Kapitel 4
Ich konnte es kaum abwarten, bis die Stunde endlich vorbei war und ich mir Dayna schnappen konnte. Sie war gerade schon am Rausgehen, als ich sie am Arm zurückhielt.
"Dayna, warte. Ich muss mit dir sprechen."
"Klar, was ist los?"
"Hast du etwas an meinem Artikel verändert?", platzte ich gleich heraus. Es hatte ja wohl auch keinen Sinn, groß um den heißen Brei herumzureden, vor allem, da ich mir sowieso sicher war, dass nicht sie es gewesen war, die meinen Artikel um eine Liebeserklärung an Michael bereichert hatte. Ihrem verwirrten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie wirklich nichts damit zu tun.
"Was? Nein, natürlich nicht! Wie kommst du denn darauf?" Ich winkte ab.
"Irgendwer hat ein bisschen an meinem Artikel gefeilt. War Ash an deinem Laptop?"
"Ja, ganz kurz, er wollte nur noch etwas an den Bildern verändern. Er meinte, er brauche zehn Minuten, und in der Zwischenzeit bin ich mir Kaffee holen gegangen. Aber er hätte ja auch nicht meinen Laptop gebraucht, um an deinen Artikel zu kommen. Was hat er denn angestellt?", wollte sie neugierig wissen.
"Nicht so wichtig. Wir müssen jetzt nur mal kurz klarstellen, dass Ash der Arsch ist." Ich nahm sie bei der Hand und zog sie zum Büro des Direktors.
"Ms Nichols, schön, dass Sie wieder da sind. Ich habe noch mit Ihnen zu reden." Ups, der klang wirklich hocherfreut, mich zu sehen ... Gut, kein Wunder nach meinem fantastischen Abgang vorhin.
"Ich weiß, ich habe mich ziemlich danebenbenommen, Mr Conelli und dafür möchte ich mich entschuldigen. Doch Dayna würde Ihnen gern etwas sagen." Aufmunternd sah ich sie an, doch sie sah nur verwirrt zurück, also half ich ihr auf die Sprünge. "Dayna? Der Artikel? Ash an deinem Laptop?"
"Ach so, ja. Sadie sagte, es habe wohl Probleme mit ihrem Artikel gegeben, aber ich habe daran nichts verändert, ehrlich nicht. Ash war eine kurze Zeit an meinem Laptop, er hätte also die Möglichkeit gehabt. Ich habe mir den Artikel danach leider nicht mehr durchgelesen."
Triumphierend sah ich Mr Conelli an, der mich mit gerunzelter Stirn betrachtete. Offenbar schien er abzuwägen, ob Dayna die Wahrheit sagte oder ob ich sie mit Süßigkeiten bestochen hatte. Irgendwann ging er hinter seinen Schreibtisch und betätigte das Mikrofon.
"Ash Hamilton, bitte sofort in das Büro des Direktors. Ich wiederhole: Ash Hamilton, bitte sofort in mein Büro."
Vor lauter Freude hätte ich beinahe laut aufgejauchzt, aber ich konnte mich gerade noch zusammenreißen. Jetzt würde dieser Idiot endlich mal eins abbekommen! Ich hatte ihn noch gewarnt: Wer mit dem Feuer spielte, würde sich verbrennen.
Wir warteten ein paar Minuten, bis er endlich klopfte und kurz darauf die Tür öffnete. Als er Dayna und mich sah, seufzte er genervt auf.
"Mr Conelli, das hatten wir doch vorhin schon!", setzte er an, doch Mr Conelli unterbrach ihn.
"Mr Hamilton, stimmt es, dass Sie Zugang zu dem Artikel von Ms Nichols hatten?" Das klang wie ein richtiges Verhör. Insgeheim lachte ich mir ins Fäustchen.
