Teil 9
Skeptisch begutachtete ich mein Spiegelbild. Ein hellblauer Pullover und eine weiße Jeans zierten meine Person. Bereis zum dritten Mal hatte ich mich umgezogen, wobei es vermutlich überflüssig zu erwähnen war, dass ich noch immer unzufrieden über mein derzeitiges Bild war. Jedoch müsste ich mich wohl damit abfinden, da es schlussendlich nur wieder damit geendet hätte, dass ich unveränderter Meinung meines Aussehens wäre und in meinem Schrank auch keine neuen Anziehsachen erscheinen würden.
Meine Haare ließ ich offen auf meiner Schulter liegen, denn so gefielen sie mir am besten. Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich mich beeilen musste, da ich noch ein kleines Stück laufen müsste und nicht zu spät kommen wollte. Den gesamten gestrigen Tag hatte ich damit verbracht, mir den Kopf über mein Aussehen und mögliche Zehnarien zu zerbrechen, was alles schief gehen könnte. Doch letztlich war es zu spät für einen Rückzieher, wir hatten Sonntag und schon 17:45 Uhr, zu spät um jetzt noch zu sagen 'Hey sorry aber hab es mir anders überlegt'. Es war eindeutig zu spät.
Meinem Vater hatte ich erzählt, ich müsse mich mit Renjun für die Schule treffen. Auf die Frage 'Und warum denn so spät?' reagierte ich mit einem Schulterzucken und ein 'Seh ich aus wie Gott? Woher soll ich das denn wissen?' Blick. Woraufhin mein Vater mich von seiner Befragung befreite. Seine Überfürsorge war lieb gemeint, dass war mir bewusst und ich schätzte sie auch sehr, immerhin, hatte er auch nur Angst, dass etwas geschehen könnte.
Von der Kommode im Flur schnappte ich mir meine Kopfhörer und Schlüssel, machte mich auf den Weg zur Tür, stoppte jedoch noch kurz. "Komm nicht zu spät!" Rief mir mein Papa noch hinterher, worauf ich nun die Tür schließen konnte und mich auf den Weg machen konnte zum Salang See. Es war weniger ein See als mehr ein breiter Fluss der sich durch die ganze Stadt zog und erst in der Nachbar Stadt zu dem eigentlichen Salang See mündete. Es waren von meinem Haus bis zu dem Café, in welchem wir uns treffen wollten, um die 15 Minuten zu Fuß, ich glaubte, wir waren dort bei der Ankunft dran vorbei gefahren aber so genau wusste ich es auch nicht mehr. Als ich endlich, nachdem ich zum fünften Mal falsch abgebogen war, auch endlich die richtige Straße gefunden hatte, blickte ich einmal um mich. Es war wohl noch niemand da. Ein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir das wir es 17:58 Uhr hatten, ich hatte mich wohl ziemlich beeilt, wenn ich es mir selbst eingestand, war es aber vermutlich mehr die Nervosität und Neugierde, welche mich voran getrieben hatte. Vor dem Café, welches den schönen Namen "Nuguna da" trug, was soviel wie "Ein und Alles" übersetzt bedeutete, hatte ich mich auf eine Bank gesetzt und schaute derweil auf den Fluss. Wasser hatte was besonderes an sich, in der einen Minute war es friedlich und beruhigend und in der anderen konnte es bedrohlich, unkontrolliert und gefährlich sein. Dennoch hatte es was faszinierendes an sich und sog einen förmlich in seinen Bann.
