2.279 Wörter
Als ich mich am nächsten Tag um kurz vor zwei auf den Weg zur Tankstelle mache, fängt es plötzlich in Strömen zu regnen an. Den ganzen Morgen schon ist der Himmel düster und zugezogen gewesen - trotzdem ist es nicht wirklich kalt, lediglich etwas frischer - und jetzt schüttet es von einem Moment auf den anderen wie aus Eimern.
Schnell ziehe ich mir meine dünne Stoffjacke ein Stück über den Kopf, was allerdings nicht wirklich effektiv ist und renne durch den Regen. Eine angenehme Abwechslungs von der prallen Sonne und der trockenen Hitze in den letzten Tagen, trotzdem bin ich nicht sonderlich erpicht darauf klitschnass in der Tankstelle zu arbeiten.
Rings um mich herum stellen die Menschen sich unter kleinen Vordächern der Geschäfte unter und warten den Schauer ab oder ziehen sich ebenfalls die Jacke über den Kopf und flitzen durch den Regen.
Mein schwarzes Top und die dunkelrote Hose sind kurz bevor ich die Tankstelle erreiche komplett durchnässt. Drinnen erwartet mich Jo, der gerade einer Frau mittleren Alters Zigaretten verkauft, sonst ist der Shop leer. Die Frau verabschiedet sich von Jo und geht nach draußen zu ihrem Auto.
»Nass geworden?«, fragt er provozierend und verzieht sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen, entblöst dabei die obere Reihe seiner Zähne. Es wundert mich, dass sie für seinen hohen Zigarettenkonsum noch verhältnismäßig schön aussehen, nicht völlig weiß, aber auch nicht komplett gelb.
»Nein, wurde unterwegs von drei Typen mit Wasserpistolen angegriffen«, entgegne ich ebenso spitz auf seine blöde Begrüßungsfrage. Ich bin defintiv kein Freund von seinem Sarkasmus, weil ich nicht das Gefühl habe, dass er spaßig gemeint ist, sondern dass Jo mich damit bewusst provozieren will. In solchen Situationen kommt mir meine schnelle Zunge oder zumindest meine Schlagfertigkeit gelegen, denn mit Sarkasmus kann ich umgehen und weiß auch, was ich darauf entgegen kann. Im Gegensatz zu emotionalen Gesprächen, wo ich völlig versage.
»Also nass geworden!«, folgert Jo sachlich, schließt die Kasse, in die er gerade das Geld der Frau gelegt hat und verschwindet anschließend im Personalraum. Ich folge ihm nicht. Der Raum ist nicht der größte und ich bin nicht wirklich versessen darauf ihm näher zu sein, als unbedingt notwendig. Zumal sein Mundgeruch schon eine Sache für sich ist. Also warte ich kurz bis Jo wieder rauskommt und stelle dann meine Tasche wie gewohnt neben das kleine Tischchen auf den Boden, klippe mir mein Namensschild an.
Während der nächsten Stunden, die ich im Shop arbeite und immer mal wieder einen Blick nach draußen werfe, lässt der Regen nicht nach. Der Himmel zieht sich immer weiter zu und der Wind frischt auf. Der ein oder andere Kunde, der hier hereinschneit, tauscht sich mit mir kurz über das Sauwetter aus und verschwindet anschließend mit eng um den Körper gewickelter Jacke wieder draußen in seinem Auto.
Und als ich nach Arbeitsschluss unter die Überdachung des Tankstellenplatzes trete, um die Tür abzuschließen und das Gitter davor zu ziehen, treibt der kalte Wind auch mir eine Gänsehaut die nackten Arme hoch.
Roy lässt Gott sei Dank nicht lange auf sich warten, sodass ich flink und mir schützend die Arme über den Kopf haltend, um den Regen daran zu hindern meine Kleidung wieder komplett zu durchnässen, in sein Auto steige.
Ich begrüße ihn mit einem »Hey«, das er erwidert und schnalle mich an.
»Bist du heute noch trocken zur Tankstelle gekommen?«, fragt er, dabei umspielt diesmal aber kein Schmunzeln seine Lippen, das mir verraten würde, er fände es amüsant, wenn ich klitschnass geworden wäre.