"Ja, theoretisch schon", antwortete Ash selbstsicher, als fürchtete er sich vor nichts. Er stritt also noch immer eiskalt ab, etwas damit zu tun zu haben. So ein Depp, er hatte verloren. Wieso sah er das nicht ein?
"Sie bestreiten also noch immer, dass Sie den Artikel von Ms Nichols verändert haben."
"Ich würde mich doch nie in das Privatleben einer mir fremden Person einmischen." Ashs Mundwinkel zuckte, als er sich das Lachen verkneifen musste, was offenbar nur mir auffiel. Auf Daynas Stirn konnte ich die Fragezeichen förmlich ablesen. Ihr würde ich wohl später noch erklären müssen, worum es hier ging.
Mr Conelli sah abwechselnd zwischen Ash und mir hin und her, offenbar noch unschlüssig, wem er jetzt glauben und was er mit uns machen sollte.
"Nun, da hier Aussage gegen Aussage steht, werde ich Sie, Mr Hamilton, mit einer Verwarnung wegschicken. Ich möchte so etwas nicht noch einmal hören. Sie können jetzt gehen." Ash grinste mich dreckig an, während in mir die Wut kochte. Das konnte doch jetzt nicht Mr Conellis Ernst sein! Dayna und ich wandten uns ebenfalls zum Gehen, als mich die Stimme des Direktors zurückhielt.
"Sie noch nicht, Ms Nichols." Dayna warf mir einen entschuldigenden Blick zu.
"Ich warte draußen auf dich", versicherte sie mir, bevor sie die Tür schloss.
"Ms Nichols, ich weiß, Sie waren sehr ... aufgebracht wegen dieser Situation. Trotzdem kann ich nicht dulden, dass an meiner Schule Schlägereien angefangen werden."
Ungläubig sah ich ihn an. Er würde doch wohl jetzt nicht nur mir eine Strafe aufs Auge drücken?
"Mit Verlaub, Mr Conelli, ich wollte keine Schlägerei anfangen. Ich habe Ash geschlagen, und damit war die Sache eigentlich erledigt."
Mr Conelli sog scharf die Luft ein, hob eine Augenbraue und rümpfte unzufrieden die Nase. Hatte ich was Falsches gesagt?
"Wie dem auch sei, Ms Nichols. Ich werde an Ihnen ein Exempel statuieren. Deswegen erhalten Sie einen Verweis, ich werde Ihre Eltern benachrichtigen und Sie werden heute Nachmittag eine Stunde nachsitzen."
Bitte was?
Völlig geschockt sah ich ihn an.
"Das wäre dann alles", fügte er hinzu und machte eine vage Handbewegung Richtung Tür. Was fiel ihm ein? Das konnte doch wirklich nicht sein Ernst sein!
"Mr Conelli, Ash hat angefangen. Mein Ruf hätte an seinem kleinen, für Sie anscheinend unwichtigen Streich erheblichen Schaden erleiden können! Er ist hier zu weit gegangen!" Mein Direktor sah mich nachdenklich an. "Dass ich eine härtere Strafe als er kriege, sehe ich einfach nicht ein! Ich dachte nicht, dass Sie so ungerecht sind", setzte ich noch einen drauf und bemerkte zufrieden, dass mein Gegenüber unangenehm berührt auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Er räusperte sich einmal und starrte die Wand an.
"Na gut. Da Sie beide einen Teil zu dieser Situation beigetragen haben, wäre eine ähnliche Strafe angemessen." Ich konnte mir ein flüchtiges, triumphierendes Grinsen nicht verkneifen.
"Sie werden beide nachsitzen."
***
Einige Stunden später schlurfte ich genervt Richtung Nachsitzzimmer. Ash, diese Laus. Er verpestete mir mein Leben!
Kurz bevor ich den Raum erreichte, sah ich ihn auch schon draußen auf dem Flur warten. Anscheinend war die Aufsichtsperson noch nicht da. Ash sah mich und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, als ich nur wenige Schritte von ihm entfernt war.
