7 | Lieber im Wohnmobil
2.353 Wörter
Was für eine Frage! Ich bin gerade mal drei Tage in der Stadt. Wie soll ich da schon irgendetwas vorhaben? Deswegen will ich im ersten Moment auch mit Nein antworten, aber dann fällt mir ein, dass das ja doch gar nicht stimmt. »Ja. Ich habe einen zweiten Job gefunden. In der Kletterhalle. Monkeys' Jungle oder so heißt die, glaube ich. Morgen fange ich an.« Wie komme ich da morgen überhaupthin?, schießt es mir im nächsten Moment durch den Kopf. Ich müsste, wenn ich denn den Weg kennen würde, einmal quer durch Dallas laufen. Aber ich kenne den Weg nicht. Und Roy kann ich unmöglich darum bitten mich dorthin zu bringen. Er hat schon mehr als genug getan.
»Cool! Wann musst du da sein?« Er stellt den leeren Rucksack am Fußende des Bettes ab und kommt ein paar Schritte auf mich zu.
»Um elf!«
»Ich fahr' dich!«, sagt er leichthin.
»Du brauchst - «, will ich gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als er mich unterbricht.
»Nein, nein, ich fahr' dich gerne.«
Sein Blick lässt mich darauf schließen, dass jeder Widerstand zwecklos ist, deswegen lächle ich ihn nur ergeben an. »Danke! Ich bin dir echt was schuldig!«
»Nicht lange!«, zwinkert er mir verschwörerisch zu. »Komm am Sonntag mit mir zum Karaoke - Wettbewerb im Little Edge.«
Er will sich mit mir treffen? Das hätte ich nicht erwartet. Ein wohliges Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus, dass ich mit einer Frage zu überspielen versuche. »Zu einem Karaoke - Wettbewerb? Hast du denn vor zu singen?« Kess grinse ich ihn an. Trotzdem kann ich meine Überraschung, dass er mich um ein Treffen bittet und die daraus resultierende Freude nicht gänzlich ignorieren und verbergen.
Unsicher lächelnd fasst er sich in den Nacken. »Nicht wirklich! Muss ich denn?« Meine Reaktion abwartend legt er den Kopf schief und sieht mich aus flehenden Augen an. Als wüsste er, dass ich dieser Geste nicht widerstehen kann.
»Nein!« Ich schüttle den Kopf. »Aber interessieren würde es mich schon.« Und das stimmt. Ich würde gerne wissen, wie seine Stimme klingt, wenn er singt. Beim Sprechen finde ich sie schon schön. Sie ist tief. Es ist so eine typische Geschichtenvorleserstimme, die man als kleines Kind von Hörbüchern kennt.
»Mal sehen! Kommst du denn mit?«, fragt er mich schmunzelnd.
»Ja, sehr gerne!«
»Ok, passt gegen sieben bei dir? Oder musst du noch länger in der Kletterhalle bleiben?«
»Nein, sieben ist perfekt.« Vorfreudig knete ich meine Finger und schaue ihn grinsend an. Er will sich wirklich mit mir treffen! »Ist das einDate?«, frage ich zögerlich. Irgendwie hoffe ich, dass es eins ist.
»Möchtest du denn, dass es eins ist?«, fragt er schelmisch zurück.
Leicht aufgekratzt wippe ich auf meine Zehenspitzen, versuche meine Freude nicht allzu offensichtlich zu zeigen - obwohl ich sicher bin, dass mir das nicht gelingt - und murmle: »Von mir aus kann es eins sein!«
»Gut, dann haben wir ein Date.« Auch wenn die Worte aus seinem Mund recht unspektakulär klingen, ich sehe ihm an, dass auch er versucht seine Freude darüber, dass ich zugestimmt habe, zu zügeln. Wir sind wohl beide schlecht darin es vor dem jeweils anderen zu verbergen.
Einen Augenblick sehen wir uns noch versonnen an, bis Roy schmunzelt und mir gute Nacht sagt. Das Zimmer verlassend schlendert er auf sein Eigenes zu und als er die Tür öffnet, erhasche ich eine kurzen Blick auf eine blaue Wand, an der ein großes Poster von einem Surfwettbewerb hängt.
Roy will gerade die Tür schließen, als er merkt, dass ich ihn immer noch ansehe. Frech zwinkert er mir zu, dann schließt er die Tür und ich spüre, wie sich meine Wangen leicht rosa färben. Ich sollte wirklich aufhören ihn zu beobachten oder es zumindest nicht so offensichtlich tun.
