1 | Von menschenbrutzelnden Backöfen und reinen Linkshänder-Betrieben ✔

4.238 Worte

Das wird knapp.

»Jetzt bloß nicht den Geist aufgeben, mein Guter! Da vorne liegt Dallas«, motiviere ich mein altes Wohnmobil mit Blick auf die gefährlich leere Tankanzeige und tätschle wohlwollend das Armaturenbrett. Der Schweiß läuft mir in Strömen über die Stirn. Inzwischen ist es so heiß hier drin geworden, dass ich mir im Halbminutentakt mit der Hand darüber wische. Unter meinen Achseln haben sich zwei große, runde Flecken gebildet, obwohl die Klimaanlage voll aufgedreht ist.

Einer Vorahnung folgend halte ich deshalb meine Hand über die Öffnung der Lüftung und stelle zu meinem Entsetzen fest, dass sie mausetot ist. Nicht ein Luftzug.

»Oh nein, nein, nein, komm schon! Nein, das kannst du mir nicht auch noch antun! Wie soll ich denn die nächsten Wochen ohne Klimaanlage überleben?«, klage ich mein Wohnmobil verzweifelt an. »Das ist Dallas. Hast du eine Ahnung, wie heiß es hier um diese Jahreszeit ist?« Frustriert lasse ich meine Hand, die ich in die Höhe gehoben habe, aufs Lenkrad fallen.

Scheibenkleister.

Hoffentlich ist einfach nur die Kühlflüssigkeit leer. Ein bisschen Glück könnte ich jetzt wirklich gut gebrauchen.

Als ich Dallas schließlich erreiche, sind die Straßen gefüllt vom Abendverkehr, sodass es nur schleppend vorangeht und die Temperaturen in meinem Toaster noch ein paar Grad höher klettern. Mit einem Fächer, den ich noch im Handschuhfach hatte, wedle ich mir ein bisschen Luft zu und nutze die Zeit, um die meterhohen, gläsernen Gebäude, in denen sich die bereits untergehende Sonne widerspiegelt, zu bewundern. Sie sind wundervoll. Endlich bin ich in Dallas. Wie lange habe ich seit Beginn meines Trips darauf gewartet, hier anzukommen? Ob es bei Nacht wohl genauso schön aussieht?

Als etwas außerhalb des Stadtzentrums endlich eine Tankstelle in Sicht kommt, die nicht völlig überteuert ist, manövriere ich mein altes Wohnmobil geschickt an eine der freien Zapfsäulen. Meine Beine nach der langen Fahrt ausgiebig streckend lasse ich den Tank volllaufen und werfe einen verzweifelten Blick auf den Preis.

Bye, bye, Restgeld aus Oklahoma.

Ich seufze, fahre mir mit einer Hand durch die leicht verschwitzen Haare und jongliere im Kopf mit meinen Möglichkeiten. Pension und Campingplatz kann ich mir abschminken, bis ich einen Job gefunden habe. Viel zu teuer. Ohne Campingplatz muss ich Strom und Wasser aber von Zeit zu Zeit auffüllen, sonst kann ich weder kochen noch duschen. Doch das alles ist mein geringstes Problem, wenn die Klimaanlage wirklich kaputt sein sollte. Ohne Klimaanlage kann ich unmöglich im Wohnmobil bleiben. Geschweige denn schlafen. Mit seiner Blechverkleidung heizt es sich schneller auf als ein Schnellkochtopf auf einem Gasherd.

Nein, Schluss! Geh doch nicht immer vom Schlimmsten aus. Die Kühlflüssigkeit wird leer sein. Das ist alles.

Geldnot habe ich trotzdem. Warum habe ich in Oklahoma auch nicht besser auf mein Geld geachtet? Mit dem Rest von meinem Ersparten hätte ich mir locker zwei Wochen eine Pension leisten können. Stattdessen vergesse ich einmal mein Wohnmobil abzuschließen und als ich aus dem kleinen Shop auf der Raststätte wieder komme, steht die Tür offen, ein paar Schubladen sind aufgerissen und der Umschlag mit meinen Rücklagen fehlt. Und das alles während der Weiterreise, mitten auf einem kleinen Parkplatz an der Fünfunddreißigsten, die mich schnurstracks nach Dallas bringen sollte.