"Da kommt die kleine Petze ja", begrüßte er mich und sandte mir einen schwer definierbaren Blick.
"Ach, halt die Klappe!", zischte ich und ging an ihm vorbei. Seine arrogante Art trieb mich so dermaßen zur Weißglut, dass ich schon wieder kurz davor war, ihn zu schlagen. Ich hatte Blut geleckt, und in meinen Fingern kribbelte es förmlich vor Verlangen, sein Gesicht noch einmal Bekanntschaft mit meiner Faust machen zu lassen. Leider tauchte in dem Moment unser Aufsichtslehrer auf und ich wandte mich ab. Noch einmal würde ich nicht die Kontrolle verlieren und eine Strafe bekommen, die völlig ungerechtfertigt war. Der Lehrer sah ziemlich genervt aus, als er das Klassenzimmer wortlos aufsperrte. Wahrscheinlich hatte er genauso wenig Bock, seinen Nachmittag hier zu verbringen, wie wir.
"Setzen Sie sich und halten Sie die nächste Stunde die Klappe", sagte er nur, bevor er sich vorn hinsetzte und ein Buch aus seiner Tasche zog. Wow, sehr gut gelaunt. Aber das war mir auch egal, denn ich hatte nicht vor, mich mit Ash zu unterhalten.
Ich setzte mich an einen Tisch in der Ecke und holte meine Schulsachen aus meiner Tasche. Wenn ich schon die nächste Stunde hier drin verbringen musste, konnte ich sie auch so sinnvoll wie möglich nutzen und gleich meine Hausaufgaben machen.
"Die kleine Streberin macht also brav ihre Hausaufgaben." Ashs Stimme drang an mein Ohr, und sie war viel zu nah. Er hatte sich direkt vor mich gesetzt und kippelte mit seinem Stuhl so nach hinten, dass er an meinem Tisch lehnte.
"Halt deine Fresse und verpiss dich", zischte ich. Er brachte wirklich die schlechtesten Seiten in mir zum Vorschein.
"Na, na, du hast dich aber auch schon mal gewählter ausgedrückt", stichelte er weiter.
"Wen interessiert das hier?", erwiderte ich und rollte mit den Augen.
"Keinen. Denn du bist nicht wirklich interessant", kommentierte Ash mit einem Schulterzucken. Der Kerl hatte doch einen an der Waffel.
"Ich sage es noch mal: Halt die Fresse und verpiss dich!"
"Was, wenn nicht?"
Ich überlegte nicht lange, sondern zielte mit meinem Fuß unter dem Tisch nach seinem Stuhlbein. Ich trat mit voller Wucht dagegen, und da er durch das Zurücklehnen eh schon am Rumbalancieren war, rutschte der Stuhl, nur noch auf einem Bein belastet, weg und Ash fiel mit einem fetten Krach zu Boden.
Der Aufsichtslehrer hob desinteressiert den Blick, ich tat einfach unschuldig und vertiefte mich in mein Buch, während Ash stöhnend aufstand. Ich traute mich nicht, ihn anzusehen, aber ich musste mir auf die Lippe beißen, um nicht laut loszulachen. Plötzlich sah ich neben meinem Buch zwei Hände, die sich auf die Tischplatte stützten. Ich blickte hoch in Ashs ausdrucksstarke Augen, die nur wenige Zentimeter vor mir waren. Er lehnte sich noch ein Stück näher zu mir und fixierte mein Gesicht. Er setzte zu einer Ansage an, doch der Aufsichtslehrer rappelte sich in dem Moment auf und versuchte, wenigstens ein klein wenig pflichtbewusst zu sein.
"Mr Hamilton, entweder Sie setzen sich jetzt ruhig hin oder wir sehen uns morgen Nachmittag wieder", kam es dennoch sehr gelangweilt von ihm. Ash reagierte nicht auf seine Bemerkung, sondern sah mich immer noch ernst an. Ich lugte kurz an ihm vorbei und erblickte den Lehrer, schon wieder in sein Buch vertieft. Ihm war das hier alles doch eigentlich scheißegal.