Über mich selbst den Kopf schüttelnd, aber trotzdem glücklich, nehme ich die dünne Decke und das Kopfkissen von gestern vom Bett und lege es gefaltet daneben auf den Boden. Dann habe ich übermorgen also ein Date. In Dallas. Nach nur drei Tagen. Ich muss wahnsinnig sein.
Ich mache mich bettfertig und schlafe anschließend voller Vorfreude auf Sonntag ein.
Roy hält vor der Kletterhalle und ich schnalle mich ab.
»Heute Nachmittag kann ich dich übrigens nicht abholen. Da bin ich arbeiten«, eröffnet er mir, als ich gerade nach meiner Tasche im Fußraum greifen will. »Aber Hillary muss heute nicht arbeiten, deswegen werde ich gleich mal fragen, ob sie dich abholen kann.«
Mir ist unwohl bei dem Gedanken, dass Roy Hillary fragen will. Nicht, weil ich Hillary nicht mögen würde, aber ich falle allen hier so unglaublich zur Last. Ich kann mich doch nicht die nächsten zwei Monate von ihnen rumkutschieren lassen, bloß weil ich kein Auto habe. »Du brauchst Hillary nicht zu fragen. Ich werde mit der Straßenbahn fahren«, sage ich deshalb kurzentschlossen und öffne die Tür. Mein Geld wird dafür schon noch reichen.
»Wieso denn? Es ist für mich kein Problem, Hillary zu fragen!«
»Aber für mich, Roy! Ich kann euch unmöglich so zur Last fallen. Was macht das denn für einen Eindruck? Ihr lasst mich bei euch wohnen. Das ist mehr als genug!«
Ergeben schaut Roy mich an, sieht wohl ein, dass ich recht habe. »Ok!«
Warum will er so viel für mich tun? Es gibt nichts wofür er sich so revanchieren müsste. Trotzdem schmeichelt es mich, dass er sich so um mich sorgt, aber irgendwann ist es einfach zu viel. »Dann brauche ich jetzt nur noch eure Adresse.«
»6504 Mimms Drive«
»Ok, dann werde ich nachher gucken, wie ich mit der Straßenbahndahinkomme. Aber ich denke, das wird kein Problem sein«, lächle ich ihn an und steige dann aus. »Bis heute Abend!«
Die Arbeit in der Kletterhalle vergeht schnell. Außer mir sind noch vier weitere Mitarbeiter da. Die haben allerdings alle wesentlich mehr Erfahrung als ich. Während ich einfach nur die Klettergurte austeile und wieder wegräume, geben sie den meisten Leuten, die zum ersten Mal hier her kommen, noch eine Einweisung, wie man sicher klettert.
Zwischendurch, wenn ich nichts zutun habe, sitze ich hinter der Kasse und schlage die Zeit tot. Zum Glück habe ich dafür aber nur sehr wenig Gelegenheit. Am Wochenende geht es hier wirklich rege zu. Jede Kletterwand ist besetzt und viele Kinder mit ihren Eltern flitzen durch die Halle. Manchmal hört man eins von ihnen beleidigt rufen, weil es es nie bis zum Ende der Kletterwand schafft oder doch endlich mal an eine schwierigere Kletterwand will, die Eltern es aber nicht erlauben.
Um kurz nach fünf räume ich gerade noch ein paar Gurte in den Schrank zurück, als Faiden, einer der anderen Mitarbeiter, ein schlacksiger, hochgewachsener Typ mit schulterlangen, dunkeln Haaren, sich schräg hinter mich stellt. Er ist okay, eine Quasselstrippe, aber okay.
In der Pause hat er mir jede Menge Storys erzählt, was denn schon alles in dieser Kletterhalle passiert ist. Manche Geschichten waren ganz interessant oder lustig, aber die meisten waren einfach nur langweilig. Zwar war das in der Pause ganz praktisch, so musste ich nichts erzählen, aber jetzt will ich einfach nur schnell nach Hause und hoffe, dass er mir nicht noch irgendetwas erzählen will.