Verärgert über mich und das Wohnmobil trete ich gegen den Reifen, ehe ich einen Blick an mir herunterwerfe, mein Gesicht im Außenspiegel überprüfe und mir aus meiner Hosentasche noch einen Kaugummi angle, der von der Hitze schon leicht weich ist. Resigniert zucke ich mit den Schultern.

Tja, besser geht es nicht. Blödes Wohnmobil und noch blödere Klimaanlage!

Ich genieße einen Moment die angenehm frische Luft, als ich den Shop betrete, nehme mir ein eiskaltes Wasser aus dem Kühlschrank, vor dem ich gerne noch ein paar Minuten länger verweilen würde, und gehe zur Kasse. Die kleine Schlange löst sich schnell auf, sodass ich nicht lange warten muss.

Hinter der Theke steht ein junger Mann in schwarzem T-Shirt, dessen Lächeln ich freundlich erwidere, doch als ich meine Wasserflasche abstelle, muss ich kurz schlucken und starre etwas geschockt auf seinen rechten Arm. Oder besser gesagt dahin, wo sein rechter Arm sein sollte, denn stattdessen ist nur noch ein Stumpf, der knapp über dem Ellenbogen endet.

Schnell reiße ich meinen Blick los, um nicht unhöflich zu wirken, obwohl ich mir sicher bin, dass er mein Starren längst bemerkt hat. Seine lässige Antwort bestätigt mir das wenige Sekunden später. »Ja, ich bin Linkshänder. Aber keine Sorge, das war ich schon immer. Säule 3? Das macht dann 56,89 Dollar«, lächelt er weiter und schaut mich dabei unverwandt aus tiefbraunen Augen an.

Peinlich berührt von seiner Aussage senke ich den Blick und krame ich in meinem Portemonnaie nach dem Geld, doch als ich es ihm reiche, treffen sich unsere Blicke wieder.

Ich will ihn nicht anstarren. Wirklich nicht. Aber es passiert einfach.

Ich habe noch nie so tiefbraune Augen gesehen. Sie sehen aus wie Kaffee mit ein paar einzelnen hellen Sprenkeln um die Pupille verteilt. In völligem Kontrast dazu stehen seine hellen, blonden Haare. Er ist hübsch. Und er scheint sich dessen nicht mal bewusst zu sein.

Gott, Annie, und du siehst aus wie der letzte Obdachlose mit Schweißflecken so groß wie Schallplatten unter den Armen.

»Dein Rückgeld«, sagt er und ich sehe, wie seine Augen amüsiert funkeln, weil ich ihn jetzt schon zum zweiten Mal absolut offensichtlich angestarrt habe.

»Oh, ja, danke«, antworte ich peinlich berührt. Ich fühle mich zunehmend unwohl in meiner Haut und versuche deshalb seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, während ich die Flasche nehme, den Verschluss abschraube und einen erfrischenden Schluck trinke. »Sie wissen nicht zufällig, wo es hier eine äußerst preiswerte Autowerkstatt gibt, oder? Die Klimaanlage von meinem Wohnmobil funktioniert nämlich nicht mehr richtig.«

»Autowerkstätten gibt es hier 'ne Menge. Was stellst du dir denn unter preisgünstig vor?«, antwortet er und stützt sich mit seinem linken Arm auf der Theke ab. Dabei treten die Muskeln an seinem Oberarm hervor.

Himmel, ich muss aufhören so zu starren!

Zum Glück schickt er keinen weiteren provokanten Kommentar hinterher, obwohl ich ihm ansehe, dass er das zu gerne würde.

