Kapitel 2: Die Zugfahrt
Lily hastete mit ihrer Familie über den Bahnsteig. Severus hatte vorgestern mit ihr die Winkelgasse besucht und alles Nötige war besorgt. Der Junge hatte ihr versprochen, an der Absperrung zu warten. Und er hatte Wort gehalten. In seinem neueren Umhang - secondhand - sah er nicht mehr wie ein elternloser Herumstreuner aus.
"Hallo, Sev." Sie war sehr aufgeregt.
"Hallo. Wo ist denn deine pferdegesichtige -" Auf einen Blick von Lily verstummte er und setzte neu an: "Du musst, um auf Gleis neundreiviertel zu kommen, einfach auf die Absperrung zulaufen. Brems bloß nicht ab! Ach ja, deine Eltern sind Muggel; sie kommen hier nicht durch. Sag schon mal tschüs."
Nach einem herzzerrreißendem Abschied, während dem Severus einen altmodischen Schaffner mit größtem Interesse beäugte (der hielt ihn für bescheuert: "Haste noch nie 'nen Schaffner gesehen?" - "Nein, wirklich nicht."), rannte Severus auf die Absperrung zu und verschwand urplötzlich. Lily schnappte nach Luft und sah unsicher zurück. Ihre Eltern nickten ihr ermutigen zu, was nicht besonders überzeugend aussah, weil sie weinten. Dann atmete sie tief durch und tat es ihm gleich. Es war, als würde sie durch einen Vorhang laufen.
***
Die riesige Glocke des Hogwarts-Expresses bimmelte ununterbrochen, während jemand verkündete: "Abfahrt in drei Minuten!"
"Wen haben wir denn da? Schniefelus und...?", fragte eine listige Stimme hinter ihnen. Sie fuhren herum.
Severus wurde augenblicklich blass. "James." Das war dann wohl der große schwarzhaarige Junge, der mit Gefolge (drei etwas kleineren Jungen) vor ihnen stand. Er betrachtete Severus, als wäre er etwas Widerwärtiges.
Lily sah verwirrt vom einen zum anderen. "Ihr kennt euch?"
"Ja", murmelte Severus.
James knurrte: "Leider, ja. Wer bist du?"
"Lily Evans", antwortete sie.
"Muggelstämmig, nehme ich an?", fragte der kleinste Junge in James' Gefolge. Er war etwas dicklich und hatte Hasenzähne.
"Ist das schlimm?", wollte Lily verunsichert wissen.
Ein braungelockter Junge, der der James nächstgrößere war sagte in gehässigem Unterton: "Nein, eigentlich nicht. Aber wenn man kurz davor ist, ein Slytherin zu werden, wie der da, ja. Slytherins verabscheuen Muggelstämmige wie dich. Dabei ist er ja auch ein Halbblut...! Trotzdem kommt er in Slytherin, das Haus der List, der Fiesen und der, die euch Leute 'Schlammblüter' nennen." Mal abgesehen von seinen gemeinen Einwürfen klang es, als habe er den Text auswendig gelernt.
Lily starrte ihn mit offenem Mund an, dann fauchte sie: "Wenn du Sev nochmal beleidigst, dann... dann..."
James lachte: "Was dann?"
Sie zückte ihren Zauberstab, doch ihnen allen war klar, dass sie keinen einzigen Zauberspruch konnte. Aber die Drohgeste sagte alles.
Severus packte sanft ihre Zauberstabhand. "Lass uns gehen."
Die beiden hievten ihre Sachen in den Zug und schleppten sich in zweite Abteil, das erste war bereits voll gewesen. Erschöpft ließen sie sich auf die federnden Polster fallen.
"Das waren James, Sirius - der mit den Locken, Wurmschwanz Peter Pettigrew - der mit den Hasenzähnen und Lupin, der Streber, der natürlich nichts gesagt hat", erklärte Severus sachlich.
Lily schnaubte verächtlich, als der Hogwarts-Express losfuhr. "Mir ist egal, wer die sind. Bis auf diesen... Lupin scheinen die alle sehr fies zu sein. Wenn du mich fragst, gehören die alle nach Slytherin."
"Ach, die sind nur zu mir so."
"Das ist ja das Gemeine an der Sache."
"Ich streite nicht ab, dass sie gemein sind, aber so sind nun mal alle zukünftigen Schüler, die nicht nach Slytherin kommen."
"Dann will ich auch nach Slytherin, wenn die da netter sind." Sie klang entschlossen.
"Lily, du verstehst das nicht. Du gehörst nicht nach Slytherin."
"Du aber, oder?" Ihre Augen blitzten vor Wut.
"Du merkst, was ich meine, wenn wir da sind."
"Pff", machte Lily verächtlich.
Der Rest der Zugfahrt verlief schweigend, jeder ging seinen eigenen Gedanken nach, mal abgesehen von dem Zeitpunkt, als der Imbisswagen kam.
Die Frau, die ihn schob, sah neugierig ins Abteil hinein und fragte: "Wollt ihr Süßes?"
Severus seufzte: "Ja, klar." Er stand auf und nahm sich ein paar Sachen.
Lily folgte ihm und betrachtete die Süßigkeiten. Da sie nicht wusste, was das alles war, schnappte sie sich einfach irgendetwas.
Der Imbisswagen fuhr weiter.
Severus wollte wissen: "Was hast du dir genommen?"
"Das hier." Sie zeigte ihre Sachen. Plötzlich bewegte sich etwas. "Iiiiiiehhh! das lebt ja!" sie ließ vor Schreck alles fallen. Ein kleiner brauner Frosch hüpfte daraus hervor.
Severus lachte: "Ein Schokofrosch!"
Lily verzog angewidert das Gesicht: "Und das soll ich essen?"
"Wenn du ihn nicht willst, nehm ich ihn!", grinste Severus und fing den Frosch auf. Genüsslich steckte er ihn sich in den Mund und kaute.
Lily machte Würggeräusche.
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