"Bist du taub? Verzieh dich!", zischte ich leise zu Ash und machte eine wegschubsende Handbewegung. Ich konnte erkennen, wie sehr sich Ash beherrschen musste, um mir nicht den Kopf abzureißen. Ich setzte noch einen drauf.
"Sprich noch einmal mit mir und ich werde dir dein Leben zur Hölle machen." Ich hatte die Worte nur geflüstert, aber ich wusste, dass er jede einzelne Silbe verstanden hatte. Ich hielt seinem Blick stand und fand, dass er trotzdem zu viele Sekunden wartete, bevor er sich umdrehte und sich hinsetzte.
Natürlich würde ich das nie machen, weil ich weder konnte noch wollte, das wusste Ash auch, aber mir platzte gleich der Kragen. Und irgendwie musste ich ihn ja loswerden.
Den Rest der Stunde verbrachte ich damit, Ash in den Nacken zu starren und das Tattoo zu bewundern, das fast ganz bis zu seinem Haaransatz ging.
***
"Sag mal, hast du sie noch alle? Bist du komplett von allen Geistern besessen?", schrie Brooke mich an.
"Verlassen ...", korrigierte ich sie und versuchte, an ihr vorbeizugehen.
"Du kannst Ash doch nicht einfach so schlagen! Spinnst du?", fuhr sie fort und funkelte mich an.
Eine halbe Millisekunde hatte ich in unserem Haus verbracht, da stand Brooke schon vor mir und schrie sich die Lunge aus dem Leib.
"Vielleicht hat dein ach so toller und lieber Lover ja vergessen zu erklären, weshalb ich ihm die Ehre erwiesen und ihn überhaupt beachtet habe?", fragte ich genervt und schubste Brooke leicht zur Seite, um an ihr vorbeizukommen.
"Nein, hat er nicht", kam es trotzig von Brooke, die mir hinterherblickte.
"Na also", murmelte ich und begann die weiße Holztreppe hinaufzugehen.
"Also stimmt es?", rief Brooke mir fragend nach.
"Jap."
"Wirklich?"
"Jaaa", grummelte ich gedehnt.
"Du fieses Miststück!", flüsterte Brooke hinter mir, und ich blieb abrupt stehen. Was zur Hölle? Ich drehte mich um und sah sie fragend an.
"Du bist eifersüchtig", brach es sofort aus ihr heraus. Ich konnte ein überraschtes Auflachen nicht zurückhalten.
"Ich? Eifersüchtig?"
"Ja, weil ich einen Freund habe und du nicht! Außerdem hat Ash mir erzählt, dass du früher in ihn verliebt warst!" Brooke war so aufgebracht, dass sie den Tränen nahe war, aber sie war für diesen Streit mehr als nur bereit.
"Du glaubst auch einfach alles, was Ash so den lieben langen Tag von sich gibt, oder?", fragte ich sie verächtlich.
"Wieso sollte ich ihm bitte nicht glauben? Er ist immerhin mein Freund!", erwiderte sie mit einem Hauch Hysterie in der Stimme. "Außerdem ist er heiß, also erzähl mir nicht, dass da nichts dran ist, dass du für ihn geschwärmt hast." Provozierend verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an.
Ich seufzte nur. Sie checkte es echt nicht.
"Ist dir schon mal aufgefallen, dass wir extrem unterschiedliche Auffassungen von 'heiß' haben? Du findest Ash vielleicht zum Anbeißen, ich absolut nicht. Und das habe ich auch früher nie. Soll ich dir mal erzählen, wie es wirklich war? Dein lieber Ash stand damals auf mich, und ich habe ihn abblitzen lassen." Ein triumphierender Ausdruck trat auf mein Gesicht. Doch Brooke sah mich nur mitleidig an.