»Keine Ahnung«, sage ich ehrlich. »Was wäre denn ein realistischer Preis, wenn meine Klimaanlage kaputt ist?«

Durch die Fensterscheibe wirft er einen Blick auf den Parkplatz und als er sieht, dass keine neuen Kunden kommen, fragt er: »Wenn du willst, kann ich mir das mal ansehen. Ich nehme an, du bist nur auf der Durchreise und willst schnell weiter?« Ohne auf eine Antwort meinerseits zu warten, kommt er um die Theke herum und geht nach draußen.

Schnell folge ich ihm und schraube die Wasserflasche währenddessen wieder zu. »Eigentlich nicht. Ich hatte vor, einige Wochen hierzubleiben, ein bisschen Geld zu verdienen, mir Dallas anzuschauen und dann erst weiterzufahren.«

Er geht nicht auf meine Worte ein, sondern fragt mich, ob ich für ihn den Motor anlassen würde.

Bereitwillig öffne ich die Fahrertür, stecke den Schlüssel ins Zündschloss, starte den Motor und lasse ihn dann hinters Lenkrand klettern. Er sucht einen kurzen Moment nach dem Knopf zur Bedienung der Klimaanlage, dann schaltet er sie ein und wartet zwei Minuten.

»Mhh, da kommt wirklich fast keine Luft raus.«

Ach wirklich, Blondi? So weit war ich auch schon.

Amüsiert schüttle ich den Kopf, während er den Motor wieder ausschaltet und um das Wohnmobil herumgeht, um einen Blick unter die Motorhaube zu werfen. Vermutlich schaut er dort nach der Kühlflüssigkeit. Anschließend stützt er sich elegant mit seinem linken Arm am Boden ab, legt sich auf den Rücken und sieht sich den Unterboden des Wohnmobils genauer an. Wozu, ist mir ein Rätsel. Als er jedoch verärgert mit der Zunge schnalzt, ahne ich nichts Gutes.

»Die Kühlflüssigkeit ist leer, aber du kannst sie leider nicht einfach nachfüllen und alles ist wieder gut. Sie ist leer, weil im Kondensator ziemlich viele Löcher drin sind. Das Ding muss definitiv ausgetauscht werden, reparieren kann man das nicht«, teilt er mir mit, als er wieder vor mir steht und lässt damit meine schlimmste Befürchtung wahr werden.

»Wie kommen da denn Löcher rein?«, frage ich mit großen Augen.

»Durch Rollsplitt zum Beispiel.«

»Aber ich bin doch nirgendwo über Rollsplitt gefahren«, murmle ich frustriert. Warum muss das blöde Wohnmobil auch so viele Macken haben? Zuerst ist ein Reifen platt, dann ist die Pumpe verdreckt und jetzt das. Vielleicht hätte ich den Roadtrip doch nicht machen und stattdessen zuerst aufs College gehen sollen. Dann hätte ich jetzt ein temperiertes Dach über dem Kopf und müsste mir auch keine Sorgen ums Geld machen. Meine Notfall-Notfall-Reserven auf meinem Konto sind dank der vorigen Macken nämlich auch schon aufgefressen.

»Vielleicht weißt du es auch einfach nicht mehr. Vor Dallas liegen viele unbefestigte Straßen«, antwortet er und geht an mir vorbei zurück in den Shop.

»Warte.« In der halb geöffneten Tür bleibt er stehen, dreht sich um, lehnt sich gegen die Kante und platziert seine Hand oben auf dem Rahmen. »Wie viel kostet das denn jetzt ungefähr? Weißt du das?«, frage ich zerknirscht. Ich habe jetzt schon keine Lust mehr auf Dallas. Ich wollte diesen Roadtrip genießen und nicht ständig ans Geld denken müssen.

»Dein Womo sieht schon ziemlich alt aus, also würde ich den Trockner mit austauschen, damit der Klimakreislauf nicht von Neuem kaputt geht. Insgesamt würde ich schätzen, dass es gut 750 bis 900 Dollar werden können.«

Ich werde aschfahl, taumle unbewusst einen Schritt rückwärts und lehne mich, als ich die von der Sonne aufgewärmte Verkleidung in meinem Rücken spüre, an mein Wohnmobil. »Das ist eine ganze Menge«, flüstere ich schockiert. Bis ich das alles zusammengespart habe, brauche ich Wochen. Solange kann ich unmöglich in der Blechbüchse bleiben.

