem Schlafzimmer. Als sie de Raum verlassen hatte, knallte ich die Tür hinter ihr zu und drehte mich zu Dad um, der mich mit zusammengepressten Lippen ansah: „Wieso?"

Wieso?

Ein einfaches Wieso?

„Mehr hast du nicht dazu zu sagen?! Du fragst mich nur Wieso? Ich glaube, du weißt ganz genau, wieso, du verdammter Verräter! Denkst du, ich wäre doof? Dachtest du wirklich, ich würde den ganzen Scheiß, den du hinter meinem Rücken fabriziert hast, nicht herausfinden? Dachtest du das wirklich allen Ernstes?"

Dad öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber ich unterbrach ihn, bevor er auch nur den Hauch einer Chance gehabt hatte, mir zu antworten. „Ich kann nicht glauben, dass du Verräter auf Mum's Beerdigung gegangen bist, obwohl du es seit Monaten mit Felicity treibst und die Scheidung einreichen wolltest! Hätte ich das gewusst, hätte ich dich eigenhändig vom Friedhof gezerrt und dich in Stücke gehakt!"

Sein Gesicht wurde ganz blass, als ich die Scheidung erwähnte, jedoch war ich so in rage, dass es mir sowas von egal war, ob er innerlich doch so etwas wie Gefühle hatte oder doch so ein gefühlskalter Business-Kerl war wie alle anderen auch.

Ich atmete für einen kurzen Moment durch, um meine Sinne wieder zu sammeln und meine Wut zu zügeln, damit ich ihm im Angesicht des Gefechts klar machen konnte, wie enttäuscht und verletzt ich war, besonders weil er mein Dad war und ich geglaubt habe, von ihm, meinem eigenen Vater, als letztes verletzt zu werden. Doch wie immer hatte ich mich getäuscht.

„Aber der Oberhammer ist ja immer noch dieser Vertrag, den Niall unterschreiben musste. Wieso, Dad? Wieso? Wieso willst du mich so leiden lassen, obwohl du weißt, dass ich ihn liebe? Du hast mir die Liebe meines Lebens aus den Händen gerissen, nur damit ich weiter dein kleines Mädchen bleibe oder wie?! Ich bin so unendlich enttäuscht von dir. Dank dir darf vielleicht dein einziges Enkelkind ohne Vater aufwachsen. Weil ich das euch niemals verzeihen werde!"

Bevor mir auch nur klar geworden war, was ich da gesagt habe, waren mir die Worte einfach aus dem Mund gesprudelt wie flüssiges Wasser. Aber ich bereute sie nicht. Ich sollte es, weil ich mir geschworen hatte, es vor ihm geheim zu halten. Doch jetzt sollte er wissen, was er mit seinem Vertrag verursacht hat – er hat nicht nur mein Leben damit zerstört, sondern auch das eines ungeborenen Kindes.

Mit einem Mal wurde sein Gesicht kreidebleich: „E-Enkelkind?"

Als Antwort sah ich ihn nur stumm an.

Worauf wartest du denn?!, forderte meine innere Stimme mich ungeduldig auf, doch ich sagte kein Wort. Ich wollte seine Antwort abwarten, wenn er überhaupt mir antworten sollte.

Dad's Mund stand ein wenig auf, aber er sagte kein Wort.

Das war mir Antwort genug.

„Ich wünsche dir noch ein schönes Leben, Dad." Ich drehte mich auf den Absatz um und verließ den Raum. Dabei knallte ich die Tür so laut zu, dass ich hörte, wie ein paar Bücher aus seinem Bücherregal zu Boden fielen.

Haley hatte unten auf mich gewartet und sah mich neugierig an, aber ich schüttelte nur den Kopf und deutete ihr damit an, dass ich es ihr später erzählen würde. Ich begab mich zur Haustür, stoppte jedoch kurz vorher, um aus einer der Schubladen der Kommode, die im Flur stand, herumzuwühlen und eine Kreditkarte und meinen Reisepass herauszuholen. Meine beste Freundin sah mich fragend an, aber ich gab ihr keine Antwort.

Ich schwang meine Beine in mein Auto, Haley setzte sich dazu. Zwei Sekunden später, nachdem sie die Tür zugemacht hatte, fuhr ich in einem Tempo los, bei dem man den Fahrer als Irren nennen kann.

Meine Hände umklammerten zitternd vor Wut und Enttäuschung das Lenkrad. Ich wusste nicht mehr ganz, was ich denken sollte. Die Menschen, die mir sehr viel bedeuten, hatten mich beide verraten.

Dieser Schmerz in meiner Brust tat so verdammt weh, dass es mir für eine Sekunde den Atem raubte. Mein Herz zog sich zusammen, schlug doppelt so schnell weiter. Meine Hände fingen an zu schwitzen, ohne dass ich es wollte.

Eine Träne rann meine Wange hinab. Ich lockerte eine Hand und wischte sie von meiner Wange.

Ich wollte nicht weinen.

Nicht jetzt.

Mit einem Blick auf die Uhr bemerkte ich, dass wir mittlerweile halb zwei hatten. Es war auch keine Menschenseele mehr zu sehen. Kein Lachen von den Straßen oder sonst auch keinen Hinweis dafür, dass hier vor knapp einer Stunde noch Menschen hier gewesen waren.

Vor der AML blieb ich mit dem Wagen stehen. Haley sagte erst nichts, sondern sah mich an: „Fliegst du zu deiner Grandma?" Als ich nicht antwortete, wusste sie trotzdem, dass dem so war.

Meine Grandma war mein letzter Ausweg aus dieser Situation und sie wohnte weit genug weg, um ein wenig Abstand von all dem zu bekommen.

Mein Blick richtete sich gerade aus auf den Campus. „Ich schreibe dir, wenn ich angekommen bin."

Haley nickte und stieg aus. Bevor sie die Tür zumachte, sagte ich noch: „Haley?"

„Ja?"

Ein kleines, trauriges Lächeln schlich sich auf meine Lippen. „Danke, dass du für mich da warst." Meine beste Freundin warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu. „Dafür ist eine beste Freundin da. Vergiss nicht mir zu schreiben, wenn du angekommen bist." Damit schloss sie die Wagentür und machte sich auf den Weg zu ihrem Wohnheim.

Ich beobachtete sie noch, wie sie den geteerten Weg zu ihrem Wohnheim lief und dann in der Dunkelheit des Hauses verschwand.

Mein Handy fing an zu klingen. Ich ignorierte den Anruf, wer auch immer der Anrufer gewesen sein mochte, schaltete mein Handy aus und machte mich auf den Weg zu meiner Grandma.

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