Kapitel 1
Es waren jetzt schon mehr als zwei Wochen vergangen seit, das St. Michaels Waisenhaus, für James und Emely zu ihrem neuen Zuhause geworden war. Außerdem war es nun knapp ein Monat her, dass ihre Eltern bei dem schlimmen Autounfall verstorben waren, welcher sie zu Vollwaisen gemacht hatte.
Seit der Beerdigung hatte er kaum ein Wort mit jemandem gesprochen, nicht mit der Polizei, nicht mit dieser Dame vom Sozialamt, nicht mal die nette, fürsorgliche Misses Nex hatte ein Wort aus ihm raus bekommen. Dabei gab sie sich alle Mühe es James und Emely so angenehm wie möglich zu gestalten. Anfangs hatten sie sogar in einem gesonderten Zimmer schlafen dürfen, doch jetzt waren sie getrennt worden, wobei sich James nicht sicher war ob es ihm nicht mehr ausmachte als seiner jüngeren Schwester Emely. Diese versuchte wenigstens sich mit ihrer Situation abzufinden, er hingegen resignierte. Miss Nex war ihre Erzieherin, eine adrett gekleidete Dame mittleren Alters, wie alt sie genau war konnte James schlecht einschätzen zumindest zeigte ihr dunkelbraunes Haar noch keine graue Strähne auf. Diese waren stets zu einem fein säuberlichen Knoten frisiert. Sie wirkte auf James ganz nett und Emely hatte sie sofort um den Finger gewickelt. Besonders als sie erklärt hatte, dass sie im Sommer gelegentlich zum nahe gelegenen Bauernhof gingen um dort bei der Pflege der Tiere zu helfen. Emely liebte Tiere und vor allen anderen Dingen Pferde.
In Avoling, so war der Name der Stadt gewesen in der sie gelebt hatten, dort war Emely die Besitzerin von ein Dutzend Pferdefiguren gewesen. Seit dem Umzug besaß sie nur noch drei. Die meisten ihrer Spielsachen mussten sie zurück lassen. Nach dem James sein neues Zimmer bezogen hatte, wusste dieser auch warum. Die Schlafzimmer waren winzig. Es war kaum Platz für unnützen Krempel. Das Waisenhaus beheimatete mit ihnen nun knapp 64 Kinder und Jugendliche.
Das alte Herrenhaus, das seit nun gut einem Jahrhundert im Besitz des Staates war, befand sich etwas abgelegener der Stadt und diente seit gut 80 Jahren als städtisches Waisenhaus. Mit dem roten Backstein Gemäuer und den vergitterten Fenstern wirkte es von außen nicht gerade einladend. Früher war es im Besitz eines Grafen gewesen, der für diesen Teil der Ländereien von Winchester zuständig gewesen war. Dementsprechend alt und marode, war das Herrenhaus auch. Die Zeit hatte seine Spuren hinterlassen, oft knarzte und ächzte das alte Haus. Manchmal hörte es sich fast so an als würde es atmen. Als besonders schlimm empfand James die grün gekachelten Waschräume, diese stammten sicher noch aus der Vorkriegszeit.
Obwohl James, Emelys großer Bruder war, konnte man sie von Alter her kaum unterscheiden, für seine zwölf Jahre war er doch noch sehr klein geraten, sodass viele dachten er und Emely wären im selben Alter.
Die Tage vergingen ohne, dass James nur ein Wort sprach, doch diese Nacht sollte es anders kommen.
Es war zwei Uhr nachts, dass sagte ihm die Wanduhr, die an der anderen Seite des Zimmers, an der kahlen Wand hing. Der Mond schien spärlich durch das Fenster und bot gerade mal so viel Licht, dass er die Zeiger erkennen konnte. James lag in seinem Bett, hellwach, etwas hatte ihn geweckt. Es musste ein Geräusch gewesen sein, dessen war er sich sicher. Er war in einem Schlafzimmer, das er noch mit vier weiteren Knaben in seinem Alter teilen musste. Er kannte sie schon vom Sehen, einer von ihnen hatte James sogar schon angesprochen, dieser hieß Marc. Marc hatte es aber schnell wieder aufgegeben nachdem er bemerkt hatte, dass die Versuche mit James zu sprechen sinnlos waren.
Die Betten standen jeweils mit dem Kopfende zur Wand, drei auf jeder Seite. James Bett war in der Mitte zwischen Brian und Alex, gegenüber von ihm war Marcs. Da bemerkte er, dass dieses leer war, die Bettdecke war zurück geschlagen. Vermutlich war dieser nur auf die Toilette gegangen. Dabei wusste er doch ganz genau, dass keine der Erzieherinnen es gern sah wenn sich jemand nachts draußen herum schlich.
James drehte sich zur Seite, zog die Bettdecke bis zum Kinn hoch und schloss die Augen. Gerade als er weg zu dämmern drohte, hörte er es erneut.
Ein Kratzen oder ein Schaben.
Er öffnete wieder die Augen, mit einem Mal war er hell wach. Woher kam dieses Geräusch? Er schaute sich unruhig im Zimmer um, doch weder an dem Ende des Raumes, dort wo der Kleiderschrank stand, noch an der kleinen Kommode die sich neben der Türe befand, war etwas zu erkennen.
Die anderen Jungs schliefen, keiner schien es bemerkt zu haben.
James spähte zur Uhr hinüber, es waren schon zehn Minuten vergangen. Marcs Bett war jedoch immer noch leer. Er lauschte, das Geräusch war nicht mehr zu hören, nur das leise Atmen seiner Zimmerkameraden war zu vernehmen. Trotzdem fröstelte es ihn, als er an das Geräusch dachte.
James zog die Decke über den Kopf, vielleicht hatte er sich alles nur eingebildet, aber er wollte nichts dem Zufall überlassen, unter seiner Decke war er sicher. Er konnte darunter zwar schwer atmen aber er war sicher.
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