»Hier in der Nähe gibt es eine preiswerte Pension. Da kannst du bleiben, bis das Ding repariert ist. Ich könnte sie dir zeigen, wenn du willst«, bietet er mir freundlich an.

»Nenn ihn nicht Ding«, fauche ich giftig zurück.

Super, Annie! Er ist hilfsbereit und du zickst ihn an.

Geschafft reibe ich mir übers Gesicht. »'tschuldigung, so war das nicht gemeint. Er hat zwar schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, aber war mir trotz der Macken bisher immer treu. Ich finde, das sollte man würdigen.« Als würde ich das Wohnmobil tätscheln, klopfe ich zweimal mit der flachen Hand auf die Außenwand.

»Schon okay. Dann bleibe ich eben bei Wohnmobil«, schmunzelt er. Dabei bildet sich ein winziges Grübchen auf seiner rechten Wange. »Also, was ist? Soll ich dich zur Pension bringen? Meine Schicht ist gleich zu Ende und mein anderer Mitarbeiter sollte in ein paar Minuten kommen und mich ablösen.«

Mein anderer Mitarbeiter? Er ist doch höchstens 24 und besitzt schon eine eigene Tankstelle?

»Ich fürchte, aus der Pension wird nichts, bis ich einen neuen Job habe«, seufze ich resigniert. »Solange werde ich wohl oder übel mit dem Toaster zurechtkommen müssen. Und dann muss ich auch erst mal sparen.« Mit diesen Worten habe ich ihm viel mehr über meine finanziellen Verhältnisse preisgegeben, als mir eigentlich lieb ist.

»Du trampst durch die USA?«, stellt er halb fragend fest und ich nicke zur Bestätigung. »Tut mir leid, dass nicht alles ganz nach Plan verläuft.«

Ich winke ab. »Schon okay. Kannst du ja nichts für.«

Einen kurzen Augenblick nachdenkend fasst er sich mit seiner Hand in den Nacken und schaut mich ein wenig verlegen an. »Weißt du, einen Job könnte ich dir geben. Eine weitere Person, die in der Woche halbtags hier arbeitet, kann ich eigentlich schon seit Längerem gebrauchen. Bis jetzt hat sich nur keiner gefunden.«

Wow, es ist wirklich seine Tankstelle.

Trotzdem bedenke ich ihn mit einem skeptischen Blick. Ist er zu allen Leuten, die bei ihm tanken und ein Problem mit ihrem Auto haben, so hilfsbereit?

»Jetzt sieh mich nicht so an. Ich suche wirklich jemanden«, lacht er. »Schau.« Immer noch in der geöffneten Tür stehend lehnt er sich nach innen und reißt zum Beweis einen Zettel mit einer Stellenanzeige ab, der an der Fensterscheibe geklebt hat.

»Ich kenne ja nicht mal deinen Namen«, antworte ich kess und recke das Kinn vor. Egal, was er vorhat: Wenn er denkt, ich sei dermaßen verzweifelt, dass ich sein Angebot ohne Wenn und Aber annehme, hat er sich geschnitten.

»Stimmt. Wie unhöflich von mir.« Er schlägt sich einmal gespielt schockiert an die Stirn und streckt mir dann seine Linke entgegen.

Welche auch sonst, Annie?

»Ich bin Roy. Steht übrigens auch hier auf meinem schicken, kleinen Schildchen.« Er deutet auf das Schild, das auf Brusthöhe seines T-Shirts befestigt ist, und zupft kurz daran.

»Und mit vollem Namen?«, stichle ich weiter und ignoriere seine Hand.

»Cohen. Roy Cohen. Eigentlich Liroy, aber der Name klingt schrecklich, deswegen bitte nur Roy.« Er neigt den Kopf leicht zur Seite und schaut mich abwartend an. Seine Augen sind wirklich unglaublich. Wie kann man nur so schöne Augen haben? Sie wirken so warm, so freundlich und offen.

