3 | Allergisch gegen Katzen

2.098 Wörter

Roy leert gerade die Kasse, als ich den Shop betrete. »Wir schließen jetzt«, sagt er ohne aufzublicken.

»Ja, ich weiß!« Plötzlich kommen wieder Zweifel in mir hoch, ob das alles wirklich so eine gute Idee ist. Ich weiß schließlich rein gar nichts über ihn.

Sein Kopf schnellt hoch. »Annie, was machst du denn hier?« Verwirrt sieht er mich an.

»Ich - möglicherweise hattest du recht«, gebe ich kleinlaut zu und schaue zu Boden. Mir ist das alles schrecklich peinlich. Wie kann ich jemand Fremdes bloß darum bitten bei ihm zu wohnen? Er hat es mir zwar zuerst angeboten, aber trotzdem kann ich doch nicht darauf eingehen. Was muss er von mir denken? Und seine Mitbewohner erst? Dass ich mit jedem x - beliebigen Kerl mitgehe?

»Womit?«

Er zwingt mich es auch noch auszusprechen? Ok, schön! Jetzt oder nie! Mein Blick wandert unruhig durch den Shop und ich fange in einem Affentempo an zu sprechen. »In dem Wohnmobil halte ich es nicht länger aus, weshalb ich dich fragen wollte, ob dein Angebot noch steht, auch wenn das wahrscheinlich völlig hirnrissig von mir ist und ich womöglich dabei draufgehe, aber eigentlich habe ich keine andere Wahl, denn sonst sterbe ich im Wohnmobil, oder werde obdachlos, wobei das immer noch besser ist als gekocht zu werden, denn eigentlich möchte ich weiterleben und ich weiß du hälst mich für bescheuert, dass ich jetzt auf dein Angebot eingehe, wo ich es doch gestern so schonungslos abgelehnt habe und du dir danach wahrscheinlich total besche...« Er hält mir seinen Zeigefinger an die Lippen. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass er mir nähergekommen ist. Und eigentlich mag ich es auch nicht, wenn man mir so nah kommt, aber gerade stört es mich nicht.

»Du solltest zwischendrin auch mal Luft holen.« Schmunzelnd sieht er mich an und nimmt den Finger von meinen Lippen. »Aber natürlich steht mein Angebot noch. Und keine Sorge, ich halte dich nicht für bescheuert. Höchstens wenn du dich noch länger dem menschenbrutzelnden Backofen aussetzt.«

»Ok!«, sage ich leicht benommen und nicke. Mein Herz klopft wild und das irrirtiert mich noch mehr, als die Tatsache, dass es mich nicht gestört hat, dass Roy mir so nahe gekommen ist.

»Gut, warte hier!«, erwidert er und verschwindet daraufhin im Personalraum.

In der Zwischenzeit hole ich tief Luft. Was war das denn gerade? Verwirrt schüttle ich den Kopf und versuche mein Herz zu beruhigen.

Vielleicht sollte ich doch nicht mit ihm mitgehen. Womöglich wohnt er nicht mal in einer WG und hat das nur gesagt, um mich zu ihm nach Hause zu locken, wo er dann über mich herfällt. Hat Jo nicht gesagt, ich hätte den Job lieber nicht annehmen sollen? Vielleicht meinte er das ernst und Roy hat es dann geschickt runtergespielt.

Aber andererseits: Soetwas würde ich Roy, obwohl ich ihn noch nicht lange kenne, nicht zutrauen. Er sieht nicht aus, als hätte er irgendwelche schlechten Hintergedanken im Kopf.

Wie naiv du doch bist, strafe ich mich selbst Lügen. Egal, in dem Toaster halte ich es nicht länger aus. Entweder ich verkoche oder ich gehe mit Roy mit. Auch wenn das wahrscheinlich nicht so klug ist.