"Sadie, du musst dir jetzt nicht irgendetwas ausdenken. Es ist mir egal, ob du auf Ash stehst oder nicht, solange du die Finger von ihm lässt, weil er jetzt mir gehört!" Zum Ende ihrer kleinen Rede war sie immer leiser geworden, mit jedem Schritt, den sie näher auf die Treppe und somit auf mich zugegangen war. Das sollte wahrscheinlich bedrohlich wirken.
"Ach Brooke, dann glaub doch den Müll, den du dir selbst einredest. Von mir droht dir jedenfalls definitiv keine Gefahr. Ash würde ich noch nicht einmal mit der Kneifzange anfassen." Ich wandte mich zum Gehen, weil mir das hier echt zu blöd wurde.
"Ich hoffe für dich, dass ich mich auf dein Wort verlassen kann!", rief sie mir noch hinterher.
In meinem Zimmer ließ ich mich auf mein Bett fallen und drehte erst einmal die Musik so laut, dass ich meine eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte. Die Wut darüber, dass Ash schon wieder Mist über mich erzählt hatte, brodelte in mir, und wenn ich mich nicht ein bisschen abreagiert hätte, wäre ich direkt zu ihm gefahren und hätte ihm endgültig sein verlogenes Grinsen aus seiner hässlichen Visage gewischt.
Gut, so hässlich war er auch wieder nicht ... Aber das tat nichts zur Sache.
Ich hasste, was er aus mir machte. So viele gewalttätige Gedanken hatte ich noch nie gehabt, und bei ihm konnte ich fast nicht aufhören, darüber nachzudenken, was ich ihm als Nächstes antun wollte.
Vielleicht verhielt ich mich auch falsch. Ich hatte es schon mit Drohen und mit buchstäblicher Gewalt versucht. Vielleicht konnte ich ihn in seinem riesigen Ego viel mehr kränken, wenn ich etwas ganz anderes tat: ihn ignorieren.
***
Es war Mittwochnachmittag. Und Mittwochnachmittag hieß so viel wie Redaktionssitzung der Schülerzeitung Pupils Weekly News. Ich hatte mit der Namenswahl nichts zu tun gehabt, sonst hätte die Zeitung hundertpro einen kürzeren, einfacheren und definitiv mehr catchy Namen erhalten.
Wie dem auch sei, die Redaktionssitzungen liebte ich.
Nur war die Stimmung diesmal ... Nun ja, angespannt.
Michael sah mir nicht einmal in die Augen, und ich sah ihn so wenig wie möglich an. Nach dem Missverständnis und Michaels Geständnis, tatsächlich eine Beziehung mit mir als eine Möglichkeit zu sehen, wussten wir beide nicht, wie wir miteinander umgehen sollten.
Außerdem gab es – überraschenderweise – Probleme mit Ash und Alice.
Alice saß völlig eingeschüchtert auf ihrem Stuhl und ließ sich die langen, platten blonden Haare ins Gesicht fallen. Ash würdigte sie keines Blickes. Was war denn bei den beiden passiert? Ash hatte die arme Alice mit Sicherheit so eingeschüchtert mit seiner offensiven Art, dass sie jetzt gar nichts mehr sagte.
"So." Michael klatschte übermotiviert in die Hände und wandte sich Ash und Alice zu. "Wie war denn eure gemeinsame Zeit?" Erwartungsvoll sah er die beiden an. Ashs Gesicht hellte sich augenblicklich auf.
"Ich denke, wir hatten viel Spaß, stimmt's, Alice?" Er stieß sie mit dem Ellbogen an, aber Alice verzog keine Miene. Kurz herrschte absolute Stille im Raum, bis Alice ihren Blick hob, erst Ash einen vernichten Blick zuwarf und dann Michael direkt in die Augen sah.