Schnell konzentriere ich mich wieder. Er muss mich doch für völlig verrückt halten, wenn ich ihn ständig so anstarre.

»Annie Coors.« Ich mache einen Schritt auf ihn zu und strecke ihm meine rechte Hand entgegen, ehe ich meinen überaus peinlichen Fauxpas bemerke und hastig die Seite wechsle.

Idiot!

Es ist ein komisches Gefühl, jemandem mit Links die Hand zu geben, denke ich, als Roy meine Hand ergreift und sie schüttelt.

»Also Annie, möchtest du den Job?«, fragt er charmant grinsend und übergeht mein Missgeschick netterweise.

»Dir ist aber schon bewusst, dass ich für maximal sechs bis acht Wochen hier in Dallas bin, oder? Das heißt, du müsstest dir recht schnell wieder einen neuen Mitarbeiter suchen. Das lohnt sich doch gar nicht für dich«, bleibe ich skeptisch.

»Acht Wochen sind besser als gar nichts. Und du brauchst den Job doch, oder?«

Grübelnd beiße ich mir auf die Unterlippe und überlege. Er hat recht. Ich brauche den Job. Und einfacher als er es mir gerade macht, kann es nicht werden. »Kein Haken?«

»Kein Haken.«

Mit dem verdienten Geld könnte ich mir zwar noch lange keinen neuen Kondensator und eine Pension leisten, aber es wäre zumindest ein Anfang. Einen Job brauche ich so oder so. »In Ordnung. Wann kann ich anfangen?«

Freudig lächelt er mich an. »In drei Tagen, also am Montag. Wenn du morgen allerdings so um halb zwei nochmal vorbeischauen könntest, könnten wir das Vertragliche abklären und du erhältst schon mal eine kleine Einweisung.«

Ich nicke. »Klar, kein Problem.« Damit wäre zumindest der erste Teil meines Jobproblems gelöst. Doch ein Job alleine reicht nicht. Mit meinen rund 221 Dollar in bar und den verbliebenen 50 Dollar auf meinem Konto dürfte ich zwar, wenn ich gut haushalte, noch die vierzehn Tage bis Monatsende auskommen, aber wenn ich nicht ewig in einem stickigen Wohnmobil verbringen möchte, muss ich schnell mehr verdienen.

Roy stößt sich von der Kante der Tür ab, verabschiedet sich von mir mit einem »Dann bis morgen, Annie Coors«, und geht wieder nach drinnen.

Ich drehe mich ebenfalls um und gehe zurück zu meinem Wohnmobil. Bevor ich einsteige, fällt mir jedoch noch ein, dass ich Strom und Wasser auffüllen muss. Also manövriere ich das Wohnmobil an den Anschluss für Strom. Danach fülle ich das Wasser auf und gehe wieder nach drinnen, um zu bezahlen. Das bleibt von Roy natürlich nicht unkommentiert.

»Wenn ich mich recht erinnere, habe ich gesagt, du sollst morgen wieder kommen«, grinst er mich an, aber ich lege ihm nur die Quittung auf den Tresen ohne auf seinen Scherz einzugehen. 55 Dollar.

»Hey, wenn du den Job hast, bessert sich deine finanzielle Lage bestimmt ganz schnell wieder.«

Er hat ja keine Ahnung.

Mit einem »Hoffentlich« nehme ich seine Aufmunterung zur Kenntnis, bezahle und gehe wieder zum Wohnmobil. Sobald ich einen Parkplatz gefunden habe, auf dem ich es abstellen kann, werde ich mich hinsetzen und eine sehr detaillierte Liste meiner Ausgaben erstellen, um wirklich bis zum Monatsende anzukommen.

Strom und Wasser reichen höchstens drei Tage. Bis Monatsende sind es noch vierzehn Tage. Mein Geld reicht für beides maximal noch vier Mal. Das wären zwölf Tage. Bleiben 50 Dollar für Lebensmittel übrig, aber kein Wasser und kein Strom für zwei Tage.

Verzweifelt beuge ich mich vor, stütze die Unterarme aufs Lenkrad und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ich bräuchte ein Wunder, um bis Monatsende auszukommen.