»Ok, ich bringe gerade noch das Geld zur Bank und dann stelle ich dich den anderen vor. Mein Auto steht um die Ecke.« Roy greift unter der Theke nach einem Schlüssel und geht nach draußen. Ich folge ihm. Er schließt die Tür ab und zieht dann ein Gitter, das in der Wand versteckt war, hervor und verriegelt es ebenfalls.

Danach geht er um die Ecke zu seinem Auto. Ein kleiner schwarzer VW Polo. Irgendwie passt das zu ihm, denke ich. Schlicht und einfach. So wie seine T - Shirts. Die sind bis jetzt auch immer schwarz und schlicht.

Bevor er das Auto allerdings startet, zieht er eine Prothese vom Rücksitz hervor und legt sie sich an. »Es ist schwierig mit nur einem Arm zu fahren«, grinst er mich an und startet dann den Motor.

Die Fahrt verläuft schweigsam. Nur das Radio spielt leise Musik. Trotzdem ist die Stille nicht unangehnem. Ich habe noch nicht wirklich viel von Dallas gesehen, weshalb ich neugierig aus dem Fenster schaue und die Stadt mit ihren wahnsinnig hohen, gläsernen Gebäuden auf mich wirken lasse. In der Dunkelheit sind sie, wie ich es mir insgeheim erhofft habe, noch schöner.

Als allerdings die Melodie von The Reason im Radio ertönt, drehe ich mich ruckartig um. »Oh, mach lauter!«, bitte ich Roy freudig und klopfe im Takt auf meine Oberschenkel.

»Du hörst Hoobastank?«, fragt er überrascht und dreht tatsächlich die Musik lauter.

»Mhh!«, murmle ich nur und lausche der Musik, wende mich wieder zum Fenster. Meine Eltern würden mich köpfen für meine Unvernunft und sich fragen, ob sie mir denn gar nichts beigebracht hätten.

Roy lacht leicht und konzentriert und sich wieder auf die Straße.

Nachdem wir bei der Bank waren, fährt er wieder ein Stück aus der Stadt raus und wir halten am Stadtrand vor einem weißen, kleinen Reihenhaus. Vor dem Haus liegt bloß ein schlichter Rasen, der mit Moos durchwuchert ist und mal wieder gemäht werden könnte. Hinter fast jedem Fenster brennt Licht. Also sind doch noch mehrere Personen in diesem Haus.

Roy steigt aus und ich tue es ihm gleich. Er schließt die Tür auf, zieht die Jacke aus und steckt den Schlüsselbund halb in seine Hosentasche. Ein paar Änhänger und Schlüssel hängen noch heraus und klimpern beim Gehen.

»Hillary? Eddie? Ryan?«, ruft er durchs Haus. »Wo seid ihr? Ich habe Besuch mitgebracht.«

Hat er nicht gesagt, wir wären zu sechst? Und dass es nur noch ein weiterer Junge wäre? Wer ist dann bitte Eddie?

Die letzte Tür im Flur geht auf und ein schwarzhaariges Mädchen mit einem Ohrpiercing tritt in den Flur. Sie trägt nur ein knappe Shorts und ein labbeliges Trägertop. »Du bringst ein Mädchen mit?«, fragt sie überrascht und zieht eine Augenbraue hoch, mustert mich kritisch. Ich fühle mich unwohl unter ihrem prüfenden Blick und streiche mir über meinen nackten Arm.

»Wo sind Ryan und Hillary?«, will Roy wissen.

Das Mädchen, das dann anscheinend Eddie sein muss, wendet den Blick von mir ab und ruft einmal ins Treppenhaus. »Hillary, komm runter.«

Ich höre oben eine Tür aufgehen und kurz darauf brüllt jemand genervt zurück. »Wieso?«

»Roy, möchte uns anscheinend jemanden vorstellen!«

Dieser jemand kommt nun die Treppen runter und stellt sich neben Eddie. Auch sie lässt einmal prüfend ihren Blick über mich gleiten.