»Leider nicht!«
»Oh, das tut mir leid!«
»Halb so wild, ich bin ja schließlich nicht aus Zucker«, tue ich die Sache mit einem Schulterzucken ab.
»Willst du nochmal bei dir vorbeifahren?«
Ich schüttle den Kopf und warte darauf, dass Roy sich von mir abwendet und den Motor startet, aber nichts dergleichen passiert. Stattdessen schaut er mich unentschlossen an und scheint in seinem Kopf einen kleinen Kampf auszufechten.
»Ist noch etwas?«, frage ich und versuche ihm dadurch die Entscheidung, ob er es aussprechen soll oder nicht, abzunehmen.
»Wollen wir heute vielleicht bei dir essen?« Unsicher greift er sich mit seiner Hand in den Nacken und legt den Kopf leicht schief.
»Bei mir?«, wiederhole ich und schaue ihn etwas verdutzt an.
»Ja, also wir müssen nicht, ich hatte nur gedacht - also ich dachte, dass es vielleicht schön wäre, wenn wir zwei nochmal alleine wären, also, wenn du magst. Wenn du zu k.o. bist dann ist das auch völlig okay, aber ich dachte eben - und ich könnte Eddie Bescheid sagen, dann würde der Rest nicht mit dem Essen auf uns - und da es heute geregnet hat, dürfte es auch nicht so warm in deinem - «
Ich fange leicht zu lachen an, was Roy dazu bringt in seinen hastig durcheinandergeredeten und unvollständigen Sätzen innezuhalten. »Ich habe doch gar nichts Essbares in meinen Schränken und kochen kann ich mittlerweile auch nicht mehr, weil der Strom fast aufgebraucht ist«, mache ich seinen Plan leider zunichte. Ich wäre gerne mit ihm alleine gewesen, aber bei mir ist keine Option. Zumindest nicht wenn wir beide heute noch vor zwölf Uhr nachts satt werden wollen.
»Also ich - ich habe hinten im Kofferraum einen Korb mit, ähm, mit ein paar Lebensmitteln, die ich vorhin noch eingekauft habe. Nichts davon braucht Strom, um essbar zu werden.« Verlegen, fast schüchtern, schaut er mich an und wartet auf meine Reaktion.
»Du bist doch verrückt!«, schmunzle ich und knuffe ihn auf den rechten Oberarm, der ist immerhin noch vorhanden. »Ja, dann können wir gerne zu mir fahren.«
Und als Roy ein paar Minuten später einen Korb mit zwei Joghurts, Brot, Butter, ein bisschen Salami und Käse, einem Netz Nektarinen und sogar einer Flasche Limo auf den kleinen Tisch in meinem Wohnmobil stellt, glaube ich wirklich, dass er nicht mehr ganz bei Sinnen ist.
»Das hast du alles geholt, weil du dir vielleicht erhofft hast, dass wir noch zu mir fahren und ein bisschen Zeit zu zweit verbringen?«, frage ich ungläubig, während er die Lebensmittel auf den Tisch räumt und in meinen Schränken nach Geschirr sucht. »Du bist wirklich verrückt!«
Roy grinst nur wissend. Kopfschüttelnd ziehe ich eine Schublade auf und nehme zwei Messer daraus, lege sie neben die Teller und Gläser, die Roy inzwischen gefunden hat, während er die Flasche Limo öffnet und uns beiden etwas einschenkt. Dann lasse ich mich in die Sitzbank rutschen und er setzt sich mir gegenüber. Und wenn ich gewusst hätte, dass die Zeit zu zweit hier so schön werden kann, dann hätte ich selbst zugestimmt, wenn Roy vorher keine Lebensmittel eingekauft hätte.
Während des Essens stellt er mir Fragen und ich ihm. Ich stelle ihm all die Fragen, die mir schon letztens im Auto auf der Zunge gebrannt haben und erfahre, dass er keinen Zweitnamen hat, seine Lieblingsfarbe Meeresblau ist, er Texas noch nie verlassen hat, seine Eltern Sophia und Eric heißen, dass er Koboldmakis nicht mag, weil sie so große Augen haben und ihn damit an seine Grundschullehrerin erinnern und dass er Nektarinen lieber isst als Chips oder Schokolade.