Die Luft in der Blechbüchse ist inzwischen so verbraucht, dass ich die Fenster auf beiden Seiten der Fahrerkabine herunterkurbeln muss, damit zumindest der Fahrtwind etwas frische Luft bringt. Dann fahre ich auf einen Walmartparkplatz, auf dem ich das Wohnmobil unter einem Baum, der ein wenig Schatten spendet, abstelle. Hier kann ich es erst mal stehen lassen.

Die Nacht ist trotzdem entsetzlich. Unruhig wälze ich mich von einer Seite auf die andere. Gegen Abend ist es nicht wirklich kühler geworden, weshalb die Temperaturen auch in der Nacht immer noch drückend sind. Immer wieder wache ich auf und öffne ein Fenster, um das Gefühl, ich würde ersticken, loszuwerden. Doch ein paar Minuten später schließe ich es wieder, weil es mir so vorkommt, als würde die warme Luft von draußen es in der Blechbüchse nur noch unerträglicher machen.

***

Am nächsten Morgen werfe ich mein völlig verschwitztes Schlafshirt in den Wäschekorb und springe unter die Dusche. Als das kühle Wasser meine Haut trifft, seufze ich glücklich und gönne mir ein paar Sekunden Luxus, in denen ich es einfach auf mich herabprasseln lasse. Wenigstens das wurde von der Sonne nicht aufgeheizt.

Anschließend wasche ich mir die verschwitzten Haare schrubbe meinen Körper zügig, um nicht zu viel kostbares Wasser zu verbrauchen. Die nächsten zwei Wochen muss ich mit allem, was mir zur Verfügung steht, sparsam sein.

Ein wenig erfrischt trete ich aus meiner kleinen Nasszelle, in der man sich kaum um sich selbst drehen kann, und ziehe mir im Wohnraum frische, luftige Klamotten an. Danach schütte ich mir ein paar Cornflakes und Milch in eine Schüssel und schnipple einen halben Apfel dazu. Zum Glück funktioniert der Generator für Strom einwandfrei. Ohne Kühlschrank würden meine restlichen Lebensmittel bei der Hitze schneller verderben, als ein Sportwagen von null auf hundertachtzig beschleunigen könnte.

Erst halb elf, stelle ich bei einem raschen Blick auf mein Handy fest, während ich mir an der Anrichte lehnend einen Löffel Müsli in den Mund schiebe, und beschließe später einen Teil der Stadt zu erkunden. Hier gibt es genug Läden, einer davon benötigt bestimmt eine Aushilfe.

Nach zwei Stunden erfolgloser Suche muss ich allerdings feststellen, dass die meisten Stellen gerade frisch vergeben worden sind oder man mich nicht einstellen möchte, weil mein Aufenthalt in Dallas zu kurz ist.

Frustriert und mies gelaunt laufe ich durch die brütende Hitze zur Tankstelle und bereue es, mir keine Flasche Wasser eingepackt zu haben. Aus dem Grund ist mir schon leicht schwindelig, als ich endlich ankomme und den klimatisierten Shop betrete. Roy räumt gerade neue Waren in die Regale und wirft einen flüchtigen Blick in meine Richtung, um zu prüfen, ob ich ein Kunde bin. »Einen Moment. Ich räume noch schnell das Regal hier ein«, verkündet er fröhlich und meine Laune hebt sich gleich ein bisschen.

Wortlos nehme ich mir eine Wasserflasche aus der Kühltheke, lege das Geld auf die Theke und lehne ich mich mit der Hüfte dagegen, während ich gierig die halbe Flasche leere und darauf warte, dass Roy fertig wird.

Sein nächster Satz ist allerdings nicht sonderlich charmant.

»Du siehst irgendwie mies aus.«

»Danke. Das hört jede Frau gerne«, entgegne ich.

»Tut mir leid, so war das nicht gemeint. Du siehst gut aus. Nur etwas fertig. Moment, das klang jetzt genauso furchtbar. Vergiss das am besten wieder.« Amüsiert schüttelt er den Kopf und wedelt mit seiner Hand in einer Das-hast-du-nie-gehört-Geste.