»Mädels, das ist Annie. Und ihr braucht sie nicht so anzugucken, als wäre sie von einem anderen Stern!« Roy wirft mir einen Blick über die Schulter zu und lächelt mich aufmunternd an. »Du musst wissen, die beiden sind jetzt natürlich etwas überrumpelt. Ich bin aber sicher ihr werdet euch gut verstehen.«

»Darf ich fragen, was du vorhast?«, fragt Hillary skeptisch.

»Ich weiß, das kommt jetzt sehr plötzlich, aber sie wird in das freie Zimmer einziehen. Zumindest erstmal für eins, zwei Wochen.« Roy sieht die Mädels entschuldigend an.

»Wie, sie wird da einziehen?«, fragt Eddie unverständlich.

»Lange Geschichte. Die erzähle ich euch morgen. Könnt ihr nur schnell eure Sachen da rausholen, dann beziehe ich das Bett.«

Eddies Blick wandert wieder prüfend über mich und auch Hillary wirkt nicht viel freundlicher und aufgeschlossener. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Sie müssen ja wer weiß was von mir denken.

»Hey, ich erzähle alles morgen. Ich weiß, ich hätte euch vorwarnen oder fragen müssen, aber das hat sich alles ganz plötzlich ergeben. Ich weiß, was ihr denkt, aber so ist es nicht.« Roy stupst die beiden an, damit sie mich nicht mehr so mustern und dafür danke ich ihm.

»Und das weißt du woher?« Eddie scheint nicht überzeugt zu sein, aber ich hoffe, dass sie mich trotzdem hier wohnen lassen werden.

»Vertrau mir einfach!«

Irgendwie habe ich das Gefühl, es geht nicht mehr nur darum, dass ich für eins, zwei Wochen oder vielleicht länger hier schlafen möchte. Die beiden scheinen über etwas zu reden, wovon ich keine Ahnung habe.

Schulterzuckend sagt Eddie: »Meinetwegen! Ich glaube du bist alt genug, um vernünftige Entscheidungen zu treffen. Ich hole gerade meine zwei Kartons und dann kann sie in das Zimmer.«

»Du bist klasse, Eddie.«

»Ist zwar auch noch mein Haus, aber du wirkst nicht, als wolltest du uns im Schlaf überfallen, also habe ich erstmal nichts dagegen. Und wehe du nutzt unseren gutmütigen Roy aus, dann wirst du dich nicht mehr trauen hier her zu kommen«, schließt Hillary sich an und verschwindet die Treppen rauf ohne meine Reaktion abzuwarten, die mehr als schockiert ist. Ich würde Roy niemals ausnutzen. Ehrlich gesagt, fühle ich mich jetzt schon unwohl bei dem, was er alles für mich tut. Und das obwohl er mich nicht mal kennt.

»Ok, dann komm mal mit«, weist Roy mich an und winkt mich die Treppen hoch.

Plötzlich fällt mir ein, dass ich überhaupt keine Sachen aus dem Wohnmobil mitgenommen habe. »Roy« Er bleibt in der Mitte der Treppe stehen und schaut mich aus seinen dunkeln Augen an. »Ich hab vergessen mir Sachen von mir mitzunehmen«, gestehe ich.

»Eines der beiden Mädels leiht dir bestimmt ein Schlafoberteil und wir haben garantiert auch noch irgendwo eine unbenutzte Zahnbürste«, lächelt er mich aufmunternd an und läuft weiter die Treppen hoch.

Eigentlich will ich nicht, dass er eins der Mädchen um ein Oberteil bittet. Sonst denken sie vielleicht nur noch mehr, dass ich sie ausnutzen will. Aber mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Es sei denn ich möchte in Unterhose schlafen.

Wir gehen in das Zimmer, aus dem Eddie gerade zwei Kartons trägt. Es steht nur ein Bett und ein Regal mit einer Menge Büchern darin.