"Ich werde keine weitere Minute mit Ash zusammenarbeiten", sagte sie mit einer festen Stimme, die ich ihr so gar nicht zugetraut hätte.
Überrascht hob ich eine Augenbraue. Respekt. Was hatte Ash nur mit ihr angestellt, dass sie sogar den Mut fand, sich gegen ihn aufzulehnen?
Michael hatte in der Zwischenzeit seine Sprache wiedergefunden und wandte sich uns anderen zu.
"Gebt ihr uns kurz ein paar Minuten? Ich hole euch wieder rein, sobald wir fertig sind."
Genervt erhob ich mich von meinem Platz und schnappte mir meine Tasche. Dieser Trottel brachte einfach alles durcheinander. Wäre er doch einfach dort geblieben, wo der Pfeffer wuchs.
Draußen lehnten Matt und ich uns an die Wand, Dayna stellte sich ebenfalls dazu.
"Was, meint ihr, ist passiert?" Dayna wirkte total aufgeregt.
"Ich habe keine Ahnung. Wahrscheinlich wollte er ihr an die Wäsche, wie halt bei jedem Mädchen." Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern. Ich hatte mir vorgenommen, Ash bestmöglich zu ignorieren, also war mir auch das gerade eben egal, solange offenbar nichts wirklich Schlimmes passiert war.
Wir warteten eine gefühlte Ewigkeit und dann noch weitere zwölf Minuten, bis endlich die Tür aufging und Michael uns wieder in den Raum holte.
"Okay, die Sache ist die ...", begann Michael und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Ich sah gespannt ihn, danach kurz Ash an. Der saß wie ein Unschuldsengel leicht lächelnd und sanftmütig da.
Alles nur Show.
"Vor den Sommerferien haben wir noch ein großes Projekt zu erledigen. Dabei handelt es sich um eine Reportage in acht Teilen, mit der den Leserinnen und Lesern verschiedene Sehenswürdigkeiten, Veranstaltungen, Cafés oder Ähnliches hier in der Stadt schmackhaft gemacht werden sollen. Da das sehr umfangsreich wird, hatte ich geplant, zwei Leute an die Sache zu setzen. Wir werden dafür wieder die Gruppen neu einteilen."
Ich bekam einen leicht bitteren Geschmack im Mund.
Das Projekt klang spannend! Aber ...
"Matt, du bleibst beim Sport, das bekommt einfach keiner besser hin als du", begann Michael, und Matt neben mir konnte sich ein fettes, selbstzufriedenes Grinsen nicht verkneifen.
"Noch mehr Cheerleader-Interviews also ...", murmelte ich und stupste ihn leicht mit dem Ellbogen in die Seite.
"Alice arbeitet solo und das Projekt gehört dir, Sadie." Zum ersten Mal heute sah Michael mir in die Augen. Für eine Viertel Nanosekunde.
Nichtsdestotrotz wollte ich gerade zu jubeln anfangen, doch Michael unterbrach mich mit zwei vernichtenden Worten.
"Mit Ash."
"Wie bitte?!", sagten Matt und ich gleichzeitig und sahen Michael schockiert an.
"Na ja, da er nicht mit Alice zusammenarbeiten kann ...", fing er an, doch in mir kochte die Wut über.
"Seit wann ist Ash hier der neue Chefredakteur? Er meint es doch gar nicht ernst, verdammt! Wieso tanzen alle nach seiner Pfeife?" Ich rastete aus und stand mit einem Scheppern auf. Ich war so unbeschreiblich wütend, ich hätte jemanden erwürgen können. Jemanden aka Arsch Hamilton.
"Wundert es dich nicht, dass hier keiner mit Ash zusammenarbeiten kann oder will? Oder dass er so verdammt eigentümlich ist?" Irgendwo neben mir wollte Ash Einwände erheben, doch ich deutete mit einem Handzeichen an, dass er verdammt noch mal sein verflixtes Maul halten sollte.