Obwohl der Stress und der wenige Schlaf der letzten Nacht an meinen Nerven zerren, muss ich gegen meinen Willen grinsen. »Hast ja recht«, gebe ich zu. »Immerhin konnte ich heute Morgen einigermaßen kalt duschen, auch wenn man das schon nicht mehr sieht. Ansonsten wäre ich noch unerträglicher.«

Damit kann ich dem Blondschopf ein ehrliches Lachen entlocken. Er geht um mich herum zur Theke und greift darunter nach einer Flasche Wasser. »Na dann ist ja gut, dass wenigstens der Boiler funktioniert.« Er setzt die Flasche an die Lippen und nimmt einen Schluck. »Dir ist aber schon bewusst, dass es in den nächsten Tagen noch heißer werden soll?«, fragt er etwas zögerlich.

Ich stöhne bei der Erinnerung an die Wetternachrichten, die ich mir heute Morgen angehört habe, und fahre mir mit den ersten drei Fingern meiner Hand über die Stirn. »Das habe ich tatsächlich bereits mitbekommen. Erinnere mich bloß nicht daran.« Mein lockerer Umgangston mit jemandem, den ich kaum kenne, überrascht mich, aber er ist mir nicht unangenehm. Irgendwie fühlt es sich natürlich an, mit Roy so zu reden.

»Vielleicht solltest du dir einen kleinen Ventilator besorgen.«

»Damit der Strom noch schneller aufgebraucht ist? Nein danke. Mein Geld ist so schon knapp genug.«

Der junge Mann quittiert meine Aussage mit einem kurzen Nicken, weil er weiß, dass ich darauf nicht weiter eingehen werde, und zieht anschließend ein Formular unter der Theke hervor. Da ist anscheinend eine Menge Platz für persönliche Utensilien, denke ich belustigt und ein Bild von Mary Poppins magischer Handtasche, aus der sie jede Menge Gegenstände zaubert, schießt mir in den Sinn.

Ein Grinsen schleicht sich ganz unbemerkt auf meine Lippen. Vielleicht folgt nach dem schlechten Morgen jetzt wenigstens ein schöner Nachmittag.

»Gut, dann weise ich dich mal in deinen zukünftigen Job ein. Größtenteils wirst du Kassenarbeit erledigen. Solltest du Spätdienst haben, brauchst du die Kasse nicht auszuzählen – das wird am nächsten Tag dann entweder von mir oder von Jo, dem anderen Mitarbeiter, übernommen. Der müsste auch gleich kommen.« Roy wirft einen Blick auf die kleine Uhr, deren Ziffernblatt nicht wie gewöhnlich auf, sondern unter seinem Handgelenk sitzt, und zieht die Augenbrauen leicht zusammen. Wahrscheinlich ist sein Mitarbeiter spät dran.

»Nun denn, dann wollen wir mal. Als Erstes müsstest du dieses Formular ausfüllen. Das kennst du bestimmt schon alles von deinen vorigen Jobs.« Roy reicht mir die zwei Bögen Papier, die ich rasch ausfülle, und befördert währenddessen einen dritten zutage.

»Das hier ist dein Arbeitsvertrag. Dafür bräuchte ich deinen Führerschein.« Er zieht einen Kugelschreiber aus seiner Jeanstasche und trägt seine Daten ein. Er schreibt schnell und ziemlich unleserlich. Misstrauen keimt in mir auf. Ich sollte lesen können, was er einträgt, damit nicht die Gefahr besteht, dass er mich über den Tisch zieht.

Skeptisch verfolge ich seine Eintragungen weiter, während ich ihm meinen Führerschein auf die Theke lege. Als er fertig ist, dreht er den Vertrag zu mir und gibt mir meine Papiere zurück. Dann zeigt er mit der Spitze seines Kulis auf die einzelnen Lücken, die er ausgefüllt hat, und liest mir vor, was dort steht.