Andersrum verrate ich ihm, dass mein Zweitname Portia ist, meine Hobbys für gewöhnlich das Zeichnen und das Schwimmen sind, meine Lieblingsfarbe grün ist, ich nicht gerne Spargel esse und dass ich oft mit einem Buch versuche meine Langeweile zu vertreiben.
»Auch mit einem kleinen Spiel?«, fragt Roy darauf mit seinem berühmten spitzbübischen Grinsen und zieht neckend eine Augenbraue nach oben.
»Emm, ja klar, warum nicht?«, antworte ich etwas irritiert. Worauf will er hinaus? Ich habe keine Brettspiele in meinem Wohnmobil versteckt. Überall, wo die verstaut hätten werden können, sind Bücher.
»Ok, dann lass uns ein Spiel spielen«, schlägt Roy vor und klatscht mit seiner Hand tatkräftig auf den Tisch.
»Emm, ok, welches denn? Ich habe keine Spiele hier oder zauberst du jetzt auch noch eins aus deinem Auto?«, traue ich mich zu fragen, denn, ganz ehrlich, das würde ich ihm sogar noch zutrauen. Schließlich hat er auch ein kleines Picknick daraus hervorgezaubert.
»Das habe ich damals immer mit Tara gespielt, als wir noch kleiner waren. Du denkst dir ein paar Sätze aus und schreibst sie mit völlig durcheinandergeratenen Buchstaben auf. Etwa so - Hast du Zettel und Stift hier?«
Ich stehe auf, ziehe eine Schublade auf und reiche ihm einen kleinen Post - It Block und einen Kulli.
»Okay, zum Beispiel der Satz ›Nektarinen sind leckerer als Schokolade‹, der könnte verdreht so aussehen.« Er kritzelt kurz die paar Wörter aufs Papier und reicht mir dann den Block. ›ekinennrat dnis rekcerlkc lsa dlaechskoo‹, lese ich darauf.
»Du müsstest jetzt erraten, was das heißt.«
»Wie soll das denn gehen?«, sage ich überfordert mit Blick auf den Buchstabensalat, der nichtmal annährend so aussieht, als wäre er mal ein Satz gewesen. »Das bekommt man ja im Lebtag nicht wieder geordnet.«
»Von mir aus können wir zu Anfang auch leichtere Sätze nehmen, sonst hast du ja gegen einen geübten Könner wie mich keine Chance«, zwinkert er mir stichelnd zu und ich plustere empört meine Wangen auf.
»Kommt nicht in die Tüte! Wir spielen das so, wie du es auch immer gespielt hast.«
»Gut, dann habe ich kein Erbarmen mit dir. Wer schneller mit dem Entwirren des Textes vom jeweils anderen fertig ist, bekommt einen Punkt«, erläutert er mir die Regeln weiter.
»Gebont!« Ich reiße mir einen Zettel vom Block ab und denke eifrig nach, welchen schweren Satz ich für ihn verdrehen könnte. Schlussendlich gebe ich mich mit ›Die Polizei schnappt Verbrecher auf frischer Tat‹ zufrieden. Als Roy mir jedoch seinen Text vorlegt, denke ich augenblicklich, dass ich die erste Runde verlieren werde.
Was zum Kuckuck soll ›hsöanerr belne ni rfeire lwibhnad‹ bitte heißen? Verzweifelt versuche ich die Buchstaben wieder in die richtige Reihenfolge zubringen, bis ich irgendwann völlig frustiert stöhne und glaube, Roy hat sich einen Spaß mit mir erlaubt und einfach irgendwelche Buchstaben ohne Zusammenhang dahingekritzelt.
»Ich geb auf!«, verkünde ich und lasse mich ernüchtert nach hinten gegen die Lehne der Sitzbank plumpsen.
»Eigentlich würde ich jetzt ja sagen, dass das nicht geht, aber ich bin sowieso fertig.« Grinsend schiebt der Blondschopf mir meinen Zettel mit den nun geordneten Buchstaben hin. »Ich hab dir gesagt, ich bin gut.«
»Ach was, du hast mir überhaupt keine anständigen Wörter gegeben, oder?«, frage ich gespielt beleidigt, gönne Roy aber trotz seines selbstsicheren Grinsens seinen Sieg.