"Ash macht hier nur Probleme!"
Michael vermied es immer noch, mich anzusehen.
"Dann kannst du ihn ja ein wenig erziehen", wagte Michael es doch tatsächlich zu sagen.
"Schon vergessen, Michael, für Ash bin ich ja übrigens auch nicht gut genug, ihm kann ich ja nichts beibringen!" Meine Stimme triefte vor Sarkasmus, und Michael zuckte bei meinen Worten leicht zusammen. Niemand in der ganzen Schule, geschweige denn hier im Raum, hatte mich je so aufgebracht erlebt, darüber war ich mir im Klaren. Und das alles nur wegen so eines nichtsnutzigen Wichtes.
"Vielleicht kann ich dir ja etwas beibringen", hörte ich hinter mir die dreiste Stimme des nichtsnutzigen Wichtes.
"Schnauze, dich hat keiner gefragt!", verteidigte mich Matt, und mir wurde ganz warm ums Herz, weil ich so einen tollen und loyalen Kumpel hatte.
"Sadie, Ash verdient eine faire Chance", erwiderte Michael seufzend.
"Ach, so wie er uns anderen eine Chance gibt?"
"Zeige dich doch auf einem höheren Niveau", schlug er vor, und ich wäre fast schon wieder ausgerastet.
"Der Abstand unserer beiden Niveaus könnte nicht größer sein, Michael!", sagte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und setzte mich energisch wieder hin.
"Willst du das Projekt, Sadie?", fragte Michael mich plötzlich und verschränkte die Arme vor der Brust. Und jetzt endlich sah er mich an.
"Ja klar!" Dachte er, ich wäre komplett bescheuert, oder was? Eine Reportage in acht Teilen war für mich der Traum.
"Gut, dann entweder mit Ash oder gar nicht."
Fassungslos sah ich ihn an. Das grenzte ja fast schon an Erpressung. Michael wusste genau, dass ich diese Artikelreihe unbedingt wollte. Mein Blick glitt kurz zu Ash, der noch immer selbstgefällig in seiner Ecke saß. Diese Artikel zusammen zu schreiben würde bedeuten, wirklich viel Zeit miteinander verbringen zu müssen. Aber mir blieb wohl keine andere Wahl.
"Wenn es sein muss."
Michael nickte zufrieden und fuhr dann einfach weiter mit dem Programm fort, das er sich zurechtgelegt hatte. Er verteilte neue Artikelthemen an Matt und Alice, erklärte Ash und mir, was er sich grundsätzlich von unserer Reihe erwartete, ließ uns jedoch bei der Auswahl der Sehenswürdigkeiten und Erlebnisse freie Hand. Ich hatte schon so viele Ideen und brannte darauf, endlich damit anzufangen. Sogar dass Ash mit von der Partie war, konnte meine Stimmung gerade nicht extrem dämpfen. Mit dem würde ich schon irgendwie klarkommen, ich hieß ja nicht Alice. Wenn ich mich nicht mehr provozieren ließ, würde es ihm vielleicht auch zu langweilig werden. Wir würden dieses Projekt einfach hinter uns bringen und fertig.
Als die Besprechung vorbei war und Michael uns gehen ließ, packte ich schnell meine Sachen und ging zu Ash. Dort stützte ich mich vor ihm auf dem Tisch auf, um möglichst bedrohlich zu wirken.
"Morgen nach der Schule bei mir. Trödel nicht."
"Ich werde da sein, nicht so ungeduldig", erwiderte er feixend, aber ich sah ihn nur ausdruckslos an.
"Das zieht bei mir nicht." Ich war schon am Gehen, als mir noch etwas einfiel. "Und egal, was du mit Alice angestellt hast – bei mir wird es nicht funktionieren." Dann ließ ich ihn stehen und ging zu Matt, der an der Tür auf mich wartete.
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