Von Kindern die an mir vorbei rannten und mit einem Ball herum schossen, wurde ich aus meinen Tagtraum gerissen und schaute mich suchend um. Ich hatte komplett die Zeit aus dem Auge verloren während ich nachgedacht hatte und merkte förmlich, wie es langsam kälter wurde. Ein wiederholter Blick auf mein Handy verriet mir nun, dass bereits 15 Minuten verstrichen waren. Etwas deprimiert starrte ich in das Café wo ich aber niemanden ausfindig machen konnte, abgesehen von dem jungen Mann an der Kasse und seiner jüngeren Kollegin die gerade die Tische abwischte. Sie könnte ungefähr in meinem Alter sein, außerdem konnte ich erkennen das sie einen westlichen Touch hatte. Vielleicht Italienerin? Wiedermals schaute ich auf mein Handy, doch nein, keine Nachricht oder sonstiges. Ein etwas vor Enttäuschung erfühlter Seufzer verließ meinen Mund, ich schloss kurz meine Augen und starrte dann hoch zu den Bäumen, die in regelmäßigen Abständen gepflanzt waren. Die blühten wiegten sich mit jedem Windzug und vereinzelt fielen einige Blätter zu Boden. Einzelne von ihnen wurden von der Oberfläche des Flusses erfasst und erstickten förmlich unter den, in der Sonne glänzenden, Wassermengen. Bei dem lieblichen Anblick huschte mir ein leichtes Lächeln über meine Lippen. Ein trauriges Lächeln.
Ich kniff meine Augen schützend zusammen als ich von der Abendsonne geblendet wurde, jetzt stand sie genau auf meiner Augenhöhe und verschwand langsam am Horizont. Wiedermals drehte ich mich zu dem kleinen Café um und musste betrübt feststellen, dass das Mädchen, welches grade noch die Tische abgewischt hatte, jetzt das Schild am Eingang umdrehte und nur noch 'closed' drauf zu lesen war. Ich ließ meinen Kopf langsam sinken und kniff meine Augen fest zusammen, danach schaltete ich mein Handy an und befreite langsam, mit einem unwohlen Gefühl, meine Sicht. Ich starrte etwas ungläubig auf mein Display und konnte nicht ganz glauben was ich dort vernahm. 18:45 Uhr. Hatte er mich versetzt? Oder vielleicht vergessen? Wie in Zeitlupe richtete ich meinen Blick wieder und schaute mich noch einmal sorgfältig um, doch nichts, niemand war zu sehen. Sogar die Kinder von vorhin waren nicht mehr da, nur ein etwas betrübtes Mädchen auf einer Bank, die so langsam schon nicht mehr ihre Finger oder Zehen vor Kälte spüren konnte. Ich presste meine Zähne aufeinander und steckte deprimiert mein Handy in meine Jackentasche zurück. Ich zog überflüssige Luft in meinen Mund ein, prustete sie wieder aus und stand von der ebenfalls kalten Bank auf. Wahrscheinlich hatte er mich versetzt...oder einfach nur ein Scherz erlaubt. Ich lief am Fluss entlang, in Richtung Zuhause und dachte darüber nach, ob ich was falsch gemacht hatte. Ob ich vielleicht zur falschen Uhrzeit gekommen war oder am falschen Café wartete, aber nein, ich ging unsern Chat Verlauf aufmerksam durch und ich hatte alles richtig gemacht. Ich schüttelte verwirrt meinen Kopf.
Warum? Mehr fiel mir dazu nicht mehr ein.
"Linn?" Ich lief weiter. "LinKi!" Hinter mir hörte ich wie jemand mit schnellen Schritten auf mich zulief und meinen Namen rief. Ich konnte nur Umrisse erkennen, da die Sonne nur noch vereinzelte Strahlen über den Horizont hinüber blitzen lies. "Jeno?" Ich blieb stehen und legte mein Kopf schief. Vor mir blieb eine, einwenig vermummte Person, stehen. Durch die große Jacke und den Mundschutz konnte ich sie nicht ganz erkennen, weshalb ich direkt aus Reflex und guten Menschenverstand einige Schritte zurück machte. Die Person vor mir kam nun endgültig zum Stehen,strecke seine Hand zu mir aus, doch ich wich ihr aus und hob eine Augenbraue. Noch immer konnte ich die mir gegenüberstehende Person nicht erkennen. "Hm?"
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top