Risse

Gestern hatte ich einen Traum. Das war eigentlich nichts ungewöhnliches, da ich das eigentlich jede Nacht hatte. Meistens erinnerte ich mich am nächsten Morgen noch, wenn auch nur bruchstückhaft, an das, was ich geträumt hatte.

Dieser eine Traum aber war anders. Ich glaube ich träumte ihn die ganze Nacht, denn selbst als ich kurz erwachte und danach wieder weiterschlief, setzte er sich einfach fort.
Als ich am Morgen aufstand, verblasste er nur zögerlich und hinterließ mich mit einem seltsamen Gefühl im Bauch.
Es war das vage Gefühl, dass das, was ich geträumt hatte, irgendwie bedeutend gewesen war.
Auch jetzt, einige Tage später, hatte es sich noch nicht vollständig verflüchtigt.

Ich hatte mir das Bein gebrochen, so viel weiß ich noch. Wie genau es passierte kann ich nicht mehr sagen, ich glaube ich war gestürtzt.
Im Nachhinein betrachtet ergibt diese Art der Verletzung unter solchen Umständen keinerlei Sinn, aber mein medizinisches Wissen scheine ich wohl noch nicht im Schlaf anwenden zu können.

Ferner weiß ich auch noch, dass ich einen Arzt aufsuchte, der ein Röntgenbild anfertigte und mir anschließend mitteilte, ich hätte lediglich einen Riss im Knochen, der aber trotzdem operativ versorgt werden müsse. Er entließ mich mit der Bitte, in einigen Tagen wieder zu erscheinen.

Ich setzte also meinen Alltag fort, irgendwie eingeschränkt, aber dennoch ohne größere Probleme, zumindest so lange bis ich mit anderen mithalten musste.

Niemand konnte verstehen, warum ich plötzlich nicht mehr so leistungsfähig war und als ich es erklärte, nahm man mich nicht ernst.
Ich denke es war weil man die Verletzung nicht sah. Ich spürte sie, mit jedem Schritt den ich tat, spürte wie sie mir Fesseln anlegte, aber für alle anderen war sie unsichtbar. Denn irgendwie war mein Bein gebrochen, aber irgendwie auch nicht.

Ich wünschte, die anderen hätten auf mich gewartet oder zumindest versucht mich zu verstehen. Aber niemand konnte es. Vielleicht wollte es auch einfach niemand versuchen.

Ich wünschte es wäre leichter gewesen für mich darüber zu sprechen, aber die Angst vor dem Unverständnis der anderen hinderte mich daran, bis ich mich dann irgendwann erklären musste und in meiner Ahnung bestätigt wurde.
Vielleicht musste es so kommen. Ich hatte es immerhin nicht anders erwartet.

Und so lebte ich mit dem gebrochenen Bein.

Ich erwachte, bevor ich operiert wurde, bevor das Bein heilen konnte.

An diesem Morgen stand ich auf und lebte meinen Tag und hatte das Gefühl, dass der Traum irgendwie bedeutend gewesen war.
Aber ich hatte mir nichts gebrochen. Ich hatte keinen Riss im Knochen.

Nur einen in der Seele. Aber das war etwas anderes.

Meine lieben Leser,
diese Kurzgeschichte basiert tatsächlich auf dem in ihr geschilderten Traum und entspricht ziemlich genau den Tatsachen. Das Thema, womit sie sich aber eigentlich beschäftigen soll, ist ein anderes, was sich wohl eher zwischen den Zeilen findet.
Mich würde interessieren, ob ihr es entdecken könnt, oder ob ich zu kryptisch geblieben bin. Ein falsch gibt es trotzdem nicht, jede Perspektive ist eine Bereicherung und Inspiration für mich.
Teilt mir also gerne eure Gedanken mit!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top