»Hast dich ja wacker geschlagen für deinen ersten Tag. Hat's dir denn gefallen?«
Ich schlage die Schranktüren zu, erleichtert, dass er mir wirklich nichts erzählen will und drehe mich dann zu ihm um. »Ja, hat Spaß gemacht! Ist mal was anderes als die ganze Zeit Hunde auszuführen und Leuten ihren Kuchen zu bringen.«
»Na, dann sehen wir uns morgen. Falls du heute abend hier noch was verpassen solltest, dann erzähle ich es dir morgen«, sagt er grinsend.
»Mhh, tu das mal!«, sage ich wenig begeistert, aber er scheint es nicht zu bemerken. Und damit er nicht auf die Idee kommt mir noch eine Geschichte zu erzählen, frage ich ihn schnell: »Weißt du, wo hier in der Nähe eine Straßenbahnstation ist?«
Er verschränkt kurz die Arme vor der Brust und überlegt, dann wendet er sich zum Ausgang. »Wenn du hier gleich links rausgehst und dann direkt nochmal links in die Straße einbiegst, müsste da ein Stückchen weiter eine kommen.«
»Ok, danke!« Ich verabschiede mich von Faiden, hole meine Tasche aus einem kleinen Schließfach für die Mitarbeiter und gehe nach draußen. Ich will gerade um die Ecke biegen, da werde ich von der Seite angesprochen.
Eine junge, leicht asiatisch aussehende Frau mit dunkelroten, wild abstehenden Haaren steht vor mir. »Sind Sie Annie?«, fragt sie lässig einen Kaugummi kauend. Diese Geste steht im völligen Kontrast zu ihren Haaren, die wirken, als wäre sie heute morgen schwer in Eile gewesen.
Irritiert sehe ich die Frau an. »Ja? Und wer sind Sie?«
»Ich bin Joan! Roy hat gesagt Sie bräuchten 'ne Mitfahrgelegenheit. Stimmt das?«
»Er sollte doch niemanden fragen!«, murmle ich ein wenig erbost über ihn, kann aber nicht vermeiden, dass ich über seine Fürsorglichkeit auch etwas lächeln muss. Kopfschüttelnd sage ich zu Joan: »Ja, ja das stimmt.«
»Dann steigen Sie ein!«, fordert sie mich freundlich auf und läuft auf ein kleines, knatschgelbes Auto zu, steigt selbst ein.
Schnell laufe ich ihr hinterher und setze mich ebenfalls ins Auto. Im Fußraum liegen jede Menge leere Plastikflaschen rum, die ich mit dem Fuß etwas zur Seite schiebe. Generell ist es hier sehr unordentlich. In der Mittelkonsole liegen Bonbonpapiere und in den Fächern an den Türen liegt auch jede Menge Krimskrams. Taschentuchpackungen, eingerollte Zeitschriften, mehrere verschiedene Kaumgummidosen und sogar eine Haarbürste kann ich entdecken.
»Entschuldigen Sie das Chaos! Ich bin einfach zu faul hier Ordnung zu machen.« Sie bückt sich in den Fußraum, greift ein paar der Flaschen und schmeißt sie achtlos auf die Rückbank. Dabei entdecke ich ein Tattoo auf ihrem rechten Handrücken. Feine Schnirkel und Kreise ziehen sich von dort aus bis zu den Fingerspitzen. Es sieht wirklich hübsch aus und das, obwohl ich normalerweise kein Fan von Tattoos bin. »So, jetzt haben Sie mehr Platz.«
»Danke, aber Sie können mich ruhig Annie nennen.«
»Ok, werde ich mir merken. Mir ist es egal, ob du mich sizt oder lieber duzt. Such dir was aus!« Sie zuckt gleichgültig mit den Schultern und steckt den Schlüssel ins Zündschloss. »Nicht erschrecken!« Mit einem Krachen springt der Motor an und Joan rollt vom Parkplatz.
Während der Fahrt fängt sie hin und wieder mal ein Gespräch mit mir an. Sie fragt mich, wo ich herkomme, ob ich Geschwister habe, wo meine Eltern leben und wie mir Dallas bis jetzt gefallen würde. Anscheinend hat Roy ihr schon erklärt, wieso ich momentan bei ihnen lebe.