»Die Bücher gehören Joan«, erklärt Roy mir. »In ihrem Zimmer war kein Platz mehr, deswegen musste sie ausweichen.« Lächelnd fasst er sich wieder mit einer Hand in den Nacken. Ich mag diese Geste von ihm. Sie macht ihn irgendwie sympathisch.

Ich bin im Türrahmen stehen geblieben und Roy schiebt sich kurz an mir vorbei, um Bettwäsche aus dem gegenüberliegenden Zimmer zu holen. Ist das sein Zimmer? Warum interessiert mich das überhaupt?

Er kommt mit einer schlichten, wiesengrünen Decke zurück. ,,Ich denke, die müsste reichen. Es ist ja warm genug. Hier ist noch ein Kissen." Er wirft beides zusammen aufs Bett und richtet es dann doch noch ein bisschen her. »Ich frage Eddie gerade nach einem Shirt und dann dürftest du bis morgen alles haben, oder?«

Ich nicke und er verschwindet abermals aus dem Zimmer. Erschöpft lasse ich mich aufs Bett fallen. Ich freue mich schon auf die angenehme Nacht.

»Hier!« Roy wirft mir das Shirt auf den Bauch und ich schrecke hoch, sehe ihn grinsen. »Gemütlich?«

Peinlich berührt schmeiße ich ihn mit dem Shirt ab. »Erschreck mich doch nicht so!«

Er lacht und hebt das T - Shirt vom Boden auf. »Brauchst du das jetzt doch nicht? Dann gebe ich es eben wieder zurück.« Er dreht sich um und will schon aus dem Zimmer verschwinden, da springe ich schnell auf.

»Roy!«, sage ich empört, kann aber nichts dagegen tun, dass ich lachen muss. In seiner Gegenwart scheine ich gar nichts dagegen tun zu können, weil er auch ständig gut gelaunt ist.

»Schon gut! Hier hast du dein Oberteil.« Er wirft es mir wieder zu und ich fange es auf.

Er will gerade wieder gehen, als ich ihn abermals aufhalte. »Roy!«

»Mhh?«

»Ich - was bin ich dir eigentlich schuldig? Ich meine, ich kann das Ganze ja nicht einfach so annehmen.«

»Darüber können wir morgen reden«, lächelt er mich sanft an.

Plötzlich kitzelt mich etwas in der Nase und ich muss niesen. Und dann nochmal und nochmal und nochmal. Ich spüre wie die Haut an meinen Unterarmen und Händen, die das Shirt berühren, anfängt zu jucken. Bitte nicht!

»Alles gut?«, fragt Roy.

»Hat Eddie eine Katze?«, frage ich gerade heraus und kämpfe stark gegen den Drang an mich zu kratzen. Das würde alles nur noch schlimmer machen.

Verwirrt sieht Roy mich an. »Ja, aber das Shirt ist von Hillary. Die Katze gehört den beiden. Ist das schlimm?«

»Ich bin allergisch gegen Ka-ha-atzen«, niese ich wieder und schmeiße das T - Shirt von mir.

»Oh, das tut mir leid.« Erschrocken kommt er auf mich zu. »Das wusste ich nicht.«

»Woher auch?«, sage ich beschwichtigend. »Wo ist das Bad?«

»Da!« Er deutet auf die Tür neben seinem Zimmer.

Ich laufe schnell ins Bad und lasse kühles Wasser über meine Arme laufen. Erstens stillt das den Juckreiz und zweitens spült es vielleicht auch noch ein paar Haare weg. Falls noch welche an mir hängen.

»Ich gebe dir eins von meinen T - Shirts!«, ruft Roy durch die Tür. »Die Katze darf nicht in mein Zimmer.«

Bei dem Gedanken daran ein T - Shirt von ihm zu tragen, muss ich irgendwie lächeln.

PS: Die Widmung geht an dich, goneforalittlewhile, weil du einfach eine tolle Person bist. <33

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