»Das ist ein Vertrag für eine Teilzeitbeschäftigung. Die Art der Tätigkeit ist Tankwart/Tankwärtin und deine Beschäftigungszeit beginnt am 20. Juni und ist auf unbestimmte Zeit vereinbart, kann aber jederzeit beidseitig gekündigt werden. Kündigungsfrist beträgt zwei Wochen zum Monatsende.« Prüfend blickt er kurz zu mir und als ich ihm mit einem Nicken seine Aussage bestätige, fährt er fort.

»Deine Arbeitszeit beträgt 24 Stunden wöchentlich und ist von montags bis freitags je acht Stunden vom Arbeitgeber variabel einsetzbar. Jedes zweite Wochenende erfährst du die Arbeitszeiten für die nächsten zwei Wochen. Die Vergütung erfolgt zweiwöchentlich per Check und beträgt 320 Dollar. Bei einer Erkrankung von länger als drei Tagen benötige ich ein ärztliches Attest. So, wenn du mit all dem einverstanden bist, dann musst du hier unterschreiben.« Roy deutet mit seinem Kugelschreiber auf ein kleines Feld, neben dem auch er schon unterschrieben hat. Ich nehme ihm den Stift ab und setze ebenfalls, nach seiner Erklärung nun bedenkenlos, meinen Namen darunter.

»Gut, dann fülle ich eben noch deinen Vertrag aus, den du mitnehmen darfst, und dann ist alles geklärt. Dann kannst du in drei Tagen hier anfangen.«

»Danke«, sage ich aufrichtig. »Mit dem Job kann ich schon mal einen Punkt von meiner To-Do Liste abhaken. Deshalb danke.«

»Ich bin ja nicht ganz uneigennützig. Ich brauchte eine Aushilfskraft«, entgegnet er grinsend. Wann grinst oder lächelt er mal nicht? Es ist erstaunlich, wie gut gelaunt er trotz seines Handicaps ist. Ob er damit schon seit seiner Geburt lebt und es deshalb normal für ihn ist? Dann wäre es auch logisch, dass er von Geburt an Linkshänder ist.

Meinen Vertrag füllt Roy wesentlich ordentlicher aus, wofür er sehr viel mehr Zeit braucht. Falls ich noch Bedenken gehabt hätte, wären sie jetzt restlos zerstreut.

Während er leicht vornübergebeugt seine Hand über das Papier führt, fallen ihm ein paar blonde Strähnen in die Stirn, die ihn nicht weiter kümmern.

»Okay, dann brauche ich noch deine Nummer, damit ich dir am Wochenende Bescheid geben kann, wie deine Arbeitszeiten für nächste Woche sind, und dann zeige ich dir noch kurz den Shop. Ach so, und außerdem brauchst du ja noch so ein cooles Namensschild wie meins hier.«

Ich lache. »Natürlich.« Rasch gebe ich ihm meine Nummer.

»Oh, fast vergessen. Eine Kleinigkeit wäre da noch: Wir sind ein reiner Linkshänder-Betrieb. Es wäre also gut, wenn du hier auch alles nur mit links machen würdest.«

»Jaja, alles klar«, stimme ich ihm lachend zu. Aber seine Mundwinkel ziert nicht die geringste Spur eines Lächelns. Irritiert sehe ich ihn an. »Jetzt ernsthaft?«

»Jap.« Völlig ungerührt wartet er meine Reaktion ab, während ich ihn etwas vor den Kopf gestoßen anschaue. Und dann kann er sich doch nicht mehr halten und bricht in Gelächter aus. »Natürlich nicht. Ich bin der einzige Linkshänder hier im 'Betrieb', wenn man das überhaupt so nennen kann«, sagt er und verschwindet im Personalraum um mir ein Schildchen zu besorgen.

Ich schüttle den Kopf. Anscheinend kommt er mit einem Arm super zurecht. Er kann ja sogar Witze darüber machen. Trotzdem interessiert mich, was ihm passiert ist. Er ist allerhöchstens Mitte zwanzig. Wie hat er diesen Schicksalsschlag so gut überstanden?

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