Kurz bevor wir ankommen, frage ich, wo sie die letzten Tage gewesen ist. Erst antwortet sie nicht und ich befürchte, dass meine Frage zu persönlich war, aber dann sagt sie: »Bei meinen Eltern in Arlington. Nicht weit von hier. Ich musste ihren Hund versorgen, weil mein Vater operiert worden ist und ein paar Tage im Krankenhaus lag.«
»Oh, ich hoffe es geht ihm wieder gut.«
»Ja, alles wieder bestens. Sein Fuß ist zwar immer noch ziemlich angeschwollen von der OP, aber sonst ist er fit. - So wir sind da.« Mit einem Ruck hält sie das Auto an und schaltet den Motor ab.
Als wir zusammen aussteigen, denke ich für einen kurzen Moment, dass ich jetzt irgendwie lieber in meinem stickigen Wohnmobil wäre, als hier. Roy ist arbeiten und ohne ihn war ich noch nie bei ihm zu Hause und weiß nicht, was ich jetzt machen soll. In meinem Wohnmobil würde ich jetzt das Geschirr von heute morgen aufräumen. Oder mein Abendessen kochen. Ich würde lesen oder ein bisschen an der Graffitischrift, mit der ich mein Wohnmobil noch verzieren will, arbeiten, aber ich habe die angefangene Zeichnung nicht mitgenommen und Bücher habe ich auch keine eingepackt. Ich könnte fragen, ob ich für heute abend schon mal kochen soll, aber gestern ist noch so viel übrig geblieben, dass wir heute wahrscheinlich einfach die Reste essen. Oder aber ich verschanze mich einfach bis Roy heute abend kommt in meinem Zimmer. Wahrscheinlich ist das noch die beste Option.
Joan schließt die Haustür auf und lässt ihre Tasche achtlos in eine Ecke neben der Tür fallen. In dem Moment kommt Hillary mit einem kleinen Katzenbündel auf dem Arm die Treppe runtergelaufen. »Joan, heb deine Tasche auf! Du weißt ich kann es nicht leiden, wenn du sie einfach in die Ecke schmeißt.«
»Och Hillary, sei doch nicht immer so pingelig!«, entgegnet Joan genervt. »Ich bin zwei Sekunden zu Hause und schon kriegst du wieder 'nen Aufräum - Fimmel.«
»Wer so unordentlich ist wie du«, kontert Hillary nur spitz und geht mit dem kleinen, grau - weißen Kätzchen in die Küche. Hauptsache sie kommt mir damit nicht zu nah. Widerwillig hebt Joan die Tasche vom Boden auf und verschwindet in einem Zimmer, das schräg gegenüber dem von Eddie liegt. Ich bleibe alleine im Flur zurück. Der Abend fängt ja schon super an, denke ich und gehe die Treppen hoch zu meinem Zimmer.
Den restlichen Abend verbringe ich damit auf meinem Bett zu liegen, die Decke anzustarren, hin und wieder aufzustehen und etwas im Zimmer rumzulaufen oder Musik über Kopfhörer zu hören. Noch nie habe ich mich während meines Roadtrips so gelangweilt. Um sieben Uhr - malgerade zwei Stunden später - halte ich es nicht mehr aus, stehe auf und klopfe nebenan an Hillarys Zimmertür.
Sie sitzt an ihrem Schreibtisch und schreibt etwas in ein kleines Büchlein. Als ich den Kopf zur Tür reinstecke, blickt sie kurz auf und lächelt mich freundlich an. »Hey! Ist was?«, fragt sie und schlägt das Buch zu, dreht sich mit dem Stuhl zu mir.
»Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht ein Blatt Papier und ein paar Buntstifte für mich hast.«
Sie schaut mich im ersten Moment etwas irritiert an, öffnet dann aber eine Schublade an ihrem Schreibtisch und befördert ein kleines, neonpinkes Mäppchen zutage. »Hier sind ein paar Buntstift drin. Blätter habe ich hier.« Sie öffnet eine schlichte Holzbox auf ihrem Schreibtisch, nimmt ein paar Blätter daraus und hält mir beides zusammen hin. »Malst du?«
»Sowas in der Art. Ich arbeite gerade an einem Graffiti, das ich auf mein Wohnmobil sprühen möchte, damit es etwas schöner aussieht«, antworte ich und nehme Blätter und Stifte dankend entgegen.
Hillary nickt interessiert. »Cool!« Und wendet sich anschließend wieder ihrem Büchlein zu. Ich verlasse das Zimmer wieder, nehme mir ein Lexikon aus Joans Bücherregal und setze mich zusammen mit den Malutensilien auf's Bett.
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