»Sowas würde ich nie tun!«
»Was heißt das denn dann?«, wische ich seine Beteuerung beiseite und lehne mich provokant ein Stück vor, stütze meine Ellebogen auf die Tischplatte.
»Nashörner leben in freier Wildbahn.« Siegessicher schaut er mich an und ich muss mich wohl oder übel geschlagen geben.
»Okay, neue Runde! Diesmal mache ich es schwieriger für dich.«
»Von mir aus gerne!«
Aber leider verliere ich auch die zweite und die dritte und die vierte Runde. Bei der fünften Runde ist Roy mit seinem Satz allerdings so schnell fertig, dass die Wörter nicht wirklich schwierig sein können. Er sollte doch keine einfacheren Sätze für mich schreiben, denke ich ärgerlich. Bloß weil ich bis jetzt nur verloren habe. Aber das war doch auch zu erwarten. Schließlich spiele ich das gerade zum ersten Mal.
Verdeckt schiebt er seinen Zettel zu mir rüber und wartet bis ich meinen Text ebenfalls fertig geschrieben habe. Ich reiche ihn ihm und nehme dann seinen Zettel in die Hand. Und ich hatte Recht - fast alle Wörter sind nur drei Buchstaben lang. Blödmann! Ich bin eine gute Verliererin! Er muss mich nicht extra gewinnen lassen. Auch, wenn es nett von ihm gemeint ist.
›Cih lguba hci gma hdic‹, lese ich auf dem neuen Zettelchen und wie erwartet brauche ich nicht länger als zwei Minuten, um alle Wörter zu entschlüsseln. Dabei fällt mir gar nicht auf, was für einen Satz Roy überhaupt geschrieben hat, ich betrachte einfach die einzelen Wörter. Erst zum Schluss lese ich den Satz als Ganzes. Und schlucke. Meint er das wirklich so wie es da steht oder will er mir einen miesen Streich spielen? Vorsichtig schaue ich auf.
Roy hat gar nicht erst angefangen meinen Text zu dechiffrieren. Stattdessen blickt er mir ruhig in die Augen, denen mit Sicherheit klar anzusehen ist, dass ich nicht weiß, wie ich seinen Satz deuten soll und ein kleines, fast zärtliches Lächeln bildet sich auf seinen Lippen. Ich fühle mich nur vollkommen überrumpelt. Und verwirrt. Wartet er darauf, dass ich etwas sage? Spricht mein Schweigen denn nicht schon für sich? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß ja nichtmal, wie ich diesen Satz überhaupt auffassen soll.
Gerade haben wir noch Zettelchen ausgetauscht, in denen wir dem jeweils anderen einfach ein paar Sätze und Wörter aufgeschrieben haben, die schwer zu dekodieren sind und jetzt gesteht er mir, dass er glaubt mich zu mögen. Was soll ich darauf bitte erwidern? Mögen im Sinne von Freundschaft oder etwa mehr? Kann er nicht einfach mit der Sprache rausrücken. Stattdessen blickt er mich mit diesem wissenden Grinsen an, das mir langsam Unbehagen bereitet.
Ich will ihm gerade einen sarkastischen Kommentar an den Kopf knallen, weil ich das Gefühl bekomme, er wollte mich mit diesem Satz einfach nur aus dem Konzept bringen, als er doch seinen Mnd öffnet.
»Ich mag dich, Annie! Und zwar sehr! Weil ich das Gefühl habe, es ist dir egal, dass ich nur anderthalb Arme besitze und ich würde dich unglaublich gerne noch näher kennenlernen.« Nun mischt sich Unsicherheit unter sein Lächeln und er rutscht etwas nervös auf der Bank mir gegenüber herum. »Also wenn du willst...«
Nun ist er derjenige, der ängstlich dreinschaut und auf die Reaktion des Gegenüber wartet. Ich lasse mir Zeit. Nicht, weil ich ihn ärgern möchte, weil er mit seiner Erklärung nicht sofort rausgerückt ist, sondern weil ich einmal nicht meine vorschnelle Zunge sprechen lassen möchte. Ich möchte die richtigen Worte finden und benutzen.
PS: cutexpsych dir ist dieses Kapitel gewidmet für all deine lieben Kommentare. ;)
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top